Abwanderung aus neuen Bundesländern: ‚Weibliche Auszubildende ziehen doppelt so häufig um wie ihre männlichen Kollegen‘

Auszüge aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema ‚Folgen der Abwanderung für die neuen Bundesländer‘: Zur Bevölkerungsentwicklung in Ost- und Westdeutschland (Frage 62): “ … Im Westen (einschließlich Berlin Ost) ist ein mäßiges Wachstum der Bevölkerungszahl bei gleichzeitigem Anstieg des Altersdurchschnitts der Bevölkerung zu beobachten. Im Osten (ohne Berlin Ost) ist ein Rückgang der Bevölkerungszahl eingetreten zugleich ist der Altersdurchschnitt stärker als im Westen angestiegen. Der Anstieg der Bevölkerungszahl in Westdeutschland beruht auf Wanderungsgewinnen, die den Sterbefallüberschuss mehr als ausgleichen. Der schnelle Bevölkerungsrückgang im Osten tritt aufgrund des Zusammentreffens der negativen Wanderungsbilanz mit dem Überschuss der Gestorbenen über die Lebendgeborenen ein. Die Hauptursache des gestiegenen Altersdurchschnitts der Bevölkerung ist die seit der Mitte der 70er-Jahre (Westdeutschland) bzw. seit den 90er-Jahren (Ostdeutschland) sehr niedrige Geburtenrate, sowie die kontinuierlich steigende Lebenserwartung. In den neuen Bundesländern hat sich das demografische Altern durch die Abwanderung vor allem jüngerer Menschen beschleunigt. Im Einzelnen haben sich folgende demografische Trends zwischen 1991 und 2003 vollzogen: 1. Bilanz der Lebendgeborenen und Gestorbenen Seit 1991 lag die Sterberate in West- und Ostdeutschland fast durchweg höher als die der Lebendgeburten. Diese wird in Zukunft aufgrund der geringen Geburtenrate weiter zunehmen. Im genannten Zeitraum sind in Westdeutschland 404 000 und in Ostdeutschland 975 000 Menschen mehr gestorben als geboren worden. 2. Binnenwanderung zwischen den alten und neuen Bundesländern Aufgrund der Binnenwanderung hat sich die Bevölkerung in Ostdeutschland insgesamt um 712 000 Personen verringert. Starke Bevölkerungsverluste sind in der ersten Hälfte der 90er-Jahre und ab dem Jahr 2000 eingetreten. Allerdings hat sich die negative Bilanz 2002 und 2003 wieder abgeschwächt. 3. Wanderungen zwischen beiden Teilen Deutschlands und dem Ausland Über den Zeitraum seit 1991 betrachtet, haben beide Regionen Deutschlands einen positiven Wanderungssaldo gegenüber dem Ausland. Zuwanderung aus dem Ausland findet allerdings in erster Linie nach Westdeutschland statt Westdeutschland verzeichnet einen positiven Außenwanderungssaldo von 3,58 Millionen und Ostdeutschland von 431 000 Personen. 4. Gesamtwanderungsbilanz Der Zusammenfall des positiven Binnenwanderungssaldos (712 000) und des positiven Außenwanderungssaldos (3,58 Millionen) führte in Westdeutschland zu einem Überschuss der Zu- über die Fortzüge von 4,29 Millionen Personen. In Ostdeutschland ist der positive Außenwanderungssaldo (431 000) durch die Binnenwanderungsverluste (712 000) in eine negative Gesamtbilanz (281 000) verkehrt worden. 5. Bevölkerungsbilanz Die Bevölkerung in Westdeutschland ist zwischen 1991 und 2003 um 3,89 Millionen Menschen angestiegen. Ursache dafür ist, dass die Wanderungsgewinne deutlich höher sind als die Überschüsse der Gestorbenen über die Lebendgeborenen. In Ostdeutschland ist ein Bevölkerungsrückgang von 1,26 Millionen Menschen eingetreten. Dieser Rückgang ist mehrheitlich auf die niedrige Geburtenhäufigkeit und damit den hohen Sterbefallüberschuss zurückzuführen. … “ Zu den Folgen der Bevölkerungsentwicklung in den neuen Ländern für die Kinder- und Jugendhilfe (Frage 42): “ … Eine generelle Tendenz der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung für Ostdeutschland wird sein, dass in den nächsten Jahren die Anzahl der geborenen Kinder zunächst bis 2010 geringfügig ansteigt, sofern sich die Geburtenrate – wie erwartet – bis 2010 an die der alten Länder angleicht. Unter dieser Voraussetzung wird die Anzahl der geborenen Kinder von 95 800 im Jahre 2002 auf 100 800 im Jahre 2010 zunehmen (+5,2 %), um dann anschließend aber wieder zurückzugehen. Allerdings ist gerade für Ostdeutschland zu berücksichtigen, dass die Entwicklung für die einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich ausfallen wird. Nur ein Beispiel hierzu: Während in Thüringen bis 2010 die Zahl der unter 1-Jährigen um 15,4 % zunehmen wird, liegen die Steigerungsraten in den anderen ostdeutschen Bundesländern lediglich zwischen 2,3 % und 4,8 %. … Der stärkste Zuwachs ist nach der Bevölkerungsvorausberechnung mit Basisjahr 2002 bei den 6- bis unter 10-Jährigen mit einem Anstieg von fast 24 % bis zum Jahre 2015 zu erwarten (…). Bei den Kindergartenkindern fallt der Zuwachs mit 7 % geringer aus. Die Zahl der unter 3-Jährigen wird zunächst bis 2004 leicht zurückgehen, um