Medienhandeln in Hauptschulmilieus

JUGENDLICHE AGIEREN BEGEISTERT MIT MEDIEN “ Cenk, 14 Jahre und kurdischer Herkunft, ist wie viele Jungen in seinem Alter ein begeisterter Computerspieler. Besonders schätzt er Onlinerollenspiele. Diese Leidenschaft ist ein Motor, um sich die Welt des Internet zu erobern. Weitere Anstöße und Unterstützung, um sich mit der neuen Medienwelt zu beschäftigen, erhält er von seinem Bruder. Im Internet sucht Cenk nach Informationen über Add ons und neue Spiele und besucht Spielerforen. Dabei begnügt er sich nicht mit deutschsprachigen Foren und Chats, sondern greift auch auf fremdsprachige zu. Ein englischsprachiges Forum zu einem seiner favorisierten Spiele fand er so hilfreich, dass er es kurzerhand ins Deutsche übersetzt und online gestellt hat. Das hat Cenk Aufmerksamkeit und Lob von anderen Fans eingebracht, worauf er recht stolz ist. Cenk ist jedoch nicht aufs Spielen im Internet fixiert. Seine medialen Aktivitäten sind sehr vielfältig: Er nutzt das Internet, um für seine Hausaufgaben zu recherchieren. Er hat eine eigene Homepage. Er stellt Videos her und veröffentlicht sie online. Er kommuniziert mit anderen Heranwachsenden in schuelervz.net. Die meisten kennt er persönlich, sie gehören zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis und er trifft sie nahezu täglich. Cenk fällt in unseren Erhebungen durch sein Wissen und seine Fähigkeiten in Bezug auf die Medienwelt und durch seine hohe soziale Kompetenz auf: Er erklärt, hilft bei Verständnis- und Handhabungsschwierigkeiten ohne Arroganz und Dominanz. In seiner Klasse ist er anerkannt und gut integriert. Cenk besucht eine Hauptschule in einem als sozialer Brennpunkt ausgewiesenen Stadtteil einer westdeutschen Großstadt. “ Wie nehmen diejenigen Kinder und Jugendlichen multifunktionale Medien wie das Internet oder das Handy in Gebrauch, die nicht das Privileg haben, in bildungsmäßig gut gestellten Milieus groß zu werden und denen es – in der Regel als direkte Folge – auch selbst nicht möglich ist, Bildungswege einzuschlagen, die aus ihrem Herkunftsmilieu herausführen? Das war die Fragestellung vorliegender Untersuchung „Medienhandeln in Hauptschulmilieus“. Die Analyse konzentrierte sich auf den Umfang mit Computer und Internet, Handy und Spielkonsole, also Multifunktionale Medien. Sie bietet einen systematischen Einblick in den Medienumgang von Hauptschülerinnen und Hauptschülern, die in sozialen Brennpunkten großstädtischer Einzugsgebiete Leben. An der Erhebung beteiligten sich insgesamt 903 Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 16 Jahren. Ihr Mitwirken gibt Aufschluss darüber, wo sich die Jugendlichen bewegen und für was sie sich interessieren und bietet dadurch Anknüpfungspunkte für pädagogisches Handeln. Auszüge aus den pädagogischen Konsequenzen der Studie von Ulrike Wagner (Hrsg.): “ MEDIENHANDELN IN HAUPTSCHULMILIEUS … zunächst geht es darum, die Ressourcen, die Hauptschülerinnen und Hauptschüler in ihrem Medienhandeln bereits mitbringen, systematisch zu erschließen und den Heranwachsenden Möglichkeiten aufzuzeigen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern. Aus den Ergebnissen wurden fünf Bereiche herausgearbeitet, die Ansatzpunkte für pädagogisch organisierte Bildungsprozesse markieren: – die Bindung dieser Zielgruppe an ihr direktes soziales Umfeld, (vor allem die Peergroup), – die Konzentration auf präsentative Ausdrucksformen, – ihre Zugänge zu medialen Informationsquellen und ihr Informationsverständnis, – das spontan-assoziative Herantreten – an die Medienwelt und – ihre Zugänge zu vorstrukturierten Angeboten, die ihnen einen Einstieg in produktionsorientiertes Medienhandeln ermöglichen. Diese Ansatzpunkte verweisen auf Möglichkeiten, die positiven