Bildung in Deutschland: Einbahnstraße, Kreisverkehr oder Startrampe für Jugendliche mit Migrationshintergrund?

Die Schlussfolgerungen belegen dabei die von der Fachwelt kritisierte Chancenungleichheit: Ausländische Schüler/-innen sind in allgemeinbildenden Schulen benachteiligt. Sie besuchen häufiger Haupt- oder Förderschulen. Schüler/-innen serbischer, italienischer oder türkischer Herkunft sind deutlich häufiger an Hauptschulen und seltener an Gymnasien anzuttreffen. Aber der Report zeigt auch positive Entwicklungen auf und bietet damit eine Grundlage für die Weiterentwicklung im Bildungsbereich.

Vietnamesische Kinder besuchen am häufigsten ein Gymnasium – auch häufiger als Deutsche. Jugendliche der dritten Migrantengeneration nähern sich den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund an: beim Abitur, bei Klassenwiederholungen sowie bei der Einstellung zu Noten und Zeugnissen. Beim Übergang in den Beruf sind die Erkenntnisse weniger erfreulich und untermauern z.B. die Forderungen des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit die Diskriminierung bei der Vergabe von Ausbildungsstellen zu beenden: Denn Jugendliche mit Migrationshintergrund haben eine deutlich geringere Chance in eine vollqualifizierende Berufsausbildung einzumünden. Selbst bei Kontrolle von kulturellen, sozialen und ökonomischen Einflussfaktoren.

Doch wohin führt der Weg? Angesichts der Erkenntnisse ist Bildung in Deutschland für Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Einbahnstraße? Oder vielleicht eher ein Kreisverkehr? Oder kann Bildung doch zur Startrampe werden?

Auszüge aus dem Resümee des Jugend-Migrationsreports zur schulischen und außerschulischen Bildungssituation:
“ … Bildung und Ausbildung in Deutschland

Der Besuch weiterführender Schulen, der Zugang in eine vollqualifizierende berufliche Ausbildung sowie zur Hochschulbildung ist in Deutschland wesentlich an den vorherigen Schulerfolg geknüpft. In den Bildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund spiegelt sich demnach die in den vorgängigen Bildungsstufen erfolgte Selektion wider. So beeinflusst der Wechsel in eine weiterführende Schulart das Niveau des Schulabschlusses, das bedeutsam für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung oder eines Studiums ist. Die Möglichkeiten zum späteren Bildungsaufstieg innerhalb des Schulsystems und zur dementsprechenden Korrektur eines Bildungsweges sind für Haupt- und Realschülerinnen und -schüler zwar theoretisch gegeben, können aber in der Praxis nur selten umgesetzt werden. …

Für Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland scheinen sich vor diesem Hintergrund ungünstige Zukunftschancen abzuzeichnen. Ihre schulische Bildungssituation zeigt sich als eine deutliche Unterrepräsentanz in gymnasialen Bildungsgängen, einen überproportionalen Anteil an Hauptschulen und an Förderschulen, insbesondere in solchen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. …

Im Anschluss an die allgemeinbildende Schule bestehen vielfältige berufliche Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten. Dieser Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Erstausbildung, die sog. „erste Schwelle“, ist für die Betrachtung von Bildungschancen und -prozessen von besonderer Bedeutung, steht er „doch am vorläufigen �Ende‘ einer Reihe nacheinander durchlaufener Bildungsinstitutionen und ist gleichzeitig �Bindeglied‘ und zentrale Voraussetzung für eine berufliche Integration“. Aufgrund sowohl qualitativer als auch quantitativer Passungsprobleme zwischen Bildungsangebot und -nachfrage vollziehen weniger Jugendliche den direkten Übergang in eine vollqualifizierende berufliche Erstausbildung, sondern durchlaufen verschiedene „Zwischenschritte“. Die Übergangswege werden dadurch länger und weniger absehbar bzw. komplexer, was für die Jugendlichen mit Unsicherheit verbunden ist. Hiervon sind Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich häufiger als Jugendliche ohne Migrationshintergrund betroffen: Sie münden zu einem geringeren Anteil direkt nach der Schule in eine vollqualifizierende Ausbildung ein. Im deutschen dualen Ausbildungssystem sind ausländische Jugendliche nicht allein gegenüber deutschen Auszubildenden, sondern auch im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung gleichen Alters unterrepräsentiert. …

Berufliche Bildungsabschlüsse die zentrale Grundlage für ein existenzsicherndes Dasein. Wie die Erwerbslosenstatistik zeigt, geht ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden, vor allem mit einer fehlenden beruflichen Qualifikation ein. Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind diesem Risiko besonders ausgesetzt, denn sie haben deutlich häufiger keinen beruflichen Bildungsabschluss als junge Erwachsene ohne Migrationshintergrund. In der Gruppe jener, die einen beruflichen Bildungsabschluss erlangen, überrunden 25- bis unter 35-Jährige mit Migrationshintergrund jedoch bei den Fachhochschul- und Hochschulabschlüssen die Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund und auch in Berufen, die eine abgeschlossene Lehre voraussetzten sind sie ähnlich gut repräsentiert.

