Das Aufwachsen in sozial benachteiligter Situation vermindert die Chance auf ein gesundes Leben

Bereits 1966 hat der Sozialpakt der Vereinten Nationen (UN) nicht nur das Recht auf medizinische Versorgung festgeschrieben, sondern mit ihm erkennen die Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an“. Die Bundesrepublik Deutschland hat den UN-Sozialpakt bereits 1973 vorbehaltlos ratifiziert. Er ist damit geltendes Recht. …

Die Jakarta-Deklaration der WHO von 1997 zur „Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert“ nennt als Voraussetzungen für Gesundheit „Frieden, Schutz, Bildung, soziale Sicherheit, soziale Beziehungen, Ernährung, Ein- kommen, das Empowerment von Frauen, ein stabiles Ökosystem, nachhaltige[n] Ressourcenverbrauch, soziale Gerechtigkeit, Respekt vor den Menschenrechten und Gerechtigkeit.“ Die WHO konstatiert, dass Armut die größte Gefahr für die Gesundheit sei.

Insbesondere bezogen auf Kinder stellt das Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen von 2009 in Übereinstimmung mit der WHO fest, dass Armut – sowohl die monetäre wie die Versorgungsarmut – der wichtigste erklärende Faktor für Gesundheits- und Entwicklungsdefizite wäre. Die Senkung der Kinderarmut nehme deshalb auch gesundheitspolitisch höchste Priorität ein. Als besonders vulnerable Gruppen werden Erwerbslose, Menschen mit geringer formaler Bildung, alleinerziehende Eltern, Eltern mit mehreren Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund jeweils in Verbindung mit materieller Armut benannt.

2010 ist das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ infolge eines gemeinsamen Beschlusses vom Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament. In ihrer Mitteilung „Abbau gesundheitlicher Ungleichheit in der EU“ vom Oktober 2009 stellt die EU-Kommission fest, dass das Ausmaß der gesundheitlichen Ungleichheit zwischen den sozial benachteiligten und den bessergestellten EU-Bürgerinnen und -Bürgern eine „Herausforderung an ihr Engagement für Solidarität, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt, Menschenrechte und Chancengleichheit“ darstelle. …

Wie diese Auszüge zeigen, wird seit fast einem halben Jahrhundert international und national immer wieder darauf verwiesen, dass die vermeidbare gesundheitliche Ungleichheit insbesondere durch soziale Ungleichheit unhaltbar und unvereinbar mit den Menschenrechten ist. Seitdem hat sich an dieser Situation nichts verbessert. Im Gegenteil: In Deutschland steigen Armut und Armutsrisiko. Die Einkommensungleichheit vergrößert sich ebenso wie die sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit. …

Zudem verstärkt sich in der Europäischen Union die Tendenz, das Gesundheitswesen als Teil des Europäischen Binnenmarktes zu etablieren. Gesundheitsleistungen werden der Logik des Wettbewerbs einseitig untergeordnet und zur Ware degradiert. Dadurch wird auch auf europäischer Ebene der Weg zu einer Zweiklassenmedizin forciert. …

Bislang wurde kein eigenständiges nationales Gesundheitsziel zur Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit benannt. Die Bundesregierung unterlässt es auch, die wenigen benannten nationalen Gesundheitsziele konkret und messbar zu formulieren und Zeiträume für ihr Erreichen festzulegen. Darüber hinaus fehlt es an klaren messbaren Zielen für die Verringerung der sozial bedingten gesundheitlichen Ungleichheit innerhalb der bisherigen nationalen Gesundheitsziele. …

Auf diesem Hintergrund hatte die Bundestagsfraktion Die Linke eine große Anfrage gestellt. Die Antwort der Bundesregierung darauf liegt nun vor und belegt, Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben ein höheres Gesundheitsrisiko.

Auszüge aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrag zur Gesundheitlichen Ungleichheit im europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung:
8. Stellt Erwerbslosigkeit nach Ansicht der Bundesregierung einen zentralen Risikofaktor beim Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben dar, und ist sie damit eine Form von sozialer Ausgrenzung in Deutschland?

Wenn ja weshalb?

Wenn nein, weshalb nicht?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten von Langzeiterwerbslosen, die auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II angewiesen sind?

