Jugendliche mit Migrationshintergrund werden bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen diskriminiert

Auszüge aus der Studie: Diskriminierung am Ausbildungsmarkt des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration:
“ Für rund ein Drittel aller Schulabgänger ist die duale Berufsausbildung die Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt. Unternehmer klagen jedoch häufig, es gebe nicht genug geeignete Bewerber. Gleichzeitig bleiben jedes Jahr mehrere zehntausend Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz – darunter überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. …

Beim Zugang zur Ausbildung sind die Chancen von Anfang an ungleich verteilt. … Dies zeigen die Ergebnisse eines bundesweiten quantitativen Korrespondenztests in Ausbildungsbetrieben. Für den Korrespondenztest wurden jeweils zwei Bewerbungen von überdurchschnittlich qualifizierten männlichen Schülern mit deutscher Staatsangehörigkeit an insgesamt 1.794 Unternehmen verschickt, die mindestens einen Ausbildungsplatz für die Berufe Kfz-Mechatroniker/in oder Bürokaufmann/-frau zu besetzen hatten. Die beiden Bewerber hatten die gleichen Eigenschaften und Qualifikationen; der einzige Unterschied war, dass einer von ihnen einen türkischen Namen hatte und der andere einen deutschen. …

Auf rund 70 Prozent aller Bewerbungen erfolgte eine Kontaktaufnahme durch die Unternehmen, d. h. die Bewerber wurden entweder zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder sie erhielten eine Absage oder eine andere Form der Rückmeldung. Die Rückmeldungen waren jedoch ungleich verteilt: Die Bewerber mit einem deutschen Namen erhielten insgesamt deutlich häufiger eine Antwort auf ihre Bewerbung als diejenigen mit einem türkischen Namen. Außerdem wurden Jugendliche mit einem türkischen Namen seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen als Bewerber mit einem deutschen Namen und erhielten auch häufiger eine direkte Absage. …

Die Gründe für die Benachteiligung von Bewerbern mit türkischem Namen sind vielfältig. Eine Analyse betrieblicher Auswahlprozesse, die sozialpsychologische Erkenntnisse berücksichtigt, legt nahe, dass Ungleichbehandlung häufig aus unbewussten Assoziationen, stereotypen Zuschreibungen oder der Bevorzugung der eigenen Bezugsgruppe resultiert. …

Die Auswirkungen dieser Diskriminierung sind gravierend: Wenn qualifizierte Kandidaten nur deshalb nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil ihr Name ausländisch klingt, geht dem angespannten Ausbildungsmarkt wertvolles Potenzial verloren. Mittelfristig gefährdet dies die Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland. … Auf der individuellen Ebene der ausbildungsinteressierten Jugendlichen kann die Erfahrung wiederholter Ablehnung zu Resignation und Rückzugstendenzen führen. Das wäre für den Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft problematisch – denn Chancengleichheit ist ein Grundbaustein für das Gelingen von Integration, insbesondere in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt. …

