Reform der Grundsicherung nach SGB II

Derzeit zeichnet sich ein Kompromiss hinsichtlich der künftigen SGB II-Trägerschaft ab. Über den Weg der Grundgesetzänderung sollen die bestehenden Arbeitsgemeinschaften zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen erhalten bleiben. Die Regierungsparteien und die SPD haben sich zusammengeschlossen, um eine Lösung zu erarbeiten.

Der Deutsche Caritasverband (DCV) beteiligt sich an dieser Debatte und vertritt dabei die Sichtweise der Menschen, die beim Zugang zum Arbeitsmarkt massiv benachteiligt sind. In diesem Sinne sieht der DCV Nachbesserungsbedarf in der Ausgestaltung des SGB II. Diesen machte der Generalsekretär des DCV, Prof. Dr. Georg Cremer, auf seinem SPD-Workshop deutschlich:
“ … Geringqualifizierte Langzeitarbeitslose benötigen individuell zugeschnittene Maßnahmen anstelle von ausgeschriebenen Standardpaketen. Notwendig ist eine stärker subjektbezogene Ausgestaltung der Arbeitsmarktinstrumente, die alle geeigneten Maßnahmeträger zur Leistungserbringung zulässt. Eine sozialpädagogische Begleitung durch Dritte muss hier systematisch möglich gemacht werden. Der Deutsche Caritasverband regt an, ergänzend zu den Verweisen auf SGB III-Leistungen spezifische Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im SGB II insbesondere für arbeitsmarktferne Personen zu benennen Der Zugang zu sozial-integrativen Leistungen muss sichergestellt sein. Die Kommunen bieten diese sozial-integrativen Leistungen in sehr unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Qualität an. Bei der Entscheidung über die Gewährleistung sozial-integrativer Leistungen ist ein Ermessen der Fallmanager unvermeidlich. Es ist dennoch erforderlich, im Gesetz und in den untergesetzlichen Bestimmungen und Kooperationsvereinbarungen den verpflichtenden Charakter zur Bereitstellung dieser Leistungen deutlicher hervorzuheben.

Für Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen steht seit der Einführung der Jobperspektive ein eigenständiges Integrationsinstrument zur Verfügung. Der Deutsche Caritasverband hat den maßgeblich durch Klaus Brandner und Karl-Josef Laumann beförderten Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von Anfang an unterstützt. Eine aktuelle Evaluierung des Instrumentes durch den DCV zeigt Nachbesserungsbedarf. Es fehlt die finanzielle Absicherung der sozialpädagogischen Begleitung. Die maximale Bezuschussungshöhe und verpflichtende Tarifbindung führen faktisch dazu, dass auch dieses Instrument stärker als ursprünglich intendiert für arbeitsmarktnähere Personen genutzt wird. Menschen mit schwersten Hemmnissen (z.B. ehemalige wohnungslose Menschen, Menschen mit manifester psychischer Erkrankung, Abhängige in der Heroin-Substitution) werden somit aus dem eigentlich gerade für sie konzipierten Instrument Jobperspektive durch arbeitsmarktnähere Personen verdrängt.

Jugendliche mit Vermittlungshemmnissen benötigen vorrangig Zugang zu Schul- und Berufsausbildung. Wir sehen hier Nachbesserungsbedarf bei den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (§ 61 SGB III) bezüglich der Flexibilität der Förderdauer und -höhe. Im SGB II muss zudem ein Vorrang von Ausbildung festgeschrieben werden. Berufliche Integrationsförderung muss als eine kooperative Gestaltungsaufgabe von regionalen Akteuren aus Fördereinrichtungen der Jugendberufshilfe, Betrieben, Schulen, SGB II-Trägern, Kammern und sonstigen Institutionen wahrgenommen werden. Wir fordern daher die verpflichtende Einrichtung von Koordinierungsstellen im SGB II.

Alleinerziehende benötigen Betreuungsangebote für Kleinkinder und Schulkinder, damit ihre Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht bzw. erleichtert wird. Daher muss der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchgesetzt werden, auch wenn im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise wenig finanzieller Spielraum besteht. Dieser muss in Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Kommune umgesetzt werden, damit Alleinerziehende eine reale Jobperspektive erhalten. Die SGB II-Träger müssen zudem Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote in Teilzeit für Frauen mit Kindern bereit stellen bzw. vermitteln.

