Zusammenarbeit Jugendhilfe – Schule

Zusammenarbeit Jugendhilfe – Schule Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. Gerhard Christe, Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe “ 1. Einleitung Gerade erst hat die GEW in einer kleinen Broschüre „Leitgedanken zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe“  formuliert und dafür plädiert, „ein neues System aufzubauen, in dem Bildung, Erziehung und Betreuung junger Menschen aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind“ (Balnis u.a. 2005, S. 4). Ich beziehe mich im Folgenden auf diese Überlegungen sowie auf ein Diskussionspapier, das von mir im November 2004 im Auftrag des sci:moers erstellt worden ist und in dem ich „Überlegungen zur Weiterentwicklung der Jugendwerkstätten“ in Nordrhein-Westfalen angestellt habe. Die GEW hält in dem von ihr skizzierten Gesamtsystem der Kooperation von Jugendhilfe und Schule die folgenden die folgenden Bezugspunkte für wesentlich: die Lebenssituation und die persönlichen Voraussetzungen der Jugendlichen die künftigen Anforderungen, die auf die jungen Menschen als Erwachsene zukommen die Stärkung der Bildungsbereitschaft die Förderung der individuellen und sozialen Entwicklung der jungen Menschen die Verwirklichung von Chancengleichheit und der Abbau von Benachteiligungen die Schaffung positiver Lebensbedingungen und die Unterstützung der Integration in die Gesellschaft. Um diese Aufgaben im Sinne der Jugendlichen lösen zu können, ist das gemeinsame und koordinierte Handeln der beteiligten Professionen unerlässlich. Es stellt gewissermaßen den Kern eines solchen konsistenten Gesamtsystems dar. 2. Wesentliche Kriterien für die Kooperation Jugendhilfe – Schule Im Folgenden werde ich einige Kriterien skizzieren, die m.E. für eine gelingende Kooperation von Schule und Jugendhilfe unerlässlich sind. Vernetzung von Schule und Jugendhilfe Bei der Bewältigung der eben genannten Aufgaben sind Schule und Jugendhilfe verstärkt aufeinander angewiesen. Der Grund hierfür ist, dass „Schulen … ihre ureigensten Aufgaben ohne stärkere Beachtung sozialpädagogischer Aufgaben nicht mehr bewältigen können. Auf der anderen Seite ist aber auch Jugendhilfe nicht in der Lage, ihre Aufgaben ohne Berück-sichtigung der zentralen Lebensthematik junger Menschen – der Bildung – zufriedenstellend zu lösen“ (Balnis u.a. 2005, S. 7). Allerdings darf die Vernetzung der beiden Systeme kein Ersatz für dringend notwendige Schul- und Jugendhilfereformen sein. Formen der Kooperation Kooperation kann in verschiedener Hinsicht erfolgen. Denkbar ist z.B. die Nutzung von Einrichtungen und Angeboten der Jugendhilfe durch Schulen, aber auch die Nutzung schulischer Räume und Veranstaltungen durch die Jugendarbeit. Eine andere Form der Kooperation wäre die Schaffung von Ansprechpartnersystemen und Netzwerken zwischen Allgemeinem Sozialdienst und Schulen oder auch Beratungsangebote von Jugendhilfeträgern an und im Umfeld von Schulen für Kinder, Eltern und Lehrer. Die systematische Zusammenarbeit von Einrichtungen der Jugendsozialarbeit, die Jugendliche bei ihrer schulischen und beruflichen Integration unterstützen mit den entsprechenden allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen oder die Schulsozialarbeit als intensivste Form der Kooperation, bei der professionelle Angebote der Jugendhilfe fest im Schulalltag verankert sind, sind weitere Varianten der Kooperation. Verständigung über den Bildungsbegriff Da Kooperation nicht eine äußerliche Sache bleiben kann, ist es zwingend, dass sich die Kooperationspartner auf einen gemeinsamen, alle Bereiche umfassenden Bildungsbegriff verständigen. „Bildung ist mehr als der Erwerb von Qualifikationen und Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, ist mehr als ein Kanon akkumulierten Wissens, ein Kanon von Inhalten, über den man verfügen muss. … Bildung bezieht darüber hinaus wesentlich die Persönlichkeitsentwicklung und Werthaltungen ein, die die Qualität der Beziehungen des Einzelnen zu seinem engeren und weiteren sozialen Umfeld prägen. … In diesem Verständnis von Bildung geht es somit neben dem Erwerb von Kompetenzen auch um Selbstbestimmung, Handlungsfähigkeit, Kritikfähigkeit und Empathie. Für die Bildung von Kindern und Jugendlichen sind deshalb Eigentätigkeit, Übernahme von Verantwortung, Mög-lichkeiten der Teilhabe und Gestaltung und der Aneignung von Räumen wichtige Voraussetzungen“ (Balnis u.a. 2005, S. 10). Unterschiede von Schule und Jugendhilfe produktiv machen Jugendhilfe und Schule haben unterschiedliche Aufträge und funktionieren nach unter-schiedlichen Logiken. