DJI: ‚Gerade die spät Zugewanderten stehen der Schule positiv gegenüber und haben klare Ausbildungsziele‘

Unter dem Titel ‚Hoffnungen und Ängste – Jugendliche aus Zuwandererfamilien an der Schwelle zur Arbeitswelt‘ haben Birgit Reißig, Nora Gaupp und Tilly Lex vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) ihre Befragung von Hauptschulabgänger/innen zum Übergang Schule – Beruf (vgl. http://news.jugendsozialarbeit.de/041122DJISchuleDann.htm ) unter migrationsspezifischen Aspeklten ausgewertet. Auszüge: “ … Im Rahmen einer Längsschnittstudie zum Übergang Schule – Beruf befragt das DJI Jugendliche zu ihren Wegen in Ausbildung und Arbeit. Im Frühjahr 2004 wurden ca. 4.000 Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen in Hauptschulen sowie in Hauptschulzügen von Gesamtschulen im Alter von 15 bis 16 Jahren erstmals befragt (122 Schulen in 13 Bundesländern). Über die Hälfte der Befragten waren Jugendliche mit Migrationshintergrund. Im Folgenden werden Ergebnisse dieser Basiserhebung vorgestellt. Die Jugendlichen werden über die nächsten zwei Jahre weiter auf ihren Wegen in Ausbildung und Arbeit begleitet. Um den Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bestimmen zu können, wurde in der Hauptschüler-Studie des DJI ein Gesamtindikator »Migrationshintergrund« mit folgenden Faktoren gebildet: a) Staatsangehörigkeit (en), b) Geburtsland der Jugendlichen, c) Geburtsland der Eltern sowie d) die zuhause gesprochene Sprache(n) (…). Migration bedeutet ein heterogenes Spektrum an Migrationserfahrungen, die in eine Analyse der Lebenslagen und Orientierungen dieser Jugendlichen eingehen müssen: Über die Hälfte der befragten Hauptschülerinnen und Hauptschüler stammt aus Zuwandererfamilien, aber nur ein Viertel hat nicht die deutsche oder neben der deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft. Das Merkmal »Staatsangehörigkeit « bildet demnach die Herkunft aus einer Zuwandererfamilie nur unzureichend ab. Rund ein Viertel der Jugendlichen sind selbst nicht in Deutschland geboren sie sind überwiegend aus Herkunftsländern des Mittelmeerraumes oder als Spätaussiedler aus Osteuropa bzw. den GUS-Staaten mit ihren Familien hierher gekommen (möglicherweise gegen den eigenen Wunsch). 40 Prozent der nicht in Deutschland geborenen Jugendlichen kamen vor dem Erreichen des Schulpflichtalters und haben (fast) ausschließlich in Deutschland die Schule besucht. Für etwa 20 Prozent liegt der Zeitpunkt der Zuwanderung weniger als fünf Jahre zurück. Diese Jugendlichen haben einen großen Teil ihres Schulbesuchs außerhalb von Deutschland absolviert. Die restlichen Jugendlichen (ca. 40 Prozent) kamen zwischen dem Beginn des 7. und dem Ende des 11. Lebensjahres nach Deutschland. Sie haben längere Schulerfahrungen sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland. 43 Prozent der Mütter und fast die Hälfte der Väter sind nicht in Deutschland geboren. Kombiniert man beide Informationen, so wird deutlich, dass in 39 Prozent der Familien beide Eltern nicht in Deutschland geboren sind. In 46 Prozent der Familien wird zuhause entweder Deutsch sowie eine weitere oder ausschließlich eine andere als die deutsche Sprache gesprochen. Fast jede/r zweite Hauptschüler/in wächst faktisch mehrsprachig auf. Wer geht gern zur Schule? Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der DJI-Studie zeigen eine deutlich positivere Einstellung zur Schule als die befragten Hauptschülerinnen und Hauptschüler insgesamt. 18 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund stimmen der Aussage »Alles in allem gehe ich gerne zur Schule« uneingeschränkt zu. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund tun dies nur 12 Prozent (…). In beiden Gruppen weisen die Mädchen eine höhere Zustimmung auf als die Jungen. Für die Einstellung zur Schule hat keine Bedeutung, ob die Jugendlichen hier geboren sind oder ob sie erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland kamen. Das Alter, in dem die Schülerinnen und Schüler nach Deutschland kamen, spielt dagegen eine Rolle. Teilt man die nicht in Deutschland Geborenen in eine Gruppe, die vor Vollendung des 11. Lebensjahres (LJ) und in eine zweite, die ab dem 11. Lebensjahr nach Deutschland kam, werden Unterschiede sichtbar: Fast ein Drittel der nach dem 11. Lebensjahr eingewanderten geht uneingeschränkt gerne zur Schule, aber lediglich jede/r Sechste von denen, die vor dem 11. Lebensjahr nach Deutschland kamen. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler, die sich erst seit kürzerer Zeit in Deutschland befinden, haben eine positivere Einstellung zur Schule. Sie scheinen den Neuanfang im neuen Land zu bejahen und diese positive Einstellung auch auf die Schule zu übertragen. Diese positive Sicht ist seltener bei denen, die in jüngerem Alter zuwanderten, obwohl – oder vielleicht auch weil – sie fast ausschließlich in Deutschland die Schule besucht haben. Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund wollen auch deutlich häufiger nach der Hauptschule weiterhin eine allgemein bildende Schule besuchen. Dies gilt für ein Drittel der Mädchen (bei den Mädchen ohne Migrationshintergrund ist dies nur jede Vierte) und ein Viertel der Jungen (bei den Jungen ohne Migrationshintergrund ist es nur jeder Siebte). Es ist jedoch noch nicht geklärt, ob die Absicht, weiter zur Schule zu gehen, eher höheren Bildungszielen oder einer skeptischen Einschätzung der Zugangschancen zur beruflichen Bildung zuzuschreiben ist. Eine Antwort werden die Folgebefragungen bringen. Priorität: Berufsausbildung … 40 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund und deutlich mehr als die Hälfte der übrigen Befragten planen, nach der Schule eine Berufsausbildung zu beginnen. Dabei sind Zukunftspläne nicht notwendigerweise mit Zukunftswünschen identisch. Jede/r siebte Hauptschüler/in (Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund im gleichen Umfang) benennt als nächsten Qualifizierungsschritt das Berufsvorbereitungsjahr bzw. Berufsgrundbildungsjahr. Dies ist jedoch weniger ein Wunschziel als viel mehr eine Not- bzw. Ersatzlösung für diejenigen, die erkennen, dass unmittelbar im Anschluss an die Schule der Einstieg in eine reguläre Berufsausbildung nicht gelingen wird. … Deutliche Zusammenhänge gibt es … zwischen den Herkunftsländern der Familien und der Absicht, unmittelbar nach der Schule eine Berufsausbildung zu beginnen (…). Fast jede/r Zweite aus einer Aussiedlerfamilie, jedoch nur ein Viertel der Jugendlichen, deren Familien aus der Türkei stammen, wollen im Anschluss an die Schule eine Ausbildung beginnen. Hier könnte eine Erklärung darin liegen, dass in den Herkunftsländern der Aussiedler die Berufsausbildung im Betrieb den normalen Zugang auch zu qualifizierter Erwerbsarbeit darstellt, während in der Türkei vergleichbare Berufspositionen eher über einen längeren Schulbesuch erreicht werden. Das würde auch erklären, warum nur jede/r fünfte Aussiedlerjugendliche, aber fast jede/r dritte Jugendliche, deren/dessen Familie aus der Türkei stammt, weiterhin die allgemein bildende Schule besuchen will. Skeptischer Blick in die berufliche Zukunft … 46 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund sind hinsichtlich des Gelingens eines Einstiegs in Ausbildung und Erwerbsarbeit ganz oder eher unsicher. Der Anteil der »Unsicheren« unter den Befragten mit Migrationshintergrund liegt mit 