Nachträglicher Erwerb des Hauptschulabschlusses

Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurde zum 1. Januar 2009 ein Rechtsanspruch auf die Förderung der Vorbereitung auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses (HSA) eingeführt. Dadurch sollten die Eingliederungschancen in Berufsausbildung und in den Arbeitsmarkt sowohl von Jugendlichen in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen als auch von Erwachsenen ohne Schulabschluss in beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen verbessert werden.

Die Studie untersucht zahlreiche Angebote zur Vorbereitung auf den nachträglichen Erwerb des HSA. Dazu wurden qualitative Interviews mit Fachkräften aus Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA) dem Berufvorbereitungsjahr und Arbeitsagenturen durchgeführt und in einem zweiten Schritt mehr als 280 Träger befragt, die im Auftrag der BA auf den Hauptschulabschluss vorbereiten. Abgerundet wird die Studie durch eine umfassende Darstellung der entsprechenden Angebote und Prüfungsregelungen in allen sechzehn Bundesländern.

Auszüge aus den wichtigsten Erkenntnissen und Empfehlungen der Studie „Erfolgreich bestanden“:
Fachdiskurs über „(Junge) Menschen ohne Schulabschluss“ ist geprägt von zahlreichen Uneindeutigkeiten
“ Die Gruppe der Jugendlichen ohne HSA ist sehr heterogen. Datenlage und Zielformulierungen im fachpolitischen Diskurs sind unübersichtlich und uneinheitlich. Obwohl scheinbar übereinstimmend von der „Reduzierung der Quote der Schulabbrecher und Schulabbrecherinnen“ oder der „Verringerung der Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss“ die Rede ist, so ähneln sich diese Zielsetzungen zumeist nur auf den ersten Blick. … Das Ziel der Verringerung der Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss verweist auf zwei mögliche bildungspolitische Konsequenzen: Zum einen erfordert es Anstrengungen im allgemeinbildenden Schulsystem, um mehr Jugendliche innerhalb dieses Systems zum Abschluss zu führen. Zum anderen gibt es zahlreiche Maßnahmen im Übergangssystem, um Jugendliche nach Verlassen des allgemeinbildenden Systems zum HSA zu führen. Diese beiden Zielfokussierungen werden im Diskurs häufig miteinander vermischt. …

Die Ausrichtung und Ausgestaltung der Angebote

Die berufsvorbereitenden Angebote der BA basieren auf dem Fachkonzept in der Fassung vom November 2009, die schulischen Bildungsgänge beziehen sich u.a. auf die Förderstrategie für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler der KMK (2010). Nur wenige Angebote zielen ausschließlich auf den nachträglichen Erwerb des HSA. In den meisten Fällen werden schulische mit berufs- und ausbildungsvorbereitenden Inhalten verknüpft. Die Trägerbefragung ergab, dass die Ziele „Übergang in Ausbildung“ von 92% und „berufliche Orientierung“ von 90% der BvB-Träger mit einer hohen Priorität versehen wurde, beim „Erwerb des HSA“ waren dies nur 59%.

In der Mehrzahl der untersuchten Angebote strebte nur ein Teil der Teilnehmenden den HSA an. Dies ist insbesondere im Hinblick auf Aussagen zum Erfolg der Angebote von Bedeutung. Die Zusammensetzung der Teilnehmendengruppe bestimmt ganz wesentlich die Ergebnisse der Maßnahme. Der Zugang zum Angebot hat sich seit Einführung des Rechtsanspruchs teilweise verändert. So zeigte sich in der Befragung von BvB-Trägern, dass die Agenturen für Arbeit teilweise stärker als bisher darauf drängen, jedem BvB-Teilnehmenden ohne Schulabschluss den nachträglichen Erwerb anzubieten. … Individualisierung, Binnendifferenzierung sowie die Verknüpfung von theoretischen und fachpraktischen Inhalten sind die grundlegenden Merkmale des BvB-Fachkonzeptes und diese haben auch für die praktische Gestaltung der Vorberetiung auf den HSA bei den Trägern eine große Bedeutung.

Erfolgsquoten und mögliche Einflussfaktoren
Als zentraler Erfolgsindikator der Maßnahme insgesamt wurde von den befragten BvB-Trägern der Übergang in Ausbildung genannt. Dies korrespondiert mit der Einschätzung zur Priorität der Zielstellungen der Maßnahme. Der Erwerb des HSA wird zumeist als positiver „Nebeneffekt“ angesehen.

