Verbesserung des Bildungssystems durch Aufhebung des Kooperationsverbotes?

Auszüge aus der Expertise Bildungsföderalismus
und Kooperationsverbot
von Prof. Dr. Jürgen Oelkers:
“ … Der Föderalismusentscheid des Jahres 2006 hat in Deutschland zu
heftigen Debatten geführt, ob der Bereich der öffentlichen Bildung nicht besser allein vom Bund organisiert werden sollte. Mindestens sollte der Bund eine führende Rolle einnehmen und die Standards setzen. Die Länder sollten demgegenüber aufhören, sich als „kompetitive Vetospieler“ aufzuführen. Offenbar wird dem Bund zugetraut, für mehr Ordnung im
Bildungsbereich zu sorgen, ohne dass diese Lenkung von oben je wirklich
konkret diskutiert werden würde. Bildung soll jedenfalls in der Meinung eines Grossteils der deutschen Bevölkerung nicht mehr einfach „Ländersache“ sein. … Allerdings hat das deutsche Verfassungsgericht die Bildungshoheit der Länder mehrfach bestätigt. … Dem Bund, hält das Gericht fest, fehle das „Gesetzgebungsrecht“ … und ein „besonderes Interesse an bundeseinheitlicher Regelung“ sei nicht gegeben. …

Als gravierende Nachteile des Bildungsföderalismus in der Praxis werden
fast immer genannt: ## die verschiedenen Geschwindigkeiten in der Bildungsentwicklung,
## die unterschiedlichen Ressourcen,
## der ungleiche Lernstand der Schülerinnen und Schüler,
## die disparate Ausbildung der Lehrkräfte,
## die Hemmnisse der Mobilität
## und die Mehrfachführung von aufwändigen Verwaltungssystemen. …
Hemmnisse der Systementwicklung
… Die deutsche Gesetzgebung unterscheidet unisono zwischen den
„äusseren“ und den „inneren“ Schulangelegenheiten. Nur die äusseren
unterliegen der Zuständigkeit der Kommunen.Diese sogenannte „doppelte Steuerung“ ist administrativ ein zentrales Hindernis bei der Weiterentwicklung des Systems. Die Folge einer solchen Steuerung ist die Zentralisierung der entscheidenden Bildungsangelegenheiten in den Bundesländern gewesen. „Zentralisierung“ meint die Verstärkung der obersten Verwaltungsebene und eine Steuerung durch Erlasse, die nur unzureichend kontrolliert werden kann. …

Die Neuordnung dieser „doppelten Steuerung“ ist inzwischen mehrfach
gefordert worden und würde eine deutliche Verschiebung der Kompetenzen und Zuständigkeiten nach unten implizieren, also die Kommunen stärken. …

Systementwicklung setzt voraus, die verschiedenen Ebenen des Bildungssystems irgendwie direkt und folgenreich miteinander verbinden zu können. Möglich scheint das durch Beschlüsse und daran anschliessende Erlasse, also eine Steuerungsphilosophie, die sich als wenig wirksam erwiesen hat. „Durchgreifende gesamtstaatliche Massnahmen“ können nicht verordnet werden, und das würde auch dann gelten, wenn der Bund gleichsam das Kommando übernähme. Die Strategien der Zusammenarbeit müssen die Ebenen beachten und sich von der Vorstellung einer Entwicklung durch Vorschriften trennen. Bildungsreformen sind umso besser zu realisieren, je mehr sie mit den
Betroffenen abgestimmt sind und ihnen einleuchten. …

Strategien der künftigen Zusammenarbeit
Die Kooperation zwischen Bund und Bundesländern ist vielfältig möglich.
Was mit dem Kooperationsverbot derzeit ausgeschlossen ist, sind – … – direkte finanzielle Zuwendungen des Bundes an einzelne Bildungseinrichtungen der Länder. Aber auch dieses Verbot liess sich umgehen, wie die Finanzierung der Universität zu Lübeck gezeigt hat. Hier wurde das Bundesland Schleswig-Holstein durch ein Tauschgeschäft unterstützt, … . Aber das darf Neuüberlegungen nicht behindern.

