Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle will mit besserer Integration mehr Wachstum in Deutschland schaffen. Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt für ihn, dass im Bereich der Qualifizierung große Potentiale liegen. Laut der Studie sind Menschen mit Migrationshintergrund besonders von Arbeitslosigkeitsrisiken betroffen. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in Sprachdefiziten: Wird im eigenen Haushalt nicht Deutsch gesprochen, steigt das Arbeitslosigkeitsrisiko gegenüber anderen Migranten um 60 Prozent an. Auch beim Schulabschluss und beim Beginn in berufliche Bildung zeigen sich signifikate Unterschiede.
Ein besonderer Gewinn für alle wird in der speziellen Förderung junger Migranten gesehen. Sie sichert den sozialen Zusammenhalt und ist für die Volkswirtschaft von großem Nutzen. Für eine gelingende Integration sind gute Deutschkenntnisse besonders entscheidend. Wichtig ist daher, dass Migranteneltern sich mit ihren Kindern im Alltag auf Deutsch unterhalten. Von großer Bedeutung ist auch die Sprachförderung in den Kindergärten, um jungen Migranten bessere Startchancen zu sichern.
Auszüge aus der Studie Integrationsrendite – Volkswirtschaftliche Effekte einer besseren Integration von Migranten:
„Stand der Integration
Die wichtigsten Befunde zum Stand der Integration der erwachsenen Bevölkerung lassen sich bezüglich des Bildungsniveaus, des Arbeitsmarktzugangs und der Einkommensmobilität beziehungsweise der Armutsrisiken differenzieren. Dabei werden eigene Auswertungen des Soziooekonomischen Panels, des Mikrozensus, des International Adult Literacy Survey sowie weitere amtliche Daten zugrunde gelegt. Die wesentlichen Erkenntnisse für den Zugang zu Bildung sind:
…
##Die Migrantenbevölkerung mit eigener Migrationserfahrung im Alter von 25 bis 64 Jahren liegt mit einer Hochschulabschlussquote von 15 Prozent über jener der Migrantenbevölkerung ohne Migrationserfahrung (11 Prozent). Umgekehrt weisen 56 Prozent der Migranten ohne eigene
Migrationserfahrung einen Abschluss des beruflichen Bildungssystems auf, während dieser Anteil bei der Bevölkerung mit eigener Migrationserfahrung nur 42 Prozent beträgt.
##Schulabgängern mit Migrationshintergrund und maximal mittlerem Schulabschluss gelingt deutlich seltener ein erfolgreicher Übergang in die berufliche Bildung als Nicht-Migranten mit demselben formalen Bildungshintergrund. Während 60 Prozent der Nicht-Migranten einen
unmittelbaren oder raschen dauerhaften Übergang in eine betriebliche oder nicht-betriebliche Ausbildung erreichen, liegt die entsprechende Quote für Migranten bei 43 Prozent.
…
##Die Hauptursachen für die schlechteren Übergangschancen Jugendlicher mit Migrationshintergrund sind weniger Unterschiede bei ihren Zielen oder Präferenzen, sondern häufig Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Nicht-Migranten. Nach der PISA-Untersuchung aus dem Jahr 2006 sind im Schwerpunktbereich Naturwissenschaften 40 Prozent der Migranten ohne
eigene Migrationserfahrung (2. Generation) als Risikogruppe einzustufen. Diese als bildungsarm zu bezeichnende Gruppe beträgt unter den 15-jährigen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund lediglich gut 10 Prozent.
##Der Bildungshintergrund der Eltern, der Besuch einer frühkindlichen Bildungseinrichtung, der Zugang zu Lernmitteln im Elternhaus und die Freude am Unterricht sind wichtige Einflussgrößen für die Kompetenzen der 15-jährigen Schüler. Migranten stammen häufiger aus bildungsfernen Elternhäusern, besuchen seltener einen Kindergarten, haben einen geringeren Zugang zu Lernmitteln und arbeiten seltener mit Begeisterung in der Schule mit.
…
Die ungünstigeren Eckdaten zur Qualifikation der Migrantenbevölkerung spiegeln sich auch in zentralen Arbeitsmarktkennziffern wider. Die wichtigsten Befunde beim Zugang zum Arbeitsmarkt:
##Unter der erwerbstätigen Bevölkerung sind Migranten in Arbeitertätigkeiten überrepräsentiert (49 zu 26 Prozent bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund), bei der Beamten- und
Angestelltenbeschäftigung unterrepräsentiert.