Potenziale im Medienhandeln zu erschließen. Sie sind aber nicht nur darauf gerichtet, medienbezogene Kompetenzen zu erweitern und zu fördern. Eine umfassende Medienkompetenzförderung verfolgt das Ziel, auch zu einer Horizonterweiterung in Richtung selbstbestimmter und souveräner Lebensführung beizutragen. Darüber hinaus gilt es, Bildungsprozesse anzustoßen, die zu einer Sensibilisierung in Bezug auf problematische Aspekte des Medienumgangs und zur Entwicklung adäquater Handlungsstrategien der Jugendlichen beitragen. Dabei ist neben den Jugendlichen selbst auch das erzieherische Umfeld der Heranwachsenden einzubeziehen und die Seite der Anbieter mit entsprechenden Maßnahmen in die Pflicht zu nehmen. … Ein großes Problem in erzieherischen Feldern ist zunehmend die Generationenkluft. Eltern wie auch pädagogische Fachkräfte haben oftmals wenig Kenntnis darüber, wie und weshalb sich Jugendliche in der heutigen Medienwelt bewegen. Teils ist dies auch durch Angebote erschwert, die Jugendlichen vorbehalten sind und Erwachsenen explizit einen Einblick verwehren. Die Beweggründe von Jugendlichen zu kennen, ist eine wichtige Voraussetzung für das erzieherische Handeln, aber auch die Kenntnis der Angebote, um die Jugendlichen bei einem selbstbestimmten Umgang und bei auftauchenden Problemen unterstützen zu können. Gleichzeitig ist aber auch anzuerkennen, dass Heranwachsende ihre selbstbestimmten Freiräume brauchen, um eine souveräne Lebensführung entwickeln zu können. In diesem komplexen Feld kann es nicht alleine in der individuellen Verantwortung der Eltern liegen, ihre Kinder zu begleiten. Auch pädagogische Strukturen, schulische wie außerschulische, brauchen systematische Unterstützung, um ihre Arbeit angepasst an aktuelle (Medien-) Entwicklungen weiterhin leisten zu können. Die pädagogischen Arbeitsfelder brauchen diese Unterstützung, um die Rahmenbedingungen für ein gemeinschaftliches, handlungsorientiertes Lernen bieten zu können. Ohne beständige Strukturen und ausreichende personelle wie technische Ausstattung können pädagogisch gestaltete Lernräume in schulischen und außerschulischen Kontexten den Anforderungen zur pädagogischen Begleitung dieser Zielgruppe nicht gerecht werden. Hier gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass auch die pädagogischen Fachkräfte unterstützt werden müssen, um die ihnen anvertrauten Heranwachsenden inhaltlich und methodisch angemessen zu begleiten. Dies betrifft nicht nur die individuelle Weiterbildung, sondern auch die Konzeption und Umsetzung geeigneter medialer Angebote, mit denen auch mit bildungsbenachteiligten Heranwachsenden gearbeitet werden kann. … ANSATZPUNKTE IM MEDIENHANDELN BILDUNGSBENACHTEILIGTER HERANWACHSENDER FÜR BILDUNGSPROZESSE … Die Ergebnisse der Studie verweisen darauf, dass im alltäglichen Medienhandeln von Jugendlichen, die in bildungsbenachteiligenden Verhältnissen heranwachsen, Ansatzpunkte liegen, um erstens pädagogisch organisierte Bildungsprozesse über Medien anzustoßen, also Aufklärung über die Medienwelt, über gesellschaftliche Aspekte von Medien etc. zu leisten, als auch den Horizont des Medienhandelns der Heranwachsenden zu erweitern. Zweitens zeigen sich Ansatzpunkte, um Bildungsprozesse mit Medien zu initiieren, die sowohl medienbezogene Fähigkeiten als auch über den Umgang mit Medien hinausweisende Fähigkeiten, v.a. ihre Sozialkompetenz, fördern können. * Die enge Bindung an das unmittelbare soziale Umfeld als Ansatzpunkt für die Erweiterung von Fähigkeiten Das Medienhandeln der Hauptschülerinnen und Hauptschüler ist, … , auf ihr direktes soziales Umfeld gerichtet, mit ihm verwoben und wird aus ihm heraus angeregt. Vier Aspekte aus den Ergebnissen bezüglich der Orientierung der Befragten auf ihr