In der öffentlichen Diskussion wird oft der „Bildungswirrwarr“ der Länder hervorgehoben und als Lösung eine stärkere Kompetenz des Bundes gefordert, ohne dabei jedoch konkrete Vorstellungen zu entwickeln. …

Allerdings müssen die Bundesländer ihre Hausaufgaben machen. Es geht
nicht an, dass allein schon die Terminologie für Verwirrung sorgt. Gleiches muss gleich bezeichnet werden, und es wäre ein Leichtes für die KMK, die Begrifflichkeit anzupassen. Bundesweite Bildungsstandards wird es geben, es ist nicht einzusehen, dass jedes Bundesland die Schulen, die Ausbildungsgänge oder die Besoldungsform je unterschiedlich bezeichnen kann, ohne sich abstimmen zu müssen. Eltern finden sich nicht zurecht, wenn Hauptschulen plötzlich „Werkrealschulen“ genannt werden, nachdem schon der Ausdruck „Hauptschule“ nicht nachvollziehbar war, weil eine Restschule keine Hauptschule sein kann.

Wenn tatsächlich das Bildungssystem verbessert werden soll, dann
müssen drei Ebenen betrachtet werden, die nicht in einem Top-Down-Verhältnis stehen, nämlich ## die des Bundes,
## der Bundesländer
## und der Kommunen.
Es wird auch in Zukunft nicht so sein, dass der Bund im Bereich der
öffentlichen Schulen Gesetze erlässt, die dann nur noch von den Ländern und Kommunen „umgesetzt“ zu werden brauchen. Generell ist die Neigung, zuerst Gesetze zu erlassen und dann einen Entwicklungsprozess in Gang zu setzen, zu hinterfragen.

Das schliesst aber neuartige Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund,
Ländern und Kommunen nicht aus. Finanzielle Mittel können ja auch auf anderen Wegen die Schulen erreichen, etwa mit gezielten Entwicklungsprogrammen, die themengebunden sind, eine längere Laufzeit haben und sich nach erfolgreicher Implementation vor Ort verstetigen lassen. Die Länder werden daran auch dann beteiligt, wenn sie selbst nicht finanzieren, einfach weil sie gesetzlich für die der Schulen zuständig sind und nicht gegen sie Entwicklungsarbeit betrieben werden
kann. Damit soll aber nicht einem Top-Down-Modell der Ebenensteuerung das Wort geredet werden, das sich hinter vielen Wünschen nach Zentralisierung durch den Bund verbirgt.

Die entscheidende Ebene sind die Kommunen. Der erste Schritt zur
Systementwicklung wäre Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die kommunale Ebene. Der Bund kann besonders förderungswürdige Projekte wie etwa die Frühförderung, einschliesslich der Veränderung der Ausbildung für den Kindergarten, finanziell unterstützen und auf diesem Weg auch einen Wettbewerb um gute Lösungen freisetzen. Die Länder bleiben zuständig, aber erhalten Mittel nur dann, wenn die Kommunen einbezogen sind und eine Wettbewerbssituation entstehen kann.

Die Kommunalisierung der Bildung, wie sie im Projekt „Lernen vor Ort“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) derzeit realisiert wird, kann einen weitreichenden Wandel auslösen, wenn nicht nur die verschiedenen Schularten ins Spiel kommen, sondern vom Konzept einer kommunalen „Bildungslandschaft“ ausgegangen wird. Die Erfahrungen, die bisher vorliegen, sind ermutigend. Sie zeigen die hohe Bereitschaft unterschiedlichster Bildungsträger zur Zusammenarbeit und Systementwicklung auf der untersten Ebene der Gemeinden oder Landkreise. Die Gelder sind kompetitiv vergeben
worden. Sie sind ein Musterbeispiel, wie eine Finanzierung durch den Bund möglich ist, wozu auch die einhellige Unterstützung durch die grossen deutschen Stiftungen beigetragen hat. …

Ein projektgebundenes Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern
besteht wie gesagt nicht, das Problem ist eher, wie die Erfahrungen von
Projekten in der Breite genutzt werden können, wenn die Ressourcen nur wenige Schulen direkt erreichen. Aber gerade das Konzept der Bildungslandschaft, wie es etwa in der Stadt Köln entwickelt worden ist, erfordert eine enge Kooperation zwischen den einzelnen Anbietern und verlangt, dass auch und gerade Schulen voneinander lernen. Gute Erfahrungen mit neuen Unterrichtsformen oder in der Schulentwicklung müssen transferiert werden können und das setzt abgestimmte Netzwerke voraus. …

