(…) Aus (…) veränderten Bedingungen des Aufwachsens ergeben sich für junge Menschen gleichermaßen neue Freiträume sowie neue Risiken und Anforderungen(…). Nutzung der durch die Wandlungsprozesse neu gewonnenen Chancen setzt eine gute Ressourcenausstattung voraus. Für diejenigen, die nicht auf die entsprechenden Voraussetzungen zurückgreifen können (z.B. wegen ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrer Bildungsbiografie), werden gewonnene Freiheitsgrade schnell zu „riskanten Chancen“.
Die Chancen und Risiken hierbei sind nicht gleich verteilt. Von letzterem sind vor allem Jugendliche ohne einen oder lediglich mit einem niedrigen Schulabschluss (Hauptschulabschluss) sowie junge Migrantinnen und Migranten betroffen. Resulatat eines verwehrten Zugangs zum Ausbildungsmarkt ist eine fehlende Berufsausbildung, die die Chance auf dem Arbeitsmarkt erheblich beeinträchtigt, da das Arbeitslosigkeitsrisiko in Deutschland in hohem Maße von formalen Qualifikationen abhängt. Die Gefahren für die Betroffenen sozial exkludiert zu werden oder dauerhaft in der Zone der Vulnerabilität zur sozialen Ausgrenzung zu leben, treten deutlich zutage. (…)
Umgekehrt steigt ihr Anteil in jenen Bildungsgängen bzw. Qualifizierungsmaßnahmen, die zum einen berufsbezogene Grund- bzw. Teilqualifikationen vermitteln oder zum anderen zu erhofften Schulabschlüssen – oder in einem weiteren Sinne auf dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt zu verwertbaren Bildungskapitalien – führen sollen.
In dieses so genannte Übergangssystem mündet fast die Hälfte der ausländischen Neuzugänge, während dies bei den deutschen Jugendlichen lediglich auf ein Viertel zutrifft. Auch wenn ausländische Jugendliche den mittleren Schulabschluss erlangen, münden sie deutlich häufiger in das Übergangssystem als ihre deutschen Altersgenossen.
Diese Benachteiligungen setzen sich im weiteren Bildungs- und Ausbildungsverlauf oftmals fort. Gelingt ihnen der Eintritt in eine Berufsausbildung, weist die Statistik für ausländische Jugendliche vielfach höhere Auflösungsraten für Ausbildungsverträge aus als unter den deutschen Auszubildenden. Dies führt bis heute dazu, dass ein beträchtlichter Teil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf Dauer ohne Berufsabschluss bleibt. (…)“
Franciska Mahl fast in einem Beitrag die Handlungsstrategien der Jugendlichen zusammen, die sie anwenden, um fehlende kulturelle Kapitalien zu kompensieren:
„(…) Bildungswege und kultureller Kapitalienhintergrund
Neben (…) innerfamilialen Strategien zur Bewältigung des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung durch die Eltern und Geschwister zeigt sich in den Ergebnissen (…), dass auch individuelle Handlungsstrategien der Jugendlichen fehlende kulturelle Kapitalien in der Herkunftsfamilie ausgleichen und einen erfolgreichen Übergangsprozess unterstützen können.
Als eine entscheidende Aufgabe von Jugendlichen am Übergang nach der Schule stellt sich die Entwicklung von konkreten beruflichen Zukunftszielen. (…) Neben den elterlichen Bildungsaspirationen erweist sich die lokale Bildungslandschaft und Angebotsstruktur als relevant für die Ausbildung von konkreten beruflichen Plänen. Jugendliche orientieren sich an den ihnen bekannten Bildungsmöglichkeiten, die oftmals in Wohnortnähe gesucht werden.
Um eine übergangsbezogene Entscheidungsreife zu erlangen, sind die Jugendlichen gefordert, sich eigeninitiativ zu Anschlussoptionen nach der Schule zu informieren. Dazu nutzen sie unterschiedliche Informationsquellen, darunter beispielsweise das Internet. Für Migranten der ersten Generation sind diese Suchprozesse mit hohen Anforderungen verbunden, da sie sich meist noch im Prozess des Spracherwerbs und der Erarbeitung eines Informationsstandes zum Bildungssystem im Aufnahmeland befinden. Sie sind aus diesem Grund verstärkt auf die Hilfe von Institutionen im Übergang angewiesen. (…)
Um ihre Bildungsaspirationen zu verwirklichen, nutzen die interviewten Jugendlichen im besonderen Maße die Möglichkeit eines verlängerten Schulbesuches nach der Haupt- oder Realschule. Dies betrifft vor allem Bildungsgänge an beruflichen Schulen wie die zweijährige Berufsfachschule oder die Fachoberschule. Dabei steht das Erreichen eines höherwertigen Schulabschlusses im Vordergrund unabhängig von den parallel erworbenen beruflichen Bildungsinhalten. (…) In dieser Haltung drücken sich die durchaus rationale Handlungsstrategie einer sog. Optionswahl mit aufschiebender Wirkung als Entscheidung unter Unsicherheitsbedingungen aus. Diese zielt darauf ab, eine Verbesserung der eigenen Position und damit eine Erweiterung späterer Alternativen zu erreichen.
Indirekte Wege zum Abitur und anschließendem Studium können (…) frühere Nachteile beim Übergang in die Sekundarstufe bei Migranten ausgleichen. Sie sind jedoch mit einer zeitlichen Verzögerung verbunden, die sich auf spätere Karrierechancen auswirken können. (…) Die Orientierung an höheren Bildungszielen stellt spezifische Anforderungen an die Jugendlichen, da diese nicht notwendigerweise durch institutionelle Vorgaben der ursprünglich eingeschlagenen Laufbahnintendiert sind. Zu beobachten ist deshalb eine sich schrittweise entwickelnde Aufstiegsorientierung bedingt durch einen sich stetig erweiternden Handlungsspielraum. (…)
Eine wichtige Funktion nehmen beim verlängerten Schulbesuch Bildungsgänge an beruflichen Schulen ein, wie die zweijährige Berufsfachschule und Fachoberschule, die neben einer schulischen Höherqualifizierung eine berufliche Grundbildung ermöglichen. Aus den Untersuchungsergebnissen wird ersichtlich, dass sich die interviewten Jugendlichen bewusst für diese Art von Bildungsgängen entscheiden, da sie diese als „leichtere Option“ im Verhältnis zu Bildungsgängen an allgemeinbildenden Schulen wahrnehmen bzw. auch von institutionellen Akteuren in dieser Weise vermittelt bekommen. (…)
Die Umsetzung hoher Bildungsaspirationen unter der Bedingung eingeschränkter Kapitalien im Elternhaus erfordert spezifische Persönlichkeitsmerkmale wie Zielstrebigkeit, Durchhaltevermögen, Frustationstoleranz, Beharrlichkeit, Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität der Jugendlichen, um über einen längeren Zeitraum auch bei Rückschlägen am Bildungsziel festzuhalten. (…)“
Quelle: DJI