unmittelbares soziales Umfeld erscheinen in Bezug auf die pädagogische Unterstützung von Bildungsprozessen als besonders relevant: 1) Die Peergroup erweist sich als wichtiger Ort, an dem im gemeinsamen Handeln sowohl medienbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitert werden als auch in Gruppenprozessen Kompetenzen angeeignet werden, die weit über den Umgang mit Medien hinausweisen. Die Unterstützungsleistungen, die Heranwachsende aus ihrer Peergroup erhalten, sind dementsprechend auch nicht nur für den Medienumgang von Relevanz, sondern bieten darüber hinaus Ansatzpunkte für pädagogische Prozesse, die sich der Entwicklung von Sozialkompetenz annehmen. 2) Die Fähigkeit „erklären zu können“ hat aus der Perspektive der Jugendlichen eine hohe Wertigkeit und sie schätzen diese Fähigkeit an anderen. Mit dem eigenen Wissen anderen helfen zu können, als Experte wahrgenommen und anerkannt zu werden sowie sich beim Erklären als kompetent zu erleben, sind weitere Ansatzpunkte für Bildungsprozesse, die über den unmittelbaren Umgang mit Medien hinausweisen. 3) Die Anregungen, die die Hauptschülerinnen und Hauptschüler im sozialen Umfeld bekommen, bleiben vorrangig auf Bedienfertigkeiten oder Verhaltensregeln für den Umgang mit den Medien beschränkt. Mit Blick auf die Erweiterung ihrer Fähigkeiten … muss also ein kritischer Blick darauf geworfen werden, wo sich die Heranwachsenden gegenseitig kompetente Hilfestellungen geben können, … und wo entsprechend Anregungen von außen notwendig sind. … insbesondere die Fähigkeiten, die Medienwelt kritisch zu reflektieren und ihre Strukturen zu durchschauen, in pädagogisch gestalteten Lernräumen angeregt werden sollten. 4) Im gemeinsamen Medienhandeln entwickeln die Heranwachsenden für die Kommunikation untereinander eigene Sprachcodes, die teilweise falsche Adaptionen von Fachbegriffen sind. Solange sich die Jugendlichen unter einander bewegen, können diese speziellen Begrifflichkeiten für die Verständigung genutzt werden. Jenseits der Peergroup sind der Kommunikation damit aber Grenzen gesetzt. Für pädagogische Angebote gilt es daher, die Kommunikation über den Kreis der Peergroup hinaus zu ermöglichen. Die stützende Funktion des sozialen Umfelds und insbesondere der Peergroup zu nutzen, die kollektiven Formen der Wissensaneignung der Zielgruppe pädagogisch zu unterstützen und zugleich den Wissenshorizont der Jugendlichen zu erweitern, beschreiben im Kern die Herausforderungen bei der Frage nach der Anregung von Bildungsprozessen. Besonders geeignet dafür erscheint das Prinzip der Gruppenarbeit, das die Jugendlichen in ihrem Medienhandeln in der Freizeit �selbstorganisiert’ umsetzen und das vielseitige Chancen für die „Ausbildung individueller und kooperativer Fähigkeiten“ birgt, da die Einzelnen ihre Kompetenzen in die Gruppen einbringen und sich gegenseitig unterstützen können. * �Sich mit Bildern zu Wort melden’ – Präsentative Ausdrucksformen und ihr Potenzial für Bildungsprozesse Präsentativen Ausdrucksformen kommt in der Medienaneignung der befragten Jugendlichen eine herausragende Bedeutung zu. Bilder und Symbole sind sowohl in produktive als auch in rezeptive Tätigkeiten vielfältig in den Medienumgang eingebunden. … Eine Herausforderung für die Pädagogik besteht darin, das Spektrum der alltagsüblichen Kommunikationsformen der Jugendlichen in Bildungsprozesse zu integrieren. Gerade für Jugendliche, die Schwierigkeiten mit der Wort- und Schriftsprache haben, können präsentative Ausdrucksformen in der pädagogischen Arbeit eine wichtige Rolle einnehmen. Bilder, symbolische Ausdrucksformen oder auch jugendkulturelle Bezüge bieten diesen Jugendlichen Artikulationsmöglichkeiten, die in Bildungsprozessen mit verbalsprachlicher Artikulation