Warum Betriebe nicht alle Ausbildungsplätze besetzen können

ERGEBNISSE DES BIBB-AUSBILDUNGSMONITORS Wenn Betriebe ihre zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze nicht besetzen können, führen sie als Begründung meist die unzureichende Qualifikation der Jugendlichen an. Analysen des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigen, dass es auch Gründe gibt, die bei den Betrieben liegen. Der Vermittlungsprozeß, in dem Betriebe und Ausbildungsplatzsuchende eigentlich zueinander finden sollten, weist erhebliche Mängel aus. Ergebnisse des BIBB-Ausbildungsmonitors von Naomi Gericke, Thomas Krupp, Klaus Troltsch: “ Ausbildungsvakanzen – eine neue Herausforderung für das duale Ausbildungssystem? … Kontinuierlich vergrößerte sich der Anteil der Betriebe mit unbesetzten Stellen von 12 Prozent in 2004 auf 21 Prozent in 2008. Zuletzt waren vor allem das Gastgewerbe, aber auch Banken und Versicherungen betroffen. Dramatisch erscheint nach den Ergebnissen der letzten Erhebung zudem die Situation in den östlichen Bundesländern, wo 30 Prozent der befragten Betriebe angaben, ihre Stellen nicht besetzen zu können. … Auch mit Bundesmitteln geförderte Projekte, die regionale Ausbildungsstellenmärkte stützen sollen, sind nach jüngsten Umfragen unter den JOBSTARTER-Förderprojekten von diesen Problemen nicht verschont geblieben. … Theoretisch lässt sich ein misslungener Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage in der dualen Ausbildung vier systemischen Ungleichgewichten zuordnen, die einzeln oder in Kombination das betriebliche Risiko unbesetzter Stellen erhöhen. Der sogenannte Qualifikationsmismatch zwischen den Leistungsvoraussetzungen von Stellenbewerbern und den Qualifikationsanforderungen der zu besetzenden Stelle tritt auf, wenn sich z. B. im Zuge wirtschaftsstruktureller Entwicklungen der Qualifizierungsgrad auf Angebots- und Nachfrageseite ungleich entwickelt. Dies gilt meist als Hauptursache für Vakanzen. Es kann jedoch auch ein beruflicher Mismatch auftreten, ein Zustand, bei dem zwischen den Ausbildungswünschen der Jugendlichen und dem Ausbildungsstellenangebot der Betriebe Diskrepanzen entstehen, wie dies anhand der von Vakanzen besonders betroffenen Ausbildungsgänge deutlich wird. Da nicht alle Bewerber sämtliche Informationen zum gesamten Ausbildungsstellenangebot und nicht alle Betriebe Kenntnisse über alle geeigneten Bewerber haben können, entsteht als weiterer Ungleichheitstypus ein Informationsmismatch. Zu einem regionalen Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage können schließlich (nicht vorhandene) regionale Mobilität, die Bewerberzusammensetzung vor Ort sowie die lokale Attraktivität und Infrastruktur führen. … Zu erkennen sind … Sockelbestände an unbesetzten Ausbildungsstellen und unvermittelten Bewerbern. Zu keinem Zeitpunkt konnte eine vollständige Versorgung aller offiziell gemeldeten Bewerber (= Nullpunkt) erreicht werden. … Während seit Anfang der 90er-Jahre Betriebe ihr Stellenangebot aufgrund der demografischen Entwicklung teilweise nicht besetzen konnten, ergibt sich für die Jahre ab 1997 bis 2001 ein deutlicher Abbau der Bestände an unvermittelten Bewerbern, bedingt durch eine kurze konjunkturelle Erholungsphase. Für die Phase von 2001 bis 2005 zeigt sich dagegen eine zunehmend schwieriger werdende Ausgangslage für Ausbildungsstellenbewerber. In diesen Jahren erfolgte vor allem eine verstärkte Anpassung des Ausbildungsstellenangebots an die Beschäftigungsentwicklung in den Betrieben. Eine neue Qualität im Abgleich zwischen Angebot und Nachfrage ergibt sich seit 2006. Im Jahr 2008 bietet sich für die Lehrstellenbewerber eine relativ günstige Ausgangslage wie in den Jahren 2000 bis 2002, sodass zuletzt wieder eine Rückverschiebung festgestellt werden kann, also eine Verbesserung der Matching-Effizienz. … In einer 2008 durchgeführten Untersuchung, … hatte knapp jeder siebte ausbildungsbereite Betrieb Stellen angeboten, die