56 Prozent noch deutlich höher. Dabei schätzen die in Deutschland Geborenen ihre Chancen auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz besser ein als diejenigen, die erst nach der Geburt zugewandert sind. Am unsichersten sind diejenigen, die vor Vollendung des 11. Lebensjahres nach Deutschland gekommen sind: 61 Prozent dieser Gruppe sind ganz oder eher unsicher, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Optimistisch sind insbesondere die nach dem 11. Lebensjahr Zugewanderten: Hier sind nur 45 Prozent eher oder ganz unsicher. Je später der Zeitpunkt der Einwanderung in der Biografie der Jugendlichen liegt, desto größer sind ihre Hoffnungen auf einen erfolgreichen Einstieg in Ausbildung und Arbeit. Dies zeigt, wie gerne die Jugendlichen in die Schule gehen. Auch hier hatten diejenigen, die erst seit wenigen Jahren in Deutschland leben, die positivere Einstellung. Die Ergebnisse zu den Zukunftserwartungen stehen damit in einem deutlichen Kontrast zu den Bildungs- und Ausbildungsaspirationen der Jugendlichen. Offenbar mussten die Jugendlichen schon zum Zeitpunkt dieser ersten Befragung eine deutliche Diskrepanz zwischen als wichtig bzw. notwendig erkannten Bildungs- und Ausbildungszielen sowie antizipierten Realisierungschancen aushalten. Chancen der Integration und Risiken der Ausgrenzung Die Ergebnisse der Hauptschüler-Studie des DJI lassen sich mit der öffentlichen Thematisierung der »Hauptschule als Restschule« kaum vereinbaren: Die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, oftmals als »Problemgruppe« benannt, zeigen eine tendenziell positive Einstellung zur Schule. Ihre Pläne für die berufliche Zukunft (wie die der Hauptschülerinnen und Hauptschüler insgesamt) verweisen auf eine Orientierung an »normalen« Bildungs-, Ausbildungs- und Erwerbsverläufen (…). Die Planungen der Jugendlichen deuten auf eine hohe Bereitschaft hin, sich den Anforderungen des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems zu stellen. Die relativ starke Neigung, weiter die allgemein bildende Schule zu besuchen, signalisiert die notwendige Einsicht, dass höherwertige Schulabschlüsse die Aussichten auf das Gelingen des Berufseinstiegs verbessern. Die Bereitschaft, auch wenig beliebte und prestigeträchtige Qualifizierungsschritte anzusteuern – ein Beispiel dafür ist das Berufsvorbereitungsjahr – zeigt, dass diese Jugendlichen realistisch ihre begrenzten Chancen auf Zugang zu einer regulären Berufsausbildung erkennen und alternative Wege nicht ausschlagen. Dabei konnte die häufig beschworene Neigung zu unrealistischen Traumberufen nicht festgestellt werden. Die Ergebnisse der DJI-Studie zeigen die Notwendigkeit, einen differenzierenden Blick auf die unterschiedlichen Konstellationen von Migrationshintergründen und Migrationsgeschichten zu werfen: Aus welchen Ländern stammen die Jugendlichen bzw. die Herkunftsfamilien? Wann hat die Zuwanderung stattgefunden? Was ist der rechtliche Status? Die spät Zugewanderten werden in der öffentlichen Diskussion meist als besonders problematische Gruppe behandelt, sie sind aber gerade diejenigen, die der Schule positiv gegenüber stehen und klare Ausbildungsziele haben. … Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben allem Anschein nach die normativen Vorgaben der deutschen Erwerbsgesellschaft für sich akzeptiert, und dennoch kann ihnen die Teilhabe an Erwerbsarbeit versagt bleiben. … “

http://cgi.dji.de/cgi-bin/bulladmin/panel.php?sprache=D

Quelle: Birgit Reißig, Nora Gaupp, Tilly Lex: ‚Hoffnungen und Ängste – Jugendliche aus Zuwandererfamilien an der Schwelle zur Arbeitswelt‘, in: DJI Bulletin 69, Winter 2004

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