kombiniert werden können. Bei präsentativen Ausdrucksformen als Ausgangspunkt wird keine Sprache einer anderen gegenüber bevorzugt, vielmehr ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte, das präsentativ Artikulierte mit Worten zu beschreiben und die sprachliche Ausdrucksfähigkeit an eigenen Produkten zu fördern und zu entwickeln. Bilder und textbasierte Aufbereitungsformen bergen je für sich und insbesondere in der Kombination vielfältiges Potenzial, die eigene Sicht auf die Welt, auf sich oder auf konkrete Sachverhalte darzustellen. Voraussetzung hierfür ist, in Bildungsprozessen die spezifischen Reflexionsmöglichkeiten sowohl von textbasierten als auch bildorientierten Ausdrucksformen anzuerkennen und nicht prinzipiell allein dem Text eine reflexive Dimension zuzuschreiben. Vier Anregungen können vor diesem Hintergrund für die Gestaltung von pädagogisch organisierten Bildungsprozessen in unterschiedlichen Bildungsfeldern formuliert werden. Es geht darum – Gestaltungs- und Veröffentlichungsräume für Jugendliche zu schaffen, in denen sie ihre Ausdrucksfähigkeiten einbringen können und damit ihre Vorstellungen von sozialen Zusammenhängen und für sie relevanten Themen umsetzen können. … – Reflexionspotenziale von präsentativen Ausdrucksformen stärker in Bildungsprozesse mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen einzubeziehen. … – Strategien zur Beurteilung von Wahrheitsgehalt, Glaubwürdigkeit und Bildaussage mit den Heranwachsenden zu entwickeln. … – den präsentativ geprägten Zugang bei der Gestaltung von Bildungsangeboten für die bildungsbenachteiligte Zielgruppe zu berücksichtigen. … * Pragmatisch, aber vielfältig: Zugangsweisen zu medialer Information als Ansatzpunkt für Bildungsprozesse Die befragten Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben die Möglichkeit vor Augen, im Internet an Informationen zu gelangen und nutzen sie, aus ihrer Sicht, zielgerichtet und kompetent für sich. Dabei wird deutlich, dass sie an das Internet mit einem breiten Informationsbegriff herantreten: Sich informieren, heißt für sie u.a. für die Schule zu recherchieren, nach Arbeitsstellen zu suchen, eigene Interessen im Internet zu verfolgen oder auch den Alltag zu organisieren und z.B. zu erfahren, was andere gerade machen. Vor diesem Hintergrund nutzen sie nicht allein ausgewiesene Informationsangebote, sondern sehen auch kommunikative Angebote als Informationsquellen. … Deutlich wird, dass die Hauptschülerinnen und Hauptschüler in der sich verändernden Medienwelt bereits neue Informationswege gefunden haben, die sie gewinnbringend für sich nutzen. Die organisierten Bildungsfelder, in denen sich die Jugendlichen bewegen, müssen hier nachziehen, um die Potenziale, die sich die Jugendlichen bereits erschlossen haben, auch weiterführend und für deren Lebensführung gewinnbringend ausbauen zu können: – Mehrsprachigkeit der Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Ressource integrieren Mit dem Ansatz, die Informationswege der Jugendlichen und auch deren Informationsquellen in Bildungsprozesse zu integrieren, werden automatisch auch die Quellen in den verschiedenen Sprachen (so sie genutzt werden) sichtbar, können in Bildungsprozesse eingebunden und als Lernressourcen der Jugendlichen wertgeschätzt werden. – Angebote mit einer zielgruppenadäquaten Aufbereitung bereitstellen Wikipedia ist zwar eine beliebte Informationsseite, aber nach Einschätzung der Lehrkräfte zu komplex für ihre Schülerinnen und Schüler. Hier wird ein Bedarf nach Informationsangeboten im Internet deutlich, die in den verschiedenen Aspekten der Informationsaufbereitung (Sprachniveau, Textlänge, Visualisierung, Navigation etc.), aber auch auf Ebene der eingesetzten Medienformate4 den Jugendlichen