selbst im bereits laufenden Ausbildungsjahr 2008/ 2009 noch nicht besetzt werden konnten. Mit 14,8 Prozent blieb im Vorjahresvergleich der Anteil an Betrieben mit offenen Ausbildungsplätzen unverändert hoch. Die unbesetzten Stellen machten in der Untersuchung 10,5 Prozent der von den Betrieben angebotenen Stellen aus, wobei von diesen lediglich 56 Prozent bei den Arbeitsagenturen zur Vermittlung gemeldet waren. * Betriebliche Strukturmerkmale und Vakanzentwicklungen 2007 scheinen vor allem ausbildungswillige Betriebe mittlerer Größe Besetzungsprobleme gehabt zu haben. … Besonders stark betroffen waren Betriebe aus dem Verkehrs- und Nachrichtenwesen, dem Gastgewerbe sowie aus den sogenannten sonstigen Dienstleistungen. … Betriebe, die den Industrie- und Handelskammern angehörten, hatten sehr hohe, Betriebe aus den Handwerks- und Landwirtschaftskammern unterdurchschnittliche Anteile an unbesetzten Ausbildungsstellen. Eine Zunahme der Problematik gegenüber dem Vorjahr lässt sich für das Ausbildungsjahr 2008/2009 nur bei Kleinstbetrieben mit bis zu 9 Beschäftigten feststellen. In den anderen Betriebsgrößenklassen fallen die Werte leicht unterdurchschnittlich aus. Anders verhält es sich bei einer Differenzierung nach Branchen. … Während sich die Situation für den Bereich Industrie und Handel entspannt hat, steigen die Zahlen für das Handwerk und die Landwirtschaft zum Teil deutlich an. Wenn man weiterhin nach Region unterscheidet, zeigt sich, dass der Anteil der betroffenen Betriebe in den westlichen Bundesländern in 2008 zwar leicht sinkt, in den östlichen Bundesländern jedoch deutlich von zehn Prozent auf über ein Drittel ansteigt: … Fast jeder fünfte Betrieb vermutete, dass die angebotenen Plätze nicht attraktiv genug seien. Jeder sechste Betrieb, insbesondere in den östlichen Bundesländern, erhielt überhaupt keine Bewerbungen von Jugendlichen, was mit auf den demografischen Einbruch im Osten Deutschlands zurückzuführen sein dürfte. * Angebotsbedingte Faktoren für die Entstehung unbesetzter Ausbildungsplätze … Betriebe, die sich an ihrem kurzfristigen Bedarf an jungen Fachkräften oder an den aktuellen Bewerbungen von Jugendlichen orientieren, haben weitaus häufiger unbesetzte Stellen. … Zwar decken auch Betriebe mit unbesetzten Stellen ein gewisses Spektrum an Rekrutierungswegen ab, dennoch ist ein etwas geringeres Engagement bei der Nutzung der Informationsmöglichkeiten erkennbar. Die Meldung bei den Arbeitsagenturen, das Warten auf Initiativbewerbungen, der Hinweis auf freie Ausbildungsstellen im Internet und das Informieren der Kammern und Mitarbeiter stellen – … die wichtigsten Wege der Bewerberfindung dar. Bei den Betrieben ohne offene Stellen gilt dagegen das Betriebspraktikum als das wichtigste Instrument der Bewerberfindung. Deutlich engagierter zeigen sich letztere aber auch bei der Durchführung von Informationsveranstaltungen an allgemeinbildenden Schulen und bei der Beteiligung an Ausbildungsmessen. … Es zeigt sich … eine besondere Spielart des Qualifikationsmismatches, bei dem Betriebe von unrealistisch hohen Ansprüchen ausgehen, aber dadurch letztendlich ihre Stellen nicht besetzen können. Auch ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass es hier eher um die Rekrutierung von sofort einsetzbaren Arbeitskräften und weniger um die Ausbildung von Jugendlichen geht. … Entscheidungen über das jährliche Ausbildungsstellenangebot stehen auch im Zusammenhang mit dem betrieblichen Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren. … Ein größerer Anteil geht mehr oder weniger sicher von einem Bedarf an Arbeitskräften aus. Sehr viel deutlicher fallen die Unterschiede beim Qualifikationsbedarf und bei den Besetzungsstrategien aus. So benötigen Betriebe mit offenen Stellen nach eigenen Angaben vergleichsweise weniger beruflich Qualifizierte …, dafür aber mehr ungelernte Arbeitskräfte, was sich auch in der Beschäftigtenstruktur dieser Betriebe niederschlägt. Sie