Die Integration Erwerbsfähiger in das Arbeitsleben verbessert Teilhabe- und Verwirklichungschancen für alle Haushaltsmitglieder. Dabei bedeutet angemessen entlohnte Arbeit nicht nur die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung und ein selbstbestimmtes Leben. Deshalb ist die Maxime der aktivierenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung, möglichst viele Erwerbsfähige (wieder) in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Gelingt dies nicht sofort, besteht eine wichtige Herausforderung darin, durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen der Aktivierung, Qualifizierung oder in Form der Ausübung öffentlich geförderter Erwerbstätigkeit die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten oder wieder herzustellen und damit einen Übergang in ungeförderte Beschäftigung vorzubereiten.
Das Risiko, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nur noch in geringerem Umfang verwirklichen zu können, steigt mit der Länge der Arbeitslosigkeit. Vor allem Langzeitarbeitslose sind sozial weniger eingebunden und finanziell eingeschränkt. Bei einer Dauer der Arbeitslosigkeit von mehr als zwölf Monaten sinken nach den Erkenntnissen der Arbeitsmarktforschung die Chancen auf einen Übergang in ungeförderte Erwerbstätigkeit. Die gesetzlichen Leistungen der Arbeitsförderung sowie der Grundsicherung für Arbeitsuchende zielen darauf ab, einen Ausschluss von den Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben zu verhindern. Dazu ist es wichtig, dass Erwerbslosigkeit möglichst eine zeitlich begrenzte Phase zwischen Zeiten der Erwerbstätigkeit bleibt und insbesondere auch aus der Perspektive der arbeitslosen Menschen selbst entsprechend wahrgenommen wird.
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts berücksichtigen auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe die Verbrauchsgewohnheiten der unteren Einkommensschichten, die nicht auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Soweit das Bundesverfassungsgericht die bisherige Bemessung der Regelsätze auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe kritisiert hat, hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Bundestagsdrucksache 17/3404) vorgelegt, der den Bedenken Rechnung trägt.

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen sozialer Stigmatisierung auf die Gesundheit Erwerbsloser?
Wie gedenkt die Bundesregierung, der sozialen Stigmatisierung und damit der sozialen Ausgrenzung und Gesundheitsbelastung von Erwerbslosen zu begegnen?

Die Daten der bundesweiten Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts (RKI) und weitere Datenquellen, die für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes herangezogen werden, lassen keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob von Arbeitslosen Erfahrungen sozialer Ausgrenzung gemacht worden sind und ob solche Erfahrungen einen Einfluss auf die Gesundheit haben. Aus den Ergebnissen der telefonischen Gesundheitssurveys 2003 ist allerdings bekannt, dass ein Teil der Arbeitslosen subjektiv davon ausgeht, dass die eigene Gesundheit bei ihrer Entlassung eine Rolle gespielt hat oder dass sie sich infolge der Arbeitslosigkeit verändert hat. Etwa ein Fünftel der arbeitslosen Frauen und Männer gibt an, dass sich ihre Gesundheit aufgrund der Arbeitslosigkeit verschlechtert habe.

Die Bundesagentur für Arbeit hat das Themenfeld „Gesundheitsorientierung zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ aufgegriffen und verfolgt im Rahmen eines Gesamtkonzepts sowohl in den operativen und strategischen Geschäftsprozessen als auch im konkreten Maßnahmenangebot unterschiedliche Ansätze, um erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit gesundheitlichen Einschränkungen verstärkt eine Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. …

