Gemischte Integrationserfolge in Europas Zuwanderungsland Nummer 1

UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE SORGEN FÜR WIRBEL Zur Lage der Integration in Deutschland Die Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sorgte in der vergangenen Woche für Diskussionsstoff in Medien und Politik. Erstmalig wurde eine Erhebung durchgeführt die acht einzelne Herkunftsgruppen auswertet. Migrante verschiedener Herkunftsländer und Einwanderungswellen hatten ganz unterschiedliche Startbedingungen. Bisherige Untersuchungen erfassten diese nicht. Im Allgemeinen wurde die Gruppe der Ausländer betrachtet, also nur Personen, die über keinen deutschen Pass verfügen. Das ist in der Studie des Berlin-Instituts anders. Auf Grundlage des Mikorzensus 2005 können erstmalig spezifische Aussagen zu sozioökonomischen Eigenschaften einzelner Herkunftsgruppen getroffen werden, denn der Mikrozensus 2005 erfragte die nationale Herkunft. Um die spezifische Integrationslage zu bewerten und zu vergleichen hat das Berlin-Institut einen ‚Index zur Messung von Integration‘ entwickelt. Dieser beschreibt mit Hilfe von 20 Indikatoren, wie die Herkunftsgruppen in den Bereichen Assimilation, Bildung, Erwerbsleben und soziale Absicherung in Vergleich zur deutschen Mehrheitsgesellschaft abschneiden. Als gelungene Integration wird die Annäherung der Lebensbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund an die der Einheimischen verstanden im Sinne gleicher Chancen und gleicher Teilhabe. Die Studie stellt fest, rund 15 der 82 Millionen Einwohner in Deutschland wurden nicht in Deutschland geboren oder haben zugewanderte Elternteile. Über 7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund haben keinen deutschen Pass. Die größte Gruppe der Zuwanderer sind mit vier Millionen Menschen deutschstämmige Aussiedler. 2,8 Millionen Menschen stammen aus der Türkei, wovon ursprünglich die meisten als gering qualifizierte Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Aussiedler und Zuwanderer aus Fernost sind relativ gut integriert. Integrationsdefizite hingegen werden Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien und Afrika sowie der Türkei zugeschrieben. Auf die Untersuchungsergebnisse, dass die Türken die schlecht integrierteste Herkunftsgruppe seien, reagierten diese mit Empörung. Der Vorsitzende der türischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, wandte ein, die Studie decke eher gesellschaftliche Probleme einer Unterschicht auf, als die der türkischstämmigen Migranten. Der Islamwissenschaftler und Dialogbeauftrage von DITIB, Bekir Alboga, bezeifelt die Aussagefähigkeit der Studie. Er fordert eine kritische Auseinandersetzung mit der Erhebung. Laut Alboga lebten viele erfolgreiche türische oder türkischstämmige Unternehmer, Mediziner, Schauspieler, Autoren und Journalisten in Deutschland. Vielerorts wird in der Debatte die Schuld auf das Versagen des deutschen Schulsystems geschoben. Vorwürfe an diskriminierende Lehrkräfte werden erhoben – es würden nach der Grundschule für Kinder mit Migrationshintergrund gezielt mehr Empfehlungen für die Hauptschule ausgesprochen als für deutschstämmige Kinder. Auch wird die Schuld in politischen Versäumnissen bei der Integration türkischer Einwanderer gesucht. Bülent Arsaln, Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der CDU in NRW, kritisierte in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: ‚Bis Ende der Neunziger Jahre sei die deutsche Politik in Sachen Integration mehr oder weniger untätig geblieben.