beschäftigten nicht nur häufiger, sondern auch zu einem höheren Anteil Un- oder Angelernte, seltener dagegen Akademiker. Auch der Anteil der Betriebe, die überhaupt keine beruflich Qualifizierten unter den Mitarbeitern haben, liegt bei Betrieben mit unbesetzten Stellen deutlich über dem Durchschnitt. … * Nachfragebedingte Faktoren Immerhin jeder fünfte Betrieb hatte neben den mangelnden Voraussetzungen der Jugendlichen auch die mangelnde Attraktivität der angebotenen Stellen als Ursache für die Besetzungsschwierigkeiten genannt. Die Auswertung der Angaben zu den Gründen für die Vakanzen unterstreicht diese Einschätzung: „Schichtarbeit“, „Arbeit auch an Wochenenden“, „Bevorzugung großer Unternehmen“, „ungünstige Verkehrsanbindung“, „mangelnde Attraktivität des Handwerks“ oder „Zerrbild durch die Medien“ werden genannt. „Gesundheitliche Gründe“, aufgrund derer Ausbildungsverhältnisse wieder aufgelöst wurden, können als Hinweis auf die gegebenen Arbeitsbedingungen bzw. eine besondere Belastung gedeutet werden. Außerdem sei der angebotene Beruf „kaum bekannt“ oder werde in der Berufsberatung selten erwähnt, so die Betriebe. Dies alles deutet darauf, dass zwischen dem, was sich Jugendliche beruflich wünschen, und dem, was ihnen von den Betrieben angeboten wird, erhebliche Unterschiede bestehen. … * Fazit: Stärkere Vernetzung zwischen Angebots- und Nachfrageseite und Verbesserung der Anwerbe- und Bewerbungsstrategien … Um vorhandene Ausbildungskapazitäten besser ausschöpfen zu können, müssen beide Seiten ihre Anwerbe- bzw. Bewerbungsstrategien verbessern. Am praktikabelsten scheint es, das Informationsmismatch zu verringern, also z. B. weiterhin die Vernetzung unter den Akteuren zu verbessern, Berufe bekannter zu machen, Hilfestellung zur Durchführung von Auswahlverfahren zu geben, Kontakte und Zusammenarbeit zwischen Schulen und Wirtschaft auszubauen und die Kommunikation über Messen, Börsen, Zeitungsanzeigen sowie die Einrichtung von Betriebspraktika zu verbessern. Es sollte bei den Betrieben auch dafür geworben werden, keine überzogenen Anforderungen an die Schulabgänger zu stellen. Angesichts der hohen Vertragslösungsquoten könnte außerdem geprüft werden, welche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Zuweisung durch die vermittelnden Stellen bestehen. Maßnahmen zur Förderung von Konfliktfähigkeit und Sozialkompetenz beider Vertragsseiten, wie sie zur Prävention und Intervention bei Vertragslösungen erprobt werden, können ebenfalls zur Vermeidung unbesetzter Ausbildungsstellen beitragen. Was die Kurzfristigkeit der Planung und die Attraktivität von Berufsfeldern, also den beruflichen Mismatch betrifft, dürften die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Akteure wohl eingeschränkter sein. … die Veränderung von Berufs-bezeichnungen und die attraktivere Gestaltung von Berufsinhalten und Verdienstmöglichkeiten wären Ansatzpunkte, die von institutioneller Seite angegangen werden müssten. Eine verstärkte Werbung für diese Berufe wäre allerdings dann zu überdenken, wenn unter Betrieben, die in diesen Berufen ausbilden, im Anschluss an die Lehre keine Übernahme der Auszubildenden angestrebt wird. Die Besetzungsproblematik wird sich angesichts schrumpfender Bewerberzahlen und des prognostizierten Fachkräftemangels in naher Zukunft wohl verschärfen und könnte den bisherigen Mangel an angebotenen Lehrstellen als Herausforderung für das duale System ablösen. Dabei bleibt allerdings abzuwarten, welchen Einfluss wirtschaftsstrukturelle und konjunkturelle Entwicklungen oder mögliche Veränderungen im Bildungsverhalten der Jugendlichen auf den Ausbildungsstellenmarkt nehmen. “ Den Aufsatz in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem BIBB Report 10/09, dem aufgeführten Link oder dem Anhang.

http://www.bibb.de/de/52233.htm

Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung

Dokumente: a12_bibbreport_2009_10.pdf

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