Gemeinsam für mehr Jugendbeschäftigung – Aber wie?

Jugendarbeitslosigkeit ist ein ernst zu nehmendes Problem. Darin sind sich alle einig. In Deutschland sieht die Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vergleichsweise gut aus. In anderen europäischen Ländern steht zum Teil jeder vierte Jugendliche auf der Straße und ohne Job da. Am Mittwoch (3. Juli 2013) kamen die 28 Arbeitsminister der EU und einige Regierungschefs in Berlin zusammen. Die Kanzlerin empfahl den anderen Staaten als mögliche Lösung die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland – geprägt durch die Agenda 2010. Auf EU-Ebene wurde die Einführung einer Jugendgarantie beschlossen. Alle arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren sollen innerhalb von vier Monaten ein Angebot bekommen. Außerdem will die EU sechs Milliarden Euro für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit ausgeben. Die Bunderegierung will die berufliche Mobilität in der EU erleichtern und hat das Sonderprogramm „MobilPro-EU“ aufgelegt. Damit sollen Hindernisse abgebaut werden, die es Jugendlichen aus Spanien, Griechenland oder Italien erschweren eine Beschäftigung in Deutschland anzunehmen. Viele Sozialverbände haben eine kritische Sicht auf diese Vorhaben. Simon Rapp, Vorsitzender der BAG KJS und BDKJ-Bundespräses, mahnt an: „Die jungen Leute sind nicht nur arbeitslos, sondern auch perspektivlos. Und kaum jemand hat darauf eine Antwort.“

Politik beschäftigt sich zu spät mit dem Thema

Am Mittwoch trafen sich im Berliner Kanzleramt auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Regierungsmitglieder aller 28 EU-Staaten, um nach einer Lösung für das Problem zu suchen. Das ist zwar ein hehres Ziel, doch der gewählte Zeitpunkt rief auch Kritik hervor. Schließlich ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen nicht erst in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. „Die Politik reagiert hier um einiges zu spät“, sagt Simon Rapp. Für ihn wie für Vertreter weiterer katholischer Verbände muss mehr geschehen, damit die junge Generation in Europa wieder positiv in die Zukunft schauen kann.

Arbeits- und perspektivlos

Derzeit scheint die Lage vor allem in Südeuropa düster: „Es ist zwar nicht eine ganze Generation verloren, aber schon große Teile einer Generation“, diagnostiziert Rapp. „Die jungen Leute sind nicht nur arbeitslos, sondern auch perspektivlos. Und kaum jemand hat eine Antwort darauf“. Selbst wenn junge Erwachsene nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung einen Job fänden, handele es sich oft um prekäre oder befristete Arbeitsverhältnisse oder um Leiharbeit. „Seit Jahren besteht die Gefahr, dass sich die Jugendlichen wegen ihrer aussichtslosen Lage radikalisieren“, warnt Rapp. Das hätten Unruhen in Vororten von London, Paris und Madrid eindrücklich gezeigt.

Der „Jugendarbeitslosigkeits-Gipfel“ wurde bereits im Mai von der Kanzlerin angekündigt. Ihre Sprecher ließen damals das Nachrichtenportal n-tv wissen, dass nach Ansicht der Bundesregierung die Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre – ausgehend von der Agenda 2010 – zu der positiven Situation auf dem Arbeitsmarkt geführt habe. Die Kernelemente der Hartz IV-Reform sollten den anderen EU-Staaten schmackhaft gemacht werden:

  • Förderung der beruflichen Weiterbildung,
  • Förderung der Existenzgründung,
  • Eingliederungszuschüsse,
  • Leiharbeit.

Leiharbeit besonders umstritten

Dabei ist das Instrument der Leiharbeit in Deutschland umstritten. In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und Linken prangern diese einen „Missbrauch“ des Instruments an: Anstatt Auftragsspitzen abzufangen, werde Leiharbeit genutzt, um Tarifverträge zu umgehen. An den Fließbändern in deutschen Fabriken stünden nach Tarif bezahlte Angestellte mit vollem Kündigungsschutz neben Leiharbeitern, die weniger verdienen und weniger Rechte haben – obwohl beide die gleiche Arbeit tun. Linken-Spitzenkandidat Klaus Ernst spricht von einer „Ohrfeige für die Jugend Europas“.

