Situationsanaylse zur Lage der Flüchtlungskinder in Deutschland
Auszüge aus dem UNICEF-Bericht:
„Im Jahr 2015 kamen über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland, darunter schätzungsweise mehr als 300.000 Kinder. (…) Der Anteil von Kindern und Jugendlichen unter den Flüchtlingen ist hoch: bei den Flüchtlingen, die bis März 2016 auf dem Seeweg in Europa eintrafen, lag er bei 35 Prozent. (…)
Die professionelle Arbeit von Verwaltungen, Hilfswerken und der enorme Einsatz der Zivilgesellschaft sorgen dafür, dass es nicht zu Obdachlosigkeit kommt und eine Notversorgung sichergestellt ist. Hunderttausende engagieren sich, ob haupt- oder ehrenamtlich, um den Flüchtlingen eine Perspektive zu geben.
Gleichzeitig hat sich aber das gesellschaftliche Klima verändert. Ängste vor Überforderung sind gewachsen, genauso wie Unsicherheiten und Vorbehalte gegenüber Menschen aus fremden Kulturen und Krisengebieten. Nachvollziehbare Sorgen werden teilweise politisch instrumentalisiert – bis hin zu rassistischen Zuspitzungen. Laut Bundeskriminalamt gab es in Deutschland in diesem Jahr allein bis Mitte Mai bereits 45 gewalttätige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte.
In dieser Situation müssen wir innehalten und der Öffentlichkeit und der Politik das Schicksal der einzelnen Menschen, der Familien, Frauen und vor allem der Kinder, die bei uns Zuflucht suchen, ins Bewusstsein rufen. Sie haben brutale Gewalt, Hunger und absolute Rechtlosigkeit erfahren. Die Kinder können nichts für ihre Situation. Flüchtlingskinder sind in erster Linie Kinder – ganz gleich, woher sie kommen, welcher Gemeinschaft sie angehören und welchen Aufenthaltsstatus sie haben. Sie haben ein Recht auf besonderen Schutz und besondere Fürsorge. (…)
Der Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, von Kommune zu Kommune, von Unterkunft zu Unterkunft. (…) Kinder, deren Familien eine schlechte Bleibeperspektive unterstellt wird, sind besonders benachteiligt. Sie haben in den für diese Personengruppe vorgesehenen Sondereinrichtungen noch weniger Chancen, angehört zu werden und zum Beispiel zur Schule zu gehen. Bis heute gibt es in Deutschland darüber hinaus kein systematisches und verbindliches Verfahren, bei dem die jeweilige besondere Schutzbedürftigkeit eines Kindes geprüft wird. Dabei darf Kinderschutz niemals vom Zufall abhängen. (…)
Die Zeitspanne, die Kinder und Jugendliche mit ihren Familien in Not- und Erstaufnahmeeinrichtungen – und damit in einer nicht kindgerechten Umgebung – verbringen müssen, hat sich deutlich verlängert: von drei auf sechs Monate oder mehr. Damit verzögert sich meist auch die Integration der Kinder, zum Beispiel in Schulen und Kindergärten. Der Rückstau bei der Bearbeitung der Asylanträge führt dazu, dass Familien oft lange in Unsicherheit über ihre Zukunft leben müssen und zum Nichtstun verdammt sind. Das ist sowohl für Eltern als auch für Kinder sehr belastend. Besonders hervorzuheben ist auch, dass der Zugang von Flüchtlingskindern zu Bildung und psychosozialer Betreuung sehr unterschiedlich ist. Vielerorts fehlen ausreichend Mittel und qualifizierte Fachkräfte, die den Kindern gerecht werden können. (…)
Bildung wirkt sich nicht nur stabilisierend auf die Mädchen und Jungen aus, sondern ist auch der Schlüssel zur Integration. (…) Zugang zu Bildung muss nicht gleichzusetzen sein mit dem Besuch einer Schule – auch strukturierte, verlässliche und qualitativ hochwertige Angebote können eine gute Ergänzung und Vorbereitung auf den Schulbesuch sein. Sie können diesen aber nicht ersetzen. Bei dem teilweise in Flüchtlingsunterkünften stattfindenden Ersatzunterricht werden meist nicht die tatsächlichen Schulfächer gelehrt. Dazu kommt, dass gerade das Erleben von Normalität außerhalb der Unterkunft wichtig für die Kinder und für ihre Integration ist.
Wegen der Zuständigkeit der Länder für das Thema Bildung gibt es kein deutschlandweit einheitliches Bild. In der Erstaufnahme besteht allerdings meist grundsätzlich kein Anspruch auf einen Regelschulplatz, so dass die längere Aufenthaltszeit dort auch automatisch zu einer längeren Zeit ohne Schule führt. Nach der Verteilung auf die Kommunen bietet sich ein noch heterogeneres Bild. (…)
Besonders schwierig ist die Lage für Jugendliche und junge Erwachsene, für die keine Schulpflicht mehr besteht (je nach Bundesland ab 16 oder 18 Jahren) und die deshalb oft keinen Platz an einer Schule bekommen. (…)
UNICEF fordert: Jetzt in eine Generation von Kindern investieren
In Deutschland gilt es, den neu zugewanderten Kindern mit gezielten Investitionen Perspektiven zu eröffnen und gleichzeitig die soziale Infrastruktur für alle Familien zu verbessern. Ein Ausbau von qualitativ hochwertigen Kitaplätzen, von guten Schulen und weiterführenden Bildungsmöglichkeiten kommt ganz Deutschland zugute. Bund, Länder und Kommunen müssen untereinander rasch Einigkeit über die Finanzierung dieser unbedingt notwendigen Investitionen herstellen. (…)
Zudem verpflichtet die UN-Kinderrechtskonvention Deutschland, in allen Gesetzen und politischen Maßnahmen die Rechte der Kinder zu achten und auf ihre Verwirklichung hinzuarbeiten.
Deshalb fordert UNICEF Deutschland von Bund, Ländern und Kommunen:
##Tatsächlich gleiche Rechte für alle Kinder umsetzen
##Deutschlandweit Verbindlichkeit herstellen
##Zugang zu Bildung und psychosozialer Betreuung sichern
##Unbegleitete Kinder schützen und fördern
##Auch auf EU-Ebene für den Schutz von Kindern eintreten
##Datenlage zu Flüchtlingskindern verbessern (…)“
Den Bericht in vollem Textumfang entnehmen Sie dem Anhang.
Quelle: UNICEF Deutsches Komitee
Dokumente: zur-situation-der-fluechtlingskinder-in-deutschland-data.pdf