Zielgruppenerreichung in den Programmen Kompetenzagenturen und Schulverweigerung – Die 2. Chance

Auszüge aus der Praxishilfe „Zielgruppenerreichung und Zugangswege in der Jugendsozialarbeit“:
Definition der Zielgruppe sowie Datenrecherche und -aufbereitung
Die Festlegung auf eine Zielgruppe, die Operationalisierung ihrer Merkmale und eine Sondierung des Feldes im Hinblick auf Größe und Bedarfe der Zielgruppe gehören zu den ersten zentralen Aufgaben, die von sozialpädagogischen Fachkräften in Maßnahmen und Projekten der Jugendsozialarbeit geleistet werden, um eine Grundlage für weitere Planungsschritte zu haben. Ihnen kommt daher eine große Bedeutung zu.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Merkmale und Merkmalskombinationen für die Identifizierung der Zielgruppe festzuhalten?
Welche Instrumente können Fachkräften die Identifizierung potentieller Teilnehmenden erleichtern?

Zentral ist, dass die Merkmale dokumentiert werden, so dass beispielsweise Auftraggeber oder aber auch Kooperationspartner zeitnah über die Zusammensetzung der Zielgruppe informiert werden können. In vielen Koordinierungsstellen wird die von der Servicestelle Jugendsozialarbeit gemeinsam mit einigen von ihnen erarbeitete Checkliste genutzt. Diese Checkliste hat den Vorteil, in der Kommunikation mit Dritten als Referenz- und Orientierungsrahmen zu dienen. Allerdings sind darin keine harten Kriterien festgelegt, welche und wie viele Merkmale wie stark erfüllt sein müssen, so dass jemand Teilnehmerin oder Teilnehmer werden kann. Diese Kriterien muss jede Koordinierungsstelle noch für sich festlegen.

Kompetenzagenturen haben in der Regel im Team ebenfalls Raster entwickelt, anhand derer sie die Mehrfachbenachteiligung und damit den Unterstützungsbedarf der von ihnen Begleiteten kontrollieren und dokumentieren. Die verschiedenen Kriterienkataloge dienen dabei nicht nur den Teams in den Kompetenzagenturen als Koordinierungsgrundlage und Entscheidungshilfe, sondern werden darüber hinaus auch den Kooperationspartnern zum einen zur Veranschaulichung der anvisierten Zielgruppen aber auch als Filterinstrument zur Verfügung gestellt.


Während den Koordinierungsstellen gelegentlich zumindest Zahlen zu Schülerinnen und Schülern, die dem Unterricht fernbleiben, vorliegen, bestehen deutliche Informationslücken im Hinblick auf die passive Schulverweigerung. Kompetenzagenturen verfügen meist nur über sehr rudimentäres Datenmaterial. Meist beschreibt es die potentielle Zielgruppe nur eindimensional und es findet keine Verknüpfung von verschiedenen Informationen statt, so dass letztlich keine qualitativen und quantitativen Aussagen über das Ausmaß der Benachteiligung gemacht werden können.
Die Sondierung des Feldes im Hinblick auf Größe und Bedarfe der Zielgruppe erfordert eine Recherche und Aufbereitung von regionalen Daten aus dem projektbezogenen Themenfeld.

Die Operationalisierung der Zielgruppe wird mit Bezug zur Region vorgenommen, in der die Maßnahme oder das Projekt angesiedelt ist. Wichtig sind je nach Zielgruppe, den gewählten Indikatoren sowie der Ausrichtung des Angebots Informationen z. B. über: ## das Schulsystem, den Arbeitsmarkt oder die Arbeitslosenquote
## sozialräumliche Besonderheiten (z. B. soziale Brennpunkte; Infrastruktur bzw. Stadt-Land-Verteilung)
## die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Bevölkerung (z. B. nach Alter, Geschlecht, Abgängerinnen und Abgänger ohne Schulabschluss, aktiv und passiv Schulverweigernden, sozialem Status, kulturellem Hintergrund). …
Gezeigt hat sich, dass es grundsätzlich von Vorteil ist, wenn einer Einrichtung die konkreten Zahlen zu ihrem Wirkungsfeld vorliegen. Dabei wurde deutlich, dass mit steigender Größe des Einzugsgebiets die Zielgruppenerreichung sinkt.