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Finanzierungs- und Trägerstrukturen und auch hinsichtlich des Qualifikationsprofils ihrer Fachkräfte. Auftrag der Schule ist es, „Kinder und Jugendliche für ihr Leben zu qualifizieren, indem sie ihnen Allgemeinbildung und beruflich verwertbare Kenntnisse vermittelt… Auftrag der Jugendhilfe ist es, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, bei der Erziehung zu beraten und zu unterstützen…“ (Balnis u.a. 2005, S. 12). Diese Unterschiede produktiv zu machen bedeutet, nicht den Blick für die Unterschiede zu verstellen, sondern die konstitutionellen Grundlagen des anderen Kooperationspartners zu akzeptieren und als Teil des Gesamtprofils zu be-trachten. Zusammenarbeit auf der Basis von Respekt, gegenseitiger Akzeptanz und Verständigungsbereitschaft erweitert den Blick der Akteure. Gerade die Schnittstellen von Schule und Jugendhilfe müssen im Mittelpunkt stehen und miteinander koordiniert werden. Kooperation braucht feste Strukturen Die Kooperation zwischen so unterschiedlichen Systemen wie es Schule und Jugendhilfe sind, kann nur gelingen, wenn es eine entsprechende Kooperationskultur, vor allem aber auch fest vereinbarte Strukturen gibt, die die Qualität der pädagogischen Arbeit sichern und weiter entwickeln. Notwendig ist die gleichberechtigte Zusammenarbeit, die Aufhebung der tradierten Praxis der Trennung von inneren und äußeren Angelegenheiten der Schule. Schulen müssen stärker zu einer Angelegenheit der Menschen vor Ort werden. 3. Aufgabe von Jugendwerkstätten Die hier skizzierten Anforderungen an die Kooperation von Jugendhilfe und Schule sind auch für die Weiterentwicklung der Jugendwerkstätten von Bedeutung. Es geht für die Jugendwerkstätten künftig darum, ihren Arbeitsschwerpunkt verstärkt auf die Schnittstelle Schule –Jugendhilfe auszurichten, weil sie hier über spezifische fachliche Voraussetzungen verfügen, die genutzt werden können und künftig verstärkt genutzt werden sollten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es den Jugendwerkstätten mit Hilfe ihrer werk- und sozialpädagogischen Kompetenz in bemerkenswerter Weise gelingt, jüngere Jugendliche, die in der Schule verhaltensauffällig geworden sind, wieder in Schule oder ggf. auch in Ausbildung zu integrieren, wenn nur frühzeitig genug angesetzt wird. Die Erfahrungen zeigen auch, dass Jugendwerkstätten durchaus nicht auf ihre traditionelle Rolle als Einrichtungen der Berufsvorbereitung und damit auf eine arbeitsmarktpolitische Schwerpunktsetzung festgelegt bleiben müssen, sondern dass sie auch an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Schule eine wichtige, vor allem auch präventive Rolle spielen können. Unzweifelhaft ist, dass Jugendwerkstätten in ihrer tendenziell ohnehin marginalen Position im Kontext der fachpolitischen und fachpraktischen Behandlung der Jugendarbeitslosigkeit immer weiter an den Rand gedrängt werden. Wie die an der Fakultät für angewandte Sozi-alwissenschaften der Fachhochschule Köln durchgeführte fünfjährige Längsschnittuntersuchung zeigen konnte, haben Jugendwerkstätten bislang „wesentlich zur Vermeidung von Desozialisierungsprozessen und gesellschaftlichen Abkoppelungsprozessen bei(getragen). Sie stabilisierten die Jugendlichen in prekären Lebenssituationen durch die Organisation von �social support’ und die Vermittlung zentraler sozial-kultureller Grundfertigkeiten und sozialer Kompetenzen“ (Bujard u.a. 2003, S. 153). Für die Mehrzahl der Jugendlichen ist der Aufent-halt in einer Jugendwerkstatt ein prägendes, nachhaltiges Erlebnis, das gerade auch aus Sicht der Jugendlichen selbst ihren weiteren Lebensweg positiv beeinflusst hat. Als ein besonders bemerkenswertes Ergebnis der Untersuchung stellen die Autoren dabei heraus, „wie häufig es den Jugendwerkstätten gelang, die psychische Entwicklung der Jugendlichen zu fördern“ (ebd.). Dies gilt insbesondere für die Stärkung des Selbstwertgefühls, der Selbstsicherheit und des Durchsetzungsvermögens sowie das Bewältigungsverhalten in Beanspruchungs- und Konfliktsituationen. „Von allen Angeboten der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (§§11 bis 14 SGB VIII) sind die Jugendwerkstätten am ehesten dazu geeignet, nach-sozialisatorische Effekte bei Jugendlichen zu erzielen“ (Bujard u.a. 2003, S. 9). Solche nach-sozialisatorischen Effekte haben – so ein wesentliches Fazit der Untersuchung – deutlich zu einer Verbesserung der Integration im näheren sozialen Umfeld beigetragen und zu wichtigen Präventionserfolgen geführt. Solche Erkenntnisse werden auch durch Untersuchungen des IAJ bestätigt.  