15,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – Integrationsprozess macht Fortschritte

„Die Integration in Deutschland gewinnt an Fahrt,“, findet die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer. Der 8. Bericht über die Lage der Ausländer und Ausländerinnen in Deutschland führt Fortschritte in den Punkten Sprache, Bildung und Ausbildung auf. Dennoch ist für viele Migranten die Situation im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt dramatisch. Insgesamt leben 15,6 Millionen Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Der größte Anteil davon in den jüngeren Altersstufen. Gut ein Fünftel der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat einen Migrationshintergrund. Im Bereich der schulischen Bildung entspricht der Kompetenzrückstand in den meisten Bundesländern mehr als einem Schuljahr. Beim Übergang von der Schule in den den Beruf finden Jugendliche mit Migrationshintergrund durchschnittlich erst nach 17 Monaten eine Stelle. Jugendlich ohne Migrationshintergrund haben im Schnitt nach drei Monaten einen Ausbildungsplatz.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration legt gemäß § 94 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) dem Deutschen Bundestag einen Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland vor. Der aktuelle Berichtszeitraum umfasst die Zeit von Frühjahr 2008 bis Frühjahr 2010. Die bis 2005 übliche Differenzierung zwischen deutschen Staatsangehörigen einerseits und und „Ausländerinnen und Ausländern“ andererseits wird der sozialen Realität in Deutschland nicht mehr gerecht. Seit 2005 lässt der Mikrozensus vergleichende Aussagen zur Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund zu. So lassen sich Integrationsprozesse, auch nach erfolgter Einbürgerung, besser nachvollziehen.

Die wichtigsten Aussagen aus dem aktuellen Bericht der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration:

Integrationskurse

Die Neuregelungen im Laufe des Jahres 2007 haben zu einer größeren Inanspruchnahme der Kurse und der Abschlussprüfungen geführt. Insgesamt haben seit Bestehen der Kurse 600.374 Personen einen Integrationskurs neu begonnen. Die Zahlen belegen, dass die Integrationskurse einen bedeutenden Beitrag zur nachholenden Integration leisten. Mehr als die Hälfte aller Teilnahmeberechtigungen wird an bereits länger in Deutschland lebende Migranten ausgegeben.

Bildung

Die Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist durch ermutigende Veränderungen einerseits und den Fortbestand zentraler Probleme andererseits bestimmt. Nach wie vor sind junge Migranten aber im Bildungssystem häufig benachteiligt. Jugendliche aus Zuwandererfamilien sind im Schnitt seltener auf Gymnasien und überproportional häufig auf Hauptschulen. Zu oft entscheidet Herkunft bzw. die soziale Lage noch über den Bildungsweg und damit über die Zukunft von Kindern und Jugendlichen.

Schulische Bildung

Die im ersten Integrationsindikatorenbericht im Bereich der schulischen Bildung gezeigte positive Entwicklung setzt sich fort. Positive Veränderungen betreffen eine erfolgreichere Bildungsbeteiligung. Bei den Hauptschulabschlüssen hat sich von 2005 bis 2008 der Abstand von jungen Migranten gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund verringert (4,4 Prozent weniger Hauptschulabsolventen mit Migrationshintergrund). Zudem erwerben junge Migranten vermehrt mittlere Abschlüsse (Zuwachs von 0,8 Prozent). Der Erwerb der Fachhochschulreife und der Allgemeinen Hochschulreife nimmt bei allen Jugendlichen zu, leicht auch bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund (plus 1,0 Prozent). Nach wie vor ist das Tempo unzureichend, um einen Anschluss in der Bildungsbeteiligung zu erreichen– die Länder sind in ihrer Bildungsverantwortung gefordert. Im Nationalen Integrationsplan haben sie zugesagt, bis 2012 die Leistungen der ausländischen Schüler denen der deutschen anzugleichen. 2008 hatten 13,3 Prozent der 15 bis 19-jährigen Migranten keinen Schulabschluss, bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund waren es 7 Prozent. Der Kompetenzrückstand vieler junger Migranten entspricht sowohl in der Grundschule als auch in den weiterführenden Schulen der meisten Bundesländer mehr als ein Schuljahr.

