Vergabemodalitäten im Übergang Schule-Beruf im europäischen Vergleich

Den übergeordneten Anlass für die Expertise bildet die bestehende, von den Trägern und ihren Verbänden heftig kritisierte Vergabe- und Finanzierungspraxis der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Bereich der auf Grundlage des SGB III/ II geförderten berufsvorbereitenden Maßnahmen in Deutschland. Die wesentlichen Kritikpunkte betreffen zusammengefasst folgende Aspekte und Ebenen. ## die Diskontinuität der arbeitsmarktpolitisch geförderten Übergangsmaßnahmen und damit verbunden die für Jugendliche und Anbieter bestehende Intransparenz des Bildungsmarktes in diesem Bereich;
## das zeit- und personalaufwändige Antragsverfahren und somit den Vergabeprozess;
## die beim Vergabeverfahren angewendeten Auswahl- und Zuschlagskriterien, die sich vornehmlich am Kriterium niedrigster Preis orientieren;
## die kurzen Maßnahme- und Vertragslaufzeiten und
## die für diese Maßnahmen ausgezahlten Kostensätze.
Diese nationale Ausgangssituation lieferte den Ausgangspunkt für die Beauftragung der Expertise, der im Kern zwei spezifische Zielsetzungen zugrunde liegen: ## Es soll geprüft werden, welche EU-Vorschriften momentan für die öffentliche Auftragsvergabe in diesem speziellen Bildungs- bzw. Arbeitsförderungsbereich verbindlich sind und welche diesbezüglichen Entwicklungen in Zukunft zu erwarten sind.
Zur Bearbeitung wurden die aktuelle EU-Vergaberichtlinie RL 2004/18/EG sowie der Ende 2011 von der Europäischen Kommission vorgelegte, parlamentarisch jedoch noch nicht endgültig angenommene Richtlinienvorschlag (KOM(2011)896 endgültig) im Hinblick auf ihre Reichweite im Bereich der aktiven Arbeitsmarktdienstleistungen analysiert.
## Darüber hinaus sollen alternative Vergabe- und Finanzierungsmechanismen im Bereich der bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Angebote für Jugendliche/junge Erwachsene mit Übergangsschwierigkeiten an der ersten Schwelle in ausgewählten, ebenfalls an EU-Recht gebundenen Ländern identifiziert werden.
In diesem Zusammenhang wurde eine explorative, literaturgestützte Bestandsaufnahme zu den in Dänemark, England und Österreich eingesetzten Finanzierungsmechanismen
Auszüge aus den Ergebnissen und Schlussfolgerung der Expertise „Finanzierung- und Vergabemodalitäten ausgewählter Qualifizierungsangebote zur Erleichterung des Übergangs Schule-Beruf in Dänemark, England und Österreich“:
“ Im Hinblick auf die erst genannte Zielsetzung der Expertise lässt sich als Ergebnis festhalten, dass von europäischer Seite aktuell kaum Vorschriften zur Auftragsvergabe und Finanzierung von aktiven Arbeitsförderungsdienstleistungen gemacht werden, da diese in den Bereich der nicht prioritären Dienstleistungen fallen, für die die aktuell geltende EU-Richtlinie 2004/18/EG nur eingeschränkt Anwendung findet. Grundsätzlich gilt die besagte europäische Richtlinie nur, wenn eine öffentliche Behörde einen nicht öffentlichen bzw. einen nicht von ihr kontrollierten Dritten mit der Durchführung von Angeboten beauftragt und sofern der geschätzte Auftragswert den europaweit geltenden Schwellenwert von derzeit EUR 200.000 erreicht bzw. überschreitet. In allen anderen Fällen gilt das nationale Recht der Mitgliedstaaten.

Sofern eine Anwendungspflicht des EU-Vergaberechts besteht, gibt es für die Vergabeverfahren im Bereich der aktiven Arbeitsmarktdienstleistungen im Prinzip lediglich Vorschriften, die die Leistungsbeschreibung innerhalb der Ausschreibungsunterlagen einerseits sowie die Bekanntgabe der Vergabeergebnisse andererseits betreffen.

