Die Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der ebenfalls im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit einschließlich Streikrecht ist Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die inzwischen beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist. Dies teilte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit. Es lägen ihr zudem keine Erkenntnisse vor, dass der kirchliche Sonderweg im Wettbewerb der sozialen Dienstleistungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen eine besondere Bedeutung habe, schreibt die Bundesregierung weiter.
Auszüge aus der Antwort der Bundesregierung:
„Vorbemerkung der Fragesteller:
Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften ist in Deutschland von der Religionsfreiheit, der Trennung von Staat und Kirche und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht geprägt. Einige Kirchen wie die katholische Kirche, die evangelischen Landeskirchen sowie auch israelitische Synagogengemeinden werden in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts eigener Art geführt. Im Unterschied zu anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus aber kein Teil des Staates und somit nicht Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 des Grundgesetzes. Infolgedessen sind die Religionsgemeinschaften nicht grundrechtsverpflichtet, sondern grundrechtsberechtigt. …
Die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden in kirchlichen Wirtschaftsbetrieben wie Diakonie und Caritas werden nicht mit den Gewerkschaften in Tarifverträgen vereinbart, sondern in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen beschlossen. Dieser kirchliche Sonderweg im Arbeitsrecht wurde von den Gewerkschaften seit jeher kritisiert.
Schon in den 1950er-Jahren hat die ÖTV, seit 2001 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, den Abschluss von Tarifverträgen und die Gültigkeit des Streikrechts in kirchlichen Wirtschaftsbetrieben eingefordert. Die DGB-Gewerkschaften haben den kirchlichen Sonderwegnie akzeptiert. Es kam aber nicht zu Konflikten um den materiellen Inhalt der kirchlichen Regelwerke, da z.B. in Arbeitsvertragsordnungen und Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie und der Caritas im Wesentlichen die Tarife und Arbeitsbedingungen des Öffentlichen Dienstes übernommen wurden.
Die Ökonomisierung der sozialen Dienstleistungen und die damit verbundene Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in die Entgeltstruktur sowie knappe Finanzierungen seitens der öffentlichen Hand haben die Branchen grundlegend verändert. Immer mehr kirchliche Wirtschaftsbetriebe nutzen den kirchlichen Sonderweg und weichen von Entgelten im Öffentlichen Dienst ab. …
Auf Seiten der Beschäftigten in kirchlichen Wirtschaftsbetrieben steigt der Unmut, denn die Einflussmöglichkeiten der Mitarbeitervertretungen und traditionellen kirchlichen Mitarbeiterverbände auf Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit
und Arbeitsentgelte sind gering. Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen wird – im Unterschied zu Beschäftigten in anderen Bereichen – die Möglichkeit verwehrt, mit den Mitteln der Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen.
…
Arbeitsbedingungen und Entgelte
12. Welche Unterschiede bestehen bei den Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten zwischen kirchlichen, privatwirtschaftlichen und öffentlichen Wirtschaftseinrichtungen?
Der Bundesregierung liegen keine Informationen über tatsächliche Unterschiede zwischen kirchlichen, privatwirtschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen bei den Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten vor. … Das bedeutet: Entscheiden sich die Kirchen, ihre Dienste durch den Abschluss von Arbeitsverträgen zu regeln, gelten für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich dieselben gesetzlichen Bestimmungen über Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten wie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in nichtkirchlichen Einrichtungen. Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften können jedoch auf der Grundlage von § 7 Absatz 4 ArbZG in ihren Regelungen Abweichungen von einzelnen Bestimmungen des ArbZG in dem gleichen Umfang festlegen, der auch den Tarifvertragsparteien nach § 7 Absatz 1, 2 und 2a ArbZG zusteht.
Die Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften unterfallen, wie alle übrigen Arbeitgeber, der Aufsicht der Arbeitsschutzbehörden der Länder. …
Koalitionsfreiheit und Streikrecht
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Die Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der ebenfalls im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit einschließlich Streikrecht, ist aktuell Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die inzwischen beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit bleibt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten. … “
Quelle: Pressedienst des Deutschen Bundestages