Berufliche Bildung

Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund weisen erheblich verzögerte Übergänge in eine Ausbildung und eine geringere Ausbildungsbeteiligung gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und daraus resultierend ein deutlich niedrigeres berufliches Bildungsniveau auf. Im Schnitt hat jeder zweite Jugendliche ohne Migrationshintergrund drei Monate nach dem Schulabschluss einen Ausbildungsplatz gefunden. Bei jungen Migranten ist das erst nach 17 Monaten der Fall. Trotz gleich hoher Bildungsinteressen gelingt nur jedem viertem Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein problemloser Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung (ohne MH: 50 Prozent). Insgesamt bleiben zu viele Migranten ohne Ausbildung. So befanden sich 2008 von den ausländischen Jugendlichen nur 32,2 Prozent im Ausbildungsprozess. Allerdings ist dies ein leichtes Plus um 2 Prozent im Vergleich zu 2007. Bei den gleichaltrigen Deutschen lag die Ausbildungsbeteiligungsquote 2008 bei 68,2 Prozent.

Bei der beruflichen Qualifizierung gibt es besonders bei der 2. Generation der Migranten Fortschritte. So haben 39,5 Prozent der 25-34-jährigen Zuwanderer keinen Berufsabschluss. Bei den Migranten der 2. Generation sind es 28,8 Prozent.

Arbeitsmarkt

Integration gelingt vor allem über den Arbeitsmarkt. Umso wichtiger ist es, die Anstrengungen für eine Chancengleichheit der Migranten zu intensivieren. Obwohl Deutschland sein im internationalen Vergleich langjähriges Beschäftigungsdefizit durch das kräftige Arbeitsplatzwachstum im letzten Aufschwung überwinden konnte, hat sich die Beschäftigungssituation von Migranten nicht wesentlich verbessert. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor etwa doppelt so hoch (2008: 12,4%) wie von Einheimischen ohne Migrationshintergrund (2008: 6,5%).

Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen

Zwischen Bund und Ländern besteht Einigkeit, dass der noch für dieses Jahr angekündigte Gesetzentwurf allen Personen mit im Ausland erworbenen Abschlüssen einen Anspruch auf Durchführung eines Anerkennungsverfahrens einräumen muss. Die Verfahren dürfen nicht – wie bisher – nach aufenthaltsrechtlichen Status oder nach Staatsangehörigkeit unterscheiden. Im Rahmen der Verfahren müssen die Gleichwertigkeit der mitgebrachten Qualifikationen im Vergleich zu inländischen Berufausbildungen bzw. die Differenzen zu diesen dokumentiert und festgestellt werden. Dabei ist stets die auch die erworbene Berufserfahrung einzubeziehen. Werden Differenzen festgestellt, müssen Möglichkeiten der Anpassungsqualifizierung bereitgehalten werden.

Integration vor Ort

Integration findet als sozialer Prozess in besonderem Maße vor Ort statt. Viele Kommunen stellen sich den Herausforderungen bereits mit großem Engagement und gestalten Integration aktiv als Querschnittsaufgabe. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Rahmenbedingungen und Chancen für eine erfolgreiche Integration insbesondere in Stadtteilen mit schwieriger sozialer Lage auch in Zukunft gezielt gestärkt werden müssen. Das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung trägt in besonderer Weise dazu bei, die Integration in Stadtteilen mit schwieriger sozialer Lage zu unterstützen.

In der Integrationsdebatte wird schwerpunktmäßig auf die Entwicklung der Integration in Großstädten Bezug genommen. Diese Perspektive lässt jedoch außer Acht, dass Zuwandererinnen und Zuwanderer wie auch die einheimische Bevölkerung nicht überwiegend in Großstädten leben. Unter den Personen mit Migrationshintergrund lebt über die Hälfte der Personen in kleinen Gemeinden sowie Klein- und Mittelstädten mit weniger als 100.000 Einwohnern. Personen mit Migrationshintergrund sind zwar in kleinen Gemeinden, Klein- und Mittelstädten prozentual geringer vertreten, ihre berufliche Situation ist dort jedoch in der Regel besser. So ist der Anteil von Personen ohne (anerkannten) Berufsabschluss in den Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern deutlich geringer als in Großstädten mit mehr als 200.000 Einwohnern, der Anteil von Erwerbstätigen ist zugleich höher.