Zwar wird von europäischer Seite vorgeschrieben, dass öffentlich finanzierte, von unabhängigen Dritten gegen Entgelt umzusetzende aktive Arbeitsmarktdienstleistungen mit einem Auftragsvolumen von über EUR 200.000 öffentlich ausgeschrieben und in diesem Zusammenhang transparente, auf den Auftragsgegenstand bezogene Zuschlagskriterien verwendet werden müssen, die Art der Vergabeverfahren, die dabei anzuwendenden Kriterien ebenso wie die Dauer der Vertragslaufzeiten von europäischer Ebene jedoch nicht vorgegeben werden. Auch in Zukunft sind derartige EU-Vorschriften im Hinblick auf aktive Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsdienstleistungen nicht zu erwarten. …

Anbindung der Übergangsangebote an das formale (Berufs-)Bildungssystem und Konsequenzen für die Art ihrer Finanzierung
Die Expertise zeigt, dass nicht alle in den Ländern untersuchten Angebotsbereiche außerhalb von staatlichen Bildungsinstitutionen und somit am freien Anbietermarkt umgesetzt werden, weshalb auch die Finanzierung nicht in jedem Fall einem wettbewerblichen Vergabeverfahren unterliegt. So gibt es für Jugendliche, die beim Übergang in reguläre Berufsausbildungen Probleme haben, sowohl in Österreich als auch in Dänemark Angebote, die einen dauerhaften Bestandteil und damit ein verstetigtes Regelangebot des regulären staatlich verantworteten (Berufs-)Bildungssystems darstellen. Diesen (Regel-) Angeboten zuzuordnen sind bezogen auf die hier näher analysierten Angebotsbereiche sowohl die überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA) und die integrative Lehre (IBA) in Österreich, als auch die Produktionsschulen und die Berufsgrundausbildung (EGU) in Dänemark. Im Hinblick auf die bildungs- bzw. arbeitsmarktpolitische Verortung der genannten Bildungsangebote/-institutionen bestehen jedoch signifikante Unterschiede, die u. a. Auswirkungen auf die Art der Finanzierung der Maßnahmen und damit verbunden der umsetzenden Bildungsinstitutionen haben. ## Die Produktionsschulen in Dänemark stellen eine staatlich anerkannte, rechtlich abgesicherte, überwiegend öffentlich finanzierte Schulform dar. Hieraus folgt, dass auch in den Fällen, in denen die Jobcenter einzelne arbeitslose Jugendliche/junge Erwachsene diesem Angebot zuweisen, kein Auftragsvergabeverfahren angewendet werden muss, da es sich bei den Produktionsschulen um eine kommunal anerkannte, öffentliche Bildungsinstitution handelt, die ihre Bildungsangebote nur z. T. für Klienten der dänischen Arbeitsmarktbehörde erbringt. …
## Im Unterschied zu den Produktionsschulen handelt es sich bei der Berufsgrundausbildung (EGU) in Dänemark nicht um eine Institution, sondern um ein individuell auf die Teilnehmerbedürfnisse abgestimmtes, wenngleich ebenfalls bildungspolitisch ausgerichtetes Förderangebot, auf das seit dem Jahr 2007 ein von den Kommunen einzulösender individueller Rechtsanspruch besteht. An der Umsetzung von EGU sind je nach individuellem Förderbedarf verschiedene Bildungsinstitutionen des staatlich verantworteten Regelbildungssystems ebenso wie Betriebe, in denen Praktika absolviert werden, beteiligt. Die Finanzierung dieses Angebots erfolgt teilnehmerbezogen, das heißt, dass die beteiligten Bildungsinstitutionen nicht per Auftragsvergabe durch das AMS, sondern per Abrechnung zu einzelnen zugewiesenen Teilnehmern rückwirkend durch die Kommunen finanziert werden.
## Im Unterschied zu den vorgenannten Bildungsangeboten handelt es sich bei der überbetrieblichen und bei der integrativen Lehrausbildung in Österreich um Bildungsgänge, die zu einem vollwertigen, staatlich anerkannten Ausbildungsabschluss führen und sich hierbei speziell an Jugendliche ohne betriebliche Ausbildungsstelle richten. Vergleichbar mit EGU in Dänemark besteht auf die Teilnahme an der ÜBA im Falle des Vorliegens der Fördervoraussetzungen ein individueller Rechtsanspruch, der jedoch nicht bildungspolitisch, sondern von der österreichischen Arbeitsmarktbehörde und damit explizit im arbeitsmarktpolitischen Kontext eingelöst werden muss. Die umsetzenden Institutionen sind im Falle der IBA nach Möglichkeit mit denen der betrieblichen Lehre identisch. Demgegenüber wirken an der ÜBA sowohl öffentliche Berufsschulen des Regelbildungssystems, als auch speziell für den betrieblichen Ausbildungsteil anerkannte Ausbildungszentren oder aber andere Bildungseinrichtungen des freien Marktes mit. Im Falle der Ausbildungszentren wird eine Rahmenvereinbarung mit dem AMS Österreich abgeschlossen, denen in der Regel keine wettbewerblichen Vergabeverfahren, sondern spezifische, … Anerkennungsprozeduren vorgelagert sind. In den Fällen, in denen die ÜBA von anderen, privaten Bildungseinrichtungen realisiert wird, wird i. d. R. ebenso wie bei anderen arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungsangeboten ein Vergabeverfahren eingesetzt.
Die drei genannten, in Dänemark und Österreich für Jugendliche mit Übergangsproblemen angebotenen Bildungsgänge/-institutionen zeigen, dass Bildungsangebote zur Vorbereitung und Unterstützung des Übergangs in reguläre weiterführende (Berufs-) Ausbildung nicht nur außerhalb des staatlichen Regelbildungssystems gedacht und arbeitsmarktpolitisch finanziert werden können. Wie die Produktionsschulen und EGU in Dänemark zeigen, lassen sich Übergangsangebote an der ersten Schwelle auch an staatlich anerkannten, per Regelfinanzierung abgesicherten Bildungsinstitutionen zu gesetzlich definierten, einheitlichen Kostensätzen umsetzen. …

