Die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben über Steuermittel des Bundes finanzieren

Auszüge aus der Ausarbeitung des DGB „Griff des Bundes ins Beitragssystem?“ von Dr. Wilhelm Adamy:
“ … Die Versichertengemeinschaft leistet … einen beachtlichen Beitrag zur Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben; diese – dem Solidarprinzip folgenden – Leistungen gehen weit über Aufgaben eines beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystems hinaus. ## So sind z. B. die Ausgaben im Rahmen der Förderung von Maßnahmen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) dem gesamtgesellschaftlichen Auftrag der BA zuzurechnen. Für die individuelle Förderung von Maßnahmen in WfbM mussten 2012 allein 612 Mio. Euro aufgewendet werden und zwar für einen Personenkreis, der bisher im Regelfall nicht versicherungspflichtig war und künftig überwiegend auch nicht sein wird. Denn die Übertrittsquote aus WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt liegt bei unter einem Prozent.
## Die Leistungen der beruflichen Rehabilitation im Rahmen der Ersteingliederung von Menschen mit Behinderung, die auch für Hartz IV-Empfänger aus Beitragsmitteln finanziert werden muss, wird ebenso dem gesamtgesellschaftlichen Bereich zugeordnet; dies gilt ebenso für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, die auch für benachteiligte jugendliche Hartz IV-Empfänger von der Versichertengemeinschaft finanziert werden müssen.
## Präventive Maßnahmen, die während der Schulzeit durchgeführt werden und über die üblichen Beratungsleistungen der BA hinausgehen, werden gleichfalls als gesamtgesellschaftliche Leistungen angesehen – wie die 2007 neu eingeführte erweiterte vertiefte Berufsorientierung, die Berufseinstiegsbegleitung an Schulen sowie die Maßnahmen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses.
Die Versichertengemeinschaft muss über die Versichertenleistungen auch diese nicht beitragsgedeckten Leistungen übernehmen. In den Vorjahren waren diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zum Teil noch deutlich höher … . Der Anteil der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben schwankt in den letzten Jahren von mehr als einem Viertel der aktiven Arbeitsförderung bis mehr als einem Drittel. … Trotz steigender Ausgaben der Sozialkasse für Versicherungsleistungen muss ein wesentlicher Anteil der Arbeitsförderung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben aufgewendet werden.

Verteilungswirkungen gesamtgesellschaftlicher Leistungen
Es gibt gute Gründe für diese gesamtgesellschaftlichen Leistungen, die wichtiges Element des Sozialstaates sind. Diese Leistungen gehen aber weit über die Versichertengemeinschaft hinaus und sollten daher aus dem Steuertopf finanziert werden. Vordergründig könnte man denken, es sei egal, aus welchem Topf oder welcher Tasche wir diese Leistungen bezahlen. Doch dies wäre falsch, da die Finanzierung aus Steuermitteln von einem wesentlich größeren Personenkreis erfolgt, während viele Steuerpflichtige – wie Beamte oder Selbständige – keine Arbeitslosenbeiträge zahlen müssen. Der Beitragssatz ist zudem konstant, während die Einkommenssteuern progressiv mit dem Einkommen steigen. Ferner gibt es eine sogenannte Beitragsbemessungsgrenze, oberhalb der keine Sozialbeiträge mehr entrichtet werden müssen. Zudem ist das Existenzminimum einkommenssteuerfrei, während Sozialbeiträge auch von sozialversicherten Jobs erhoben werden, die nicht existenzsichernd sind. Die Einkommenssteuer steigt mit der finanziellen Leistungsfähigkeit, während (sozialversichertes) Erwerbseinkommen konstant belastet wird. Unter Einbeziehung von Einkommen oberhalb der Beitragsgrenzen ist die Beitragsbelastung sogar eher regressiv und belastet niedrigere Einkommen in besonderer Weise. Wenn die Finanzierung sozialstaatlicher Leistungen in die Versicherungssysteme verschoben wird, werden die sozialversicherten Einkommen in besonderer Weise belastet. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die eigentlich durch die Allgemeinheit getragen werden müssten, entlasten die finanziell breiteren Schultern der Steuerzahler und belasten den kleineren Personenkreis der Beitragszahler. …

