Auszüge aus dem achten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland:
„… Die schulische Bildung
Die schulische Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist durch ermutigende Veränderungen und zugleich den Fortbestand zentraler Probleme bestimmt. Positive Veränderungen betreffen eine erfolgreichere Bildungsbeteiligung und damit verknüpft die Verringerung von Schulabbrüchen.
Weiterhin gelingt es dem schulischen Bildungssystem allerdings nur unzureichend mit sozialer und ethnischer Vielfalt umzugehen. Zu oft entscheidet Herkunft heute noch über den Schulabschluss und damit über die Zukunft. Das führt in nahezu allen Stufen des Schulsystems zu Benachteiligungen, insbesondere dann, wenn der vergleichsweise schwächere soziale Hintergrund mit dem Migrationshintergrund korreliert. Selbst bei gleichem Sozialstatus findet sich diese Gruppe seltener auf Gymnasien und häufiger auf Hauptschulen. Sie weist verzögerte Bildungsübergänge auf und wiederholt Klassenstufen häufiger. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund verlassen eine allgemeinbildende Schule nach wie vor doppelt so häufig ohne Abschluss wie Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund, während Letztere dreimal so häufig die Hochschulreife erwerben.
Trotz eingetretener Fortschritte und der in allen Ländern eingeleiteten Bildungsreformen ist hier bislang keine Trendwende zu verzeichnen.
…
Zum Schulalltag gehören heute Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere in den westdeutschen Bundesländern und in Berlin. München verzeichnet seit Jahren 50 Prozent Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund unter den Erstklässlern. Ähnlich sieht es beispielsweise in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Ludwigshafen aus. In einigen Quartieren der Großstädte hat der Anteil von Kindern unter sechs Jahren mit einem Migrationshintergrund die 75 Prozent Marke überschritten. …
Im Schuljahr 2008/2009 besuchten über 9 Millionen Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Davon waren nach der Schulstatistik über 800 000 Schülerinnen und Schüler bzw. 8,9 Prozent nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Die Mehrheit der ausländischen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen besaß im Jahr 2008 die Staatsangehörigkeit eines ehemaligen Anwerbelandes. 40,3 Prozent hatten die türkische Staatsangehörigkeit und 7 Prozent die eines der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt waren 20,5 Prozent Staatsangehörige eines EU-Landes, davon kamen 58,6 Prozent aus den ehemaligen Anwerbeländern Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.
Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einem Migrationshintergrund fällt dem gegenüber wesentlich höher aus. Der Mikrozensus weist im Jahr 2008 für 3,03 Millionen aller Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender und berufsbildender Schulen einen Migrationshintergrund aus. Von ihnen sind über 2,2 Millionen in Deutschland geboren und haben keine eigene Migrationserfahrung. …
##Das Niveau der Schulabschlüsse
Im Schuljahr 2007/2008 wurden 85 295 Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Staatsangehörigkeit – das sind 9 Prozent der gesamten Absolventinnen und Absolventen – aus den allgemeinbildenden Schulen entlassen. Die Gegenüberstellung der Schulabschlüsse von deutschen und ausländischen Schülerinnen und Schülern zeigt – trotz geringfügiger Verbesserungen im Vergleich zum Vorberichtszeitraum – weiterhin Diskrepanzen im Bildungserfolg beider Gruppen … . Verließen im Jahr 2003 noch 19,2 Prozent der ausländischen Jugendlichen das allgemeinbildende Schulsystem ohne Abschluss, so hat sich dieser Anteil von 2005 (17,5 Prozent) bis 2008 weiter reduziert (15 Prozent). Gleichwohl sind mit diesem Schuljahrgang über 13 000 ausländische Jugendliche ohne Abschluss aus der Sekundarstufe I ausgeschieden. Für sie ist der Übergang in eine berufliche Ausbildung zunächst deutlich erschwert, andererseits gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Schulabschluss nachzuholen, unter anderem … im Rahmen einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten berufvorbereitenden Bildungsmaßnahme.
Bei den Absolventinnen und Absolventen ohne deutsche Staatsangehörigkeit dominiert auch weiterhin der Hauptschulabschluss. Während rund 70 Prozent der deutschen Schulabgängerinnen und Schulabgänger einen mittleren oder höheren Abschluss erzielen, gilt dies nur für gut 40 Prozent der ausländischen Jugendlichen. Besonders eklatant ist der Abstand zwischen deutschen und ausländischen Schulabgängerinnen und Schulabgängern weiterhin bei der Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife. …
Weiterhin zeigt sich, dass – wie bei deutschen Jugendlichen auch – Mädchen im Schnitt höhere Abschlüsse erreichen als Jungen. Deutlich mehr Mädchen erreichen einen Realschulabschluss bzw. das Abitur, erheblich weniger Mädchen verlassen die Schule ohne Abschluss. Diese Zahlen sprechen nicht nur für eine hohe Bildungsmotivation dieser Mädchen, sondern belegen auch, dass viele ausländische Eltern in hohem Maße bereit sind, in die Bildung ihrer Töchter zu investieren.