dann allmählich wieder anzusteigen. … Die Struktur Kinder- und Jugendarbeit in den ostdeutschen Ländern wird in den nächsten Jahren mit dem Geburtenrückgang der ersten Hälfte der 90er-Jahre konfrontiert werden. Der Rückgang der Zahl der Heranwachsenden, speziell bei den 14- bis unter 18-Jährigen, wird bis 2009 andauern. Bis zu diesem Jahr wird die Anzahl der Jugendlichen bis auf 40 % des Ausgangswertes zurückgehen (…). Angesichts dieses zu erwartenden erheblichen Rückgangs der Zahl der Jugendlichen in Ostdeutschland wird die derzeitige Infrastruktur der Kinder- und Jugendarbeit kaum flächendeckend erhalten werden können. Hier sind die kommunale Jugendhilfeplanung ebenso wie die kommunale Jugend(hilfe)politik gefordert, diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Angesichts der spezifischen Situation der Jugendarbeit in Ostdeutschland, die nicht über ein ähnlich dichtes Netz an ehrenamtlich organisierter Jugendarbeit wie in Westdeutschland verfügt, darf aber aus dem zu erwartenden Rückgang der Zahl der Jugendlichen nicht abgeleitet werden, dass in gleichem Umfang die Angebote für Kinder- und Jugendarbeit zurückgefahren werden können. … “ Zur betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildung in den neuen Bundesländern (Frage 26): “ Im Jahr 2003 sind in den neuen Bundesländern (einschließlich Berlin) 39.361 außerbetriebliche Ausbildungsverträge und 83.504 betriebliche Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. … “ Zu jungen Ausbildungs-Pendler/innen (Frage 28): “ Mehr als 10 % der Jugendlichen verändern bundesweit anlässlich des Ausbildungsbeginns ihren Wohnsitz. Dies ist angesichts der familiären und wirtschaftlichen Abhängigkeit, in der sie sich aufgrund ihres Lebensalters in der Regel noch befinden, ein deutliches Zeichen für ihre örtliche Veränderungsbereitschaft. Dabei sind zwei Gruppen hervorzuheben: Weibliche Auszubildende zogen anlässlich ihres Ausbildungsbeginns etwa doppelt so häufig um wie ihre männlichen Kollegen. Jeder siebte Ausbildungsanfänger mit Abitur zog um, womit ein Zusammenhang zwischen dem Schulabschluss und der Umzugsbereitschaft festzustellen ist. Die vorliegenden Zahlen weisen jedoch zugleich daraufhin, dass gerade männliche Schulabgänger mit schlechteren Startchancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt eher in ihrer jeweiligen Region verbleiben. Im Herbst 2002, als diese Daten durch eine Befragung des Bundesinstituts für Berufsbildung erhoben wurden, zeigte sich auch ein deutlicher Unterschied zwischen den neuen und den alten Ländern hinsichtlich der Umzugsgründe. Der wichtigste Grund für einen Ortswechsel liegt vorwiegend darin, am Herkunftsort keinen geeigneten Ausbildungsplatz gefunden zu haben. Entsprechend der Ausbildungsplatzsituation ist dieses Motiv in Ostdeutschland ausgeprägter als im Westen Deutschlands. Wegen eines avisierten Wunschberufes umzuziehen, ist in Westdeutschland hingegen ausgeprägter. Trotz der ökonomischen Problematik des Wegzugs gerade der potenziellen Leistungsträger aus Regionen mit schwieriger wirtschaftlicher Situation ist die Förderung der Mobilität der Jugendlichen notwendig, um Disparitäten auf den regionalen Ausbildungsmärkten ausgleichen zu können. So wenden sowohl die Bundesanstalt für Arbeit als auch einige Länder erhebliche Fördermittel auf, um die Startchancen von Schulabgängern zu verbessern, die anlässlich der Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses den Wohnort wechseln. Im Rahmen der Berufsausbildungsbeihilfe wurden vom Bund im Jahre 2003 ca. 94 800 Auszubildende gefördert. Auch im Jugendsofortprogramm der Bundesregierung wurde diese Form der Unterstützung für jugendliche Lehrstellensuchende – insbesondere aus den neuen Bundesländern – als wirksames Instrument aufgenommen. Nach der genannten Befragung des BIBB sind etwa 20 % der Wohnortwechsler nach ihrer Ausbildung in die neuen Länder zurückgekehrt. Anders sieht die Bilanz bei denjenigen Auszubildenden aus, die ohne Wohnortwechsel – also als Pendler – in den alten Ländern ausgebildet wurden. Von diesen sind etwa acht von neun auch nach ihrer Ausbildung in den neuen Bundesländern verblieben. … Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat ermittelt, dass im Jahr 2003 rund 15000 Jugendliche aus den neuen Bundesländern eine Ausbildung in den alten Ländern aufgenommen haben (im Vergleich: 1999 rund 12170, 2000 rund 14410, 2001 rund 13100). “

http://dip.bundestag.de/btd/15/044/1504478.pdf

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Cornelia Pieper, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 15/3555 – Folgen der Abwanderung für die neuen Bundesländer, BT-Drs. 15/4

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