##Auch wenn die Erwerbslosenquoten von Migranten und Nicht-Migranten mit gleicher formaler Qualifikation verglichen werden, ergeben sich Unterschiede. Die qualifikationsspezifische Erwerbslosenquote ist bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Jahr 2007 deutlich höher, insbesondere bei den Hochqualifizierten mit knapp 10 Prozent gegenüber einer Erwerbslosenquote von 3 Prozent in dieser Gruppe bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund …
##Ein wesentlicher Grund für die höhere Arbeitslosenquote besteht in vorhandenen Sprachdefiziten. Bei gegebenem Alter, Geschlecht und Qualifikationsniveau steigt das Arbeitslosigkeitsrisiko
gegenüber anderen Migranten um 60 Prozent an, wenn im Haushalt nicht Deutsch gesprochen wird. Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind daher für den späteren Arbeitsmarkterfolg sehr hilfreich.
##Sind Migranten erwerbstätig, so erreichen sie – kontrolliert um Branche, Qualifikation, Berufserfahrung und Geschlecht – etwa die gleichen Bruttostundenlöhne wie die Erwerbstätigen ohne
Migrationshintergrund. Der durchschnittliche Lohnunterschied von 9 Prozent wird somit vollständig durch ein durchschnittlich geringeres Bildungsniveau, eine geringere Berufserfahrung und längere Phasen der Erwerbsunterbrechung erklärt.
…
##Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für Migranten mit eigener Migrationserfahrung erschwert, wenn im Ausland erworbene Abschlüsse nicht anerkannt werden. So haben etwa 2,9 Millionen Migranten in Deutschland ihre beruflichen Abschlüsse im Ausland erworben. Unter den ALG-II-Beziehern wurde nur einem Drittel ihr im Ausland erworbener Abschluss anerkannt. Formale Anerkennungen spielen zudem bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis eine Rolle. Zugängliche und transparente Anerkennungsverfahren sind daher wichtig für den Integrationserfolg.
Der Zugang zu Bildung und Beschäftigung bestimmt schließlich auch maßgeblich die absolute und relative Einkommensposition. Die wesentlichen Befunde zur Einkommensmobilität und Armutsrisiken von Migranten:
##Auch bei der Untersuchung von Armutsrisiken zeigt sich, dass die Qualifikation entscheidend für den Integrationserfolg ist. Geringqualifizierte Migranten weisen ein fast doppelt so hohes Armutsrisiko wie geringqualifizierte Nicht-Migranten auf. Erreichen die Migranten einen mittleren beruflichen Abschluss, so unterscheidet sich ihr Armutsrisiko nicht von dem der Nicht-Migranten mit abgeschlossener Berufsausbildung. …
Politikempfehlungen
Jugendliche Migranten werden in Deutschland mithilfe verschiedener kurzfristig wirkender Programme gefördert. Maßnahmen der Berufsvorbereitung und Berufsorientierung sind mit Kosten
von knapp 25.000 Euro pro anschließend besetztem Ausbildungsplatz verbunden. Das EQJProgramm hingegen verursacht lediglich Kosten von etwa 7.500 Euro pro anschließend besetztem zusätzlichen Ausbildungsplatz.
Gemessen an der erwachsenen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und ohne beruflichen Abschluss besteht bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ein Qualifizierungsbedarf von rund 620.000 Personen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren und von rund 730.000 Personen im Alter zwischen 35 und 44 Jahren. Auch bei älteren Personen besteht ein erheblicher Qualifikationsbedarf. Zur Verbesserung der kurzfristigen Förderkulisse ergeben sich folgende Empfehlungen, mit denen die Nachqualifizierung gestärkt werden kann:
##Ein weiteres kurzfristiges Potenzial besteht in der besseren Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen. …
Langfristig könnten Reparaturmaßnahmen vermieden werden, wenn die Ausbildungsreife der Migranten bereits gegen Ende der Schulzeit erreicht wird. Zur Verbesserung der Ausbildungsreife kann von folgenden Überlegungen ausgegangen werden:
…
an, während es am oberen Ende zu keinen signifikanten Veränderungen kommt. Die BIJU-Studie zeigt jedoch, dass bisherige Erfahrungen mit Gesamtschulsystemen in Deutschland diese positiven Ergebnisse für die gesamte Schuldauer nicht bestätigen. Aus diesen Ergebnissen wird als Reformempfehlung eine spätere Trennung in einer insgesamt weiterhin gegliederten Struktur vorgeschlagen.
