Mangelnde Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt

In seiner Publikation „arbeitsmarkt aktuell“ greift der DGB die Problematik der Arbeitsmarktintegration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf. Auszüge aus der Veröffentlichung Jugendliche mit Migrationshintergrund: Am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt:
„…
Geringere Chancen auf höhere Schulabschlüsse
Schulabschlüsse sind die grundlegende Vorraussetzung zu beruflicher und sozialer Partizipation. Mit dem Schulabschluss werden wichtige Weichen in das Berufsleben gestellt. Ohne Schulabschluss ist es schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden. Auch Jugendliche mit Haupt- oder Förderschulabschluss haben kaum die direkte Chance auf einen Ausbildungsplatz.
Zu diesen benachteiligten Jugendlichen, die nur mit viel Mühe und sehr spät einen Ausbildungsplatz finden, zählen insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil an den Haupt- und Förderschülern ist überdurchschnittlich hoch. In 2008 befanden sich 28 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund im schulpflichtigen Alter in einer Hauptschule, bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund waren es nur 12 Prozent. Auch der Anteil der Förderschüler ist bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit 14 Prozent höher, als bei denen ohne Migrationshintergrund. Ganz ohne Schulabschluss waren 4,4 Prozent der 18 bis 25 Jährigen mit Migrationshintergrund, bei denjenigen ohne Migrationshintergrund waren es 1,6 Prozent. … Allerdings darf man daraus nicht schließen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund dümmer wären, als ihre Altersgenossen. Sie haben jedoch schlechtere Chancen und häufiger sprachliche Probleme, soweit Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. … Bildungschancen sind für viele Kinder und Jugendliche demnach schon dadurch verbaut, weil ihre Eltern eine niedrige Qualifikation besitzen bzw. sozial benachteiligt sind. Da Eltern mit Migrationshintergrund relativ oft über schlechtere Bildungsabschlüsse verfügen, verfestigt sich so schnell Chancenungleichheit in Gesellschaft und Arbeitswelt.

Größere Hürden bei beruflicher Ausbildung
… Jugendliche mit Migrationshintergrund haben bei der Ausbildungsplatzsuche offensichtlich schlechtere Chancen, als ihre Altersgenossen. Auch bei gleichen Abschlüssen, gleichem Engagement, trotz höherer Mobilität und Umzugsbereitschaft, finden sie seltener einen Ausbildungsplatz.
Sie werden seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und verfügen über weniger Netzwerke und Beziehungen, die für die Ausbildungsplatzsuche nützlich sein könnten. Die besonders hohen Hürden für Jugendliche mit Migrationshintergrund an der ersten Schwelle (Übergang Schule in Ausbildung) haben zur Folge, dass sie häufig ohne Berufsabschluss bleiben.
So verfügte in 2008 jede/r vierte Jugendliche unter 25 Jahren ohne Migrationshintergrund über einen Berufsabschluss. Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund war es nur jede/r sechste. Bei den über 25-Jährigen war jede/r elfte ohne Migrationshintergrund ohne beruflichen Abschluss. Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund war fast jede/r dritte ohne beruflichen Abschluss. …

Jede/r dritte Jugendliche mit Migrationshintergrund benötigt Hartz IV
Entsprechend dem überdurchschnittlich hohen Risiko von Arbeitslosigkeit bei Migrationshintergrund, ist auch das Risiko von Hartz IV-Bedürftigkeit bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund besonders hoch.
Die Hilfequote aller Erwerbsfähigen mit Migrationshintergrund betrug in 2008 19 Prozent. Das bedeutet, jede/r Fünfte zwischen 15 und 65 Jahren mit Migrationshintergrund war zu diesem Zeitpunkt auf Hartz IV angewiesen. Ohne Migrationshintergrund betrug die Hilfequote 8 Prozent, d.h. jede/r Zwölfte ohne Migrationshintergrund war auf Hartz IV angewiesen. Besonders hoch war die Hilfequote in der Altersgruppe der 15 bis 24-Jährigen. 33 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund benötigten Hartz IV zum Lebensunterhalt. Das waren ca. 750.000 Jugendliche. ..

Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Hartz IV zeigen sich insbesondere in der sozialen Situation. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind objektiv schlechter gestellt, als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Sie sind von finanzieller Not besonders betroffen und müssen mehr Einschränkungen hinsichtlich Taschengeld, Klassenfahrten, Geburtstagsfeiern hinnehmen. Außerdem leben sie öfter auf beengtem Wohnraum. Allerdings sind sie zufriedener mit ihrem Leben, fühlen sich gesünder und leiden seltener unter Konflikten in der Familie. Ihre Familien sind außerdem seltener verschuldet.
Dass Kinder- und Jugendliche mit Migrationshintergrund auch tatsächlich gesünder leben, ist jedoch nicht der Fall. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey 2003-2006 stellt für die unter 17-Jährigen fest: Kinder- und Jugendliche mit Migrationshintergrund rauchen zwar seltener, dafür sind sie häufiger übergewichtig, seltener gegen Tetanus geimpft, Jungen mit Migrationshintergrund sind häufiger verletzt (insbesondere türkische Jungen) und wenn beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, gehen sie mit ihren Kindern seltener zu Früherkennungsuntersuchungen.