Bei Aussagen zu Erfolgsquoten der verschiedenen Angebote hinsichtlich des HSA-Erwerbs ist folgendes zu berücksichtigen: ## Die Bezugsgrößen der Erfolgsquoten unterscheiden sich teilweise erheblich, deshalb ist ein seriöser Vergleich oftmals sehr schwierig bis unmöglich. So gilt es immer zu berücksichtigen, wie viele Teilnehmenden den HSA anstreben, und dies in Relation zu der Anzahl der erfolgreich absolvierten HSA-Prüfungen zu setzen. Viele Erfolgsquoten beruhen jedoch lediglich auf der Relation zwischen den zur Prüfung angemeldeten Teilnehmenden und der Anzahl der erfolgreich absolvierten HSA-Prüfungen. Dabei bleibt unberücksichtigt, wie viele „unterwegs verloren gegangen“ sind.
## Ein Vergleich der Erfolge der Angebote der einzelnen Bundesländer ist seriös nicht möglich, da sich die relevanten Faktoren wie Zielgruppe, Zielstellung, Rahmenbedingungen und Form der Prüfung teilweise erheblich unterscheiden.
## …
## In mehreren Ländern wird Teilnehmenden aufgrund eines erreichten Notendurchschnitts der HSA ohne Prüfung zuerkannt. Darüber hinaus führen einige Schulen schuleigene Prüfungen durch. Betrachtet man die teilweise umfassenden Vorgaben zur Durchführung einer Externenprüfung so wird deutlich, dass ein Vergleich der Erfolgsquoten von Angeboten mit derart unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht seriös sein kann. …

Einflussfaktoren auf den nachträglichen Erwerb des HSA

Sowohl in den Interviews als auch der Trägerbefragung wurden personenbezogene Einflussfaktoren am häufigsten genannt. So spielen insbesondere die Motivation, als auch die Arbeitshaltung der jungen Menschen nach Einschätzung der befragten Fachkräfte eine entscheidende Rolle für den Erwerb des HSA: … Insbesondere bei Jugendlichen aus Förderschulen wurde immer wieder der Faktor „ausreichend Zeit für die Vorbereitung“ als wesentlich für einen gelingenden HSA-Erwerb angeführt. Der methodischen Herangehensweise und der ergänzenden sozialpädagogischen Betreuung wurde eine insgesamt hohe Bedeutung für den Erwerb des HSA zugeschrieben. Die Möglichkeit für BvB-Träger Teilnehmende für die Vorbereitung auf den Erwerb des HSA nach ihren individuellen Voraussetzungen auswählen zu können, wurde von rund zwei Drittel der Befragten als hoch bzw. eher hoch eingeschätzt. …

Empfehlungen im Hinblick auf die Weiterentwicklung Berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen
Die Umsetzung Berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen erfolgt trotz des bundesweit einheitlichen Fachkonzeptes unterschiedlich – dies gilt insbesondere für schulisch bzw. allgemein qualifizierende Anteile. Länderspezifische Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Regelungen zur Schulpflicht und damit einhergehend die Einbindung öffentlicher Schulen in die Durchführung von BvB sowie die jeweils unterschiedlichen Vorgaben zur Vorbereitung und Durchführung der Prüfung haben zur Folge, dass auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung Berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen generalisierende Aussagen und Empfehlungen nur sehr schwer möglich sind. …

Kompetenzbasierte Auswahl der Teilnehmenden, die den Erwerb des Hauptschulabschlusses in einer BvB anstreben ## Derzeit wird der Rechtsanspruch unterschiedlich ausgelegt, da die Formulierung „wenn seine Fähigkeiten erwarten lassen, dass er das Ziel der Maßnahme erreicht“ (§ 64 Abs. 2 SGB III) einigen Interpretationsspielraum bietet. Unklar bleibt, ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen ein Träger in enger Abstimmung mit der Beratungsfachkraft der Agentur für Arbeit auf der Basis von Erkenntnissen über die Voraussetzungen der Jugendlichen, die zumeist im Rahmen der Eignungsanalyse gewonnen werden, ihnen die Teilnahme an der Vorbereitung auf den Erwerb des HSA verwehren kann. … Um … Klarheit zu schaffen, sollte die Auslegung des Rechtsanspruchs von Seiten des BMAS geklärt werden, und seitens der Bundesagentur sollten klärende Hinweise zu dem genannten Aspekt der Auswahlmöglichkeit erfolgen.
## Jugendliche ohne Hauptschulabschluss blicken i.d.R. auf eine Schulkarriere zurück, die häufig durch Misserfolge, Brüche und Umwege gekennzeichnet ist. … Insofern dürfte es eher kontraproduktiv sein, die Eignung der Teilnehmenden für das Angebot HSA-Erwerb mittels schulischer Leistungstests zu überprüfen und allein auf dieser Grundlage über eine Eignung zu entscheiden. Vielmehr sollten geeignete, eher handlungsorientierte Methoden eingesetzt werden, um die bereits vorhandenen Kompetenzen zu überprüfen. …
## Sinnvoll erscheint es zudem, den Zeitpunkt der Entscheidung über das zusätzliche Ziel „Erwerb des HSA“ zu überdenken. Da allgemeinbildende Anteile Regelbestandteil von BvB sind und zudem die Vorbereitung auf den HSA-Erwerb erst im weiteren Verlauf der BvB größere Anteile einnimmt (…), ist eine abschließende Entscheidung gleich zu Beginn der Maßnahme (während der Eignungsanalyse) u.E. nicht erforderlich. Sie könnte auch erst im weiteren Lernverlauf in Abstimmung mit der Beratungsfachkraft der Agentur für Arbeit getroffen werden. …

Nutzung des erweiterten zeitlichen Rahmen gezielt fördern und ermöglichen ## Eine längere Förderdauer für den Erwerb des HSA, die seit November 2009 gemäß Fachkonzept möglich ist, kann von den Trägern nur dann genutzt werden, wenn auch die Prüfungstermine entsprechend flexibilisiert werden bzw. wenn auch Prüfungstermine nach Mai/Juni eines Jahres zur Verfügung stehen (siehe Empfehlung zum Thema Prüfungen). Darauf gilt es explizit hinzuwirken.