##Eine individuelle Förderung von Jugendlichen hat unabhängig von der Schulstruktur signifikant positive Effekte. Durch eine Stärkung der Selbstwirksamkeit kann die Motivation der Schüler deutlich gestärkt werden mit der Folge besserer Ergebnisse. Ebenso weisen mehr
Schulautonomie, verbunden mit standardisierten Vergleichsarbeiten, sowie eine zielorientierte Lehrervergütung positive Effekte auf. Letztere kann mit der Lehrerfortbildung verknüpft werden, um dort integrationsspezifische Aspekte zu berücksichtigen und Instrumente zu Stärkung der Selbstwirksamkeit von Schülern anzubieten. Ferner zeigen erste Erfahrungen mit Ganztagsschulen, dass diese positive Effekte auf die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund
haben.
Langfristig wirksam sind daher Maßnahmen, die die Kompetenzen der Migranten bis zum Ende der Schulzeit fördern. Im Einzelnen werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
##Ziel beim Ausbau der Infrastruktur sollte es sein, dass 35 Prozent der unter dreijährigen Kinder mit Migrationshintergrund eine frühkindliche Einrichtung besuchen können. Ferner sollte für Kinder ab einem Alter von drei Jahren eine Besuchsquote von Kindertagesstätten von 100 Prozent angestrebt werden. Des Weiteren ergeben sich bei einer besseren frühkindlichen Förderung und damit verbundener Höherqualifizierungseffekte zusätzlich notwendige Plätze in der Oberstufe, in der beruflichen Ausbildung und an den Hochschulen.
Fiskalische Erträge der Politikmaßnahmen
Die kurzfristig wirksamen Maßnahmen führen zu zusätzlichen Kosten und Erträgen der öffentlichen Hand, die für die Berechnung einer Integrationsrendite herangezogen werden können.
##Die Höherqualifizierung ist mit Kosten für die öffentliche Hand verbunden. Die Nachqualifizierungsmaßnahmen betragen pro zusätzlichen Ausbildungsplatz zwischen 7.500 und knapp 25.000 Euro. Während der beruflichen Ausbildung entstehen Kosten für den Ausbildungsplatz in Höhe von jährlich 2.200 Euro für drei Jahre. In dieser Zeit muss die öffentliche Hand auf mögliche Steuern und Sozialabgaben eines geringqualifizierten Migranten verzichten, spart aber gleichzeitig Kosten einer möglichen Arbeitslosigkeit. In der Differenz bedeutet dies Kosten von jährlich rund 8.000 Euro für die Dauer von drei Jahren. …
##Stellt man die Kosten und Erträge der kurzfristig wirksamen Maßnahmen zur Verbesserung der Integration von Migranten gegenüber, so ergibt sich für die öffentliche Hand für die kurzfristig
wirksamen Maßnahmen eine Rendite von 6 bis 9 Prozent.
Langfristig sollten diese Maßnahmen im Übergangssystem vermieden werden können, wenn es gelingt, die Ausbildungsreife von Migranten dem Niveau der Nicht-Migranten anzugleichen. Die dafür notwendigen Reformen sind ebenso mit Kosten und Erträgen verbunden, auf deren Basis die Berechnung einer Integrationsrendite erfolgt:
##Durch eine Halbierung der Qualifikationsunterschiede zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund („halbe Integration) erhöht sich langfristig die jährliche Wachstumsdynamik des BIP um etwa 0,1 Prozentpunkte. Dadurch nehmen die Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen zu. Die zusätzlichen Einnahmen liegen im Jahr 2020 bei jährlich 6 Mrd. Euro und steigen bis zum Jahr 2050 auf jährlich rund 39 Mrd. Euro an. Beim Szenario „volle Integration“
würden sich im Jahr 2050 sogar jährliche Erträge von knapp 66 Mrd. Euro ergeben. …
##Stellt man die Kosten den Erträgen der langfristig wirksamen Maßnahmen zur Verbesserung der Integration von Migranten gegenüber, so ergibt sich für die öffentliche Hand eine hohe Rendite von 12 (Szenario „halbe Integration“) bis 14 Prozent (Szenario „volle Integration“). Ähnliche Effekte ergeben sich, wenn ein Wachstumsmodell statt auf der Basis von formalen Qualifikationen auf Basis von Kompetenzen zur Kalkulation der Effekte verwendet wird. …
Maßnahmen zu einer besseren Integration lohnen sich folglich für den Staat und die Volkswirtschaft und sollten vor allem prioritär an der Förderung der Ausbildungsreife von Migranten ansetzen. Durch den damit verbundenen besseren Übergang in das berufliche Bildungssystem reduziert sich das Arbeitslosigkeitsrisiko der Migranten, die Aufstiegsmobilität steigt und die Armutsrisiken sinken. Insgesamt kann dadurch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ein wichtiger Beitrag zur langfristigen Stärkung der Wachstumskräfte in Deutschland geleistet werden.
…“
Die Studie in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Service/publikationen.html
Quelle: BMWI