Bisher jedenfalls hat der Bund keinerlei Interesse, diesen nicht gerechtfertigten Griff in die Beitragszahler-Taschen zu beenden und den offensichtlichen Missstand zu beheben. …

Beteiligung des Bundes an der Arbeitsförderung
Der Bund macht allzu gerne eine Gegenrechnung auf und verweist auf seine „Beteiligung“ an den Kosten der Arbeitsförderung. Doch ab Beginn diesen Jahres wurden diese Mittel des Bundes ganz gestrichen und die Einnahmebasis des Versicherungssystems massiv geschwächt. Die Arbeitslosenversicherung ist erstmals in der bundesdeutschen Geschichte auf sich selbst verwiesen und muss unerwartete konjunkturelle Einschläge ausschließlich aus dem Beitragsaufkommen finanzieren. Bereits im Jahr 2006 wurde die Defizithaftung des Bundes für unerwartete konjunkturelle Risiken der Arbeitslosenversicherung abgeschafft. Gerechtfertigt wurde dies mit der ab 2007 neu eingeführten indirekten Beteiligung der Arbeitslosenversicherung am Mehrwertsteueraufkommen.

Ursprünglich hatte sich die große Koalition mit der Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte ab 2007 darauf verständigt, einen Beitragspunkt an die Arbeitslosenversicherung weiterzuleiten, um so die Senkung der Arbeitslosenbeiträge von der Steuerseite zu unterstützen. Diese Steuermittel (ca. 8 Mrd. Euro) sollten unmittelbar zur Beitragssenkung und zur Entlastung des Faktors „Arbeit“ bzw. der Lohnnebenkosten beitragen. Doch dieses Versprechen hat die Bundesregierung nunmehr gebrochen und stellt die Zuweisungen aus der damaligen Mehrwertsteuererhöhung ganz ein. … Dieser Mehrwertsteuertransfer wurde in 2012 bereits gekürzt und ab Beginn diesen Jahres ganz eingestellt.

Doch auch an anderer Stelle greift der Bund massiv in das Versicherungssystem ein und zweckentfremdet Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Über den vormaligen Aussteuerungs- bzw. Eingliederungsbeitrag musste die Versichertengemeinschaft ab 2005 die Hälfte der Eingliederungsleistungen für Hartz IV-Empfänger sowie anteilige Verwaltungskosten finanzieren und zwar knapp 4 Mrd. Euro pro Jahr. …

Fazit
Die Versichertengemeinschaft muss ein beachtliches Finanzvolumen für gesamtgesellschaftliche Leistungen aufwenden. Diese Leistungen sind sinnvolle bildungspolitische bzw. sozialstaatliche Aufgaben, die jedoch weit über den Zuständigkeitsbereich eines Versicherungssystems hinausgehen. … Immer wieder greift der Bund in die Beitragszahler-Taschen, um gesamtgesellschaftliche Aufgaben – … – den Beitragszahlern aufzubürden. … Auf diese Weise treibt der Bund seine eigene Haushaltskonsolidierung voran und schränkt dadurch finanzielle Handlungsspielräume der Arbeitslosenversicherung massiv ein. …

Zugleich wird die Legitimation des Versicherungssystems geschwächt, da die Eingangshürden für einen Versicherungsanspruch (Rahmenfrist) so hoch sind, dass viele vormalige Beitragszahler bei eintretender Arbeitslosigkeit finanziell leer ausgehen und keine bzw. keine existenzsichernden Ansprüche der Arbeitslosenversicherung erwerben konnten. Immer wieder müssen die engen finanziellen Handlungsspielräume dafür herhalten, eine bessere Einbeziehung von befristet und prekär Beschäftigten in den Versicherungsschutz zu verhindern, die aber zuvor über ihre Sozialbeiträge diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben mitfinanzieren mussten. …

Ökonomisch und verteilungspolitisch dringend erforderlich ist es, den problematischen Verschiebebahnhof zu Lasten der Versichertengemeinschaft zu beenden. Das beitragsfinanzierte System muss dringend entlastet und die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben endlich über Steuermittel des Bundes finanziert werden. … „

Die Ausarbeitung des DGB in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: DGB

Dokumente: DGB_Adamy_GesamtgesellschaftsaufgabenderArbeitslosenversicherung.pdf

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