Flexibilisierung in Zeiten der Krise: Verlierer sind junge und gering qualifizierte Beschäftigte

NEUE PUBLIKATIONSREIHE DES WISSENSCHAFTSZENTRUMS BERLIN Mit der Reihe WZBrief Arbeit informiert das Wisschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über aktuelle Forschung zum Thema Arbeit. Die erste Ausgabe befasst sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf Beschäftigungsverhältnisse. Zu Beginn der Krise waren etwa drei Millionen Arbeitnehmer/-innen in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Zwischen ihnen (Randbelegschaft) und der Stammbelegschaft herrschten ohnehin Unterschiede vor, die nun verstärkt werden. Die „Randbelegschaft“ wird als Puffer genutzt. Befristet Beschäftigte oder Zeitarbeiter/-innen werden zu Gunsten der Kernbelegschaft gekündigt. So die Ergebnisse der Arbeitsforscher Johannes Giesecke und Philip Wotschack vom Wissenschaftszentrum Berlin. Im WZBrief Arbeit wird untersucht, wie die vier folgenden unternehmenspolitischen Instrumente in der Rezession angewendet werden und wie sie sich auf die verschiedenen Beschäftigtengruppen in den Unternehmen auswirken: 1. die Auflösung von Verträgen mit Zeitarbeitern, 2. die Nicht-Verlängerung befristeter Beschäftigungsverhältnisse, 3. der Abbau von Überstunden oder Guthaben auf Arbeitszeitkonten, 4. die Nutzung von Kurzarbeit. Auszüge aus dem WZBrief Arbeit „Flexibilisierung in Zeiten der Krise: Verlierer sind junge und gering qualifizierte Beschäftigte“: “ … ZEITARBEIT UND BEFRISTETE BESCHÄFTIGUNG: DIE RANDBELEGSCHAFT ALS PUFFER Viele Unternehmen in Deutschland haben in den vergangenen Jahren – auch unterstützt durch die Hartz-Reformen – neben der Kernbelegschaft eine flexible Randbelegschaft aus Zeitarbeitern und befristet Beschäftigten aufgebaut. Das hat aus betriebswirtschaftlicher Sicht klare Vorteile: In Zeiten guter Konjunktur wird auf die Randbelegschaften zurückgegriffen, um die gute Auftragslage zu bewältigen. In Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs kann sich das Unternehmen relativ schnell von diesen Beschäftigten trennen. Die Randbelegschaft funktioniert damit als Puffer gegen konjunkturelle Schwankungen und trägt dazu bei, den Bestandsschutz der Beschäftigten der Kernbelegschaft zu gewährleisten. … Bis zum Beginn der Krise arbeiteten etwa 3 Millionen Arbeitnehmer in unsicheren Arbeitsverhältnissen, wenn man die Überschneidungen der beiden Formen flexibler Beschäftigung berücksichtigt, denn ca. 30 Prozent der Zeitarbeiter haben ihrerseits befristete Verträge mit ihrem direkten Arbeitgeber. … bestimmte Arbeitsmarktgruppen wie jüngere oder gering qualifizierte Arbeitnehmer sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in eher unsicheren Beschäftigungsverhältnissen zu arbeiten. Gravierende Unterschiede in der Zusammensetzung werden auch zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten deutlich: Während Befristungen des Arbeitsvertrags überdurchschnittlich häufig bei Frauen zu finden sind, ist Zeitarbeit eine von Männern dominierte Erwerbsform. Die Forschung zum Thema flexible Beschäftigung hat gezeigt, dass diese Erwerbsformen häufig mit großen sozialen und ökonomischen Risiken für die Beschäftigten einhergehen. Befristete Stellen und vor allem Zeitarbeitsverhältnisse werden nur unterdurchschnittlich entlohnt. Außerdem ist das Risiko größer, entlassen zu werden. … Diese Befunde gewinnen in der aktuellen wirtschaftlichen Krise deutlich an Brisanz. Viele der befristet beschäftigten Arbeitnehmer und der Zeitarbeitnehmer laufen Gefahr, von ihren Unternehmen freigesetzt and damit arbeitslos zu werden. Wegen ihres niedrigen Arbeitseinkommens und der geringen Beschäftigungsdauer konnten sie kaum existenzsichernde Leistungsansprüche aus der Arbeitslosenversicherung aufbauen. … Mit dem Übergang in Arbeitslosigkeit sind daher viele dieser Beschäftigten akut armutsgefährdet. Fraglich ist, ob es ihnen bei einer Erholung der Konjunktur gelingen