Kriminalität

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) ist der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen nach einem Anstieg zu Beginn der 1990er Jahre seit 1993 stark und kontinuierlich von 33,6% auf 21,3% im Jahr 2009 gesunken. Dies bedeutet einen Rückgang um fast 40%. Einen großen Einfluss auf die Kriminalitätsbelastung hat die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen (Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Wohnort).

Die Zuwanderer ohne deutschen Pass weisen diesbezüglich einige Differenzen zur deutschen Wohnbevölkerung aus. Zudem führt ein unsicherer Aufenthaltsstatus häufig zu einer höheren Kriminalitätsbelastung, da eine langfristige Perspektive in Deutschland und somit das Ziel der eigenen Integration fehlt. Betrachtet man nur die zur Gruppe der ausländischen Tatverdächtigen mit sicherem Aufenthaltstatus zählenden Arbeitnehmer, Studenten / Schüler und Gewerbetreibenden, kann keine höhere Kriminalitätsbelastung als bei Deutschen ausgemacht werden.

Sowohl die Befunde amtlicher Statistiken als auch von Dunkelfelduntersuchungen zeigen jedoch übereinstimmend, dass bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund in höherem Maße Gewaltphänomene zu beobachten sind als bei gleichaltrigen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.

Erklärt wird die erhöhte Gewaltbelastung bei Jugendlichen aus Zuwandererfamilien häufig mit Verweis auf die soziale Benachteiligung der Jugendlichen, insbesondere im Hinblick auf die sozioökonomische Lage ihrer Familien sowie ihre Bildungschancen. Andererseits werden aber auch abweichende kulturelle Normen, insbesondere archaische Männlichkeits- und Ehrkonzepte, als Erklärungsmuster herangezogen. Zudem ist bei Jugendlichen aus Zuwandererfamilien zu beobachten, dass sie im familiären Umfeld sowie im sozialen Nahraum deutlich häufiger mit Gewalt konfrontiert sind als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund.

In neueren Untersuchungen kommen Kriminologen zu dem Schluss, dass sich bei einem Vergleich von Gruppen mit gleichen familiären, schulischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie übereinstimmenden Werteorientierungen keine höhere Gewaltkriminalität von ausländischen Jugendlichen mehr feststellen lässt.

Ausländer ohne Aufenthaltsstatus

Belastbare Daten über die Zahl der in Deutschland illegal lebenden Ausländerinnen und Ausländer liegen nicht vor. Nach einer aktuellen Schätzung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts ist die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gesunken. Zum Jahresende 2007 sollen sich zwischen 200.000 und 460.000 Menschen illegal im Bundesgebiet aufgehalten haben. Auch Menschen ohne Papiere haben Rechte oder rechtliche Ansprüche. Bisher werden diese jedoch nach Einschätzung der Beauftragten in der Praxis kaum in Anspruch genommen. Grund dafür sind Regelungen im Aufenthaltsgesetz, wonach öffentliche Stellen die Pflicht haben, Informationen über den illegalen Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern an die Ausländerbehörde zu üermitteln.

Insbesondere gilt es, die Gesundheitsversorgung für die Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltsstatus sicherzustellen. Aus Sicht der Beauftragten kommt es in diesem Zusammenhang vor allem darauf an, für Kinder und Jugendliche die Gesundheitsversorgung zu verbessern und ihnen Vorsorgeuntersuchungen sowie Impfungen zu ermöglichen. Nach dem Koalitionsvertrag sollen die aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen bundesrechtlich dahingehend geändert werden, dass der Schulbesuch allen Kindern ermöglicht wird. Das würde bedeuten, dass die Übermittlungspflichten der Schulen gestrichen werden.

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

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