DIE DISKUSSION MUSS IN DIE ÖFFENTLICHKEIT Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) legt eine Bewertung des DQR vor, in der neben dem aktuellen Entwurf auch der Entwicklungsprozess sowie die noch ausstehenden Schritte für 2009 ff. verständlich beschrieben werden. Auszüge aus der Publikation „DER DQR – CHANCEN UND RSISIKEN AUS GEWERKSCHAFTLICHER SICHT“: “ EUROPÄISCHE BERUFSBILDUNGSPOLITIK … Wie viel bildungspolitische Einheitlichkeit verträgt die Union und wie stark darf die Kommission in das allgemeine und berufliche Bildungswesen der Mitgliedsstaaten „hineinregieren“? Die Frage ist ein heißes Eisen, seit es die Europäische Gemeinschaft gibt. Formal liegt die Verantwortung für die Gestaltung des Bildungssystems bei den Mitgliedsstaaten Brüssel darf keine verbindlichen Vorgaben zur Harmonisierung machen. Andererseits hat die EU das Ziel vorgegeben, die Union bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ zu machen – ein Ziel, das Gewerkschaften nicht zuletzt seit der Neuausrichtung 2005 sehr kritisch sehen, weil es zu einem Europa der Konkurrenz und Ausgrenzung führt. Die Mitgliedsstaaten haben sich in diesem Kontext verständigt, in allen Bildungsfragen stärker zusammenzuarbeiten und dafür das Mittel der „offenen Koordinierung“ zu nutzen. Die EU-Staaten vereinbaren gemeinsam mittel- und langfristige Zielvorstellungen für einzelne bildungspolitische Handlungsfelder. Dort, wo es sinnvoll erscheint, einigt man sich auf bestimmte Indikatoren, um feststellen zu können, welche nationalen und regionalen Initiativen der praktischen Umsetzung der Politikziele am nächsten kommen. In diesem Kontext findet die Europäisierung der Berufsbildung statt, mit Konzepten und Instrumenten, die sperrige Namen tragen wie Europäischer Qualifikationsrahmen (EQR), Europäisches Leistungspunktesystem in der beruflichen Bildung (ECVET), Europäische Prinzipien zur Identifikation und Validierung non-formal und informell erworbener Lernergebnisse und der Europäische Rahmen für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung (EQARF). Voraussichtlich im Juni 2009 wird ein von der EU-Kommission entworfener Rahmen mit einheitlichen Kriterien zur Qualitätssicherung in der Aus- und Weiterbildung (EQARF) und das Europäische Leistungspunktesystem in der beruflichen Bildung (ECVET) endgültig als Empfehlung an die Mitgliedsstaaten in Kraft gesetzt. Beim ECVET handelt es sich um eine Vereinbarung zur Übertragung von Lernergebnissen der beruflichen Bildung zwischen den Mitgliedsstaaten. Vorbild ist das European Credit Transfer System (ECTS), wie man es von der Bewertung der an Hochschulen erbrachten Leistungen bereits seit längerem kennt. Initiiert vom Bundesbildungsministerium (BMBF) haben in den letzten Jahren Pilotprojekte zur Erprobung eines beruflichen Leistungspunktesystems in Deutschland (DECVET) mit der Arbeit begonnen. Zusammen mit den anderen großen Kernstücken europäischer Berufsbildungspolitik, dem Qualifikationsrahmen (EQR) und dem Europäischen Qualitätsrahmen (EQARF), wird ECVET seine Wirkung entfalten. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) – nach der englischen Bezeichnung European Qualifications Framework auch manchmal EQF abgekürzt – gilt als Empfehlung seit April 2008. Er versteht sich als gemeinsamer europäischer Referenzrahmen, der die Qualifikationssysteme der Länder der EU in Beziehung zueinander setzt. Er soll ein Übersetzungsinstrument sein, das den Wert und die Bedeutung von Qualifikationen verständlich macht, die in unterschiedlichen Bildungssystemen und Bildungsbereichen erworben werden. Der EQR sieht acht hierarchisch geordnete Niveaustufen zur Beschreibung von Qualifikationen vor und ordnet jeweils Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenz zu. Ziel ist, dass die Mitgliedsstaaten bis 2010 ihre eigenen nationalen Qualifikationsrahmen oder anderweitige Einordnungssysteme mit dem EQR verknüpfen. Ab 2012 sollen dann alle individuellen Qualifikationsbescheinigungen einen Verweis auf das zutreffende EQR-Niveau enthalten. Das haben die EU-Mitglieder verbindlich zugesagt. Parallel zur Debatte und Verabschiedung des EQR lief in den Mitgliedsstaaten der EU die Diskussion über die nationale Umsetzung an. Im Oktober 2006 verständigten sich das Bundesbildungsministerium (BMBF) und die Kultusministerkonferenz (KMK), einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) zu entwickeln. Eine Bund-Länder-Koordinierungsgruppe wurde eingesetzt und um weitere Akteure zum „Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen“ (AK DQR) ergänzt. Zu diesen Akteuren gehören Vertreter/innen der Sozialpartner sowie Fachleute aus Wissenschaft und Praxis der allgemeinen, beruflichen und hochschulischen Bildung. Der erste gemeinsame Entwurf für einen DQR wurde im Februar 2009 zur weiteren Bearbeitung vorgelegt (siehe: www.deutscherqualifikationsrahmen.de). Die Öffentlichkeit und auch die engere Fachöffentlichkeit ist bei der bisherigen Erarbeitung des DQR kaum beteiligt worden. Die einzelnen Niveaus werden im EQR mit den Kategorien Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenz beschrieben. Nach langer Diskussion mit allen Beteiligten wollen wir diese Systematik nicht für den Deutschen Qualifikationsrahmen übernehmen. Wir halten es für falsch, Kompetenz neben Kenntnisse und Fertigkeiten zu stellen. Für Deutschland wurde eine Kompetenzdefinition entwickelt, die sich an Handlungskompetenz orientiert. Die Zuordnung von beruflichen Qualifikationen auch auf den höheren Niveaus ist so viel besser möglich. Denn: alle Länder, die die Terminologie und Systematik des EQR übernehmen, haben Schwierigkeiten, beruflich Qualifizierte den höheren Niveaus 6, 7 und 8 zuzuordnen. Im EQR sind diese vor allem den Universitäten zugedacht. DER ERSTE ENTWURF UND WAS IN IHM STECKT … Auf Seiten der Gewerkschaften war zunächst die Skepsis groß, da im EQR die Nützlichkeit für das Beschäftigungssystem im Vordergrund steht. Die Sorge war, dass das Prinzip der Beruflichkeit, das die deutsche Berufsbildung charakterisiert, in Gefahr gerät und dass sich im Zuge von EQR und DQR eine unverbindliche und beliebige Modularisierung in der Berufsausbildung durchsetzt. … Es gibt fünf Kernfragen, die seit dem Beginn der Verhandlungen im Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen die gewerkschaftliche Positionierung bestimmen: – Wie kann der DQR dazu beitragen, mehr Durchlässigkeit, Transparenz und Chancengleichheit im Bildungswesen herzustellen? Welchen Beitrag leistet er zur Herstellung der Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung? – Wie werden „Kompetenzen“ definiert? Wird die auf das Subjekt, den Arbeitnehmer bezogene personale und soziale Entwicklung dabei hinreichend berücksichtigt? – Was ist von einer nur an Lernergebnissen orientierten Einstufung, dem „outcome“, zu halten? Wie werden die Income- und Prozesskategorien berücksichtigt? – Wie viele Qualifikationsniveaus soll der DQR haben? Decken die Deskriptoren eine umfassende Kompetenzentwicklung hinreichend ab? – Wer beschreibt die Messlatte? Wer ordnet zu? Wie wird der öffentliche Einfluss gesichtert? Mit dem „Diskussionsvorschlag eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ liegt nun nach gut zweijähriger Debatte seit Februar 2009 ein Zwischenstand vor, auf den sich alle Akteure einigten … Die Akteure der Berufsbildung in Deutschland haben sich auf eine Matrix verständigt, die berufliche Handlungsfähigkeit auf acht Qualifikationsniveaus beschreibt. Das Spektrum reicht vom Einstiegsniveau 1: „Die Erfüllung der Aufgaben erfolgt unter Anleitung“ bis zu dem der strategischen Führungsebene auf Niveau 8: „Die Anforderungsstruktur ist durch neuartige und unklare Problemlagen gekennzeichnet.“ Auf jeder Stufe wird zum einen die erforderliche Fachkompetenz – mit den Kategorien Wissen und Fertigkeiten – definiert zum anderen geht es um die nötige Personale Kompetenz – mit den beiden Kategorien Sozial- und Selbstkompetenz. Sozial- und Selbstkompetenz, das heißt: Zur beruflichen Handlungsfähigkeit gehört auf jeder Stufe auch ein gewisses Maß an Mitgestaltung und Reflexivität. … Anders war die Ausgangslage bei der Stufenzahl: Während die Arbeitgeberseite sich am EQR orientierte und acht Qualifikationsniveaus favorisierte, trat der DGB zunächst für eine fünfstufige Skala beim DQR ein. Der gefundene Kompromiss besteht nun aus einem 5-plus-3-Modell: Die unteren drei Stufen decken aus Sicht des DGB vorberufliche Qualifikationen ab die Stufen 4 bis 8 bieten den Rahmen, um all die Kompetenzen abzubilden, die im Aus-, Weiterbildungs- und Hochschulsystem sowie im Zuge beruflicher Erfahrung erworben werden. So könnte eine Zuordnung aussehen: Wer die Kompetenzen vorweisen kann, die nach dem Berufsbildungsgesetz in einer Erstausbildung vermittelt werden müssen, gehört auf Stufe 4. Wer sich im Sinne der Aufstiegsfortbildung zum Spezialisten seines Fachs weiterqualifiziert hat, erreicht Stufe 5. Die Meister/Fachkaufleute und Fachwirte sind Stufe 6 zugeordnet, ebenso wie Absolvent/innen eines Bachelor-Studiengangs. … Tatsächlich muss der DQR auf zwei Feldern für mehr Durchlässigkeit und Mobilität im Bildungssystem sorgen: Einmal soll der berufliche Erkenntnis- und Erfahrungsgewinn gegenüber dem hochschulischen Wissenserwerb den Stellenwert bekommen, der ihm inhaltlich zusteht, also über Äquivalenzen als gleichwertig eingeordnet werden. Zum zweiten werden für die Zuordnung zu DQR-Niveaus auch jene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen erfasst, die auf informellen und nicht-formalen Wegen erworben werden. Das heißt: Was der An- und Ungelernte täglich an Know-how und Professionalität dazu gewinnt, bekommt einen benennbaren Wert. … Das Wie und das Wer sind noch offen, die Frage also, nach welchen Kriterien und von wem Kompetenzen erfasst, bewertet und anerkannt werden können, die nicht auf „formalem“ Weg – also im institutionalisierten und standardisierten Bildungssystem erworben werden. Es geht um das „informelle“ Lernen, das sich „nebenbei“ und unbeabsichtigt ergibt – das beginnt bei den Kindern am Spielplatz und reicht bis zum intuitiven Know-how-Erwerb am Arbeitsplatz. Und es geht um „non-formale“ Lernprozesse, die mit der Absicht, sich Neues anzueignen, in Einrichtungen wie Musik- oder Sprachschulen, Volkshochschulen oder Sportvereinen begonnen werden und die mit oder ohne Zeugnis/Zertifikat beendet werden können. Hier besteht noch großer Forschungs-, Entwicklungs- und Diskussionsbedarf. … PERSPEKTIVEN WELCHE SCHRITTE ANSTEHEN … Im Jahr 2009 wird die DQR-Matrix voraussichtlich in den Berufs- und Tätigkeitsfeldern Metall und Elektro, Handel, Informationstechnik sowie Gesundheit auf ihre Brauchbarkeit getestet. Aus