Achter Kinder- und Jugendbericht des Landes Nordrhein-Westfalen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im März ihren 218 seitigen Kinder- und Jugendbericht vorgelegt: “ Die Landesregierung ist gegenüber dem Landtag Nordrhein-Westfalen nach § 24 des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG-KJHG) verpflichtet, in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen Nordrhein-Westfalen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vorzulegen. Der achte Kinder- und Jugendbericht stellt zentrale Schwerpunkte der Kinder- und Jugendpolitik des Landes dar und gibt einen Überblick über wesentliche Aspekte in der Kinder- und Jugendhilfe. Er benennt darüber hinaus wesentliche Herausforderungen für die Bildung und Erziehung junger Menschen und die durch die Landesregierung geförderten Maßnahmen und Ansätze der pädagogischen Arbeit und formuliert schließlich Schwerpunkte für die kommende Legislaturperiode. “ …“ Armut von Kindern und Jugendlichen Die Mehrheit der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Nordrhein-Westfalen wächst in Familien auf, die über ein regelmäßiges Einkommen verfügen und sich in sozial weitgehend unbelasteten Lebensverhältnissen befinden. Ein wachsender Anteil von Kindern muss aber in erheblich belasteten sozialen Verhältnissen aufwachsen. So gilt für Nordrhein-Westfalen – wie bundesweit –  dass Kinder und Jugendliche bis zum 17. Lebensjahr im Vergleich zu anderen Altersgruppen ein deutlich höheres Armutsrisiko haben. So stieg die Anzahl der Sozialhilfeempfänger unter sieben Jahren im Jahr 2003 auf 113.585 Personen (2002: 103.700) an. Fast jedes elfte Kind unter elf Jahren war auf Sozialhilfe angewiesen. Von allen Sozialhilfebeziehenden (Ende 2003 insgesamt 685.176 Personen) waren 39 % noch keine 18 Jahre alt. Besonders stark auf Sozialhilfe angewiesen sind überdies Kinder mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft. Bei den unter Siebenjährigen ist die Sozialhilfequote mit einem Anteil von 16 % doppelt so hoch wie bei den unter Siebenjährigen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Zu den besonderen Gruppen in Bezug auf das Armutsrisiko gehören auch Kinder und Jugendliche aus Familien mit drei und mehr Kindern und von Alleinerziehenden. Das zeigt, dass Armut häufig in einem engen Zusammenhang zu bestimmten Familienformen steht. “ …“Förderung der Kinder- und Jugendarbeit Das zentrale Förderinstrument für die Kinder- und Jugendarbeit ist der Landesjugendplan. Der Förderbetrag, den das Land in dieser Legislaturperiode für diese Bereiche zur Verfügung gestellt hat, umfasst ein Volumen von rd. 560 Mio. Euro (2000 bis 2005). Nordrhein-Westfalen liegt auch nach den Kürzungen in den Jahren 2004 und 2005 immer noch auf dem Durchschnittsniveau vergleichbarer Bundesländer. Über die Förderung der Jugendeinrichtungen, der Jugendverbände und der kulturellen Jugendarbeit werden durch  rd. 40 % der Kinder und Jugendlichen (vor allem 6 bis 16 Jahre)  erreicht. Sie besuchen in ihrer Freizeit  einen Jugendverband, eine Jugendfreizeiteinrichtung oder eine Jugendkunstschule. Förderung des Übergangs von der Schule in den Beruf Zur Sicherung des Übergangs von der Schule in den Beruf fördert das Land über den Landesjugendplan Jugendwerkstätten und Schulmüdenprojekte mit jährlich 11,2 Mio. EURO. Diese Angebote der Jugendsozialarbeit unterstützen Jugendliche in ihrer Entwicklung und stellen die notwendige Förderung zur sozialen Integration und zur Eingliederung in die Berufswelt bereit. Im Einzelnen waren das in den letzten Jahren 64 Beratungsstellen im Übergang von der Schule in den Beruf, 46 Jugendwerkeinrichtungen und 56 Projekte zur Vermeidung schulischen Scheiterns (Schulmüdenprojekte). Diese Angebote erreichen jährlich rd. 46.000 junge Menschen. Das Programm ‚BuS, Betrieb und Schule‘ verbindet das Lernen im Betrieb und in der Schule miteinander und erleichtert leistungsschwächeren Jugendlichen den Übergang in den Beruf. 43 % der 1.400 Absolventen des Schuljahres 2001/02 wurde in den ersten Arbeitsmarkt – zumeist in ein reguläres Ausbildungsverhältnis – vermittelt. Zur Verbesserung der Situation auf dem Ausbildungsmarkt in Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung mit den Konsenspartnern im Sommer 2004 ein umfang­ reiches zusätzliches Maßnahmepaket beschlossen. Dazu gehören z.B. Kompetenzchecks für über 6.600 Ausbildungsplatzsuchende Jugendliche, die Ausweitung der Förderung von Verbund- und partnerschaftlichen Aus­ bildungsformen und die Installierung eines externen Ausbildungsmanagements zur Einrichtung von Ausbildungsplätzen in Kleinbetrieben. Förderung der Prävention Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen muss die ganze Breite der Förderung von Kindern und Jugendlichen