Die konzeptionelle Basis zur Erreichung von Zielgruppen erfordert: ## (a) die Operationalisierung der Zielgruppe durch Merkmalsbeschreibungen und Indikatorenbenennung
## (b) eine Bestandsaufnahme der regionalen Gegebenheiten, um die Maßnahme oder das Projekt entsprechend der Größe und Bedarfe der Zielgruppe konzeptionell auszurichten.

Folgende Schritte sind erforderlich: ## (1) Vorgaben des Auftraggebers für die Zielgruppenerreichung analysieren und für die praktische Arbeit konkretisieren
## (2) Konkrete Merkmale der anvisierten Zielgruppe benennen und Indikatoren zur Identifizierung in der praktischen Arbeit finden incl. der Abstimmung mit relevanten regionalen Akteuren
## (3) Regionale Daten in Bezug auf die Zielgruppe umfassend recherchieren und aufbereiten (lassen)
## (4) Zielgruppengröße und sozialräumliche Zugangswege aus den aufbereiten Daten ableiten …
Die verschiedenen Zugänge der Kompetenzagenturen und Koordinierungsstellen
Im Anschluss an die Zielgruppenanalyse, …, steht der Zugang zur Zielgruppe im Fokus des nächsten Arbeitsschrittes.
Mögliche Zugänge sind: ## der freie Zugang: Die Zielgruppe wendet sich selbst an den Projektträger, indem sie diesen aufsucht
## Kooperationspartner: Die Zielgruppe findet den Weg zum Projektträger über unterschiedliche Institutionen und Multiplikatoren
## aufsuchende Arbeit: Die Zielgruppe wird von Fachkräften des Projektträgers vor Ort aufgesucht, angesprochen und zur Beteiligung motiviert.
Alle Zugangswege haben gleichermaßen eine Berechtigung. Wichtig ist es jedoch, Zugangswege im Projekt systematisch zu entwickeln – und zwar vor dem Hintergrund der Zielgruppenanalyse, der Projektziele und der vorhandenen Ressourcen. Je konkreter und schlüssiger der Ansatz der Zielgruppenerreichung ist, umso eher können die anvisierten jungen Menschen erreicht werden. … Die Zugangsfrage beinhaltet also mehr als nur eine pragmatische Überlegung, wie Zielgruppen erreicht werden können. Sie gehört neben der Fokussierung der Zielgruppe und der Sondierung des Feldes mittels Datenrecherche zum strategischen Konzept des Projektes. …

Ein systematisch angelegter Zugang zu Zielgruppen erfordert ## (a) eine Analyse möglicher Zugangswege,
## (b) die Verknüpfung der Analyse mit den Optionen und Ressourcen des Projekts und den Projektzielen,
## (c) die konzeptionelle und professionelle Vorbereitung des Feldzugangs und
## (d) die Festlegung von Erfolgsindikatoren, die zeitlich festgelegt einer Prüfung unterzogen und evaluiert werden.
Die Systematisierung ist folglich Teil eines Konzeptes zur Zielgruppenerreichung. Auf der Basis dieses Konzeptes erfolgt ein systematisch angelegter Feldzugang.
Die Evaluierung der Zielgruppenerreichung der verschiedenen Zugangswege trägt zur prozessbegleitenden Qualitätskontrolle bei. Veränderungen bei der Schwerpunktsetzung sind hierdurch begründbar. …

Ansprache, Kontaktaufnahme und erste Schritte des Beziehungsaufbaus
In der weiteren Arbeit ist konzeptionell zu klären, wie der Kontakt zu Jugendlichen hergestellt, aufgebaut und gehalten werden kann. Aus der Zielgruppenanalyse lassen sich vorab Überlegungen ableiten, wie schwierig oder einfach sich eine Kontaktaufnahme und das Herstellen einer Beziehung im Rahmen des Projekts oder der Maßnahme gestalten wird. In diese Überlegungen sind auch die unterschiedlichen Zugangswege einzubeziehen.