16. Wie wirken sich … gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Chancen der Betroffenen auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt aus, und was tun die zuständigen Träger, um die Eingliederungschancen von gesundheitlich beeinträchtigten Erwerbslosen zu verbessern?
Wissenschaftliche Studien, z. B. des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), weisen darauf hin, dass gesundheitlich eingeschränkte Arbeitnehmer geringere Chancen auf berufliche Wiedereingliederung besitzen. Konkret handelt es sich dabei um sehr unterschiedliche Sachverhalte (z. B. psychische Beeinträchtigungen, Suchterkrankungen, körperliche Einschränkungen). Die Entscheidung über eine geeignete Integrationsstrategie, die gesundheitliche Einschränkungen mit einbezieht, kann daher nur auf individueller Ebene und unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls getroffen werden.
Die Bundesagentur für Arbeit hat im Jahr 2009 das 4-Phasen-Modell der Integrationsarbeit eingeführt. Mit drei zentralen Handlungsstrategien wird dabei die erfolgreiche Integrationsarbeit mit den Kunden unterstützt („Leistungsfähigkeit feststellen“, „Leistungsfähigkeit fördern“ und „gesundheitlich angemessene Beschäftigung realisieren“). Im Rahmen dieses Geschäftsprozesses der arbeitnehmerorientierten Integrationsarbeit können rechtskreisübergreifend u. a. „vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen“ individuell abgebildet werden.
Unter dem Motto „Gesundheitsorientierung zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit“ hat die BA eine Dachkampagne ins Leben gerufen. Mit Vorstandsbeschluss vom 13. Oktober 2009 ist sie dem Kooperationsverbund „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ unter der Federführung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beigetreten. Mit dem Beitritt wird unter anderem das Ziel verfolgt, aktiv die Netzwerkbeziehungen zu den relevanten Akteuren im Feld der Gesundheitsorientierung zu gestalten. Bilaterale Absprachen mit der BZgA sollen dazu dienen, vorhandene Qualifizierungsmodule für persönliche Ansprechpartner der BA weiterzuentwickeln und sukzessive ein Wissensmanagement aufzubauen. …

46. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem Sozialstatus und der gesundheitlichen Gefährdung durch Wohnbedingungen?

Welche Daten liegen der Bundesregierung diesbezüglich jeweils für städtische und ländliche Regionen vor?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Zusammenhänge?
Zu dieser Frage liegen der Bundesregierung keine empirischen Daten vor. Ein zentrales Ergebnis des KiGGS des RKI ist, dass es den Kindern und Jugendlichen in Deutschland insgesamt gesundheitlich gut geht. 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben nach eigenen Angaben bzw. nach Angaben ihrer Eltern einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand. Dem KiGGS ist jedoch auch zu entnehmen, dass die Chance eines Kindes aus sozial schwachen Verhältnissen einen guten Gesundheitszustand zu haben um die Hälfte geringer ist als die eines Kindes aus gut situierten Verhältnissen. Da sozial schwache Familien häufig in benachteiligten Wohnquartieren leben, kann auf einen gewissen Zusammenhang geschlossen werden. Hohe Verkehrsbelastung, fehlende Infrastruktur für Bewegung und Sport, wenig Grünflächen und wenig ausgeprägtes nachbarschaftliches Zusammenleben führen neben dem manchmal auch abträglichen individuellen Gesundheitsverhalten zu einer Verschlechterung des physischen und psychischen Gesundheitszustands. Das Aufwachsen in sozial benachteiligter Situation vermindert somit die Chancen für ein gesundes Leben.
Erfolgreiche Strategien stadtteilbezogener Gesundheitsförderung sind die Bildung gesundheitsbezogener Netzwerke, die Verbesserung der Wohnverhältnisse und des Wohnumfeldes, die Entwicklung niedrigschwelliger und zielgruppenbezogener Angebote zur Gesundheitsförderung sowie die infrastrukturelle Verankerung der Maßnahmen durch die Einrichtung von Gesundheitshäusern, -läden und -treffs.

48. Wie erklärt sich die Bundesregierung die großen sozial bedingten Unterschiede von Kindern bei psychischen Auffälligkeiten sowie Verhaltensauffälligkeiten, sportlichen Aktivitäten, der motorischen Entwicklung, der Ernährung, bei Essstörungen und beim Tabakkonsum?