umfassen und dabei vor allem auf die Entwicklung sozialer Kompetenz setzen. Dies reicht von Verbesserungen bei Bildung und Erziehung über die Familienförderung, die Vermittlung von Medienkompetenz, die Gewährung von Unterstützungen und Hilfen bei der Erziehung, die Schaffung von beruflichen Perspektiven für junge Menschen bis zu gezielten Trainingsmaßnahmen in Jugendhilfe und Schule. Von den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe werden zahlreiche Initiativen zur Auseinandersetzung mit Gewaltbereitschaft, Schulverweigerung und Kinder- und Jugenddelinquenz gefördert. Das Land ergänzt diese Förderung insbesondere durch die Unterstützung von Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sowie durch zusätzliche Projekte aus Mitteln des Landesjugendplanes. Die Vernetzung der Verantwortlichen und Beteiligten vor Ort konnte in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. In den Ordnungs- und Vertrauenspartnerschaften, in denen Jugendhilfe, Schulen und Polizei zusammenwirken, kann sich wechselseitiges Vertrauen entwickeln und so präventiv gewirkt werden. Auch zahlreiche Schulen haben in ihren Schulprogrammen der Vorbeugung von Gewalt einen bedeutenden Platz eingeräumt und vielgestaltige Projekte und Maßnahmen realisiert: z.B. Streitschlichterprogramme, antirassistische Projekte, kulturelle Projekte, Projektunterricht,  Bildungs- und Erziehungsvereinbarungen. Darüber hinaus werden die Themen Gewalt und gewaltfreie Konfliktlösung im Rahmen des Unterrichts umfassend aufgegriffen.  “   …“Jugendhilfe und Schule – Partner in  Bildung und Erziehung In einem stärkeren und systematischeren Zusammenwirken zwischen Jugendhilfe und Schule liegen erhebliche Chancen, formelle und informelle Bildungsorte und Bildungsprozesse zu integrieren. Ein solches Zusammenwirken erfordert eine Öffnung von Schule in den sozialen Raum. Die Landesregierung hat diese bereits Anfang der 90er Jahre mit entsprechenden Programmen im schulischen Bereich, insbesondere durch die Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule (‚GÖS) und das ‚Zeitbudget für besondere Aufgaben‘ gefördert. Heute gibt es vielfältige Formen der Zusammenarbeit. Im Berichtszeitraum haben die Träger der Kinder- und Jugendhilfe ihre Bemühungen mit Schulen zu kooperieren deutlich ausgeweitet. So ist es mehr und mehr selbstverständlich geworden, dass beide – Träger der Kinder- und Jugendarbeit und Schulen regelmäßige Kontakte pflegen. Intensiver geworden sind auch die Bemühungen der Träger, sich in die Offene Ganztagsschule im Primarbereich und in die Nachmittagsbetreuung in Schulen der Sekundarstufe I einzubringen. Vor dem Hintergrund des eigenen Förderschwerpunktes im Landesjugendplan bezogen auf die Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen sind die Angebote deutlich gestiegen. Vor allem die Jugendverbände und Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit engagieren sich hier. Das Land hat hierfür bis 2003 jährlich rd. 4 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. In den Jahren 2004 und 2005 werden diese Aktivitäten vor allem bezogen auf das Engagement der Jugendverbände fortgeführt. Heute sind Kooperationen zwischen Jugendhilfeträgern und -einrichtungen mit Schulen aller Schulformen in zahlreichen Regionen die Regel. In über 80% der Kommunen werden Kooperationsprojekte zwischen Jugendhilfe und Schule durchgeführt. In fast 80% der Kommunen mit Jugendamt und knapp 40% der Kommunen ohne Jugendamt wurden bereits Kooperationsvereinbarungen – überwiegend zwischen Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe abgeschlossen. In erster Linie haben die Kommunen Vereinbarungen zur Offenen Ganztagsschule im Primarbereich abgeschlossen. Weitere Vereinbarungen beziehen sich auf die soziale Arbeit an Schulen und Programme zur Ganztagsbetreuung. Haupt- und Sonderschulen sind im Hinblick auf Kooperationsprojekte die am stärksten beteiligten Schulformen im Hinblick auf Kooperationsprojekte. In zwei Drittel aller Kommunen sind auch Grundschulen wesentlich an Kooperationsprojekten beteiligt.   Herausforderungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendpolitik Die demographische Entwicklung wird  die Kinder und Jugendpolitik vor neue Herausforderungen stellen. Angesichts der Prognose, dass sich bis 2010 die Zahl der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt um 79.000 reduzieren wird, sind in den Kindertageseinrichtungen quantitative Effekte zu erwarten. Sie könnten z.B. genutzt werden, um den Bedarf an Plätzen für unter dreijährige Kinder zu decken. Unabhängig davon wird künftig ein stärkeres Zusammenwirken der verantwortlichen Akteure und mehr lokale Netze gebraucht. So könnte es z.B. sinnvoll sein, dass  bestehende Einrichtungen multifunktional genutzt werden, um umfassender auf Förderbedarfe zu reagieren. Bildung und Erziehung werden zentrale Bereiche bleiben. Hier müssen Familien gestärkt werden und Unsicherheiten genommen werden, denn die Anforderungen an sie werden weiter steigen. Unsere Hilfesysteme müssen präventiver ausgerichtet sein und Familien früher zur Seite stehen. Das können Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen am besten, denn sie sind Familien besonders nah. Dazu gehört die Schaffung einer verlässlichen und verbindlichen Angebotstruktur der Bildung, Erziehung und Betreuung für Kinder und Jugendliche von 0 bis 14 Jahren. Das heißt: Ausbau der Angebote für unter Dreijährige, Ausbau der Offenen Ganztagsgrundschule und Gestaltung eines neuen Ganztags in der Sekundarstufe I. Schule bleibt der zentrale Ort von Bildung. Allerdings müssen auch die Bildungsorte außerhalb von Schule deutlich stärker in den Blick genommen werden. Dazu bedarf es eines neuen Verständnisses von Bildung im Sinne einer Ganztagsbildung. Dies gelingt nur in dem Zusammenwirken von Schule mit außerschulischen Einrichtungen in lokalen Bildungsnetzen, denn eine Institution allein kann die Anforderungen nicht lösen. Im Schulgesetz und im Kinder- und Jugendfördergesetz ist der rechtliche Rahmen für beide Seiten als Pflichtaufgabe geregelt. Es kommt jetzt darauf an, dies mit Leben zu füllen. Jugendliche haben ein Recht auf eine sichere berufliche Perspektive. Vor allem die Kompetenzen bildungsbenachteiligter Jugendlicher müssen frühzeitig gestärkt werden, um den Übergang von der Schule in den Beruf zu sichern. Dies beginnt mit dem Ausbau und der Qualifizierung der Sprachförderung bereits im frühen Kindesalter, der kontinuierlichen Förderung sozial benachteiligter Jugendlicher in der Schule durch individuelle Bildungsmöglichkeiten und durch eine präventive pädagogische Arbeit. Für die wachsende Zahl der Kinder, die in Armut aufwachsen, gilt es frühzeitig Hilfen und Unterstützung zu organisieren, um sie optimal fördern zu können. Hierzu gehört die Erprobung von Kindergärten als ‚Early-Exzellence-Center‘ in der Emscher-Lippe-Region. Erkenntnisse aus dem Modellprojekt ‚Soziales Frühwarnsystem‘ zeigen, dass es entscheidend darauf ankommt, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfsangebote so miteinander abzustimmen, dass sie eine individuell spürbare Verbesserung darstellen können. Aufbauend auf diesen Erfahrungen ist es eine wichtige Aufgabe für die Kinder- und Jugendhilfe in Kooperation mit den Schulen ein ähnlich vernetztes Hilfssystem für ältere Kinder zu entwickeln. Hierfür ist es erforderlich, dass die Wahrnehmungsfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrer für das Entstehen von defizitären Entwicklungen bei Kindern gestärkt wird. Für die Bekämpfung von Armut misst die Landesregierung sozialräumlichen Handlungskonzepten eine große Bedeutung zu, weil sie vernetztes Handeln zum Wohle der Kinder am ehesten ermöglichen. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen besser gefördert werden. Dazu gehört der frühzeitige Erwerb der deutschen Sprache, die Überwindung kultureller Barrieren, die Gewaltprävention und die Integration in den Arbeitsmarkt. In diesem Zusammenhang wird es auch darauf ankommen, diese Jugendlichen stärker in die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe einzubeziehen. Das bezieht sich sowohl auf die Weiterentwicklung bestehender Ansätze als auch auf die Entwicklung neuer niedrigschwelliger Angebote, um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen, die bislang von Beteiligungsangeboten keinen Gebrauch gemacht haben. Die Teilhabemöglichkeiten von Kindern müssen durch weitere Initiativen im ‚Pakt für Kinder‘ ausgebaut werden. Hierzu gehört auch der Abbau von Gewalterfahrungen bei Kindern und die Förderung gewaltfreier Erziehung sowie die Stärkung ihrer Rechte: Dort, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten, gilt es, eine Beteiligungskultur zu entwickeln. Das gilt insbesondere auch für die Schule. Mit dem Kinder- und Jugendförderungsgesetz ist eine gute Grundlage geschaffen, die Beteiligung junger Menschen in kommunalen Gestaltungsprozessen zu stärken. Auch das neue Schulgesetz sieht neue Beteiligungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler vor. (Drittelparität)“ Quelle: Internetportal des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder NRW http://www.bildungsportal-nrw.de Download des gesamtes Berichtes unter: http://www.bildungsportal-nrw.de/BP/Jugend/KuJNRW/Bericht/Berichtstext.pdf Kurzfassung unter: http://www.bildungsportal-nrw.de/BP/Jugend/KuJNRW/Bericht/Kurzfassung/index.html     – Berichtstext.pdf

Quelle: www.bildungsportal-nrw.de

Dokumente: Berichtstext.pdf

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