Ganztagsschule auf dem Prüfstand

Auszüge aus den Studien im Auftrag der Bertelsmann Stiftung „Reformprojekt Ganztagsschule“ von DJI und „Was kostet der gebundene Ganztag“ von Prof. Klaus Klemm:
“ In Deutschland besuchten im Schuljahr 2010/11 insgesamt 2.148.074 Schüler der Primar- und der Sekundarstufe I öffentliche oder private Ganztagsschulen. Das waren 28,1 Prozent aller Kinder und Jugendlichen dieser beiden Schulstufen. Auch wenn diese Teilnahmequote … eher niedrig ist, kann doch festgestellt werden, dass es in den Jahren nach 2002/03 eine starke Expansion der Angebote und der Teilnahme von und an Ganztagsschulen gegeben hat: Im Vergleich zu der Teilnahme von 2002 mit erst 9,8 Prozent aller Schüler der Primar- und der Sekundarstufe I hat sich diese Quote mit 28,1 Prozent im Jahr 2010 nahezu verdreifacht. Neuere Umfragen belegen allerdings, dass die Nachfrage nach Ganztagsschulplätzen mit dem derzeit erreichten Platzangebot bei Weitem noch nicht gedeckt ist.

Im Schuljahr 2010/11 machte mehr als jede zweite Schule Ganztagsangebote (51,1 Prozent). Gegenüber dem Schuljahr zuvor bedeutet dies einen Anstieg um mehr als acht Prozent.
Zugang zu einer gebundenen Ganztagsschule, in der die Teilnahme am ganztägigen Unterricht für alle Schüler verbindlich ist, haben lediglich 12,7 Prozent der Schüler. Dieser Form der Ganztagsschule attestiert die Studie des Deutschen Jugendinstituts besonders große Möglichkeiten, das soziale und kognitive Lernen zu fördern. …

Dabei wurden die Ausgaben für das pädagogische Personal, für die räumliche Ausstattung der Schulen und für die Ausgabe des mittäglichen Essens berechnet. Grundlage der Berechnung sind zwei Varianten der Ganztagsschule: In der Variante 1 beschränkt sich das Ganztagsangebot auf drei Tage mit jeweils sieben Unterrichts- und Betreuungsstunden; an fünf Tagen der Woche wird eine Mittagsverpflegung bereitgestellt. In Variante 2 erstreckt sich das Unterrichts- und Betreuungsangebot auf wöchentlich fünf Tage mit jeweils acht Unterrichts- und Betreuungsstunden und einem täglichen Angebot zum Mittagessen. Zusätzlich werden in dieser Variante die Ausgaben berechnet, die erforderlich sind, um für einen Teil der Lehrkräfte Arbeitsplätze in den Schulen zur Verfügung zu stellen.

Die Ermittlung der für diese beiden Varianten erforderlichen Ausgaben, … ergibt für Deutschland insgesamt: Die Realisierung der Ausbauvariante 1 (100 Prozent, 3 Tage, 7 Stunden) erfordert zu den 2010 schon aufgebrachten Ausgaben für die Primar- und die Sekundarstufe I zusätzlich im Jahr 2020 insgesamt 4,8 Mrd. Euro. Bei der Variante 2 (100 Prozent, 5 Tage, 8 Stunden) belaufen sich diese Ausgaben auf 9,2 Mrd. Euro zusätzlich. Wenn man die Schüler der Sekundarstufe II einbezieht, so erhöhen sich die Mehrausgaben in der Variante 1 (V1) auf 5,0 und in der Variante 2 (V2) auf 9,4 Mrd. Euro.

Damit die Ganztagsschule ihr Potenzial ausschöpfen kann, nennt die DJI-Studie drei wesentliche Faktoren: Erstens eine regelmäßige Teilnahme aller Schüler, zweitens eine hohe Qualität der Lernangebote und drittens eine Einbettung in kommunale Bildungslandschaften – also die Zusammenarbeit etwa mit Kindertagesstätten, anderen Schulen, Ausbildungsbetrieben, Musikschulen und Sportvereinen.

Um dem quantitativen und qualitativen Ausbau den nötigen Nachdruck zu verleihen, spricht sich der Vorstand der Bertelsmann Stiftung für einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz aus.

Bildungsforscher Prof. Thomas Rauschenbach bemängelt als Autor der DJI-Studie, der bisherige Ausbau sei „eine Reise in die Zukunft ohne klares Ziel“. Der Ausbau der Ganztagsschulen, eines der größten Reformprojekte im Bildungswesen, hat bislang höchst unterschiedliche Organisationsformen und Typen hervorgebracht: Offene, gebundene oder teilgebundene Ganztagsschulen, also mit freiwilliger bis verpflichtender Teilnahme, variieren erheblich in Zeitstruktur, Kooperationen, Angeboten und individueller Förderung.

Auch beim quantitativen Ausbau bestehen große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Die meisten Ganztagsschulen gibt es in Sachsen mit 96,5 Prozent aller Schulen. Dort nutzen mit 73,3 Prozent auch die im Ländervergleich meisten Schüler entsprechende Angebote. Die wenigsten Ganztagsschulen weist Sachsen-Anhalt mit 24,6 Prozent aller Schulen auf. Den deutschlandweit geringsten Anteil von Schülern, die ganztägig zum Unterricht gehen, hat Bayern mit 10,5 Prozent.

Bertelsmann Stiftung (Hrsg): Ganztagsschule als Hoffnungsträger für die Zukunft? Ein Reformprojekt auf dem Prüfstand. Expertise des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2012. http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-58DD663F-E17C900C/bst/hs.xsl/publikationen_112227.htm

Klaus Klemm: Was kostet der gebundene Ganztag? Berechnungen zusätzlicher Ausgaben für die Einführung eines flächendeckenden Ganztagsangebots in Deutschland im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2012.

Die Studien in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte www.bertelsmann-stiftung.de/ganztag

Quelle: Bertelsmann Stiftung; DJI; DCV

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