Die Situation für junge Menschen scheint festgefahren. Der Bildungspolitiker Willi Brase (SPD) fordert, dass den Jugendlichen durch die Jugendgarantie eine ehrliche Perspektive eröffnet werden muss. Die von der EU vorgesehenen sechs Milliarden Euro für 5,7 Millionen arbeitslose Jugendliche in sechs Jahren seien dazu nicht ausreichend. Das wären 175 Euro pro Jahr für jeden Jugendlichen – eine geradezu lächerliche Summe. Wenn man jungen Menschen eine ernsthafte Perspektive geben möchte, bräuchte es eine wesentlich höhere Summe: 20 Milliarden Euro in Verbindung mit sinnvollen Beschäftigungs- und Qualifizierungsperspektiven. Diese dürfe aber nicht als Almosen gestaltet werden und müsse in den betroffenen Ländern selbst ansetzen.

Als Spektakel von Absichtserklärungen bezeichneten die Grünen die Ergebnisse der Berliner Konferenz. Sie fordern von der Bundesregierung einen konkreten und ausfinanzierten Plan, wie der deutsche Beitrag aussieht, um Europas Jugendlichen eine Zukunft zu bieten.

Verlässliche Strukturen und Angebote für Jugendliche beim Übergang von Schule in Beruf

Um die Probleme bei der Wurzel zu packen brauchen alle EU-Länder steuerfinanzierte, gesetzlich verankerte und verlässliche Strukturen, die Jugendliche beim Übergang von Schule in Ausbildung und Arbeit unterstützen, fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit. Wir dürfen nicht zulassen, dass Jugendliche durch alle sozialen Sicherungen und Netze fallen. Statt Versprechungen oder Schnellschüssen ist deshalb in allen EU-Mitgliedsstaaten ein individuelles, langfristig angelegtes Bildungs- und Beschäftigungsprogramm mit einer Ausbildungsgarantie nötig, das mit europäischer Sichtweise die grundständige berufliche Bildung fördert und (mit-)finanziert. Dass im Rahmen der Ausbildungsallianz nationale Reformen zum Aufbau bzw. zur Stärkung von Berufsausbildungssystemen unterstützt werden sollen, ist daher begrüßenswert. In einer solchen Jugend-Bildungs- und Beschäftigungsinitiative muss auch die Wirtschaft ihrer Anteil leisten und Verantwortung für die Qualifizierung und Beschäftigung junger Menschen in Europa übernehmen.

Das das Ganze Geld kostet, ist auch den Sozialverbänden klar. Doch für den Vorsitzenden der katholischen Jugendsozialarbeit, Simon Rapp, ist das kein Gegenargument, was zählt. „Wenn für die schwankenden Bankensysteme 1,2 Billionen Euro ausgegeben werden konnten, dann müssen für die Zukunft der Jugendlichen in Europa auch mehr als sechs Milliarden Euro drin sein“, sagt er in Anspielung auf das von den europäischen Regierungschefs beschlossene Paket. Diese Einsicht hatten wohl auch die Politiker selbst. So kündigte Bundeskanzlerin Merkel nach dem gestrigen Gipfel an, die europäischen Staaten wollten weitere Milliarden für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit bereitstellen. Simon Rapp fordert, in eine qualitativ sehr gute Ausbildung zu investieren. Es müssten nachhaltige Maßnahmen getroffen werden, die auf mehr als „eine kurzfristige Verbesserung der Statistik hinzielen“, erklärt er.

Merkel: „Konkrete kurz-, mittel- und langfristige Herausforderungen und Möglichkeiten identifiziert“

Bundeskanzlerin Merkel hatte zum Abschluss der Konferenz eine Erklärung über die Vorhaben und Beschlüsse abgegeben. Auszüge aus der Erklärung von Bundeskanzlerin Merkel zum Abschluss der Berliner Konferenz zur Jugendbeschäftigung:

„Der Europäische Rat hat am 27./28. Juni 2013 hervorgehoben, dass die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit angesichts der unannehmbar hohen Zahl junger Europäer ohne Arbeit ein besonderes und unmittelbares Ziel ist. (…) Aus diesem Grund haben wir uns heute über erfolgreiche nationale Maßnahmen zur Förderung von Jugendbeschäftigung ausgetauscht. (…) Wir haben konkrete kurz-, mittel- und langfristige Herausforderungen und Möglichkeiten identifiziert, die nun auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene adressiert werden sollten. (…)

Die öffentlichen Arbeitsverwaltungen oder andere zuständige Träger in den Mitgliedstaaten werden erwägen

