Junge Erwachsene im Hilfebezug „verhaftet“

NUR JEDER DRITTE UNTER 30 SCHAFFT DEN AUSSTIEG AUS HARTZ IV Hilfebezug in jungen Jahren verfestigt sich viel zu oft In Deutschland ist eine beträchtliche Zahl von jungen Erwachsenen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen: Im Jahresdurchschnitt 2007 bezogen rund 1,35 Millionen erwerbsfähige Personen zwischen 18 und 29 Jahren Arbeitslosengeld II. Armutserfahrungen in dieser Lebensphase werden als besonders gravierend angesehen. Vor allem längerfristige finanzielle Notlagen können die Entwicklungsmöglichkeiten von jungen Menschen nachhaltig einschränken und zu weiteren Schwierigkeiten im späteren Alter führen. Um das Ausmaß dieser Problemlage aufzuzeigen, werden in diesem Kurzbericht von Brigitte Schels Dauer und Kontinuität des Arbeitslosengeld-II Bezugs von jungen Erwachsenen im Zeitraum 2005 und 2006 betrachtet. Auszüge aus dem Beitrag des IAB: “ ARMUT VON JUNGEN MENSCHEN KANN VIELE URSACHEN HABEN Auch junge Erwachsene sind vielfach auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen. Dafür kann es mehrere Gründe geben. In der Jugendforschung werden eine ganze Reihe altersspezifischer Lebenslagen thematisiert, die eine vorübergehende Bedürftigkeit erzeugen können. Sie kann z.B. auftreten, wenn die Ausbildung noch andauert oder wenn junge Erwachsene eine eigene Familie gründen und ihr Einkommen (noch) nicht für den Lebensunterhalt ausreicht. … In der Öffentlichkeit wird der Arbeitslosengeld-II-Bezug von jungen Erwachsenen jedoch sehr oft individuellen Qualifikations- und Verhaltensdefiziten zugeschrieben. Die vorgeschlagenen Lösungsstrategien richten sich entsprechend auf Aktivierung und Qualifizierung. Tatsächlich befindet sich ein Teil der jungen Arbeitslosengeld-II-Bezieher in Schule, Ausbildung oder Erziehungszeit. Diese bringen in der Regel einen vorübergehenden Leistungsbezug mit sich, der durch Aktivierung und Qualifizierung nicht behoben werden kann. Allerdings ist ein substanzieller Teil der jungen Leistungsempfänger arbeitslos und weist erhebliche Bildungsdefizite auf: Im Januar 2005 war etwa die Hälfte der 18- bis 25-jährigen Hilfebezieher arbeitslos oder in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Davon verfügten rund zwei Drittel (noch) über keinen Ausbildungsabschluss. Bedürftigkeit aufgrund geringer Qualifizierung und Langzeitarbeitslosigkeit ist denn auch weitaus prekärer als lebensphasenspezifische und temporäre Armutslagen. Hiervon betroffene junge Erwachsene tragen ein hohes Risiko, dass sie keinen dauerhaften Zugang zum Erwerbsleben finden und deshalb mit langfristigen finanziellen Problemlagen leben müssen. … Um langfristige Abhängigkeit von sozialstaatlichen Leistungen und eine „Gewöhnung“ der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an den Hilfebezug zu vermeiden, sieht die Grundsicherung für Arbeitsuchende eine besonders intensive Förderung der jungen Arbeitslosengeld-II-Empfänger vor. Unter 25-Jährige sollen beispielsweise innerhalb kürzester Zeit ein Job-, Ausbildungs- oder Maßnahmeangebot erhalten. Auch können sie schärfer sanktioniert werden als ältere Transferbezieher. Diese Altersgrenze fällt jedoch nicht unbedingt mit den individuellen Entwicklungsschritten beim Übergang in das Erwachsenenalter zusammen: Ereignisse wie Abschluss einer beruflichen Ausbildung, Erwerbseinstieg, Partnerschaft oder Familiengründung können in unterschiedlichem Alter und in individuell verschiedener Abfolge eintreten. Deswegen werden hier 18- bis 29-Jährige betrachtet, die im Januar 2005 Arbeitslosengeld II bezogen haben. … im höheren Alter steigen die Anteile der jungen Leistungsbezieher, die die einzelnen Entwicklungsschritte bereits bewältigt haben. Dennoch befinden sich die 25- bis 29-Jährigen hinsichtlich ihrer Arbeitsmarkt-, Ausbildungs- und Familiensituation häufig in ganz ähnlichen Lebenslagen wie die unter 25-Jährigen. So