Auszüge aus der Veröffentlichung von Prof. Dr. Arnd Kölling Berufsorientierungscamps und Integration auf dem Ausbildungsmarkt:
„… Ausgangslage für Hauptschüler und evaluierte Maßnahme
Der Markt für Ausbildungsplätze unterliegt seit dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erheblichen Verwerfungen. Die Nachfrage nach Auszubildenden war bis dahin von konjunkturellen Einflüssen weitgehend abgekoppelt. Seit der Mitte der 90er Jahre ist jedoch eine stärkere Verzahnung des Ausbildungsgeschehens mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu beoachten. Global können dafür mehrere Gründe verantwortlich gemacht werden. Erstens der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsökonomie, die traditionell einen geringeren Ausbildungsanteil aufweist. Zweitens eine Veränderung im Personalmanagement von Unternehmen hinsichtlich der Personalplanung, die stärker auf kurzfristige Ziele ausgerichtet wurde, und drittens die strukturellen Probleme des Arbeitsmarktes, die sich negativ auf das Erstellungs- und Ausbildungsverhalten von Firmen ausgewirkt haben. …
Zwischen 30 % bis 40 % der neuen Auszubildenden kommen nicht direkt in das duale oder schulische Ausbildungssystem. Mittel- bis langfristig ist jedoch absehbar, dass die demografische Entwicklung zu einem deutlichen Rückgang an Schulabgängern und damit an neuen Auszubildenden führt … . Dies mag dazu führen, dass sich das rein quantitative Problem des Ausbildungsplatzangebots erheblich verringert, jedoch bleibt das Problem der Ausbildungsfähigkeit weiter bestehen. So gibt es zurzeit rund 20 % bis 30 % von Schulabgängern, die 3 Jahre nach Beendigung der Schulzeit noch nicht in eine Berufsausbildung eingemündet sind. Hierunter befinden sich insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. aus bildungsfernen Schichten …
Maßnahmen, die die Ausbildungsfähigkeit erhöhen, während die Jugendlichen noch zur Schule gehen, können von der Bundesagentur für Arbeit nach § 33 und § 421q SGB III als Maßnahmen der erweiterten, vertieften Berufsorientierung gefördert werden. …
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird die von der Bundesagentur für Arbeit finanziell und organisatorisch unterstützte Maßnahme der „Leuphana Sommerakademie“ evaluiert. Konzipiert und umgesetzt wird das Camp von der Leuphana Universität Lüneburg. Die Maßnahme wird speziell für Schülerinnen und Schüler angeboten, die verschiedenen Hemmnisse bei der Integration in den Ausbildungsmarkt aufweisen. In der Regel sind es Hauptschülerinnen und -schüler, die sich im letzten Jahr der Schulausbildung befinden. Die Jugendlichen erhalten während der Sommerferien die Gelegenheit, an einem ungefähr dreiwöchigen Ferienlager teilzunehmen, bei dem sie neben einem vielseitigen Freizeitangebot auch an berufsvorbereitenden Aktionen teilnehmen. Dazu können sie Schlüsselqualifikationen (Mathematik, Deutsch etc.) und Sozialverhalten trainieren. Ebenso gehört zu dem Projekt eine Nachbetreuung der Teilnehmer durch Mitarbeiter der „Leuphana Sommerakademie“ bis zur Beendigung der Schulzeit.