Unabhängig von dieser grundsätzlichen Gestaltungsfrage des Übergangssystems, zeigen die Ergebnisse der Expertise, dass alle drei Länder eine Förderung von Übergangsmaßnahmen auch in der arbeitsmarktpolitischen Sphäre verorten und hierbei u. a. auf Bildungsanbieter des freien Bildungsmarktes zurückgreifen und in diesem Zusammenhang mitunter das Finanzierungsinstrument der Vergabe von Bildungsmaßnahmen an Bildungsanbieter per Auftrag einsetzen. Hierbei zeigen sich auf verschiedenen Ebenen der Vergabe- und Finanzierungspraxis zahlreiche Alternativen zum deutschen Modell und damit mögliche Gestaltungsvarianten zur Vergabe und Finanzierung von aktiven Arbeitsmarktdienstleistungen.

Mögliche Varianten zur rechtlichen Regulierung von Auftragsvergaben im Bereich der aktiven Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsdienstleistungen
Die Expertise hat ergeben, dass die in den drei untersuchten Ländern implementierten Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge die arbeitsmarktpolitisch eingesetzten Aktivierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen allesamt dem Bereich der nicht prioritären Dienstleistungen zuordnen und im nationalen Vergaberecht nur wenige Vorschriften zur Vergabe von Bildungs- und aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen enthalten sind. Stattdessen bestehen für die Vergabe von Aufträgen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktdienstleistungen in allen drei Ländern spezifische Regelungen, die jedoch eine unterschiedliche Reichweite haben. Während in England und in Dänemark im Prinzip kaum allgemein gültige Rechtsvorschriften für die Auftragsvergabe in diesem speziellen Bereich existieren, sondern die jeweiligen Fördermittelgeber die Verfahren konform mit dem EU-Recht umsetzen und eigenständig regulieren, zeichnet sich Österreich durch die Besonderheit aus, dass es hier sowohl für die Vergabe als auch für die Zusammensetzung und Höhe der an Auftragnehmer ausgezahlten Fördermittel eigenständige bundesweit geltende Richtlinien der Arbeitsmarktbehörde gibt.

