Auszüge aus dem WZBrief Bildung „Ungleiche Rechte, ungleiche
Chancen“ von Janina Söhn:
“ Um eine Schule besuchen zu können, sollte der Rechtsstatus von Kindern eigentlich unwichtig sein. Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht. Doch auch wenn alle Kinder in Deutschland im Prinzip das Recht haben, eine allgemeinbildende Schule zu besuchen, gilt die Schulpflicht in einigen Bundesländern nur für ausländische Kinder, die dort ihren „gewöhnlichen Aufenthalt“ haben. Dies trifft auf Kinder von Asylsuchenden oder ausreisepflichtigen Ausländern mit Duldung nicht zu. … Noch geringere Chancen, eine Schule zu besuchen, haben Kinder ohne legalen Aufenthalt in Deutschland. Denn bislang hält die Pflicht von Schulbehörden, das Ausländeramt zu informieren, wenn Schüler nicht gemeldet sind, vermutlich viele dieser Migranteneltern davon ab, ihre Kinder einzuschulen.
… Dennoch ist anzunehmen, dass die große Mehrheit von Kindern aus Zuwandererfamilien im schulpflichtigen Alter in Deutschland die Schule besucht. Die entscheidende Frage ist, ob diese Kinder gute Schulleistungen und höherwertige Schulabschlüsse erreichen. Die Zahlen sprechen dagegen. Vergleicht man die erzielten Schulabschlüsse, schneiden junge Menschen mit Migrationserfahrung insgesamt deutlich schlechter ab als gleichaltrige Einheimische. …
Erzielte Schulabschlüsse: Aussiedlerkinder im Vorteil
Eines fällt jedoch auf: Aussiedler sind viel seltener bildungsarm als Gleichaltrige, die als Ausländer nach Deutschland kamen. … 61 Prozent der Aussiedler haben einen weiterführenden Schulabschluss erreicht (Realschulabschluss oder Fach-/Abitur), während dies nur auf 43 Prozent der anderen Migranten zutrifft. Zudem bleiben unter den Aussiedlern nur zwei Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss, während der Anteil bei den als Ausländer Zugewanderten 13 Prozent beträgt.
Diese unterschiedlichen Bildungserfolge haben direkt und indirekt mit der rechtlichen Ungleichbehandlung der Kinder oder Eltern der verschiedenen Migrantengruppen zu tun. …
Rechtsstatus und der Einfluss der Familie
Wissenschaftlich gesichert ist jedoch, dass die Bildungschancen von Migrantenkindern wie bei Einheimischen auch in erheblichem Maß von den sozio-kulturellen und ökonomischen Ressourcen der Familien abhängig sind. Nur eine kleine Gruppe unter den Aussiedlerkindern, vor allem jene aus Rumänien, konnte bei der Einwanderung bereits Deutsch und profitierte davon in der Schule. Wichtiger für den höheren Bildungserfolg von Aussiedlern im Vergleich zu den anderen Migrantengruppen ist, dass ihre Eltern in ihren Herkunftsländern häufig ein zumindest mittleres Ausbildungsniveau, vergleichbar mit der Mittleren Reife in Deutschland, erzielt hatten. Dass ausländische Jugendliche, darunter gerade die rechtlich benachteiligten ex-jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlinge, so häufig ohne Abschluss oder nur mit einem Hauptschulabschluss die Schule verlassen, liegt auch – aber nicht nur – daran, dass viele Eltern selbst nur eine geringe Schulbildung haben und ihre Kinder kaum im schulischen Fortkommen unterstützen können. Kleinere Gruppen von Flüchtlingen, zum Beispiel aus dem Iran und anderen außereuropäischen Ländern, kommen zum Teil aus der Oberschicht ihrer Heimatländer. Kindern aus solchen gebildeten Elternhäusern gelingt es relativ häufig, trotz der schwierigen Lebensumstände als Flüchtling Abitur zu machen.
Doch nicht nur der familiäre Hintergrund der Migranten, den sie aus ihren Herkunftsländern mitbringen, sondern auch die Lebensumstände in Deutschland entscheiden über den Bildungserfolg der Kinder. Diese werden von der rechtlichen Stellung der Eltern mitgeprägt. So profitierten vor allem erwachsene Aussiedler trotz Kürzungen in den 1990er Jahren wie keine andere Migrantengruppe von einem Bündel an Integrationsmaßnahmen.
Für die wirtschaftlichen Lebensumstände von Migrantenfamilien ist entscheidend, ob und in welchem Ausmaß sie in Deutschland arbeiten dürfen. Aussiedlern ist dies ebenso wie EU-Bürgern uneingeschränkt möglich. Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen ist es dagegen teilweise nicht erlaubt, hier erwerbstätig zu sein. Zudem sind ihre sozialen Rechte durch das Asylbewerberleistungsgesetz deutlich eingeschränkt. … Da in Deutschland Kinder aus armen Familien generell geringere Bildungschancen haben, ist die Erwerbslosigkeit von rechtlich benachteiligten Migranten ein weiterer Grund dafür, dass auch deren Kinder besonders häufig ohne Abschluss bleiben oder nur einen Hauptschulabschluss erlangen. Damit haben sie schlechtere Karten für eine berufliche Ausbildung und das spätere Berufsleben.
Fazit: Wie Bildungschancen verbessert werden können
Dass die Bundesrepublik eine systematische Integrationspolitik betreiben kann, hat sie in der Vergangenheit bei der Gruppe der Aussiedler bewiesen. … Ein erster Schritt, aus diesen positiven Erfahrungen zu lernen, war 2005 die Einführung von Integrationskursen für weitere Migrantengruppen. Auch dank der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 sind hier geborene Kinder von Ausländern, von denen mindestens ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht hat, von Geburt an deutsche Staatsangehörige.
Ausgenommen von diesen Reformen sind aber weiterhin Kinder von Asylsuchenden und Geduldeten. Um die Bildungschancen dieser Kinder nicht nachhaltig zu gefährden, sollten diese Familien möglichst kurz einer unsicheren rechtlichen Position ausgesetzt sein. Zudem gilt es, auf Bundeslandebene die Schulpflicht auf alle Kinder unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus auszudehnen und so den Zugang zu Schulen als Menschenrecht zu garantieren. …
Damit ist es allerdings nicht getan. Deutschland braucht eine qualitativ hochwertige und ausreichend finanzierte schulische Sprachförderung für alle Migrantenkinder und -jugendlichen. Gerade Kinder aus Zuwandererfamilien können von allgemeinen Bildungsreformen profitieren, die dazu beitragen, dass der Schulerfolg weniger von dem sozialen Hintergrund ihrer Familien abhängt.“
Den vollständigen Aufsatz entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.
http://www.wzb.eu/publikation/wzbriefbildung.de.htm
http://bibliothek.wzb.eu/wzbrief-bildung/WZBriefbildung_142011_soehn.pdf
Quelle: Wissenschaftlszentrum Berlin für Sozialforschung
Dokumente: WZBriefbildung_142011_soehn.pdf