Ein leistungsorientierter Arbeitsmarkt verspricht unter anderem, dass der Zugang zu diesen Systemen frei von Diskriminierung ist. Gerade für junge Menschen mit Migrationshintergrund funktioniert Integration vor allem darüber, dass sie Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe nutzen. Stehen solche Teilhabechancen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung oder werden bestimmte Gruppen benachteiligt, ist Integration nachhaltig gefährdet. Der Übergang von der Schule ins Ausbildungssystem gehört in dieser Hinsicht zu den neuralgischen Punkten in der Bildungskarriere von jungen Menschen mit Migrationshintergrund – und damit auch ihrer Integration insgesamt. Die Studie hat erstmals statistisch nachgewiesen, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausbildung im dualen System in Deutschland noch nicht gewährleistet ist. Von den Ergebnissen darf allerdings nicht pauschal auf den gesamten Ausbildungsmarkt geschlossen werden; sie erlauben insbesondere keine Rückschlüsse auf den Zugang zur schulischen Ausbildung. … Setzt man die Ergebnisse der vorliegenden Studie in Beziehung zur internationalen Diskriminierungsforschung im Bereich des Arbeitsmarktzugangs, so zeigt sich – trotz aller Vorbehalte gegen Vergleiche von unterschiedlich konzipierten Studien –, dass das Ausmaß der Diskriminierung am deutschen Ausbildungsmarkt nicht exorbitant ist. Weder rechtfertigt es eine pessimistische Dramatisierung, wonach Jugendliche mit Migrationshintergrund praktisch chancenlos seien, noch eine Entdramatisierung, die Ungleichbehandlung kleinredet. Vielmehr verlangt es nach pragmatischen Konzepten und Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung. Dabei müssen sich alle wesentlichen Akteure ihrer Aufgabe stellen, wirkungsvolle Gegenstrategien zu entwickeln, und damit resignative Tendenzen zurückdrängen, die sich aus Rassismus- und Benachteiligungsdiskursen bisweilen ergeben. … ## Sensibilisierung: Betriebliche Diversitätskompetenzen stärken
Zum �Standardrepertoire‘ der Organisationsentwicklung großer Unternehmen, gesellschaftlicher Verbände und öffentlicher Einrichtungen gehören schon seit Längerem Programme zur Vermittlung interkultureller Kompetenz sowie Maßnahmen, die die interkulturelle Öffnung und die Wertschätzung von Diversität in Institutionen fördern. Die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern versuchen seit einigen Jahren, solche Ansätze auch im Bereich der klein- und mittelständischen Unternehmen stärker zu verankern. Doch es besteht weiterhin Handlungsbedarf. Das gilt vor allem für Klein- und Kleinstunternehmen, die in Kleinstädten oder im ländlich geprägten Raum angesiedelt sind, jenseits der von Zuwanderung geprägten Vielfalt größerer deutscher Städte. Besonders in Bezug auf die Rekrutierung von Auszubildenden können zielgruppenorientierte Maßnahmen der Sensibilisierung auf Vorurteile und Stereotype aufmerksam machen und damit ein erster Schritt sein, um Diskriminierung zu bekämpfen. …
## Anonymisierung: Zeiteffiziente und kostengünstige Angebote schaffen
Unternehmen sollten bei der Auswahl ihrer Auszubildenden gezielt unterstützt werden. Entsprechende Angebote müssen in erster Linie praktikabel, transparent, zeiteffizient und kostengünstig sein. Besonders für kleine Betriebe ohne eigene Internetseiten, separate Personalabteilung oder eine gute IT-Infrastruktur sind etwa Ansätze wie vollständig anonymisierte Bewerbungsverfahren nur schwer realisierbar, die praktische Umsetzung würde schnell an ihre Grenzen stoßen. Auch fehlen diesen Unternehmen oftmals die personellen bzw. finanziellen Ressourcen, um beispielsweise sensible Daten in den Bewerbungen durch eine sog. unabhängige Stelle schwärzen zu lassen. Mittelständische und große Unternehmen hingegen können die nötigen Ressourcen besser aufbringen und sind deshalb eher in der Lage, anonymisierte Bewerbungsverfahren umzusetzen. Insbesondere bei standardisierten und routinierten Auswahlverfahren wie der Rekrutierung von Auszubildenden sollten auch in klein- und mittelständischen Unternehmen zukünftig möglichst flächendeckend Instrumente eingesetzt werden, die die Bewerbungen vorübergehend anonymisieren. Bei der Sichtung von Bewerbungen würde standardmäßig auf Informationen wie den Namen, das Geburtsdatum und den Geburtsort, die Nationalität, die Religionszugehörigkeit und den Familienstand sowie auf das Bewerbungsfoto verzichtet. Auch Angaben zum Beruf der Eltern sollten entfallen. Diese Daten sind für eine Einschätzung der Qualitäten eines Bewerbers nicht erforderlich; sie bleiben jedoch �im Hintergrund’ vorhanden und können später bei Bedarf �eingespielt’ werden. …