Betrachtet man die Daten der Schulstatistik zu deutschen und ausländischen Schulabgängerinnen und -abgängern nach ausgewählten Bundesländern, so zeigen sich zum Teil erhebliche Unterschiede beim Schulerfolg. Die Schulabbrecherquote ausländischer Jugendlicher ist im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum des 7. Lageberichtes gesunken, ist allerdings in Niedersachsen (20 Prozent), Berlin (19,7 Prozent) und Bayern (20 Prozent) nach wie vor sehr hoch, hoch in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz (jeweils 14,1 Prozent). Andererseits erreichen ausländische Jugendliche in den Stadtstaaten und Nordrhein-Westfalen überproportional häufig das Abitur, obgleich auch hier die Quote wesentlich niedriger liegt als jene der Deutschen. Besonders niedrig ist der Abiturientenanteil an den ausländischen Schulabgängerinnen und Schulabgängern in Baden-Württemberg und Niedersachsen, während Bayern und das Saarland aufgeholt haben. …
Jugendliche ohne Abschlüsse: Nach wie vor bleibt eine nahezu konstante Anzahl 15- bis 19jähriger ohne Abschlüsse – darunter überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. Zwischen den Jahren 2005 und 2007 erfolgte zunächst eine Verringerung des Abstandes im Umfang von 0,9 Prozent, im Jahr 2008 vergrößerte sich dieser Abstand gegenüber 2007 jedoch wieder.
##Jugendliche ohne schulische Abschlüsse
Obgleich die Möglichkeiten, schulische Abschlüsse in unterschiedlichsten Bildungswegen nachzuholen zunehmend in Anspruch genommen werden, ist es nach wie vor problematisch, dass eine große Zahl Jugendlicher die Schule zunächst ohne einen Abschluss verlässt. Im Jahr 2008 verließen fast 65 000 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss, unter ihnen über 13 000 ausländische Jugendliche. Der aktuelle Bericht „Bildung in Deutschland 2010“ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass 55 Prozent der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss aus Förderschulen kommen, an denen – bis auf das Land Berlin – Hauptschulabschlüsse nicht immer erworben werden können. Erschwert wird das Erlangen schulischer Abschlüsse für Jugendliche mit Migrationshintergrund zudem durch ihre durchschnittlich erheblichen Kompetenzrückstände, die sich im Bildungsverlauf bislang offenbar nur unwesentlich verringern. …
Von den 15- bis unter 19-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund hatten im Jahr 2008 13,3 Prozent keinen Schulabschluss, 43 Prozent einen Hauptschulabschluss, 34,7 Prozent einen Realschulabschluss und 8,9 Prozent die Fachhochschulreife/das Abitur (8,9 Prozent). 155 Für fast alle Vergleichsgruppen gilt, dass die jungen Frauen im Vergleich zu den jungen Männern bessere Schulabschlüsse erreichen. Nominal weist der Mikrozensus 2008 insgesamt 170 000 Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren ohne Schulabschluss aus, davon 63 000 mit Migrationshintergrund. Damit hatten in dieser Alterskohorte, deren Migrationsanteil 23,6 Prozent betrug, mit 37 Prozent überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund keine schulischen Abschlüsse. …
Der Vergleich der 15 bis 19jährigen mit den 20 bis 24jährigen zeigt, dass die 20 bis 24jährigen Abschlüsse nachholen und sich ihre Nachholraten zwischen den Jahren 2005 und 2008 insgesamt steigerten. Jugendliche mit Migrationshintergrund nutzen offenbar die gebotenen Möglichkeiten weniger intensiv.
Die Berufliche Bildung
Nach einer erfolgreichen schulischen Bildung sind der Übergang in eine qualifizierte Berufsausbildung und ihr erfolgreicher Abschluss entscheidend … Für zwei Drittel aller Jugendlichen ist diese Form der beruflichen Qualifizierung der Einstieg ins Berufs- und Arbeitsleben. Im deutschen Bildungssystem kommt der dualen Berufsausbildung daher ein hoher Stellenwert zu. Trotz gleich hoher Ausbildungsinteressen gelingt allerdings nur jedem vierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein problemloser Übergang (bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund über 50 Prozent). Die Erhöhung ihrer Ausbildungsbeteiligung ist ein Gebot der Chancengerechtigkeit und angesichts des demographischen Wandels und des bereits eingetretenen Fachkräftemangels ohne Alternative und stellt somit einen Schlüssel für erfolgreiche Integration dar.