Personelle und sächliche Ausstattung ## Wird der nachträgliche Erwerb des HSA in eine BvB integriert, so bedarf es einer angemessenen Ausstattung mit Ressourcen. Dies betrifft insbesondere eine ausreichende Zahl umfassend methodisch-didaktisch qualifizierter Lehrkräfte sowie die Bereitstellung geeigneter Lehr- und Lernmittel
## Die Vorbereitung auf den HSA-Erwerb im Rahmen einer BvB erfordert eine weitere und grundlegende Binnendifferenzierung der Förder- , Lern- und Qualifizierungsangebote. … Bereits in der Entwicklungs- und Erprobungsphase des neuen Fachkonzepts wurde festgestellt, dass die geforderte Individualisierung, Flexibilisierung und Binnendifferenzierung in kleinen Maßnahmen allenfalls begrenzt zu realisieren ist. Diese Problematik verstärkt sich mit der Integration des Bausteins HSA-Erwerb. Je kleiner der mit der BvB-Maßnahme beauftragte Träger und die Maßnahme selbst, desto geringer die Möglichkeiten der Binnendifferenzierung und des Einsatzes eines Teams von Fachkräften, die jeweils über spezifisiche Kompetenzen und Qualifikationen verfügen …

Erwerb des Hauptschulabschlusses – integriert in die BvB oder separat? ## Für die Zielgruppe Jugendliche, die im allgemeinbildenden Schulsystem ohne Abschluss geblieben sind, ist ein Mix aus schulischem und praktischem, berufsbzogenem Lernen geeignet. Die BvB ist in diesem Sinne einer von mehreren geeigneten Orten, an denen Jugendliche einen Schulabschluss nachholen können. Gleichzeitig sollte berücksichtigt werden, dass es Teilnehmende gibt, die sich im Rahmen der BvB nur auf ein Entwicklungsziel konzentrieren wollen und sollten, um eine Überforderung zu vermeiden. Diesem Umstand sollte bei der Priorisierung der BvB-Ziel Rechnung getragen werden. …

Empfehlungen bezogen auf das Feld der Angebote insgesamt
Maßnahmen zur Verbesserung der Datenlage umsetzen bzw. anregen
## Bundesweite Bestandsaufnahmen sind derzeit ebenso wenig möglich wie ein Vergleich der Ergebnisse zum nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen auf der Ebene der Länder, da einheitliche Daten und abgestimmte Indikatoren (z.B. im Rahmen einer Bildungsberichterstattung) fehlen. Entsprechende Daten zum HSA-Erwerb (einschließlich der Angebote des Fernunterrichts) sollten zukünftig zentral und explizit erfasst werden.

Überregionale Abstimmung der Angebote ## Innerhalb der Bundesländer kann teilweise eine Konsistenz der Angebote verzeichnet werden, diese besteht aber nicht gleichermaßen zwischen den Angeboten der Bundesländer und den Angeboten der BA. Durch eine überregionale Abstimmung könnten mehr Transparenz und möglicherweise auch Synergieeffekte erzielt werden.

Empfehlungen zu Angeboten im Rechtskreis SGB II ## Jugendliche im Rechtskreis SGB II haben zu einem deutlich höheren Anteil als Jugendliche im Rechtskreis SGB III keinen Schulabschluss erreicht. … Mit der Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind besondere Angebotsformen zur Vorbereitung auf den HSA für diese Zielgruppen auf Basis des SGB II weggefallen. Teilweise entwickeln die Grundsicherungsstellen auf kommunaler bzw. regionaler Ebene eigene Angebote. Für junge Menschen mit multiplen Problemlagen sind die Möglichkeiten zum Erwerb des HSA im Rahmen einer BvB häufig zu hochschwellig. Es ist deshalb zu überdenken, ob auf der Rechtsgrundlage des SGB II passgenau gestaltbare, niedrigschwellige Angebotsformen wieder eingeführt werden sollen. „

Autoren der Studie „Erfolgreich bestanden“:
Martina Hörmann, Bianca Lenz, Birgit Voigt.

Die Studie in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

www.inbas.com
http://www.inbas.com/index.html?shownews=550
http://www.bmas.de/portal/34844/aus__und__weiterbildung.html

Quelle: INBAS

Dokumente: 970_pub_studie_hsa_1_.pdf

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