wird, dem Kreislauf aus unsicherer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zu entkommen. Die wachsende Bildungskluft zu anderen Beschäftigtengruppen, die sich in der geringeren Teilnahme temporär Beschäftigter an betrieblicher Weiterbildung fortsetzt, könnte zu einer Verschärfung der Spaltungen am Arbeitsmarkt führen. Für die Gruppe der befristet Beschäftigten kommt erschwerend hinzu, dass das im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) festgeschriebene Wiederbefristungsverbot einer Rückkehr zum alten Arbeitgeber entgegensteht. Dies betrifft auch Zeitarbeitnehmer, die nur einen befristeten Vertrag mit einer Zeitarbeitsfirma geschlossen haben. KERNBELEGSCHAFT: MEHR FLEXIBILITÄT DURCH ARBEITSZEITKONTEN Zur Kernbelegschaft eines Unternehmens gehören in der Regel fest angestellte und gut qualifizierte Arbeitskräfte in strategisch wichtigen Bereichen. Da Unternehmen diesen Teil der Belegschaft brauchen, um am Markt bestehen zu können, sind sie selbst in Phasen geringer Marktnachfrage und niedriger Arbeitsauslastung bemüht, diesen Mitarbeiterstamm zu halten. Um Kosten zu sparen und den Personaleinsatz zu optimieren, versuchen Unternehmen, die Arbeitszeit dieser Mitarbeiter flexibel an den geringen Arbeitsanfall anzupassen. Zwei wichtige Instrumente sind in diesem Zusammenhang Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit. Beide ermöglichen für die Betriebe eine kostengünstige Verringerung der tatsächlichen Arbeitszeit. Die dadurch entstehende Einkommensdifferenz kann über Arbeitszeitkonten der Beschäftigten oder über Zuzahlungen der Bundesagentur für Arbeit (zumindest teilweise) kompensiert werden. Arbeitszeitkonten haben in den vergangenen Jahren weiter an Bedeutung gewonnen und den Flexibilitätsspielraum der Unternehmen erweitert. Dabei lassen sich zwei Typen unterscheiden: Kurzzeitkonten mit einem Ausgleichszeitraum von einem Jahr und weniger und Langzeitkonten, auf denen in der Regel über viele Jahre hinweg größere Zeitguthaben angespart werden können. Für die Unternehmen stellen Arbeitszeitkonten eine kostengünstige Variante dar, um auf einen Konjunkturabschwung zu reagieren. … Für wie viele Unternehmen und Beschäftigte spielt diese Möglichkeit eine Rolle? Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verfügten 2006 etwa 21 Prozent der bundesdeutschen Unternehmen über Arbeitszeitkonten. Zwischen 2 und 7 Prozent verfügen sogar über ein Langzeitkonto. Arbeitszeitkonten sind dabei deutlich häufiger in großen Betrieben und solchen im gewerblichen Bereich anzutreffen. … Nach Schätzungen des IAB haben etwa 40 Prozent, das entspricht ca. 13 Millionen der abhängig Beschäftigten, Zugang zu einem Arbeitszeitkonto. Neben der kleinen Gruppe der Meister und Vorarbeiter verfügen vor allem gut qualifizierte Angestellte und Facharbeiter über Arbeitszeitkonten. Gering Qualifizierte sind klar unterrepräsentiert. Eine hohe Selektivität zeigt sich darüber hinaus bei der Verbreitung und Nutzung von Langzeitkonten, mit denen besonders große Guthaben angespart werden können: Auch hier sind niedrigere Qualifikations- und Einkommensgruppen deutlich seltener vertreten Leiharbeiter haben in den seltensten Fällen Zugang zu dem Instrument. Daten des Mikrozensus 2004 deuten zudem darauf hin, dass weibliche Beschäftigte deutlich seltener über ein Arbeitszeitkonto verfügen als männliche Beschäftigte. Selbst wenn sie ein Arbeitszeitkonto führen, stehen ihnen meist geringere Zeitguthaben zur Verfügung, weil sie mehr als die Männer für Haus- und Familienarbeit zuständig sind und daher seltener Mehrarbeit leisten können. Doch welche Risiken sind mit der Nutzung von Arbeitszeitkonten bei der Beschäftigungssicherung verbunden? Eines ist klar: Der Abbau von Überstunden und Zeitguthaben zur Überbrückung von Auftragsflauten ist eine Verlagerung betrieblicher Kosten auf die Beschäftigten. Denn diese setzen ihre Zeitguthaben ein, um einen möglichen Einkommens- oder Arbeitsplatzverlust