entgegenkommen. * �Einfach mal machen’ – spontanes und unbefangenes Herangehen als Basis für medienpädagogische Arbeit Die grundsätzliche Herangehensweise der Befragten an multifunktionale Medien ist zu beschreiben als Ausprobieren und Sich-erklären-lassen. In ihrer Freizeit nehmen die Jugendlichen die Herausforderung gerne an, sich mit der Medienwelt auseinander zu setzen und ihre Kenntnisse und Fertigkeiten zu erweitern. Unbefangen eignen sie sich in ihrem Medienhandeln medienbezogenes Wissen an. So verfügen viele von ihnen über versierte Bedienungsfertigkeiten bezüglich �ihrer’ Anwendungen (wie Computerspiele, Messenger, Community-Dienste oder Bearbeitungstools für Bilder oder Videos). Eine Aufgabe in pädagogisch angeregten Bildungsprozessen ist es, das unbefangene Herangehen der Jugendlichen an die Medien und ihre Zielstrebigkeit, auch Schwierigkeiten im Medienhandeln zu meistern, aufzugreifen und mit der Vermittlung von Grundlagenwissen und Anstößen zur Reflexion des Medienhandelns zu verbinden. Das eigenständige Erschließen als Grundprinzip des Lernens impliziert für die Gestaltung von Lernanlässen, die Selbständigkeit im Handeln zu erhalten und Möglichkeiten für die Erweiterung der Kenntnisse im Handeln zu schaffen. Die Erfahrung im Medienhandeln „eine Situation nicht durch die bisher erworbenen Handlungsmöglichkeiten bewältigen zu können“, weckt offensichtlich bei vielen der bildungsbenachteiligten Jugendlichen ein subjektives Lerninteresse. Diese Motivation gilt es auch in pädagogisch angeregten Bildungsprozessen zu nutzen, weshalb für die bildungsbenachteiligte Zielgruppe insbesondere Konzepte des handlungsorientierten Lernens aufgegriffen werden sollten. Dabei wird genau die aus einer konkreten Handlungssituation erwachsende Lernmotivation genutzt. In der Arbeit an konkreten Projekten und Produkten gemeinsam mit Jugendlichen bedeutet dies, Lernräume zu schaffen, in denen „situations- und gruppenspezifische Inputs“ dazu anregen, entdeckend zu lernen. Dabei können Probleme in der Gruppe aufgegriffen, gemeinsam Lösungsmöglichkeiten besprochen und umgesetzt werden. Bei der Gestaltung von medialen Bildungsangeboten ist zu berücksichtigen, dass im Alltag der Jugendlichen ihre Lerninteressen aus dem Handeln mit den Medien erwachsen. Diese situative Einbettung des Lernens kann auch in pädagogisch gestalteten Lernräumen bzw. in bildungsförderlich gestalteten Medien genutzt werden, insbesondere um Reflexionsanlässe beim Medienhandeln zu schaffen. * Vorliebe für strukturierte Angebote als Startpunkt für produktives Medienhandeln … produktionsorientierte Tätigkeiten sind bei bildungsbenachteiligten Jugendlichen beliebte Beschäftigungen, das Ausmaß und die Komplexität dieser Tätigkeiten sind allerdings sehr unterschiedlich. … Bei den befragten Hauptschülerinnen und Hauptschülern ergibt sich ein differenziertes Bild, das konkrete Ansatzpunkte bietet, wie Bildungsbenachteiligten die produktive Dimension des Medienhandelns als eine Voraussetzung für Partizipation eröffnet werden kann. Grundsätzlich kann festgehalten werden: Fast alle befragten Jugendlichen haben bereits eigene Produkte mit den multifunktionalen Medien erstellt. Welche Medien dabei genutzt werden und auf welchem Niveau dies geschieht, differiert. Auffällig ist vor allem, dass Medienangebote, die die einzelnen Produktionsschritte vorstrukturieren, von bildungsbenachteiligten Jugendlichen bevorzugt werden sie können als ein Startpunkt für eine produktive Teilhabe genutzt werden. Als Produktionsmedium steht das Handy an erster Stelle. Dabei sind unterschiedliche Aktivitätsstufen bei der produktiven Nutzung festzustellen: Zum einen das „pure“ Fotografieren, zum anderen aber auch das Fotografieren mit einer anschließenden