Hat die Bundesregierung dazu messbare Gesundheitsziele definiert, oder will sie messbare Gesundheitsziele definieren, um diese Unterschiede zu verringern?
Die Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys und der Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) zeigen gerade in den Bereichen psychosoziale Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen sozial bedingte Unterschiede auf. Dies deutet darauf hin, dass ein enger Zusammenhang zwischen einer sozial benachteiligten Lebenslage, der Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben, der Persönlichkeitsentwicklung und dem Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen besteht. Die Zusammenhänge sind dabei komplex.
Das Gesundheitsverhalten selbst hängt nicht nur von individuellen Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen ab, sondern wird auch durch die Lebensumstände der Menschen bereits ab dem Kindesalter geprägt. Studien verweisen darauf, dass Verhaltensänderungen Menschen deutlich schwerer fallen, wenn sie psychosozialen Belastungen, wie z. B. finanziellen Sorgen, familiären Konflikten oder berufsbedingten Stresserfahrungen ausgesetzt sind. Das elterliche Verhalten prägt seinerseits dabei wesentlich den Lebensstil und das Gesundheitsverhalten der Kinder; in der Phase der Adoleszenz gewinnt der Einfluss Gleichaltriger und anderer Personen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld an Bedeutung. Weitere Einflussfaktoren sind das Vorhandensein personaler und sozialer Ressourcen, die sich unmittelbar positiv auf die Gesundheit auswirken oder aber zur Verringerung und Bewältigung von Belastungen und damit verbundenen Gesundheitsgefahren beitragen können sowie die Verfügbarkeit gesundheitsförderlicher Angebote und Möglichkeiten im unmittelbaren Lebensumfeld.
Die Bundesregierung geht bei ihren Maßnahmen zur Verringerung sozial bedingter Gesundheitsunterschiede im Wesentlichen von zwei Haupteinflussgrößen aus: dem Gesundheitsbewusstsein und den gesundheitlichen Ressourcen der einzelnen Person sowie den Bedingungen der sozialen und natürlichen Umwelt. Vor diesem Hintergrund wurden im Projekt „gesundheitsziele.de“ bereits im Jahr 2003 nationale Gesundheitsziele für Kinder und Jugendliche erarbeitet. Das Zielkonzept mit den inhaltlichen Schwerpunkten Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung umfasste auch Vorschläge für Basismaßnahmen zur Umsetzung der Gesundheitsziele. Im Jahr 2009 wurde, ausgehend von den Ergebnissen der KiGGS-Studie, ein aktualisiertes Zielkonzept vorgelegt, mit einer thematischen Erweiterung von Stressbewältigung zu Lebenskompetenz und einem überarbeiteten Maßnahmenkatalog. Zudem wurde 2003 das Gesundheitsziel „Tabakkonsum reduzieren“ im Rahmen des Projektes „gesundheitsziele.de“ erstellt. Zu diesem Ziel, das Kinder und Jugendliche als eine wichtige Bezugs- und Zielgruppe für Maßnahmen der Tabakprävention und Tabakkontrolle benennt, wurde inzwischen ein Evaluationskonzept erarbeitet. Aktuell wird am Beispiel des Tabakkonsums die Möglichkeit der Quantifizierung von Gesundheitszielen und der Messbarkeit der Zielerreichung geprüft. …

64. Ist in bestehenden nationalen Gesundheitszielen die Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheiten ausdrücklich formuliert?

Falls ja, welche Ziele zur Verringerung der sozial bedingten gesundheitlichen Ungleichheit sind darin formuliert?

Falls nein, sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, innerhalb der bestehenden nationalen Gesundheitsziele ausdrücklich die Verringerung der ungleichen Gesundheit durch soziale Ungleichheit zu verankern (bitte begründen)?
Das Forum „gesundheitsziele.de“ wurde 2000 als Modellprojekt vom BMG und den Ländern initiiert. Anfang 2007 wurde „gesundheitsziele.de“ in einen auf Dauer angelegten Kooperationsverbund zur Weiterentwicklung des nationalen Gesundheitszieleprozesses überführt. Unter Mitwirkung von Bund, Ländern, gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung, der privaten Krankenversicherung, Ärzten und weiteren Leistungserbringern im Gesundheitswesen sowie Patientenvertretungen bzw. Selbsthilfegruppen wurden bisher sechs exemplarische Gesundheitsziele erarbeitet („Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln“; „Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen“, „Tabakkonsum reduzieren“, „Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung“, „Gesundheitliche Kompetenzen erhöhen, Patient(Inn)ensouveränität stärken“, „Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen und nachhaltig behandeln“). Ein siebtes Gesundheitsziel („Gesund älter werden“) befindet sich derzeit in Bearbeitung.
Alle Ziele von „gesundheitsziele.de“ müssen Querschnittsanforderungen erfüllen. Neben Gender Mainstreaming und Evidenzbasierung gehört dazu auch die Berücksichtigung gesundheitlicher Chancengleichheit.

65. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit als eigenes nationales Gesundheitsziel zu formulieren?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wann und wie wird sie dies tun?
Wie in der Antwort zu Frage 64 bereits erläutert ist die Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit eine Querschnittsanforderung, die bei der Festlegung aller Gesundheitsziele zwingend zu berücksichtigen ist. Daher besteht keine Notwendigkeit und es ist auch nicht sachgerecht, dies als eigenständiges Gesundheitsziel zu formulieren. …

81. Welche Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme werden derzeit von der Bundesregierung durchgeführt, unterstützt oder finanziert, die einem partizipativen Ansatz folgen (bitte benennen)?
Das Projekt „GUT DRAUF“ der BZgA, die sich an Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren richtet, folgt dem partizipativen Ansatz. Hier werden Jugendliche sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung des Projektes beteiligt. Jugendliche werden aufgefordert, eigene Ideen zur besseren Ernährungsweise, zu mehr Bewegung und zur besseren Stressregulation im Alltag einzubringen und umzusetzen. Zum Beispiel entwickeln Jugendliche ein Konzept zur besseren Schulverpflegung mit, sie initiieren zusätzliche Sportangebote in der Schule und entwerfen Vorschläge für Ruhe- und Entspannungsräume.
Auch Projekte des Nationalen Aktionsplans „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ verfolgen einen partizipativen Ansatz. So werden z. B. in vielen Projekten die Adressatinnen und Adressaten der gesundheitlichen Angebote aktiv in die Entwicklung und Umsetzung aller Maßnahmen einbezogen (z. B. „Aktionsbündnis Migration und Mobilität“). …

87. Wie steht die Bundesregierung zu der im 13. Kinder- und Jugendbericht geforderten „kostenfreien, gesunden Verpflegung für alle Heranwachsenden in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Schule, ohne dass dies zu Kürzungen an anderer Stelle führt“, und welche Maßnahmen will sie ergreifen?
Die Regelung der Finanzierung der Verpflegung der Heranwachsenden in Schulen und Kindertagesstätten (Kitas) ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern der Länder und Kommunen. Die Bundesregierung ist sich jedoch bewusst, dass die Teilnahme an einer Gemeinschaftsverpflegung ein wichtiges Element der sozialen Teilhabe in Schulen und Kitas ist. Dementsprechend sieht der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vor, Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Haushalten einen Mehrbedarf zu gewähren, wenn sie an einer in schulischer Verantwortung angebotenen Mittagsverpflegung teilnehmen. Dies gilt auch für Kinder, die eine Kita besuchen. …

88. Wie bewertet die Bundesregierung die im 13. Kinder- und Jugendbericht aufgeführten zwölf Leitlinien zur Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen?

Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung zur Umsetzung und Implementierung dieser Leitlinien in die Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen?
Die Bundesregierung begrüßt das Anliegen der Sachverständigenkommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nicht nur aus der Perspektive von Krankheit und gesundheitlicher Belastung zu betrachten, sondern die Aufmerksamkeit auf die gesundheitsbezogenen Potenziale und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen zu lenken. Dabei griff die Sachverständigenkommission auf das Konzept der Salutogenese des Medizinsoziologen A. Antonovsky zurück. Auf dieses Konzept nimmt die Kommission auch mit ihren zwölf Leitlinien Bezug, die sie im abschließenden Kapitel E des Berichts vorlegt. Sie versteht diese Leitlinien als Konkretisierungen des Konzepts der Salutogenese; zugleich dienen die zwölf Leitlinien auch als fachpolitische Ausrichtung zur Begründung der Empfehlungen der Kommission.
Die Bundesregierung sieht in dem Konzept der Salutogenese einen wichtigen Ausgangspunkt ihrer gesundheitsbezogenen Politik für junge Menschen. Die von der Sachverständigenkommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht formulierten zwölf Leitlinien stellen aus ihrer Sicht eine hilfreiche Orientierung und Anregung für die Fachpraxis und die Politik dar. Soweit dies in ihrer unmittelbaren Zuständigkeit liegt, unterstützt die Bundesregierung die Umsetzung dieser Leitlinien. …

92. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Kinder in Deutschland ein entscheidendes Armutsrisiko darstellen?

Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um speziell arme bzw. von Armut bedrohte Familien davor zu bewahren, im Sozialstatus weiter zu sinken?
Die Lebenssituation von Kindern steht nicht allein, sondern ist eng mit der ihrer Eltern verknüpft. Kinder sind vor allem dann armutsgefährdet, wenn Eltern keiner Erwerbsarbeit nachgehen. In Haushalten, in denen kein Elternteil arbeitet, liegt die Armutsrisikoquote der Kinder bei 57 Prozent. In Haushalten, in denen beide Eltern arbeiten – auch Teilzeit und Vollzeit kombiniert – liegt die Armutsrisikoquote dagegen zwischen 4 und 6 Prozent. Etwa die Hälfte der Mütter mit drei oder mehr Kindern arbeitet nicht; in kinderreichen Familien reicht das Einkommen eines Alleinverdieners daher oft nicht aus. Auch Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund gehen häufiger keiner (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit nach.
Deshalb hat die Bundesregierung ein abgestimmtes Set von gezielten Maßnahmen entwickelt, um die Kinderarmut wirkungsvoll zu bekämpfen. Gezielte finanzielle Hilfen, mehr Familienorientierung in der Arbeitswelt und eine gute Infrastruktur der Betreuung und Förderung für Kinder stehen hierbei im Mittelpunkt.

93. Wie bewertet die Bundesregierung die Armut von Kindern aus Familien, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen?

Wie will die Bundesregierung die Armut und damit die deutlich geringeren Gesundheitschancen dieser Kinder beseitigen?

Welche konkreten, messbaren Ziele verfolgt sie dabei für welchen Zeitraum?
Die Armutsrisikoschwelle steht nicht im Zusammenhang mit dem soziokulturellen Existenzminimum und erfasst auch keine Sachleistungen. Die Bedarfssätze im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch definieren das soziokulturelle Existenzminimum, das sich an den Ausgaben des untersten Quintils der Einkommensbezieher orientiert. Dieser Maßstab gibt an, was für ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft mindestens erforderlich ist.
Die Armutsrisikoquote ist dagegen eine Kennziffer für die Einkommensverteilung. Sie liefert keine Information über individuelle Bedürftigkeit im Sinne von existenzieller Not. Ihre Höhe hängt wesentlich von der Definition der Armutsrisikoschwelle als Bezugsgröße (50, 60 oder 70 Prozent des mittleren Einkommens) und der Gewichtung der Haushaltsmitglieder bei der Bestimmung des Nettoäquivalenzeinkommens ab. Deshalb kann das Haushaltseinkommen einer Familie, je nach Abhängigkeit der Haushaltsgröße und den Hinzuverdienstmöglichkeiten und gewährten besonderen Bedarfen über oder auch unter der Armutsrisikoschwelle liegen.
Die vergleichweise ungünstigere materielle Ausgangsbasis für Kinder und Jugendliche im SGB-II-Bezug darf jedoch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 kein Hinderungsgrund sein, am Leben Gleichaltriger teilzuhaben. Aus dem Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich darüber hinaus die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche in einer Art und Weise zu befähigen, dass sie später aus eigenen Kräften und damit unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen leben können. Voraussetzung hierfür sind Fähigkeiten, die nur durch eine angemessene materielle Ausstattung für Bildung, die Ermöglichung von sozialer und kultureller Teilhabe sowie das Erlernen sozialer Kompetenzen erworben werden können.
Die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern im Bereich der notwendigen Schulbedarfe, die Teilnahme an schulischen Aktivitäten (z. B. eintägige Klassenfahrten) sowie im Bereich der sozialen und kulturellen Teilhabe werden deshalb nach Maßgabe des Entwurfs eines Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ab Januar 2011 gesondert und zielgerichtet erbracht, um gesellschaftliche Exklusionsprozesse in Zukunft zu vermeiden.
Zu einem kausalen Zusammenhang von Kindergesundheit und SGB-II-Leistungsbezug liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. „

Die Antwort der Bundesregierung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: Pressedienst des Deutschen Bundestages

Dokumente: 1704332_Antwort_Gr_Anfrage_Armut_Gesundheit.pdf

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