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Der Zugang zu einer beruflichen Erstausbildung erweist sich nach wie vor als schwierig. Nach wie vor liegen hier Ausbildungspotenziale brach. Die in der schulischen Bildung erkennbaren ersten Integrationsfortschritte sind in der beruflichen Bildung bislang nicht angekommen. Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund weisen erheblich verzögerte Übergänge in eine Ausbildung und eine geringere Ausbildungsbeteiligung gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und daraus resultierend ein deutlich niedrigeres berufliches Bildungsniveau auf. Die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Alter von 20 bis 24 Jahren verfügt über keinen beruflichen Abschluss, unter den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund betrifft das ein Viertel. …
Nicht hinzunehmen ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei gleicher Eignung bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen zu kurz kommen. Damit sind keineswegs nur bildungs- und arbeitsmarktpolitische Probleme und erschließbare stille Reserven angesprochen; verwiesen wird vor allem auf die weitreichenden sozialen Folgeprobleme von Ausbildungsdiskriminierung, niedrig qualifizierter Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und den damit einhergehenden Folgen für die gesellschaftliche Integration und die sozialen Sicherungssysteme.
Die Übergangsprozesse von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung sind für Jugendliche mit Migrationshintergrund oft besonders schwierig und langwierig…
Drei Monate nach dem Schulabschluss hat im Durchschnitt jeder zweite Jugendliche ohne Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz gefunden, bei Jugendlichen
mit Migrationshintergrund ist das erst nach 17 Monaten der Fall. Zweieinhalb Jahre nach dem Verlassen der Schule haben etwa 60 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Lehrstelle, bei denjenigen ohne Migrationshintergrund sind es 77 Prozent. …
Dementsprechend sind Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund bei den sog. Altbewerbern deutlich überrepräsentiert: 55 Prozent hatten sich bereits im Jahr oder in den Jahren zuvor auf eine Lehrstelle beworben, 45 Prozent sind es bei denjenigen ohne Migrationshintergrund. Je älter sie sind und je länger sie sich bereits auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz befinden, desto geringer sind die Aussichten der Altbewerber auf eine vollqualifizierende Ausbildung. …
In Bezug auf die Ausbildungsbereitschaft und die Suchstrategien nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule unterscheiden sich Jugendliche mit Migrationshintergrund allerdings kaum von den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Sie nutzen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz dieselben Suchkanäle wie Nicht-Migranten. Ein Unterschied, der jedoch ihre niedrige Einmündungsquote nicht vollständig erklären kann, ist die Benutzung der sozialen Netzwerke: Während nichtstudienberechtigte Jugendliche ohne Migrationshintergrund in 76 Prozent der Fälle auf die Hilfe von Eltern, Familienangehörigen, Bekannten und Freunden bei Kontaktaufnahme zu Betrieben zurückgriffen, waren es bei Migrantinnen und Migranten 63 Prozent. Gründe für die niedrigere Ausbildungseinmündung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind daher vor allem in der schulischen Vorbildung, aber auch noch immer in Vorurteilen zu finden. …
##Die Ausbildungsbeteiligung von jugendlichen Migranten
…Insgesamt stellt sich die Verteilung der ausländischen Jugendlichen unter den Neuzugängen zur beruflichen Bildung wesentlich ungünstiger dar als die der deutschen Ausbildungsanfänger. Verteilt sich die Gesamtheit der Neuzugänge zu 43,5 Prozent auf die duale Ausbildung, zu knapp 17 Prozent auf das Schulberufs- und zu 40 Prozent auf das Übergangssystem, so sind die entsprechenden Werte für ausländische Jugendliche 28 Prozent, 11,5 Prozent und gut 60 Prozent. Dies bedeutet auch, dass sie im vollqualifizierenden (dualen und schulischen) Berufausbildungssystem deutlich unter-, im Übergangssystem stark überrepräsentiert sind. Die reduzierten Chancen auf eine qualifizierte Ausbildung verteilen sich regional zudem sehr unterschiedlich. Bei den Ländern mit hohen Ausländeranteilen an den Schulentlassenen – dies sind mit jeweils über 12 Prozent die Stadtstaaten sowie als Flächenländer Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg – sind die Chancen für ausländische Jugendliche am schlechtesten. Da Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg mehr großstädtische Zentren als etwa Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz besitzen, liegt es nahe, die Hauptrisikozonen für die Ausbildungsversorgung junger Ausländer in großstädtischen Ballungszentren zu sehen.
Den Bericht in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem aufgeführtem Link oder dem Anhang.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/024/1702400.pdf
Quelle: Pressedienst des Deutschen Bundestages
Dokumente: 1702400_Bericht_zur_Lage_der_Auslaender_innen.pdf