‘ Bundes- wie Landespolitiker unterschiedlichster Coleur riefen dazu auf, die Ergebnisse der Untersuchung als Ansporn zu größeren Anstrengungen für bessere Integration zu sehen. Schlechte Bildungschancen und mangelnde Perspektiven seien zu beheben. Zusammenfassung der Ergebnisse: “ UNGENUTZTE POTENTIALE … Die mit Abstand größte Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund sind die knapp vier Millionen Aussiedler, die im Wesentlichen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion stammen. Die Türkischstämmigen bilden mit fast drei Millionen Menschen erst die zweitgrößte Gruppe, auch wenn sie in der öffentlichen Wahrnehmung meist als die gewichtigste gilt. Es folgen die Gruppen von Migranten mit Herkunft aus den Weiteren Ländern der EU-25 … die Südeuropäer, … die Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus dem Fernen Osten, dem Nahen Osten und schließlich die Afrikanischstämmigen, die kleinste der untersuchten Gruppen. … Demografisch am jüngsten sind die Gruppen mit türkischem und afrikanischem Migrationshintergrund, denn sie haben am meisten Kinder. Zudem wandern Personen aus Afrika meist als junge Menschen ein. Beide Gruppen wachsen im Unterschied zu den anderen allein aufgrund ihrer hohen Kinderzahlen, während die Zahl der Einheimischen schon seit Jahrzehnten schrumpft. Die in Deutschland lebenden Personen mit türkischem Hintergrund sind bereits zur Hälfte hierzulande geboren – prozentual mehr als in jeder anderen Gruppe. Die Türkischstämmigen sind somit nach diesem Kriterium den Einheimischen am ähnlichsten. … * Die Herkunft entscheidet über den Integrationserfolg Generell gibt es in allen Gruppen ein weites Spektrum an gut und schlecht Integrierten. Sowohl die Mittelwerte als auch die Verteilung variieren jedoch stark – einige Gruppen tendieren zu besseren, andere zu deutlich schlechteren Integrationswerten. Am besten integriert sind … die Personen aus den Weiteren Ländern der EU-25 (ohne Südeuropa). Sie gehören zumeist zu der europaweiten Wanderungselite, die leicht Beschäftigung findet und sehr gut gebildet ist – sogar besser als der Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung. Ebenfalls gute Integrationswerte, und das widerlegt zum Teil die öffentliche Wahrnehmung, weist die sehr große Gruppe der Aussiedler auf. … Die Aussiedler sind mit einem vergleichsweise hohen Bildungsstand nach Deutschland gekommen. Sie finden sich relativ gut auf dem Arbeitsmarkt zurecht, und viele Faktoren weisen darauf hin, dass sie sich aktiv um die Integration in der Gesellschaft bemühen. So hat sich die Generation der in Deutschland Geborenen gegenüber der ihrer Eltern in jeder Hinsicht deutlich verbessert. Die Gruppe mit südeuropäischem Migrationshintergrund, also häufig ehemalige Gastarbeiter und ihre Nachkommen, weist im Durchschnitt nach wie vor nur eine niedrige Bildungsqualifikation vor. Einzig die – relativ wenigen – Spanischstämmigen fallen in dieser Gruppe durch bessere Bildungswerte auf. Doch trotz dieses Defizits haben die Südeuropäer ihre wirtschaftliche und soziale Nische gefunden … Die Herkunftsgruppen aus dem Nahen und dem Fernen Osten sind sehr gemischt. Dies liegt an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihrer Einwanderung. Manche kamen als Bildungsmigranten oder hoch qualifizierte Erwerbstätige, andere als Asylbewerber. Sie vereinen sowohl hoch wie auch gering Qualifizierte, für die jeweils unterschiedliche Integrationserfolge zu verzeichnen sind. Insgesamt schneiden sie jedoch im Bildungsbereich deutlich besser ab als auf dem Arbeitsmarkt. Große bis sehr große Integrationsmängel bestehen bei den Gruppen mit Migrationshintergrund aus dem ehemaligen Jugoslawien, Afrika und der Türkei. Sie sind nach fast allen Kriterien weit entfernt von einer gleichberichtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Migranten der jugoslawischen Herkunftsgruppe