  • sich bei Bedarf grundsätzlich umzustrukturieren, in Einklang mit den nationalen Vorschriften und unter Nutzung guter Erfahrungen im HoPES-Netzwerk. (…)
  • wie bestmöglich systematisch und flächendeckend Berufsberatungsstrukturen aufgebaut und mit schulischen Berufsorientierungsmaßnahmen abgestimmt werden können, damit die Absolventen der allgemeinbildenden Schulen auf dieser Basis fundierte, den Arbeitsmarktkontext einbeziehende Berufswahlentscheidungen treffen können. (…)
  • wie bestmöglich ein Arbeitgeberservice aufgebaut werden kann, der in der Wirtschaft vorhandene Angebote im Sinne der Jugendgarantie identifiziert und den Bedarf an Qualifikationen und Kompetenzen auf Seiten der Wirtschaft feststellt sowie einen Maßnahmenplan zur Stärkung der Förderung von Existenzgründungen, vor allem in Zukunftsbranchen, erarbeiten. (…)
  • wie Aus- und Weiterbildungsverbünde der Sozialpartner (Wirtschaft) angestoßen und die Erarbeitung ihrer jeweiligen Umsetzungsstrategien durch Hilfe zu unterstützt oder durch beauftragte Träger unterstützt werden können. (…)

Die europäischen und nationalen Sozialpartner beabsichtigen, auf ihrer jeweiligen Ebene

  • den Aktionsrahmen für Jugendbeschäftigung zu implementieren und, auf dieser Basis, vertrauensvoll mit den EU-Institutionen und nationalen Stellen zusammenzuarbeiten;
  • darauf hinzuwirken, dass so früh wie möglich im Jahre 2014 Bildungsangebote bereitgestellt werden, die praktische Tätigkeiten in Betrieben und theoretische schulische Bestandteile sinnvoll kombinieren;
  • auf der Grundlage der Vorschläge des Aktionsrahmens für Jugendbeschäftigung eng mit den einschlägigen Institutionen zu kooperieren und passgenaue Reformmaßnahmen für die jeweiligen Mitgliedstaaten vorzuschlagen. (…)

Die Arbeitsministerinnen und -minister der Mitgliedstaaten werden erwägen

  • sicherzustellen, dass notwendige Strukturveränderungen bei den Arbeitsverwaltungen im nationalen Recht sowie notwendige Ressourcen geschaffen werden. (…)
  • bei der Schaffung der notwendigen rechtlichen Grundlagen für die Programmierung der Mittel in der Finanzperiode ab 2014 darauf zu achten, dass die Fördermöglichkeiten die identifizierten „best-practice“-Ansätze aufgreifen und die Möglichkeit eines raschen Einsatzes der Mittel gewährleistet ist;
  • unter Einbeziehung der nationalen und europäischen Sozialpartner (…) maßgeschneiderte Implementierungspläne zur Weiterentwicklung der nationalen Ausbildungssysteme, soweit erforderlich, (…)
  • sicherzustellen, dass aus der Jugendgarantie Mittel zum Ausgleich von Einstiegsproblemen in den Arbeitsmarkt durch, unter anderem, wenn für notwendig erachtet, temporäre Lohnsubventionen, die unmittelbar an den Arbeitgeber ausgezahlt werden, effektiv werden können. (…)

Jungen Menschen unter 25 Jahren in den EU-Mitgliedstaaten muss eine Arbeitsstelle guter Qualität oder eine weiterführende Ausbildung, ein Ausbildungs- oder ein Praktikumsplatz angeboten werden können. Hierzu können die von uns heute konkret benannten Instrumente einen wesentlichen Beitrag leisten, da sie besonders Erfolg versprechende Maßnahmen darstellen und weniger effiziente Wege vermeiden. In diesem Zusammenhang haben wir heute die Forderung des Europäischen Rates vom 27./28. Juni 2013 erneut bekräftigt, dass die Auszahlung der für die Beschäftigungsinitiative für Jugendliche zugewiesenen 6 Milliarden Euro auf die ersten beiden Jahre des nächsten mehrjährigen Finanzierungszeitraums konzentriert vorgezogen und ab Januar 2014 wirksam werden soll. (…)

Wir haben (…) vereinbart, dass wir im November 2013 nach der Tagung der Arbeitsministerinnen und -minister im Oktober 2013 den Fortschritt in den benannten Bereichen evaluieren werden. Diese Folgekonferenz wird auf Einladung Frankreichs in Paris stattfinden.“

In ihrem „AutorInnen-Papier: Europäische JugendarbeitslosigkeitGenug gegipfelt: Neue Zukunftschancen für Europas Jugend!“ kommentieren Kai Gehring, Lisa Paus und Ulrich Schneider.

Quelle: Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung; Political Post; n-tv.de; kai-gehring.de; willi-brase.de; BAG EJSA; BDKJ; KNA; katholisch.de

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