… Der Grad der Integration sowie die Sicherheit des Aufenthaltstatus haben ebenfalls Einfluss auf das subjektive Wohlempfinden: Bei guter Integration und sicherem Aufenthaltsstatus empfinden weniger Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ihren Gesundheitszustand als schlecht oder sehr schlecht.

Fehlende Berufsabschlüsse und traditionelle Geschlechterrollen sind häufiges Vermittlungshemmnis
Insgesamt zählen unzureichende Deutschkenntnisse, fehlende berufliche Qualifikationen, fehlende Berufserfahrung, fehlende Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und traditionelle Geschlechterrollen zu den Vermittlungshemmnissen bei Arbeitslosen mit Migrationshintergrund. Für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind die fehlen-den Berufsabschlüsse, aber auch die traditionellen Geschlechterrollen maßgeblich.
Auch bei der Gruppe der Hartz IV-Bedürftigen Jugendlichen haben diejenigen mit Migrationshintergrund deutlich seltener einen Berufsabschluss. Nur etwa jeder zehnte jugendliche Hilfeempfänger mit Migrationshintergrund verfügt über einen Berufsabschluss, aber jeder vierte ohne Migrationshintergrund.Insbesondere türkische und osteuropäische Mädchen haben nur selten einen Berufsabschluss. Dies dürfte auch mit tradierten Geschlechterrollen zusammenhängen. …

Im Vergleich zur Elterngeneration sind die Sprachkompetenzen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund jedoch deutlich besser. 81 Prozent fällt es leicht, sich schriftlich auszudrücken, 90 Prozent fällt es leicht, sich mündlich auszudrücken, wobei die Jungen noch eher Probleme haben, als die Mädchen. Im Ausland erworbene Abschlüsse spielen bei den Jugendlichen keine Rolle. Die mangelhafte Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland betrifft hauptsächlich die Elterngeneration mit Migrationshintergrund, hier insbesondere diejenigen aus den ehemaligen GUS-Staaten und Osteuropa.

Im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund haben Jugendliche mit Migrationshintergrund laut Einschätzung der Vermittler/innen in den ARGEn jedoch seltener Suchtprobleme (ausgenommen junge männliche Aussiedler aus den ehemaligen GUS-Staaten) und erfahren einen größeren Rückhalt in der Familie.

Allerdings kann gerade das Festhalten an traditionellen Familienformen zu Problemen bei der individuellen Entwicklung und der gesellschaftlichen Integration führen. Insbesondere für Frauen und Mädchen können die starken familiären Strukturen Integrationsprobleme mit sich bringen. Hier gilt es, die Rolle der Frauen in der Familie zu stärken. Dies kann bspw. durch gute Deutschkenntnisse und Erwerbstätigkeit geschehen. Generell sollte es das Ziel der Vermittler/innen in den Arbeitsagenturen sein, mindestens ein Elternteil in Bedarfsgemeinschaften in Erwerbstätigkeit zu bringen, damit Arbeitslosigkeit in der Familie nicht als ´normal´ erlebt wird.

Männliche Aussiedler erhalten vom Jobcenter die meisten Ausbildungsangebote
Fast jeder vierte männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund erhielt laut einer Befragung im Frühjahr 2008 ein Angebot für einen Ausbildungsplatz (23,8%). Schaut man genauer hin, tun sich dabei jedoch enorme Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen auf. Insbesondere junge männliche Aussiedler erhielten häufig Angebote. Hier erhielt jeder Dritte ein Angebot (35,9%), bei türkischem Migrationshintergrund erhielt nur jeder achte Jugendliche ein Angebot (12,8%).

Mädchen mit Migrationshintergrund erhalten seltener Angebote als Jungen und seltener, als deutsche Mädchen. Auch bei den Mädchen gab es die meisten Ausbildungsangebote für Aussiedlerinnen (19,8%), bei den Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund erhielten nur 7 Prozent ein Angebot. Mädchen mit Migrationshintergrund haben demnach noch mal deutlich schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz, als Jungen. Die Gefahr, ohne Berufsabschluss zu bleiben, ist bei ihnen noch größer.