Die Sommerakademie beschreibt ihr Ziel selbst unter dem Schlagwort „Fit für die Lehrstelle“ … und wurde vom 18. Juli bis zum 2. August 2008 in Hohegeiß im Harz mit Schülerinnen und Schülern aus Lüneburg und Umgebung durchgeführt. Ziel des Projektes ist es, die Einstellung der Jugendlichen zu sich selbst und das Auftreten gegenüber anderen zu verbessern. Hierzu wird neben Reizen für die kognitiven Fähigkeiten, ein individuelles Coaching und Training eingesetzt, um die individuellen Stärken und Interessen herauszuarbeiten. Zusätzlich sollen realistische Vorstellungen über das spätere Berufsleben entwickelt werden. …
Darüber hinaus führt die Maßnahme dazu, dass die Jugendlichen kurzfristig aus ihren sozialen Peer Groups genommen werden. … Während sich der Lernerfolg im Laufe der Schulzeit über alle Gruppen von Schülern relativ gleichmäßig verteilt, ergeben sich nach schulfreien Tagen (insbesondere nach den Sommerferien) deutliche Unterschiede. In bildungsfernen Schichten und auch bei Familien mit Migrationshintergrund gibt es nach Beendigung der Sommerferien häufig schlechtere Schulleistungen (z. B. bei der Leseleistung) als bei einem anderen familiären Hintergrund. …
Daten und deskriptive Angaben
Bei der betrachteten Maßnahme standen Angaben von 52 teilnehmenden Hauptschülerinnen und -schülern und 140 Jugendlichen in der Kontrollgruppe zur Verfügung. Die sozio-demografischen Daten wurden in einer umfangreichen Eingangsbefragung vor Beginn der Maßnahme erhoben. Darüber hinaus wurden Kurzgutachten des Psychologischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit erstellt. …
An der Sommerakademie der Leuphana Universität nahmen mehr Jungen als Mädchen teil (55,8 % zu 44,2 %). Der Altersdurchschnitt lag im Durchschnitt genau bei 15 Jahren. Das Höchstalter waren 16 Jahre. Bei jeweils ca. 10 % der Schüler war mindestens ein Elternteil arbeitslos bzw. Akademiker. Mehr als ein Viertel der Schüler hatten einen Migrationshintergrund, wobei einzelne Nationalitäten nicht herausragten. …
Bei den Teilnehmer/-innen lassen sich mehrere unterscheidbare außerschulische Interessenlagen abbilden. 73 % nannten die Nutzung von Fernseher bzw. PC, über 96 % Familie und Freunde, 61 % Lesen und Tiere und mehr als 65 % Sport und Arbeit. Jeweils ungefähr ein Drittel waren Mitglied in einem Verein oder nutzten schulische Zusatzangebote. Die durchschnittliche Zeit, die von den Schülern am PC verbracht wurde, lag bei 1,77 Stunden. Bei der Selbsteinschätzung der schulischen Leistung waren mehr als 25 % überzeugt, eine gute Leistung zu erbringen. Etwa 11,5 % waren der Meinung, dass ihre Leistungen schlecht wären. Vergleicht man diese Werte mit den Schulnoten, zeigten sich bei rund 20 % der Teilnehmer Noten, die durchgängig sehr gut, gut oder befriedigend waren. 7 Schüler hatten keine Note in den Fächern Mathematik, Deutsch, Englisch und Physik, die besser war als eine 4. Von den Schülerinnen und Schülern, die in Niedersachsen bereits nach der 9. Klasse die Hauptschule abschließen, besaßen etwas weniger als 64 % einen Wunschberuf und über 90 % hatten bereits Erfahrungen mit Jobs oder Vorstellungsgesprächen. Hier mag es eine Rolle spielen, dass die Schüler kurz vor dem Abschluss stehen. …
Zusammenfassung und Ausblick
… Bei den schulischen Leistungen zeigten sich signifikant positive Ergebnisse der Teilnehmer im Fach Deutsch und in den Naturwissenschaften. In Deutsch – aber auch in Englisch – profitierten besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund von der Maßnahme. Je nach Definition der Integration in den Ausbildungsmarkt, lag die Wahrscheinlichkeit, eine Lehrstelle zu finden bzw. einen höheren Bildungsabschluss anzustreben, bei den Teilnehmern zwischen 10 % und 23 % über der der Nicht-Teilnehmer. Dieses Ergebnis ist unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozio-demografischen Gruppe.
Insgesamt sind die Ergebnisse der Evaluation positiv. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weisen einen höheren Integrationsgrad auf als die Mitglieder der Kontrollgruppe. Jedoch gibt es auch kritische Punkte anzumerken, die auch zukünftige Studien berücksichtigen sollten. Das betrachtete Sample an teilnehmenden Jugendlichen ist sehr klein, so dass eine Wiederholung der Studie mit einer größeren Stichprobe ratsam erscheint, um die Ergebnisse zu bestätigen.
Anhand der Untersuchung lässt sich außerdem nicht klären, ob die Inhalte des Camps, die regelmäßige Betreuung nach Beendigung der Maßnahme oder die persönlichen Erfahrungen außerhalb der Peer Group, die während der Teilnahme am Camp gewonnen wurde, ursächlich für die Ergebnisse verantwortlich sind. Es ist nicht auszuschließen, dass die Betreuung nach dem Camp für die Leistungssteigerung in der Schule ausschlaggebend war. Ebenso kann der Kontakt zu Jugendlichen und Betreuern außerhalb des eigenen sozialen Umfelds zu Einstellungs- und Persönlichkeitsänderungen geführt haben, die eine Integration in den Ausbildungsmarkt begünstigen. …“
Die Studie in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.
http://www.hdba.de/fileadmin/redaktion/bilderarchiv/Bilder/Arbeitspapier_Berufsorientierungscamps.pdf
Quelle: Hochschule der Bundesagentur für Arbeit