Formale Bildung gilt als die grundlegende, aber nicht hinreichende Bedingung für eine gesellschaftliche Teilhabe und gelingende Lebensführung. Anknüpfend an den Leitspruch „Bildung ist mehr als Schule“ wurden Formen der non-formalen und informellen Bildung aufgewertet. In den Fokus geriet auch der „Bildungsort Jugendarbeit“, dem eigene und unterstützende Bildungsfunktionen zugeschrieben werden. Empirische Untersuchungen belegen insbesondere Bildungseffekte des ehrenamtlichen bzw. freiwilligen Engagements in Gruppen, Vereinen und anderen Organisationen.

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in die unterschiedlichen Angebote der Jugendarbeit nicht gleichermaßen eingebunden. Außerschulische Bildungschancen durch Beteiligung und Engagement in der verbandlichen Jugendarbeit, in Jugendfreizeiten und Jugendbildung realisieren sie, den raren empirischen Befunden folgend, im Verhältnis zur Gruppe der Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund seltener. Demgegenüber sind sie in der offenen Jugendarbeit sowie als Adressatinnen und Adressaten der mobilen Jugendarbeit relativ stark vertreten. …

Vor dem Hintergrund der ineinandergreifenden Stufen von Bildungs- und Ausbildungs-„Karrieren“ erscheinen die Bildungsverläufe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf den ersten Blick als prekär – insbesondere unter der Annahme irreversibler Kanalisierungen durch Schule und Ausbildung. Im öffentlichen, fachlichen und politischen Bildungs- und Integrationsdiskurs werden Jugendliche mit Migrationshintergrund deswegen teilweise dramatisierend als „Problemgruppe“ des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems etikettiert und Fördermaßnahmen werden zum Abbau von Defiziten gefordert und konzipiert.

Zu wenig reflektiert wird dabei oft, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund keine homogene Gruppe bilden und dass die Konstruktion einer einheitlichen (Aus-)Bildungssituation Widersprüchliches und Ungleichzeitigkeiten bis zur Unkenntlichkeit vermengt. …

Bildungs- und Ausbildungschancen – wohnortgebunden?
Die Bildungs- und Ausbildungssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft ist innerhalb Deutschlands nicht einheitlich. Dazu trägt im schulischen Bildungswesen das föderale System der Bundesrepublik bei, das die Hoheit über diesen Bereich den Bundesländern überträgt… . In Bundesländern, in denen es keine Hauptschule gibt, wie etwa in den östlichen Bundesländern, besuchen in der Sekundarstufe I deutlich mehr der ausländischen Schülerinnen und Schüler ein Gymnasium als in Bundesländern, in denen noch Hauptschulen als eigener Schulzweig bedeutsam sind. Gleichwohl differieren auch in den östlichen Bundesländern die Anteile der ausländischen Schüler/innen in den Schularten teilweise erheblich. Große Unterschiede gibt es ebenfalls beim jeweils landesspezifisch ausgewiesenen sonderpädagogischen Förderbedarf für ausländische Kinder und Jugendliche. Hier besteht Klärungsbedarf, „will man nicht einer naturalistischen Fehlinterpretation aufsitzen, dass Kinder aus den verschiedenen Bundesländern eben verschieden begabt seien und deshalb die ermittelten Landesunterschiede naturgegeben seien“.

Weitgehend unabhängig von den Länderunterschieden im Gymnasialbesuch fallen die bundeslandspezifischen Studienberechtigtenquoten ausländischer Schulabgänger/innen aus. Sie sind in den Ländern mit einem drei- und mehrgliedrigen Schulsystem am höchsten: Über dem Bundesdurchschnitt liegen die Quoten in Hessen, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg. …

Für den Ausbildungsbereich liegen bundeslandbezogene Daten zum Anteil der Auszubildenden, zu vorzeitigen Vertragsauflösungen des Ausbildungsverhältnisses und zum Prüfungserfolg Auszubildender vor. Die Ausbildungsbeteiligungsquoten zeigen, dass in Ostdeutschland noch sehr viel stärker als in Westdeutschland ein eklatantes Ungleichgewicht in den Teilhabechancen ausländischer Jugendlicher in der dualen Berufsausbildung vorliegt. Zur Erhellung der Ursachen für derartige Diskrepanzen mangelt es an empirischen Untersuchungen, die neben strukturellen Rahmenbedingungen auch betriebliche und individuelle Verläufe in den Blick nehmen und dadurch Benachteiligungsbedingungen und Fördermöglichkeiten aufdecken könnten. Dies gilt auch für Befunde, nach denen der Ausländeranteil bei vorzeitigen Auflösungen von Ausbildungsverträgen in Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern am höchsten ist und nach denen ausländische Teilnehmer/innen an Ausbildungsabschlussprüfungen höhere Erfolgsquoten in Brandenburg, Thüringen sowie Mecklenburg-Vorpommern und deutlich niedrigere in Sachsen und Berlin erzielten. … „

Die Veröffentlichung in vollem Textumfang steht auf der Seite des DJI zur Verfügung.

www.dji.de/bibs/DJI_Jugend-Migrationsreport.pdf
www.dji.de/jugend-migrationsreport

Quelle: Deutsches Jugendinstitut

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