Das kardinale Problem bei solchen befristet finanzierten Projekten ist die Verstetigung nach Ablauf der Projektzeit. Wenn die Bundesmittel nicht mehr fliessen, müssen Länder und Kommunen einspringen, ohne die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu haben. Hier kann man sich einen vom Bund finanzierten Fonds vorstellen, der je nach Entwicklung der Projekte eingesetzt werden kann. Eine Anschlussfinanzierung würde es dann nur im Erfolgsfalle geben, was voraussetzt, dass alle Projekte extern evaluiert werden. Die Entscheidung würde so auf Datenbasis erfolgen. Und örtliche Stiftungen, die mehr als bisher in die
kommunale Bildungsentwicklung einbezogen werden sollten, stehen nicht nur in Köln zur Verfügung. …

Empfehlungen

Die Empfehlungen votieren nicht für die zentrale Lenkung der
Bildungspolitik durch den Bund. Vielmehr geht es um einen geschickten Einsatz der Bundesmittel für eine nachhaltige Schulentwicklung und so für die richtigen Anreize. …

## Unterstützung kommunaler Schulentwicklung durch den Bund
im Rahmen des Konzepts der „Bildungslandschaften“ bei kompetitiver Mittelvergabe in Form thematisch gesteuerter Projekte.

Das Konzept der „Bildungslandschaften“ hat erhebliche Bewegung
in den beteiligten Städten und Landkreisen ausgelöst. In aller Regel
sind die öffentlichen Schulen eingebunden und an der Entwicklung
beteiligt. Der Bund hat hier kommunale Schulentwicklung wirkungsvoll unterstützt und sollte das Programm fortsetzen, gegebenenfalls durch den Einsatz der grossen deutschen Stiftungen. Die Erfahrung zeigt, dass die Schulen nicht nur von anderen Bildungsanbietern, die vor Ort tätig sind, profitieren, sondern auch mehr als bisher mit anderen Schulen zusammenarbeiten und gemeinsame Strategien entwickeln, die einerseits die Qualitätssicherung und andererseits den Erfahrungsaustausch betreffen.
## Erhöhung der echten Schulautonomie gemäss dem Konzept der „eigenverantworteten Schule“.

Für die Verabschiedung von Schulgesetzen müssen Qualitätsnormen eingeführt werden und ein gemeinsamer Rahmen gelten. Die Erlassdichte der Länder muss reduziert werden, wenn von eigenverantworteten Schulen die Rede sein soll. Die Schulen müssen bei ihren Entscheidungen autonomer werden und dabei insbesondere die örtlichen Gegebenheiten beachten können. Besonderes Augenmerk muss auf die Stärkung der Schulleitung gelegt werden, von zentraler Bedeutung sind auch die
Personalentwicklung und die Ressourcennutzung. Die Aufgaben
vermehren sich noch, wenn Schulen im Ganztagsbetrieb unterhalten werden, was inzwischen Ziel aller deutschen Bundesländer ist. Nunmehr müssen auch andere Professionen beschäftigt werden, zudem ist Laientätigkeit verlangt und stellen sich andere Aufgaben in der Qualitätssicherung. Hier müssen Schulen so autonom wie möglich handeln können.
## …
## Geteilte und priorisierte Entwicklungsarbeit in den Ländern,
Verbesserung des länderübergreifenden Austausches und Lernen von den besten Schulen, unabhängig von der Landzugehörigkeit.

Alle grösseren Aufgaben, die sich in der Bildungspolitik stellen,
werden heute von den Bundesländern je für sich bearbeitet. Ausserhalb der Expertenkommunikation gibt es kaum länderübergreifende Abstimmungen und schon gar keine Prioritäten. Das gilt für

– die Implementation von Bildungsstandards,

– die Anpassung der Lehrerbildung an das Bologna System,

– die Weiterentwicklung der Lehrpläne,

– die Fort- und Weiterbildung,

– die Qualitätssicherung,

– die Verbesserung der Unterrichtskultur

– und andere Bereiche mehr.

Die Länder müssen im Blick auf diese Aufgaben mehr als bisher
voneinander lernen und sie brauchen nicht alles selber machen. Hinzu kommt, dass der länderübergreifende Austausch sich auf die besten Schulen richten sollte, von denen die praktizierenden Lehrkräfte am meisten lernen können. Zu diesen Zwecken sollten eigene Akademien eingerichtet werden, so wie das auch beim Deutschen Schulpreis der Bosch-Stiftung praktiziert wird. Gearbeitet werden kann in Länder übergreifenden regionalen Verbünden.
## Implementation von Bildungsstandards und Anpassung des
Prüfungswesens.