sind zum einen ehemalige Gastarbeiter, zum anderen Bürgerkriegsflüchtlinge. Sie bringen also jeweils schwierige Startbedingungen mit. In der heterogenen afrikanischen Gruppe finden sich wie in der nah und der fernöstlichen sowohl hoch wie auch gering Qualifizierte. Da aber auch die besser Ausgebildeten Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung zu finden – weil Abschlüsse nicht anerkannt werden, weil der Asylantenstatus eine Erwerbsarbeit verhindert oder gesellschaftliche Vorurteile bestehen –, wird diesen Gruppen die Integration zusätzlich erschwert. … Mit Abstand am schlechtesten integriert ist die Gruppe mit türkischem Hintergrund. Zwar sind die meisten schon lange im Land, aber ihre Herkunft, oft aus wenig entwickelten Gebieten im Osten der Türkei, wirkt sich bis heute aus: Als einstige Gastarbeiter kamen sie häufig ohne jeden Schul- oder Berufsabschluss, und auch die jüngere Generation lässt wenig Bildungsmotivation erkennen. Die in Deutschland geborenen Türken haben zwar doppelt so häufig das Abitur wie die selbst Zugewanderten, aber selbst der hoffnungsvolle Wert der Jüngeren liegt immer noch zu 50 Prozent unter dem Niveau der Einheimischen. Die hohe Erwerbslosigkeit unter der zugewanderten Generation bleibt bei den Jüngeren bestehen. Ein Nachteil dieser Gruppe ist ihre Größe: Weil es gerade in Städten so viele sind, fällt es ihnen leicht, unter sich zu bleiben. Das erschwert gerade zugewanderten Frauen, die häufig nicht erwerbstätig sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Damit fehlt auch den Kindern eine wesentliche Voraussetzung für gute Integration. Ebenso kommt die Vermischung mit der Mehrheitsgesellschaft, die in den anderen Gruppen stetig voranschreitet, bei den Personen mit türkischem Hintergrund kaum voran: 93 Prozent der in Deutschland geborenen Verheirateten führen ihre Ehe mit Personen der gleichen Herkunftsgruppe. … Positiv zu werten ist, dass in fast allen Bereichen und Gruppen die Generation der hier Geborenen besser abschneidet als die der Eltern. … Generell integrieren sich Eingebürgerte besser als Ausländer. Gerade bei Türkischstämmigen verbessern sich die Integrationswerte, wenn sie den deutschen Pass bekommen. Dabei bleibt die Frage nach Ursache und Wirkung ungeklärt: Es ist auch denkbar, dass die besser Integrierten mehr Anstrengungen unternehmen, sich einbürgern zu lassen. * Regionale Unterschiede Um den Einfluss der regionalen Lebensumstände auf die Integration besser nachvollziehen zu können, wurden zusätzlich die Integrationsergebnisse der verschiedenen Bundesländer und der 20 größten Städte miteinander verglichen. Relativ gute Integrationswerte weisen Hessen und Hamburg auf, besonders schlechte erreicht das Saarland. Unter den Städten fallen München, Frankfurt, Bonn und Düsseldorf positiv auf, während die Bedingungen für Migranten in Ruhrgebietsstädten wie Duisburg oder Dortmund sowie in Nürnberg am schlechtesten sind. Die Integration verläuft dort besser, wo der Arbeitsmarkt möglichst viele Personen aufnehmen kann. Städte und Regionen mit einer modernen Dienstleistungsökonomie, mit Banken, Verwaltungszentren, Forschungseinrichtungen und Medien, ziehen zum einen qualifizierte Migranten an und schaffen zum anderen auch Jobs für gering Gebildete. Umgekehrt stößt die Integration auf Probleme, wo viele gering qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund leben. Letzteres ist meist in Regionen der Fall, die vom wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen sind, der vor allem die Beschäftigten aus der Gastarbeitergeneration den Job gekostet hat. Weil die besser Qualifizierten unter ihnen häufig in wirtschaftsstärkere Gebiete oder zurück in die alte Heimat