zu vermeiden. … In einigen Großunternehmen finden sich separate Kontensysteme im Rahmen von Langzeitkonten sie dienen der Beschäftigungssicherung in Zeiten von Auftragsflauten. Getrennt und geschützt von diesen bestehen besondere Zeitkonten für betriebliche Weiterbildung oder individuelle Verwendung. Auf diese Weise wird vermieden, dass das Ziel der Beschäftigungssicherung in Widerspruch zu anderen Verwendungszielen gerät. … KURZARBEIT Die Kosten des geringeren Arbeitsvolumens werden bei der Kurzarbeit gesamtgesellschaftlich auf mehrere Schultern verteilt. Während die Arbeitgeber die tatsächlich geleistete Arbeitzeit entgelten, übernimmt die Bundesagentur für Arbeit einen Teil der Einkommensverluste (60 bzw. 67 Prozent des Nettolohns, der durch die verkürzte Arbeitszeit wegfällt). Darüber hinaus wird den Arbeitgebern die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge erstattet. Die Regierung hatte im Konjunkturpaket II die maximal mögliche Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld zunächst von 12 auf 18 Monate verlängert. Zudem wurden Anreize für Weiterbildungsmaßnahmen gesetzt: … Obwohl befristet Beschäftigte und Zeitarbeitnehmer in diese Regelungen explizit eingeschlossen sind, bleibt fraglich, ob die Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit tatsächlich für diese Beschäftigtengruppen nutzen. Mit der Neuregelung des Kurzarbeitergeldes, die ab Juli 2009 in Kraft tritt, wird die maximal mögliche Bezugsdauer auf 24 Monate erhöht. Die neue Regelung sieht außerdem vor, dass die Betriebe ab dem 7. Monat Kurzarbeit künftig keine Sozialversicherungsbeiträge mehr zahlen müssen – ganz unabhängig davon, ob sie Weiterbildungsmaßnahmen durchführen. Die finanziellen Anreize für Unternehmen, sich in Krisenzeiten verstärkt der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu widmen, sind damit nicht mehr gegeben. Da das Instrument der Kurzarbeit unmittelbar auf die Beschäftigungssicherung in schlechten Konjunkturphasen ausgerichtet ist, fallen die Nachteile und Risiken zunächst vergleichsweise moderat aus. Allerdings entstehen dort, wo Kurzarbeit angemeldet wurde, finanzielle Einbußen für die betroffenen Beschäftigten. Besonders für Bezieher von Niedrigeinkommen steigt das Risiko, in Armut zu fallen. Und: Auch die Kurzarbeit wird bei einer lang anhaltenden Rezession nicht verhindern können, dass Unternehmen einen Teil ihrer Beschäftigten entlassen müssen. DIE ARBEITSMARKTFLEXIBILISIERUNG VERSCHÄRFT SOZIALE UNGLEICHHEITEN Die untersuchten unternehmenspolitischen Instrumente bieten klare Vorteile für die Unternehmen: Sie helfen, Phasen schwacher Konjunktur zumindest zeitweise zu bewältigen, ohne die Kernbelegschaft zu gefährden. Doch für die Randbelegschaften sind damit gravierende, zum Teil kumulierende Nachteile und Kosten verbunden. Die Bewältigungsstrategien sind darüber hinaus mit einer ungleichen Verteilung von Kosten und Risiken auf unterschiedliche Beschäftigtengruppen verbunden – sie treffen vor allem junge und gering qualifizierte Menschen. … Insgesamt tragen die Beschäftigten einen großen Teil der finanziellen und sozialen Kosten der derzeitigen Rezession. Bestimmte Beschäftigtengruppen wie zum Beispiel gering Qualifizierte sind überproportional betroffen. In dieser Krise zeigen sich damit besonders deutlich die Risiken einer Arbeitsmarktflexibilisierung, die nicht mit ausreichendem sozialem Schutz verknüpft ist. Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Arbeitsmarktflexibilisierung ist per se kein Allheilmittel. Sie läuft Gefahr, soziale Ungleichheiten zu verschärfen. Für die Zukunft müsste die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes daher mit ausreichender sozialer Absicherung verknüpft werden. …“ Die „WZBrief Arbeit“ ist über aufgeführten Link als pdf abrufbar.

http://www.wzb.eu/
http://www.wzb.eu/publikation/wzbriefarbeit.de.htm

Quelle: WBZ

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