verfügte im Januar 2005 ein Drittel der 25- bis 29-jährigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher (noch) über keine abgeschlossene Berufsausbildung – wie rund die Hälfte der unter 25-Jährigen. Erste Erwerbserfahrung haben gut vier Fünftel der 25- bis 29-Jährigen gesammelt, bei der jüngeren Vergleichsgruppe aber auch schon mehr als die Hälfte. … DAUER DES HILFEBEZUGS IST EIN INDIZ FÜR DIE PROBLEMLAGE … Längerer Bezug von Arbeitslosengeld II weist im Wesentlichen auf Arbeitsmarktferne oder eine prekäre Arbeitsmarktintegration hin. Dagegen haben junge Menschen, die sich in einer lebensalterstypischen Armutslage befinden, eher Chancen, den Hilfebezug relativ schnell zu überwinden … Beziehen junge Erwachsene überwiegend kurzfristig Arbeitslosengeld II, weil in diesem Alter vor allem temporäre Armutsrisiken auftreten? In welchem Ausmaß zeigen sich auch bei jungen Erwachsenen Tendenzen zum längerfristigen Hilfebezug? Um diese Fragen zu klären, wird hier nicht nur der kontinuierliche Leistungsbezug bis zu einem Ausstieg aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug berücksichtigt, sondern auch, ob der Ausstieg im Beobachtungszeitraum von Dauer ist. … * Muster des Leistungsbezugs Vier Fünftel der jungen Erwachsenen, die im Januar 2005 auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren, bezogen bis Ende 2006 einmalig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ein knappes Fünftel der 18- bis 29-Jährigen erhielt wiederholt Arbeitslosengeld II. Sie bezogen die finanzielle Unterstützung überwiegend in zwei, zum Teil auch in drei Perioden. Weitere Leistungsbezugsphasen kommen nicht vor. Die zeitliche Abfolge und Dauer im Arbeitslosengeld-II-Bezug sind individuell unterschiedlich gelagert. … – Der erste Typus der 18- bis 29-Jährigen bezieht im Beobachtungszeitraum durchgängig Arbeitslosengeld II. – Eine zweite Gruppe der jungen Erwachsenen schafft dagegen einen Ausstieg aus dem Leistungsbezug, der das Ende des Untersuchungszeitraums überdauert. Sie bezieht Arbeitslosengeld II in der ersten Jahreshälfte 2005 und ist bis Ende 2006 nicht mehr auf diese Leistung angewiesen. Zwar ist der beobachtete Zeitraum nicht lang genug, um diese zweite Gruppe der jungen Erwachsenen als vorübergehende Leistungsbezieher zu bezeichnen. Sie bezieht jedoch bis zum Ende des Beobachtungsfensters bereits bis zu anderthalb Jahre keine weitere finanzielle Unterstützung durch Arbeitslosengeld II. … – Zwischen den bereits erläuterten Verlaufstypen liegt eine dritte sehr heterogene Gruppe, die entweder mehrmals zwischen Leistungsbezug und Nicht-Leistungsbezug wechselt, oder es liegt nach längerem Hilfebezug erst gegen Ende des Beobachtungszeitraumes keine Hilfebedürftigkeit mehr vor. Damit sind Aussagen über die längerfristige Unabhängigkeit von Arbeitslosengeld II oder erneutem Bezug noch nicht möglich. … * Wechsel zwischen Leistungsbezug und Zeiten ohne Bezug von Arbeitslosengeld II Wie lange beziehen nun die 18- bis 29-Jährigen Arbeitslosengeld II? Und wie lange sind sie danach bis zu einem möglichen wiederholten Bezug unabhängig von Arbeitslosengeld II? … Etwa 40 Prozent der jungen Erwachsenen waren 2005 und 2006 durchgängig auf Arbeitslosengeld II angewiesen. 60 Prozent haben den Leistungsbezug im Beobachtungszeitraum mindestens einmal verlassen, davon etwa 30 Prozent nach rund einem Jahr. Setzt man ein erhöhtes Risiko für längerfristige Folgen nach etwa einem Jahr im Hilfebezug an, so ist bei zwei Drittel der jungen Erwachsenen im Leistungsbezug von einem Risiko für die persönliche Entwicklung auszugehen. Frühere Studien zum Arbeitslosengeld-II-Bezug von unter 25-Jährigen in Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften haben gezeigt, dass viele von ihnen den Hilfebezug zunächst sehr schnell verlassen. Nach etwa einem halben Jahr sinken jedoch die Chancen auf Unabhängigkeit von Arbeitslosengeld II. Die hier