Das Abgrenzen von sonstigen Auftragsvergaben durch das Einsetzen spezifischer Regelungen für die Vergabe von aktiven Arbeitsmarktdienstleistungen könnte insofern vorteilhaft sein, als dass hiermit den Besonderheiten sozialer und bildungsspezifischer Dienstleistungen besser Rechnung getragen werden könnte. …

Mögliche Varianten für die im Vergabeverfahren anzuwendenden Eignungs- und Zuschlagskriterien
Jenseits der Gestaltung der Vergabeverfahren zeigen die Ergebnisse der Expertise, dass auch im Zusammenhang mit den angewendeten Eignungs- und Zuschlagskriterien Spielräume bestehen. Zwar zeigt sich, dass im Rahmen der Eignungsprüfung im weitesten Sinne in allen Ländern die rechtliche, finanzielle, fachliche, personelle sowie organisatorische Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bewerber bewertet wird, gleichwohl Österreich in diesem Zusammenhang in gewisser Weise eine Sonderstellung einnimmt. So nutzt dieses Land im Rahmen der Eignungsprüfung das Einhalten von geltenden Kollektivverträgen und dort ausgehandelter Mindestentgelte als Mindestanforderung. Dies gewährleistet, dass in Bezug auf die Angestellten (echte Dienstnehmer) das Zahlen nicht qualifikationsangemessener Gehälter sowie insgesamt ein Lohndumping vermieden werden. …

In der Phase der Angebotsbewertung werden in allen drei Ländern eine Preis- und eine Qualitätsbewertung vorgenommen, mit dem Ziel, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln und diesem den Zuschlag zu erteilen.
Die Qualitätsbewertung erfolgt in jedem Land und hier je nach Art der ausgeschriebenen Maßnahme anhand klar definierter, zuvor bekannt gegebener Kriterien . In allen Ländern werden das Maßnahmekonzept u. a. im Hinblick auf die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der Teilnehmer sowie die geografische Lage und Erreichbarkeit der Einrichtungen bewertet. Zudem sehen Österreich und Dänemark eine Bewertung der infrastrukturellen Ausstattung vor. Daneben nutzen die Länder jeweils spezifische Qualitätskriterien; so z. B. Dänemark die implementierten teilnehmerbezogenen Beratungs- und Informationsarrange-ments oder Österreich die fachliche Erfahrung des eingesetzten Lehr- und Betreuungspersonals und die beim Anbieter bestehenden Vorkehrungen zur Gleichstellungsorientierung und Frauenförderung. In England werden zudem die Vorkehrungen zur Auswahl, Kontrolle und Steuerung von Subunternehmern sowie die vorhandenen Verfahren zur Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl fachlich qualifizierten Personals u. a. bewertet. Resümierend zeigt sich, dass sich die Bewertung der Angebotsqualität in allen drei Ländern analog zur EU-Vorgabe lediglich auf die per Auftrag zu vergebenen Bildungsmaßnahmen bezieht, während bspw. die Lohn- und Arbeitsbedingungen des Personals an dieser Stelle in keinem Land als Zuschlagskriterium aufgenommen wurden.

Deutliche Unterschiede zeigen sich hingegen bei der Preisbewertung, die zwar in allen Ländern dazu dient, das Angebot mit dem niedrigsten Preis zu ermitteln, die Bezugsgrößen zur Kalkulation der Preise jedoch unterschiedlich sind. So basiert die Preisbewertung in Österreich auf den im Angebot genannten Maßnahmegesamtkosten, die aus der Summe der pro Teilnehmerstunde und der pro geleisteter Arbeitsstunde des Maßnahmepersonals kalkulierten Preise zu errechnen sind. In Dänemark bezieht sich die Preisbewertung auf den pro Teilnehmer und Jahr im Angebot genannten Gesamtkostensatz im Sinne eines Einheitspreises. In England orientiert sich die Preisbewertung an teilnehmerbezogenen Kostensätzen, wobei bewertet wird, um wie viel Prozent die angebotenen Kostensätze von den vom DWP vorgesehenen Maximalkostensätzen pro Teilnehmer nach unten abweichen. … “

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www.jugendsozialarbeit.de/expertisen

Quelle: Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit; IB

Dokumente: Expertise_IB_BAG_OeRT_Vergabe.pdf

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