Es sind unterschiedliche Phasen der Beziehung zu den jungen Menschen zu unterscheiden: ## Ansprache und Kontaktaufnahme
## Erstgespräch
## Beziehungsaufbau und -vertiefung.
… Grundsätzlich gilt, dass zu den Jugendlichen eine personale Beziehung aufgebaut werden muss. Personale Beziehungsarbeit ist eine Grundlage dafür, dass überhaupt pädagogisch angestrebte Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in Gang kommen können. Als Grundlage wurde von Fachkräften das authentische Verhalten als zentral bezeichnet. Außerdem muss die Würde der jungen Menschen geachtet und ihre Selbstachtung gefördert werden. Personale Beziehungsarbeit bedeutet, sich in der ersten Phase des Kennenlernens vorbehaltlos forschend auf Personen einzustellen. Ziel ist es, den oder die Jugendliche als Person erst kennen und verstehen zu lernen, bevor in einem zweiten Schritt Handlungsmöglichkeiten entfaltet werden. Hier ist ein ethnologischer Blick oder ein „Sich systematisch dumm stellen“ nötig, um offen zu sein, und nicht eigenen vorgefassten Vorstellungen oder Stereotypen aufzusitzen und daraus Handlungsmöglichkeiten abzuleiten, die letztlich nicht anschlussfähig sind. …

Personale Beziehungsarbeit beinhaltet auch das Ansetzen an den unterschiedlichen Erfahrungen von jungen Menschen. Die Verarbeitung von Erfahrungen ist ein subjektiv geleiteter Prozess, der in der Regel nicht bewusst und kognitiv abläuft und auch die Gefühlsebene umfasst. Sie ist bei allen Menschen unterschiedlich und nur (annähernd) verstehbar vor dem Hintergrund der Biographie eines Menschen. Es geht also darum, über biographische Zugänge den Prozess der Erfahrungsproduktion verstehen zu lernen, so dass die Wurzeln von Einstellungen, Deutungsmustern und Verhaltensweisen erkennbar und erklärbar werden. Aus der Verarbeitung von Erfahrungen entwickeln sich Grundbedürfnisse von Jugendlichen. Oder umgekehrt formuliert: Grundbedürfnisse bringen die eigenen Erfahrungen zum Ausdruck. Zu diesen Grundbedürfnissen zählt z. B. das Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder nach Sicherheit und Solidarität. … Auf dieser Basis können gezielte Anregungen und Impulse für Veränderungsprozesse gegeben werden. Bewährt haben sich in dem Zusammenhang beispielsweise die Erstellung eines Lebenslaufs oder biographische Interviews, um diesen Prozess anzustoßen. Darauf aufbauend können Bedürfnisse herausgearbeitet werden, um anschließend Impulse für Weiterentwicklungen zu setzen. …

Der Kontakt zur Zielgruppe erfordert personale Beziehungsarbeit. Sie bildet die Grundlage, um pädagogisch angestrebte Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in Gang bringen zu können. Personale Beziehungsarbeit erfordert ein Austarieren zwischen aufgabenbezogener Nähe und professioneller Distanz.
Auf der Grundlage des Konzeptes zur personalen Beziehungsarbeit, ist ein Handlungskonzept für die praktische Arbeit im Kontext einer Maßnahme oder eines Projektes zu entwickeln. Es umfasst den konkreten Umgang mit der Kontaktaufnahme zur Zielgruppe, zum Erstgespräch und zum Halten von Jugendlichen in der Maßnahme. … „

Die Praxishilfe in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

www.kompetenzagenturen.de
www.zweitechance.eu
www.jugend-staerken.de

Quelle: BMFSFJ

Dokumente: Praxishilfe_JugendStrken_08.pdf

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