untersuchten 18- bis 29-Jährigen verlassen dagegen den Arbeitslosengeld-II-Bezug im Schnitt erst nach längerer Zeit, was vermutlich auf die heterogene Zusammensetzung der Gruppe zurückzuführen ist. Vergleichbare Ergebnisse zur Dauer des Hilfebezugs von älteren Arbeitslosengeld-II-Empfängern liegen bislang nicht auf Personenebene vor. Als Referenzpunkt können jedoch Befunde zu früheren Sozialhilfeempfängern im erwerbsfähigen Alter herangezogen werden. Im Vergleich dazu verlassen die jungen Arbeitslosengeld-II-Bezieher den Leistungsbezug eher langsamer . Damit zeigt sich, dass jugendspezifische Lebenslagen wie Schule oder Ausbildung im Schnitt zu längerem Hilfebezug als bei Älteren führen. Die Verbleibsrate in der ersten Episode außerhalb des Arbeitslosengeld-II-Bezugs betrachtet alle 18- bis 29-Jährigen, die den Leistungsbezug im Beobachtungszeitraum verlassen konnten. Ein großer Teil dieser jungen Erwachsenen und ihre Bedarfsgemeinschaften sind recht bald wieder auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Nach einem halben Jahr bezieht etwa ein Drittel der jungen Erwachsenen zumindest vorübergehend erneut Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bis zum Ende des Beobachtungszeitraums ist es fast die Hälfte. … Struktur des Leistungsbezugs nach Erwerbsstatus und Haushaltskontext Der Ausstieg aus dem Hilfebezug bzw. erneuter Leistungsbezug hängen davon ab, welchen Beitrag die jungen Erwachsenen selbst bzw. die weiteren Haushaltsmitglieder wie Eltern oder Partner zum Einkommen des Haushalts leisten können. … Sozialversicherungspflichtig beschäftigte junge Erwachsene können etwa sechs Mal schneller den Hilfebezug verlassen als arbeitslose junge Erwachsene. … Schüler können nur mit halb so hoher Wahrscheinlichkeit den Arbeitslosengeld-II-Bezug verlassen wie arbeitslose junge Erwachsene. Da Auszubildende und junge Erwachsene in den ersten Erwerbsjahren häufig noch über ein sehr geringes Einkommen verfügen, ist davon auszugehen, dass sie trotz einer Integration in den Arbeitsmarkt weiterhin Unterstützung durch Arbeitslosengeld II benötigen. … arbeitsmarktnahe Gruppen verlassen den Hilfebezug schneller. Die besten Ausstiegschancen gehen mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einher. Dennoch beenden auch geringfügig Erwerbstätige und junge Erwachsene in Berufsausbildung – darunter duale Ausbildung, schulische Ausbildungsgänge und Studium – den Leistungsbezug schneller als Arbeitslose. Das Einkommen von Auszubildenden aus dem Lehrgehalt oder staatlicher Ausbildungsförderung reicht jedoch nur bedingt für einen Ausstieg aus dem Hilfebezug aus … Doch nicht nur arbeitslose junge Erwachsene sind längerfristig auf finanzielle Unterstützung angewiesen: Schüler beziehen das Arbeitslosengeld II am längsten. Dieses Ergebnis lässt die Schlussfolgerung zu, dass sie aufgrund ihrer Bildungsaktivität über längere Zeit keine Möglichkeit haben, selbst den Leistungsbezug zu überwinden und verweist zudem auf längerfristige finanzielle Probleme in den Familien. Alleinerziehende, junge Paare mit Kindern und bei den Eltern lebende junge Erwachsene beziehen deutlich länger Arbeitslosengeld II als alleinlebende junge Erwachsene. Dieses Ergebnis ist vor allem auf den größeren finanziellen Bedarf von Mehrpersonenhaushalten mit Kindern zurückzuführen und betrifft sowohl junge Erwachsene im Haushalt der Eltern als auch solche mit eigenen Kindern. So schützt auch Erwerbstätigkeit junge Familien oftmals nicht vor dem Leistungsbezug. … Alleinerziehende steigen am langsamsten aus dem Leistungsbezug aus, da ihre Pflichten der Kinderbetreuung die Möglichkeiten einer Erwerbsarbeit oder Stellensuche erheblich einschränken. … Welche jungen Erwachsenen können nun den Hilfebezug für längere Zeit überwinden und wer ist im Beobachtungszeitraum wiederholt auf Arbeitslosengeld II angewiesen? … Ist es den jungen Erwachsenen gelungen, den Leistungsbezug