Weiterbearbeitung der Fotos (bspw. zu Videoclips). … Auch im Internet werden von den befragten Jugendlichen Produkte erstellt und veröffentlicht. Auch dort nutzen sie insbesondere Angebote, die Produktionsschritte vorgeben, oder Angebote, in denen die vorstrukturierte Präsentation von Eigenproduktionen einen großen Stellenwert hat. … Die produktionsorientierten Angebote, die die Heranwachsenden bereits nutzen, kommen den Jugendlichen mit einer klaren und einfachen Vorstrukturierung entgegen, da sie eine selbsttätige Erschließung ermöglichen. Für ihren Einsatz in pädagogischen Kontexten erweisen sich vor allem folgende Aspekte für die Arbeit mit dieser Zielgruppe als relevant: 1) Diese Dienste und Software-Angebote sind entweder online erreichbar oder bereits vorinstalliert und erfordern damit keine eigenständig durchgeführte Installation oder gar den Erwerb. 2) Die Handlungsabfolgen zur Produktion von Inhalten sind bei diesen Angeboten klar strukturiert. In jeweiligen Dialogfenstern werden aufeinander aufbauend die verschiedenen Schritte vollzogen, bis am Ende das Produkt fertig gestellt ist. Dies stellt eine enorme Reduktion der Komplexität gegenüber herkömmlicher Produktionssoftware dar, bei der die Handlungsschritte eigenständig geplant und umgesetzt werden müssen. 3) Dabei stehen meist nur begrenzte und teils auch vorgefertigte bzw. automatisierte Bearbeitungsfunktionen zur Verfügung. So wird z.B. die Belichtung von Fotografien automatisch optimiert, wenn die entsprechende Option gewählt wird. Diese automatisierten Funktionen bieten Sicherheit im Handeln, versprechen sie doch eine Verbesserung des Ergebnisses ohne das Risiko, durch falsche Einstellungen Misserfolge in Kauf nehmen zu müssen. ) Die Angebote bieten oftmals einfache Veröffentlichungsmöglichkeiten der eigenen Produkte, bei denen bereits Feedbackstrukturen integriert sind. Dies ermöglicht, Rückmeldungen für die Produktionen durch Aufrufe, Bewertungen oder Kommentare zu erhalten. 5) Darüber hinaus geben die Angebote in allen Schritten (von der Erstellung bis zur Veröffentlichung) meist einfach verständliche mediale Hilfestellungen. Klar strukturierte Anleitungen, die das Vorgehen beschreiben, bieten häufig auch noch zusätzliche Hilfestellungen, wenn innerhalb der abgesteckten Bahnen Probleme auftauchen. … Die Vorstrukturierung der Angebote bedingt aber auch eine Eingrenzung des Gestaltungsspielraumes und beinhaltet kritische Aspekte, für die die Jugendlichen sensibilisiert werden sollten. … Für die Gestaltung von Bildungsprozessen bedeutet dies zum einen niedrigschwellige Angebote nach den beschriebenen Kriterien einzusetzen, um den Jugendlichen eine möglichst eigenständige Arbeit zu ermöglichen und zum anderen auf die problematischen Aspekte der Angebote einzugehen, die die Jugendlichen in ihrer Freizeit nutzen. Festzustellen ist, dass die vorstrukturierten Angebote den bildungsbenachteiligten Jugendlichen einfache Möglichkeiten bieten, sich gestaltend zu artikulieren und im Internet mitzuwirken. Für die pädagogische Arbeit sind also entweder Angebote zu schaffen, die mit diesen Charakteristika den Jugendlichen entgegenkommen, oder aber diese Angebote werden – … – selbst in der pädagogischen Arbeit genutzt. “ Die gesamte Erhebung wurde als Buch publiziert und ist erhältlich unter dem Titel: Wagne, Ulrike (Hrsg.): Medienhandeln in Hauptschulmilieus – mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource, München 2008. ISBN 978-3-86736-054-8 Preis: 18,80 Euro Bestellung über: info@kopaed.de oder Fon 089/688 90098 http://www.kopaed.de Weitere Verweise: http://www.jff.de

http://www.kopaed.de/kopaedshop/index.php?PRODUCT_ID=598

Quelle: BMBF kopaed Verlag

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