Welche Rolle spielt Ungelerntentätigkeit für eine späte Berufsqualifizierung?

Auszüge aus der DJI-Studie „Umwege in die Ausbildung – Die Rolle von Ungelerntentätigkeit für eine späte Berufsqualifizierung“ von Tanja Mögling, Frank Tillmann, Tilly Lex:
“ … Anhand des analysierten Materials konnte zunächst bei vielen Jugendlichen eine ökonomisch-zweckrationale Orientierung abgebildet werden. Demnach stehen Ablösungsprozesse vom Elternhaus, der Aufbau stabiler Partnerschaftsbeziehungen oder die finanzielle Eigenständigkeit für die meisten jungen Frauen und Männer in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihren Platzierungen auf dem Ausbildungs- und Erwerbsmarkt, einem hauptsächlich durch Marktgesetzlichkeiten gekennzeichneten Hand-lungsfeld. Dies erhöht für diese jungen Menschen die wahrgenommenen Anforderungen, ihre Entwicklungsschritte auf Verwertbarkeit für den Ausbildungs- und Erwerbsweg auszurichten, in Begriffen der Marktgängigkeit zu denken sowie unter Kosten-Nutzen-Abwägungen rationale Handlungsstrategien zu entwickeln und zu verfolgen.

Damit Jugendliche im Prozess der sozialen und beruflichen Integration Gestaltungschancen nutzen können, benötigen sie zunehmend die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Unsicherheit zu ertragen sowie Risiken einzugehen und sie produktiv zu handhaben. … Wie gezeigt werden konnte, sind eine Erfolg versprechende Entwicklung von Fähigkeiten und Potenzialen neben den primären Ressourcen wie Familie und Freundeskreis insbesondere auch an so genannte sekundäre Ressourcen, also politische und institutionelle Akteure (u. a. Schulen, Einrichtungen und Träger der Jugendberufshilfe, Fachverbände, Arbeitsagenturen, Jobcenter, Betriebe) gebunden. Sie leisten wichtige Beiträge zur Strukturierung und Stabilisierung der Lebensverläufe junger Menschen – so beispielsweise die Schule bei der Platzierung in Bildungsgängen, das Ausbildungssystem beim Übergang von der Schule in das Erwerbsleben und die Jugendberufshilfe bei der Unterstützung dieses Übergangs. Im Hinblick auf eine späte berufliche Nachqualifizierung ist dieser Unterstützungsbedarf in besonderem Maße relevant. Denn u. a. ist sichtbar geworden, dass hierfür lediglich ein Gelegenheitsfenster von ca. sechs Jahren nach Verlassen der Schule besteht. …

Dabei ist … nicht zu übersehen, dass ein erworbener Berufsabschluss nicht per se in eine qualifizierte Beschäftigung münden muss, gerade wenn es sich um Ausbildungsgänge mit kurzer Laufzeit und geringem Anspruchsniveau handelt.
Außerdem ist deutlich geworden, dass die Jugendlichen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen eine schwierige Zielgruppe bei der Erreichung für Angebote der beruflichen Nachqualifizierung sind, wobei gerade Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund ein besonderes Beharrungsvermögen aufweisen. Hinsichtlich der dargestellten Einflüsse des sozialen Umfeldes zeigten sich durchaus auch problematische Befunde, wonach Peers sowie die Familie als CoolingOut-Agenten auftreten. …

Bezogen auf die Rolle der Ungelerntentätigkeit muss resümierend festgestellt werden, dass sie mit zunehmender Dauer der späten Aufnahme einer beruflichen Ausbildung eher abträglich ist, wenngleich im Rahmen beruflicher Praxis wichtige Orientierungsprozesse und Kompetenzerweiterungen stattfinden. Hierbei ist insbesondere eine ausgeprägte Risikoaversion ein Hindernis, sich von Neuem den Unwägbarkeiten einer beruflichen Qualifikationsepisode auszusetzen. Auch von den Betrieben geht – … – häufig eine ungünstige Anreizstruktur für eine Nachqualifizierung aus, wenn auch diese an vollqualifizierten Beschäftigten nur bedingt interessiert sind.

Handlungsempfehlungen
Es sind insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die eine Ungelerntentätigkeit ausüben, vielfach ungenutzte Qualifikationspotenziale für den wachsenden Fachkräftebedarf deutlich geworden. … Empirisch fundierte Handlungsempfehlungen bieten die Basis für die praktische Ansätze der Unterstützung einer Nachqualifizierung. ## Zunächst sollte auch Jugendlichen mit niedrigen oder fehlenden Bildungsabschlüssen mehr Zeit für Umwege und Auszeiten eingeräumt werden, die von den übergangsbegleitenden bzw. unterstützenden Institutionen oft nicht in Betracht gezogen werden, obwohl diese für Absolventinnen und Absolventen mit höheren Bildungsabschlüssen weitaus selbstverständlicher sind. Solche Zwischenschritte bieten gerade für Jugendliche mit bildungsfernem Hintergrund wichtige Gelegenheiten zur Herstellung von eigenem Brückenkapital in andere Milieus, welche die restringierenden mentalen Modelle des sozialen Umfeldes durch neue Referenzpunkte und andere Lebensentwürfe relativieren können.
## Es ist augenfällig, wie wenig Informationen den Jugendlichen über Angebote, Finanzierungsmöglichkeiten, beteiligte Unternehmen und Bildungsträger sowie andere Unterstützungsleistungen vorliegen. Dies indiziert einen Bedarf nach mehr Transparenz zu den vorhandenen Möglichkeiten der Beratungsstellen für eine Nachqualifizierung. Des Weiteren sollten ebenso niedrigschwellige Formen der Informationsbeschaffung ermöglicht werden – wie etwa durch Internetplatformen im Rahmen der bestehenden Qualiboxx.
## …
## Die fehlende Zuständigkeit der Arbeitsverwaltung für Jugendliche und junge Erwachsene, die einer un- oder angelenrten Arbeit nachgehen, ist für eine Ausschöpfung der beschriebenen Qualifikationspotenziale als hinderlich anzusehen. Da ein fehlender Berufsabschluss mit einem erhöhten Arbeitsmarktrisiko einhergeht, sollten die Voraussetzungen für eine Finanzierung erweitert und die Zielgruppen der Maßnahmen für berufliche Nachqualifizierung auf diese Klientel erweitert werden. Denkbar wäre hier beispielsweise eine Ausweitung des BA-FöGs auf (spätere) Berufsbildungswege, was einem Modell lebenslangen beruflichen Lernens entsprechen würde.
## Die Rahmenbedingungen solcher nachqualifizierender Angebote sollten zudem stärker auf die Zielgruppe der jungen Erwachsenen, insbesondere denjenigen mit Migrationshintergrund ausgerichtet werden. Dies schließt flankierende Maßnahmen, verbesserte Anerkennungsstrukturen aber auch Sicherheitsgarantien ein, die insbesondere Jugendliche mit höherer, auch durch ihre Lebensumstände bedingte Risikoaversion ein attraktives Angebotsformat bieten können. … „

Die DJI-Studie von Tanja Mögling, Frank Tillmann und Tilly Lex in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

www.dji.de/dasdji/Abschlussbericht_Umwege_in_die_Ausbildung_Final.pdf

Quelle: DJI

Dokumente: Abschlussbericht_Umwege_in_die_Ausbildung_Final.pdf

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