Die Vermitler/innen in den ARGEn haben die Problemgruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund durchaus im Blickfeld. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben, werden Jugendliche schwerpunktmäßig betreut und erhalten mehr Angebote als Erwachsene. Allerdings unterscheidet sich die Häufigkeit der Angebote extrem nach Herkunftsland und Geschlecht. Hier werden die einfacher zu vermittelnden Jugendlichen bevorzugt. Insbesondere Mädchen sind dadurch benachteiligt. Statt eventuell vorhandene Widerstände gegen eine berufliche Ausbildung aufgrund tradierter Rollenbilder abzubauen, wird der Ausgrenzung der Mädchen aus dem Arbeitsleben nicht entgegengewirkt. …

Schlussfolgerungen und Forderungen
Die Probleme junger Menschen mit Migrationshintergrund beim Übergang in Ausbildung und Beschäftigung sind größer als derjenigen ohne Migrationshintergrund.

Die Ursachen hierfür sind durchschnittlich niedrigere Schulabschlüsse aufgrund der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem, die angespannte Situation am Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren sowie der Migrationshintergrund an sich. Selbst bei gleichen Schulabschlüssen und gleichen Schulnoten haben Jugendliche mit Migrati-onshintergrund geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Die doppelte Benachteiligung an der ersten Schwelle setzt sich an der zweiten Schwelle meist fort. Aufgrund oftmals fehlender Berufsabschlüsse und schlechteren Chancen sind Jugendliche mit Migrationshintergrund auch in der Arbeitswelt benachteiligt.
Daraus folgt ein höheres Risiko von Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit. Jede/r dritte Jugendliche mit Migrationshintergrund ist auf Hartz IV angewiesen. Um die strukturelle Benachteiligung aufzubrechen, sind bessere Bildungschancen für Kinder- und Jugendliche mit Migrationshintergrund notwendig.

Dazu muss sich das deutsche Bildungssystem umstellen, hin zu möglichst früher und möglichst individueller Förderung, weg von der systematischen Ausgrenzung sozial Schwacher. Frühkindliche Förderung, Ganztags- und Gesamtschulen sowie ein generell inklusiveres Bildungssystem, das nicht aussortiert, sind hierfür notwendig. Die für Bildung zuständigen Bundesländer müssen mehr Geld in Bildung investieren und dürfen ihren Bildungsauftrag nicht vernachlässigen und Schulabbrecher, schlechte Schulabschlüsse und damit Arbeitslosigkeit produzieren.

Gerade im Zeitalter der Globalisierung sind zweisprachige und bikulturelle Beschäftigte für Unternehmen von großem Vorteil. Unternehmen die gezielt auf Diversität – also eine gemischte Belegschaft – achten, sind nachweislich erfolgreicher als Unternehmen mit homogenen Belegschaften. Die Diversity Strategien der Unternehmen in Deutschland müssen ausgebaut werden. Um Arbeitsuchende (und Unternehmen) vor Vorurteilen zu schützen, sind Bewerbungsunterlagen im angelsächsischen Raum in der Regel anonymisiert. Das bedeutet, nur die Qualifikationen sind ersichtlich (und spielen eine Rolle), jedoch nicht der Name, das Foto oder das Geschlecht.

Des Weiteren müssen die Vermittler/innen in den Arbeitsagenturen auf die sehr heterogene Gruppe der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund besser vorbereitet werden. Interkulturelle Weiterbildungen und eine Handgabe, wie insbesondere mit tradierten Geschlechterrollen umzugehen ist, welche eindeutige Vermittlungshemmnisse bei Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund darstellen, sind dafür notwendig. …

Damit alle Jugendlichen die gleichen Möglichkeiten in der Ausbildungs- oder Arbeitsvermittlung haben, sollten unter 25-Jährige, die auf Hartz IV angewiesen sind, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz durch die Agenturen für Arbeit betreut werden. Bisher erfolgt die Betreuung in einem Zwei-Klassen-System. Jugendliche, die aufgrund der Bedürftigkeit ihrer Familien Hartz IV benötigen, sind bei der Ausbildungssuche benachteiligt.
Sie können in Ein-Euro-Jobs abgeschoben werden oder bekommen Druck, aufgrund der Bedürftigkeit ihrer Familie so schnell wie möglich Geld zu verdienen – auf Kosten weiter-führender Schulabschlüsse oder einer (Wunsch)Ausbildung. …

Für die ca. 1,5 Mio. Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zwischen 20 und 29 Jahren, die noch ohne Berufsabschluss sind, ist eine breit angelegte Nachqualifizierungsinitiative notwendig. Dem Recht auf einen Schulabschluss muss ein Recht auf eine Ausbildung folgen. Diese Qualifikationsinitiative ist von gesellschaftspolitischer Wichtigkeit und muss deshalb vorrangig aus Steuermitteln finanziert werden.“

Die Publikation in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

www.dgb.de/themen/++co++93abb5e6-5dcc-11df-79f5-00188b4dc422/@@index.html
www.migration-online.de
www.ausbildung-für-alle.de

Quelle: DGB Bundesvorstand – Bereich Arbeitsmarktpolitik

Dokumente: arbeitsmarkt_aktuell_6_2010_Jugendliche_mit_Migrationshintergrund_am_Arbeitsmarkt.pdf

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