## Professionalisierung: Optimierung der Such- und Auswahlprozesse Die Prozesse der Personalauswahl sind insbesondere in kleinen Unternehmen aus Kapazitätsgründen bislang wenig professionalisiert. … Die für Industrie, Handel und Handwerk zuständigen Kammern sollten für Klein- und Kleinstunternehmen gezielte Schulungen anbieten, in denen Themen wie „Wie finde ich einen geeigneten Auszubildenden?“ behandelt und entsprechende Kenntnisse vermittelt werden. Sie sollten den Unternehmen praktische Anleitungen an die Hand geben, die ohne großen Mehraufwand umgesetzt werden können und helfen, den Auswahlprozess intern zu optimieren und zu objektivieren, diskriminierende Selektionsmechanismen zu vermeiden und so tatsächlich die am besten geeigneten Kandidaten auszuwählen.Ein Aspekt dieser Schulung kann zum Beispiel sein, Entscheidungsmüdigkeit vorzubeugen, indem die Bewerbungen für die Vorauswahl nach dem Vier-Augen-Prinzip gesichtet und auch bei einer kleinen Belegschaft mehrere Personen in den Auswahlprozess eingebunden werden. …
## Aktivierung: Jugendliche besser beteiligen und Chancen erhöhen
Jugendliche brauchen mehr Chancen, einen Ausbildungsberuf bereits vorab durch erste Erfahrungen in einem Unternehmen besser kennenzulernen. An einer solchen Aktivierung können sich alle beteiligen: Unternehmen, Schulen und die potenziellen Bewerber selbst. … In der Phase der konkreten Bewerbung um einen Ausbildungsplatz sind insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund darauf angewiesen, ihre grundsätzlich schlechteren Ausgangschancen durch qualitativ hochwertige Bewerbungsunterlagen und Referenzen ausgleichen. Auch hierbei sollten sie besser unterstützt werden. … Unternehmen, die Praxistage oder Kurzpraktika anbieten wollen, könnten sich im Rahmen von Berufsorientierungstagen, bei denen sie ihr Unternehmen an Schulen vorstellen, direkt vor Ort registrieren lassen. Die Schulen weisen den Unternehmen dann einen Schüler zu, der sich für das entsprechende Berufsbild interessiert. Dieser wird in einem objektiven Verfahren ausgewählt, um einer Ungleichbehandlung bzw. einer Bevorzugung von Schülern ohne Migrationshintergrund vorzubeugen. Zur Qualitätssicherung sollten die Jugendlichen im Anschluss an die Praxistage oder das Kurzpraktikum der Schule Rückmeldung über
ihre Erfahrungen im Unternehmen geben. …
## Agenda Setting: Chancengleichheit auf dem Ausbildungsmarkt als Thema für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
Das Problem der ethnischen Diskriminierung in der beruflichen Bildung sollte von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft als zentrales gesellschaftspolitisches Thema identifiziert und proaktiv mit dem Ziel eines chancengleichen Zugangs zur Ausbildung für alle jungen Menschen verknüpft werden. … Der aktuelle Ausbildungspakt endet 2014. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit den Ländern und den Sozialpartnern den Ausbildungspakt zur „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ weiterzuentwickeln und die schon länger geforderte Ausbildungsgarantie umzusetzen. Eine garantierte berufliche Erstausbildung im Anschluss an die erfüllte Vollzeitschulpflicht gibt allen Jugendlichen die Möglichkeit, direkt eine Berufsausbildung zu absolvieren, ohne im Übergangssystem �zwischengeparkt‘ zu werden. Sie fördert ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und schafft beim Zugang zu Ausbildung faire Chancen, darüber hinaus verspricht sie positive fiskalische und wirtschaftspolitische Effekte. Ohne eine rechtliche Verankerung fehlt dem Vorhaben jedoch die nötige Stoßkraft. Eine solche könnte beispielsweise im Berufsbildungsgesetz verankert werden, dessen Evaluierung die Koalition angekündigt hat. Damit die Ausbildungsgarantie nachhaltig umgesetzt werden kann, muss darüber hinaus ein �auswahlfähiges‘ Angebot sichergestellt werden, d. h. ein Überhang von Angeboten gegenüber der Nachfrage. Um die Ausbildungsquote zu erhöhen, müssten ausbildungsfähige Betriebe über ihre Selbstverpflichtung hinaus stärker in die Pflicht genommen werden, das betriebliche Ausbildungsangebot auszubauen. Bestandteil der Allianz sollten auch Selbstverpflichtungen sein, mit denen Diskriminierung beim Ausbildungszugang minimiert werden kann. … „
Die Studie in vollem Textumfang kann über aufgeführtem Link runtergeladen werden.

www.svr-migration.de/content/wp-content/uploads/2014/03/SVR-FB_Diskriminierung-am-Ausbildungsmarkt.pdf

Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

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