Formal gering qualifizierte Männer profitieren kaum von höheren Kompetenzen

Seit der Bildungsexpansion in den ’60er und ’70er Jahren ist der Anteil an formal gering qualifizierten Personen ohne abgeschlossene Ausbildung gesunken. Gleichzeitig haben sich die Arbeitsmarktchancen von formal gering Qualifzierten drastisch verschlechtert. Doch welche Kompetenzen besitzen diese Personen bzw. welches Kompetenz-Niveau erreichen sie, das ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern könnte? Seit 2013 werden Ergebnisse des PIAAC-Programms (Programm for the International Assesment of Adult competencies) veröffentlicht. Damit gibt es belastbare empirische Befunde über tatsächliche Kompetenzniveaus. In Deutschland wertete das Wisschenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die PIAAC-Daten hinsichtlich der Arbeitsmarktchancen gering Qualifizierter aus. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt profitieren formal gering qualifizierte Männer kaum von höheren Kompetenzen.

Auszüge aus den Projektergebnissen, die Jan Paul Heisig und Heike Solga im aktuellen WZBrief Arbeit unter dem Titel „Ohne Abschluss keine Chance“ vorstellen:

„(…) Nicht alle gering Qualifizierten haben niedrige Kompetenzen

Mehr als die Hälfte der gering qualifizierten Männer in Deutschland erreichen höchstens die Kompetenzstufe 1. Um Aufgaben auf der Kompetenzstufe 1 zu lösen, werden nur sehr grundlegende Rechentechniken wie die Addition oder die Berechnung einfacher Prozentangaben benötigt. Weitere 30 Prozent der gering qualifizierten Männer fallen unter die Kompetenzstufe 2. Um Aufgaben auf dieser Stufe zu lösen, müssen die Befragten beispielsweise das Rechnen mit einfachen Dezimalzahlen (wie 1,5) beherrschen oder einfache Statistiken in Texten und Grafiken interpretieren. Für Männer mit beruflichem Abschluss liegen diese Anteile nur bei 15 bzw. 36 Prozent. Überraschend ist jedoch, dass 17 Prozent der gering qualifizierten Männer, also etwa jeder Sechste, mindestens die Kompetenzstufe 3 erreichen – und damit ein Kompetenzniveau, das nach allgemeiner Auffassung zur Ausübung durchaus anspruchsvollerer Tätigkeiten ausreicht. Der Schulabschluss spielt eine wichtige Rolle: Wer als formal gering Qualifizierter einen Realschulabschluss oder ein Abitur mitbringt – aber eben keine Berufsausbildung oder Studium absolviert hat – erreicht deutlich höhere Kompetenzwerte als Personen mit Hauptschulabschluss, ausländischem Schulabschluss oder ohne Schulabschluss. (…)

Arbeitsmarktchancen gering qualifizierter Männer

Wie sieht der Zusammenhang zwischen alltagsmathematischen Kompetenzen und Arbeitsmarktchancen aus? Sind „kompetentere“ gering Qualifizierte häufiger erwerbstätig?
Müssen sie seltener mit un- oder angelernten Tätigkeiten vorlieb nehmen, die mit niedrigen Arbeitsanforderungen und Löhnen sowie hoher Beschäftigungsunsicherheit
einhergehen?

Das auffälligste Ergebnis ist, dass sich höhere alltagsmathematische Kompetenzen für formal gering qualifizierte Männer in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt kaum auszahlen. Das Risiko, keine Beschäftigung zu finden, liegt in allen drei Kompetenzgruppen bei etwa 30 Prozent. Männer, die mindestens die Kompetenzstufe 3 erreicht haben, haben allerdings ein geringeres Risiko), nur eine un- oder angelernte Tätigkeit auszuüben. Für deutsche Männer mit höheren Bildungsabschlüssen finden wir dagegen klare Unterschiede zwischen allen drei Kompetenzgruppen. (…) Bezogen auf den Zusammenhang zwischen Kompetenzen und Arbeitsmarkterfolg bei formal gering qualifizierten Männern ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Sonderfall. Denn (…) in anderen Ländern sind stärkere Kompetenzeffekte zu finden, das heißt, Männer mit niedriger Qualifikation, aber höheren Kompetenzen haben mehr Erfolg auf dem Arbeitsmarkt als Männer mit niedrigen Kompetenzen. Einzige Ausnahme neben Deutschland sind die USA, wo gering Qualifizierte mit höheren Kompetenzen ein ähnlich hohes Nichtbeschäftigungsrisiko haben wie gering Qualifizierte, die höchstens die Kompetenzstufe 1 erreichen. (…) Männer mit beruflichem Abschluss profitieren jedoch trotz ihrer geringen alltagsmathematischen Kompetenzen von ihren höheren Bildungsabschlüssen: Wenn sie erst den Einstieg in den Arbeitsmarkt geschafft haben, arbeiten sie deutlich seltener als Un- oder Angelernte als formal gering qualifizierte Männer mit gleichen oder sogar höheren allgemeinen Kompetenzen.

Weiterbildung für gering Qualifizierte

(…) Aus diesen Befunden ergeben sich für die Weiterbildungspraxis zwei Schlussfolgerungen: Offensichtlich reicht es nicht, nur die allgemeinen Kompetenzen gering Qualifizierter zu erhöhen. Entscheidend ist, dass dies in Verbindung mit beruflichen Nachqualifizierungen (und dem Erwerb entsprechender Zertifikate) geschieht. Zugleich ist es sinnvoll, nicht ausschließlich auf den Erwerb beruflicher Abschlüsse zu achten, da deren Nutzen offenbar begrenzt ist, wenn die Grundkompetenzen sehr gering sind. Die Bekämpfung allgemeiner Kompetenzdefizite muss daher ebenfalls ein wichtiges Ziel von Weiterbildungsangeboten und -aktivitäten sein. Damit diese doppelte Zielsetzung erreicht werden kann, müssen gering Qualifizierte zunächst einmal die Gelegenheit zur Weiterbildung erhalten und auch motiviert werden, selbst ein Interesse daran zu entwickeln. (…)“

Quelle: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

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