Weitere Anmerkungen: ## Übergang in das ALG II und Bezugsdauer des ALG I: Die Bezugsdauer des ALG I ist von der großen Koalition in Abhängigkeit von Alter und Versicherungsdauer gegenüber der mit der Agenda 2010 eingeführten Regelung im SGB III verlängert worden. Ein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht hier nicht. …
## Regelungen zur Zumutbarkeit: Sittenwidrige Entlohnung ist ungesetzlich. Wenn Löhne eines Beschäftigungsverhältnisses sittenwidrig sind, darf die Nichtannahme durch einen ALG-II-Bezieher nicht sanktionsbewehrt sein. Allerdings ist der entscheidende Hebel zur Bekämpfung sittenwidriger Entlohnung nicht die Ausgestaltung der Zumutbarkeitsregelung, denn damit wird die sittenwidrige Entlohnung von beschäftigten Personen nicht bekämpft. Notwendig ist generell die konsequente Nutzung der Eingriffsinstrumente gegenüber Arbeitgebern, die sittenwidrig vergüten. … ## Bemessung der Regelsätze: Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind umzusetzen. Dabei kommt einem transparenten datengestützten Verfahren eine besondere Bedeutung zu. Der DCV sieht sich insbesondere durch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass die Kinderregelsätze bedarfsgerecht eigenständig zu ermitteln sind, in seinen armutspolitischen Positionen bestätigt. Berechnungen des DCV, die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kompatibel sind, weisen aus, dass das Sozialgeld für Kinder je nach Altersgruppe zwischen 21 Euro und 42 Euro zu erhöhen ist. Besondere Bedeutung hat die im Urteil verfügte Öffnungsklausel für unabweisbare, laufende und nicht nur einmalige Bedarfe. Hierfür hatten sich die Wohlfahrtsverbände mehrfach im Sozialmonitoring mit der Bundesregierung eingesetzt. Beim Regelsatz für Erwachsene erfordert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts insbesondere einen neue Mechanismus zur jährlichen Anpassung und die Erfassung von Ausgaben für den öffentlichen Personennahverkehr. ## Synchrone Reform des Kinderzuschlages
Eine Erhöhung der Regelsätze und des Sozialgeldes für Kinder wird dazu führen, dass mehr beschäftigte Personen, die Verantwortung für Kinder tragen, Anspruch auf ergänzendes ALG II erhalten. Damit erhöht sich die Zahl der „Kinder in Hartz IV“, eine Verbesserung der Leistungen für von Armut bedrohte Familien ist dann paradoxerweise mit der Wahrnehmung zunehmender Armut verbunden. Daher ist synchron mit der Erhöhung der Regelsätze der Kinderzuschlag zu reformieren. …“

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (BAG IDA) greift diese Grundsätze auf. Für die Neuorganisation legte sie erste Eckpunkte vor:
“ … ## Die Vermengung von SGB II und SGB III muss beendet werden. SGB II und SGB III unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Zielgruppen deutlich. Das SGB II ist ein Fürsorgegesetz und hat deshalb einer anderen Logik zu folgen als die im SGB III geregelte Arbeitsförderung, die eine Sozialversicherung ist.
## Ein kombiniertes Arbeitsmarkt- und Fürsorgesystem (Hybrid.) in dem die beiden Leistungsträger (Bund und Kommune) sich gleichberechtigt/partnerschaftlich einbringen können und ihre jeweiligen Aufträge, Ziele und Vorstellungen umsetzbar sind.
## Hierzu bedarf einer Bundesbehörde bzw. eines eigenen SGB II-Organisationsstranges in der BA, der für das SGB II zuständig und verantwortlich ist, klar getrennt vom SGB III. Also klare Kostentrennung, eigenständige Behördenleitung, nicht mitbestimmt durch Tarifpartner, eigenes Controlling. Derzeit behandelt die BA die ARGEn im Controlling wie ihre Dienststellen im SGB III.
## Eigenständigkeit der Behörde vor Ort, eigenes Budget, eigene Personalhoheit. So muss strukturell abgesichert sein, dass qualitativ gutes Personal in der notwendigen Anzahl diese komplexe SGB II-Verwaltung, insbesondere auch das Leistungsrecht, bearbeitet. Denn eines zeigen die Erfahrungen auf jeden Fall auch: Dort wo beim Personal gespart worden ist oder/und im Fallmanagement und Leistungsbereich relativ unqualifiziertes oder unerfahrenes Personal mit unsicheren Arbeitsverträgen tätig ist, gibt es teilweise unerträgliche Umstände für die Hilfesuchenden.
## Das neue System müsste mit wenigen aber effektiven zentralen Impulsen gesteuert und mit starken regionalen Steuerungskomponenten umgesetzt werden.
## Auch bei den kommunalen Leistungen bedarf es der Transparenz, Rechenschaftslegung und überörtlichen Vergleichbarkeit „

Der Deutsche Städtetag begrüßt die grundsätzliche politische Einigung, die JobCenter, aber auch die Arbeit der Optionskommunen über das Jahr 2010 abzusichern. Vor allem fordern die Kommunen, an den weiteren Entscheidungen beteiligt zu werden. Außerdem appellieren sie dafür, im Zuge der Verfassungsänderung weitere Optionskommunen zuzulassen. Wobei die Finanzverantwortung für Langzeitarbeitslose dauerhaft beim Bund verbleiden soll.
Währenddessen sammelt die Bundesagentur für Arbeit (BA) Daten und Argumente um ihre Rolle und Machtposition abzusichern. Vor allem soll der Tatbestand der Unsteuerbarkeit der ARGEn belegt werden. Letztendlich will die BA politisch Einfluss nehmen und verhindern, dass das Model der ARGEn verfassungsrechtlich abgesichert wird. Offiziell gibt es dazu seitens der BA keine Auskünfte. Führungskräften auf allen Ebenen wurde über dieses Vorhaben schweigen geboten.

Quelle: Deutscher Städtetag; ver.di; DCV; BAG IDA; BA; dpa

Dokumente: 100224_PM_Jobcenter_Praes_HA.pdf

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