DGB-Sicht kommt es darauf an, dass viel Wissen aus der Praxis in diesen Prozess einfließt. Außerdem muss sichergestellt werden, dass für die beabsichtigte wissenschaftliche Begleitung ausreichend Geldmittel zur Verfügung stehen. Parallel muss erarbeitet werden, wie der Deutsche und der Europäische Qualifikationsrahmen aufeinander bezogen werden. Es sind Standards zu entwickeln, wie die Erfassung und Überprüfung von informell und non-formal erworbenen Kompetenzen erfolgen soll – eine Aufgabe für Wissenschaft, Sozialpartner und andere Akteure des Bildungswesens. Die Erfassung informell und non-formal erworbener Kompetenzen und ihre Einordnung in den DQR ist in die exemplarische Zuordnungsarbeit der Berufs- und Tätigkeitsfelder von vornherein einzubeziehen, um nicht ein geschlossenes, an bisherigen Regeln, Abschlüssen und sozialen Selektionen ausgerichtetes System zu schaffen. Im Frühjahr 2010 soll der DQR beschlussreif sein. Aus DGB-Sicht soll es zuvor eine ressortübergreifende Debatte in der Bundesregierung und am Ende einen formalen Kabinettsbeschluss geben. Dies würde unterstreichen, dass der Deutsche Qualifikationsrahmen mehr ist als eine Angelegenheit des Bildungsministeriums und der Kultusministerkonferenz, dass er vielmehr Auswirkungen für das gesamte Bildungs- und Berufsbildungssystem hat. Der DQR-Prozess muss revidierbar sein. … Die Diskussion um die Entwicklung eines deutschen Qualifikationsrahmens muss dringend an die Öffentlichkeit. Es ist unverantwortlich, einen Qualifikationsrahmen ausschließlich in Expertenkreisen zu entwickeln. Mit Blick auf 2012, wenn alle Zeugnisse einen Hinweis enthalten sollen, welchem Qualifikationsniveau es zugeordnet wird, muss es eine breite Debatte um die Inhalte geben. Wir wollen kein bürokratisches und technokratisches Monster, sondern einen Qualifikationsrahmen, der auf der Grundlage von Emanzipation und Partizipation die Voraussetzungen für mehr Gleichwertigkeit, Durchlässigkeit und Chancengleichheit schafft. Es gilt, den Prozess der Erarbeitung des DQR zu politisieren. “ Die Publikation als Download entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang. Als Druckversion ist sie über das DGB-Online-Bestellsystem www.dgb-bestellservice.de erhältlich. Der preis pro Broschüre beträgt 1,50 Euro, ab 20 Stück 1,20 Euro zzgl. Versandkosten. Die BAG KJS hat den Entwicklungsprozess des DQR ebenfalls von Beginn an kritisch begleitet und darauf verwiesen, dass auch Kompetenzen außerhalb schulischer und formaler Zertifikate erfasst werden müssen. Mit besonderem Blick auf die Fähigkeiten und Kenntnisse, die sich junge Menschen in Angeboten und Maßnahmen der Jugend(sozial)arbeit, ehrenamtlicher Tätigkeit oder Freiwilligendiensten angeeignet haben. Bitte nehmen Sie in diesem Zusammenhang noch weitere Meldungen in den Jugendsozialarbeit News zur Kenntnis: – in der heutigen Ausgabe „Kompetenzen – nicht allein Abschlüsse – entscheiden: Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit – im Archiv der News vom 18.02.2008 „Positionspapier der BAG KJS zu einem Deutschen Qualifikationsrahmen: Benachteiligte dürfen nicht aus dem Rahmen fallen.“ – im Archiv der News vom 09.06.2008 „Der Deutsche Qualifikationsrahmen – Eine Chance zur Integration benachteiligter Jugendlicher?“
http://www.dgb.de
http://www.netzwerk-weiterbildung.info/meldung_volltext.php?si=1&id=4a0d6108a9df1&akt=news&view=&lang=1
http://www.dgb-bestellservice.de
http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de
Quelle: Netzwerk Weiterbildung DGB
Dokumente: DQR_aus_gewerkschaftlicher_Sicht.pdf