durch eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit zu verlassen, so sind sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vor erneutem Hilfebezug geschützt. Erwerbstätige junge Erwachsene und Auszubildende beziehen mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit erneut Arbeitslosengeld II als arbeitslose junge Erwachsene. Schüler sind dagegen nach einem Ausstieg aus dem Hilfebezug mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb kurzer Zeit erneut auf die Leistung angewiesen. … Des Weiteren fallen Alleinerziehende aufgrund ihrer eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten sowie junge Erwachsene mit Partner und/oder Kindern signifikant früher in erneuten Leistungsbezug zurück als alleinstehende junge Erwachsene. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Jüngere oft (noch) kein stabiles Einkommen haben, um für einen Partner oder eine gesamte Familie sorgen zu können. Ein Partner ist somit für die jungen Leistungsbezieher nicht gleichbedeutend mit einer höheren finanziellen Sicherheit. Vielmehr wechseln die jungen Erwachsenen mit Partner oder eigener Familie häufiger zwischen Zeiten im Leistungsbezug und Nicht-Leistungsbezug. … FAZIT … Der größere Teil der jungen Leistungsbezieher befindet sich in längerem oder wiederholtem Leistungsbezug. Einerseits haben junge Erwachsene, die zunächst aufgrund jugendspezifischer Lebenslagen Arbeitslosengeld II beziehen, jedoch auf längere Sicht keinen Ausweg finden, ein hohes Risiko für längeren Hilfebezug. Diese Gruppe umfasst vor allem Schüler, erwerbstätige Familiengründer und Alleinerziehende. Wenn sie den Leistungsbezug über zwei Jahre nicht dauerhaft verlassen können, weist dies auf problematische Wege in Ausbildung und Beschäftigung oder eine prekäre Arbeitsmarktintegration hin. Dies kann der Fall sein, wenn Schüler keinen Ausbildungsplatz finden, wenn junge Eltern dauerhaft im Niedrigeinkommensbereich tätig sind oder wenn Alleinerziehenden kein (Wieder-)Eintritt in den Arbeitsmarkt gelingt. Letzteres betrifft vor allem junge Mütter, wenn sie aufgrund ihrer Schwangerschaft keine Ausbildung abschließen konnten. Andererseits handelt es sich dabei um langzeitarbeitslose junge Erwachsene. Es ist davon auszugehen, dass eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration in Berufsausbildung und kontinuierliche Beschäftigung für diese Personengruppe nicht leicht zu erreichen sind. Denn viele von ihnen verfügen entweder über geringe Schulabschlüsse, keinen Ausbildungsabschluss oder keine Erwerbserfahrung. Kontinuität und Dauer des Leistungsbezugs bei jungen Erwachsenen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende zeigen, dass es noch weiterer Anstrengungen bedarf, um die Intention des Gesetzgebers umzusetzen: Denn gerade unter 25-jährige Hilfebedürftige sollen bei einem möglichst raschen Ausstieg aus dem Leistungsbezug unterstützt werden, um mögliche negative Konsequenzen eines länger andauernder Hilfebezugs für die persönliche Entwicklung zu vermeiden. Die Lebenssituation von Schülern und jungen Alleinerziehenden bietet zwar keine Ansatzpunkte für eine kurzfristige Aktivierungspolitik. Für diesen Personenkreis können aber frühzeitige Beratung und Förderung Perspektiven aufzeigen, um einen möglichst raschen und dauerhaften Ausstieg aus dem Leistungsbezug zu unterstützen. Langzeitarbeitslose junge Erwachsene sind jedoch auf arbeitsmarktorientierte Betreuungsangebote und zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen angewiesen, um den Hilfebezug zu beenden und ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten. “ Den Volltext der Analyse entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

http://doku.iab.de
http://www.iab.de

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

Dokumente: IAB_Kurzbericht_Hilfebezug_in_jungen_Jahren.pdf

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