gezogen sind, und die gering Qualifizierten weniger mobil sind, häufen sich in den ökonomisch schwächeren Regionen auch die Problemfälle der schlecht Integrierten. Gemischte Zuwandererbevölkerungen hingegen scheinen die Integration zu erleichtern. Städte wie Frankfurt, Dresden, Leipzig oder München, in denen die größeren Gruppen von Migranten ähnlich stark vertreten sind, weisen die besten Integrationsergebnisse auf. Insgesamt wird klar, dass die Integration nirgendwo in Deutschland wirklich zufrieden stellend verläuft. Selbst in den Bundesländern mit den besten Ergebnissen sind Migranten mehr als doppelt so häufig erwerbslos wie Einheimische … Das Ziel einer Annäherung zwischen Migranten und Einheimischen ist somit nirgendwo auch nur annähernd erreicht. … * Was tun? Ohne ausreichende Bildung ist Integration nahezu unmöglich. Bildung bedeutet aber nicht automatisch eine gelungene Integration, denn nach wie vor baut die Gesellschaft Hürden für Migranten auf: Selbstständigen wird die Niederlassung erschwert, Abschlüsse werden nicht anerkannt, es fehlt an Möglichkeiten zur Nachqualifizierung. Generell weisen Migranten bei gleicher Qualifikation höhere Erwerbslosenquoten als Einheimische auf. Und sie haben Probleme Jobs zu bekommen, die ihrer Befähigung entsprechen. Ein ausländischer Pass erschwert die Arbeitsvermittlung weiter. Bei all diesen Punkten ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, offener auf die Migranten zuzugehen, um deren Potenziale für die Gesellschaft besser zu nutzen. Weil die betrachteten Zuwanderergruppen unterschiedliche Startbedingungen hatten und verschieden gut gebildet sind, sollten differenzierte Programme aufgelegt werden, die den jeweiligen Bedürfnissen entgegenkommen. … Ebenso wichtig ist es, in Gruppen, deren Wertesystem die freie Entwicklung von Frauen und Männern einschränkt, die Diskussion über Geschlechterrollen anzuregen. Um allen Migrantenkindern, also der wichtigen nachwachsenden Generation, so früh wie möglich eine Chancengleichheit trotz vielfach unterprivilegierter Elternhäuser zu verschaffen, sind ein verpflichtendes Vorschuljahr und kostenlose Kindergärten mit pädagogisch geschultem Personal zur Sprachförderung unerlässlich. Die frühe gemeinsame Bildung von einheimischen und Migrantenkindern fördert obendrein die Vermischung – eine Voraussetzung, um Parallelgesellschaften zu verhindern. Schulen sollten zu ganztägig offenen Integrationszentren ausgebaut werden, in denen neben dem Unterricht Projektarbeit stattfindet, Weiterbildung und Beratung für die Eltern angeboten wird und Integrationsbeauftragte gesellschaftliche Defizite aufdecken. Um eine Identifikation mit Deutschland zu erleichtern, empfiehlt sich eine Einbürgerung von hier Geborenen nach dem ius soli, wie es in Frankreich oder den Vereinigten Staaten üblich ist. Sinn dieser Politik ist es, den Menschen ein Zeichen zu setzen, dass sie von Anfang an willkommen sind und gebraucht werden. All diese Maßnahmen sind notwendig, um die Lage von Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. … Deutschland braucht aufgrund seiner demografischen Entwicklung auch in Zukunft Migranten … Unser Land wird diese Personen nur bekommen, wenn sich die Lage der schon hier lebenden Migranten deutlich verbessert – wenn in Deutschland Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Zukunft des Landes mitbestimmen können und sollen. “ Die Untersuchung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.

http://www.berlin-institut.org
http://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Zuwanderung/Integration_RZ_online.pdf

Quelle: Berlin Institut für Bervölkerung und Entwicklung

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