Das staatlich vorgeschriebene Prüfungswesen gehört zu den
Schwachpunkten des deutschen Bildungssystems. Die Länder haben je eigene Regelungen, die zum Teil stark voneinander abweichen. Die Regelungen selbst sind kleinformatig und lassen kaum Spielraum für Entwicklung. Neue Formen sind so gut wie nie ausprobiert worden. Die Implementation von Bildungsstandards stellt in dieser Hinsicht eine Chance dar, die genutzt werden sollte.Mit Prüfungen lässt sich das Bildungssystem nachhaltig steuern. Eine Möglichkeit, die näher ins Auge gefasst werden sollte, wären einheitliche Abschlussprüfungen, die sich an den Bildungsstandards ausrichten. Eine solche Lösung würde Themenvorgaben seitens der Ministerien ersetzen. Geprüft werden sollte auch die Übertragung von Prüfungsfunktionen an unabhängige Agenturen. Speziell Prüfungen, die sich mit Berechtigungen verbinden, sollten im Bereich von allgemeinbildenden Schulen mindestens von Lehrkräften anderer Schulen unterstützt, wenn nicht übernommen werden.
## …
## Externe Evaluation der KMK und deren Weiterentwicklung
unter Beteiligung des Bundes.

Die KMK empfiehlt seit einer Reihe von Jahren externe
Evaluationen für das Bildungswesen und liegt mit dieser Strategie
auch richtig, wenn man die Anstrengungen der Länder vor Augen hat, die die früheren Inspektorate komplett neu aufbauen mussten. Die KMK steht seit ihren Anfängen in der Kritik, die sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Wenn die KMK tatsächlich neue Formen von Governance herausbilden soll, dann setzt das eine externe Evaluation voraus, die möglichst bald in Angriff genommen werden sollte. Wenn überhaupt, dann kann erst auf der Basis von Daten und gutachterlichen Einschätzungen eine Veränderung der jetzigen Struktur unternommen werden.
## Fonds des Bundes für die Verstetigung der eigenen Projekte.

Der Bund finanziert inzwischen zahlreiche Projekte, die alle
Auswirkungen haben auf die Länder und insbesondere auf die Schulen, die sich daran beteiligen. …

Die Länder reklamieren mit einem gewissen Recht, dass die
Streuung dieser Projekte sehr gross ist und sie mit den Folgelasten
konfrontiert werden. Oft hat das zur Konsequenz, dass Projekte einfach auslaufen, ohne Fortsetzung zu finden. Wenn nicht die Verteilung der Steuermittel zu Gunsten der Länder verändert werden soll, bleibt nur die Möglichkeit, dass der Bund einen grösseren Fonds einrichtet, aus dem erfolgreiche Projekte weiter finanziert werden können. Das würde auch der Kritik entgegenarbeiten, die beträchtlichen Bundesmittel für immer neue Projekte einzusetzen, deren Nachhaltigkeit nicht erwiesen ist.
## Aufhebung des Kooperationsverbotes durch Erweiterung des
Artikels 91b GG im Blick auf gemeinsame Projekte im
Bildungsbereich und dazu Anpassung des Artikels 104b GG.

Das Kooperationsverbot in der oben beschriebenen Form hat sich
aller Voraussicht nach politisch überlebt und steht vor der Aufhebung. Aus pädagogischer Sicht ist das zu begrüssen, weil es sich als sinnvoll und erfolgreich herausgestellt hat, dass der Bund Mittel einsetzt, die die Länder bei ihren Aufgaben im Bildungsbereich unterstützt haben. Diese Form der Kooperation im Blick auf einzelne Projekte, die prioritär geordnet werden sollten, gehört fortgesetzt, und wenn dafür eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist, sollte sie möglichst rasch vollzogen werden.

Eine direkte Finanzierung von Schulbudgets kann damit verbunden
werden, wenn dafür transparente Vergabekriterien zur Verfügung stehen und nicht nach dem Giesskannenprinzip subventioniert wird.

Für die insgesamt 34.642 Schulen kann der Bund nicht jeweils
direkt zum Budget beitragen, zumal sich schwierige politische Fragen stellen, ob nur die Schulen in öffentlicher Trägerschaft oder auch die Privatschulen unterstützt werden sollen. Wenn, dann sollte die direkte Finanzierung mit Bewerbung und so Wettbewerb verbunden werden, wie dies in Projekten der Fall ist. …“ Die Expertise in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

http://www.telekom-stiftung.de/dtag/cms/contentblob/Telekom-Stiftung/de/1520810/blobBinary/Expertise.pdf

Quelle: Telekom Stiftung

Dokumente: Expertise_Bildungsfoederalismus_und_Kooperationsverbot.pdf

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