Eine von uns derzeit in Niedersachsen durchgeführten Begleituntersuchung des Projekts AUSZEIT, eines Projekts für hartnäckige Schulverweigerer im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, hat gezeigt, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen be-reits innerhalb des ersten Projektjahrs eine positive Entwicklung mit nachhaltigen Wirkungen in Gang gesetzt werden konnte. Neben dem Erwerb umfassender handwerklicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Bereitschaft, sich zum Teil sehr erfolgreich auch auf schulähnliches Lernen im Projekt einzulassen sowie der gewissenhaften und oftmals selbständigen Übernahme von für die gesamte Gruppe wichtigen Arbeiten, sind es zum Teil die (scheinbar) kleinen Entwicklungsschritte, wie z.B. der Abbau von Ängsten, der gewonnene Mut, die eigene Meinung zu äußern oder die Verbesserung des Durchhaltevermögens, von denen – langfri-stig gesehen – die größten Wirkungen zu erwarten sind. Es ist vor allem die im Projekt mit einem hohen Stellenwert besetzte  Beziehungsarbeit, die für die Jugendlichen von entschei-dender Bedeutung ist (siehe Christe 2003, S. 19). Das Modellprojekt AUSZEIT zeigt, dass es möglich ist, auch hartnäckige Schulverweigerer mit zum Teil langjährigen Verweigerungskarrieren wieder für das Lernen zu interessieren und ihr Selbstvertrauen zu entwickeln. Damit werden nicht zuletzt auch ihre Integrationsbereitschaft und -fähigkeit gestärkt und weiterführende Perspektiven eröffnet. Für die weitere biographische Entwicklung der Jugendlichen ist dies von nachhaltiger Bedeutung. Ähnliche Erfahrungen liegen auch für das vom SCI:Moers durchgeführte Kommunale Kommunikationsprojekt für schulmüde Jugendliche vor, das sich bereits an Schülerinnen und Schüler der Klassen 6 bis 8 richtet. In der Lernwerkstatt des SCI:Moers werden Schüler und Schülerinnen, die vom System Schule nicht mehr erreicht werden, langsam wieder an die Schule herangeführt. Hauptziel der Lernwerkstatt ist es, bei den Jugendlichen innerhalb von drei Monaten die Grundlagen für eine Rückkehr in die Institution Schule zu schaffen. Die besondere Bedeutung der Jugendwerkstätten liegt in ihren spezifischen Jugendhilfeaufgaben, die sich nicht allein auf § 13 Abs. 3 beziehen, sondern auch an der Schnittstelle zu den Hilfen zur Erziehung angesiedelt sind. Zu den Zielgruppen der Jugendwerkstätten gehören neben Jugendlichen ohne Schulabschluss auch solche Jugendliche, die in bzw. an Maßnahmen gescheitert sind. Aufgabe der Jugendwerkstätten ist es, Motivation aufzubauen und Beziehungsarbeit zu leisten, vor allem mit dem Ziel der persönlichen Stabilisierung, während berufliche Qualifizierung allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen kann. Neben den Schulen sind vor allem der Allgemeine Sozialdienst, die Erziehungsberatung, die Jugendgerichtshilfe und die Schulsozialarbeit wichtige Kooperationspartner. Indem die Jugendwerkstätten im Sinne einer „ganzheitlichen Betrachtung“ auch mit dem persönlichen Umfeld (insbesondere den Familien) der Jugendlichen, d.h. mit der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen, vertraut und in der Lage sind, weit über die Schule hinausreichende Hilfestellungen anzubieten, sind sie geradezu dafür prädestiniert, die derzeit bestehende Lücke an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Schule zu füllen. Hier liegt ein künftiges Handlungsfeld für Jugendwerkstätten, das es zu stärken gilt. Vorgeschlagen wird deshalb, verstärkt den Blick hierauf zu lenken und die Rolle Jugendwerkstätten als einem Instrument der Jugendhilfe mit den Schwerpunkten Reintegration und Prävention in einem partnerschaftlichen Netzwerk von Schule und Jugendhilfe neu zu bestimmen.“ Literatur Balnis, P./Demmer, M./Rademacker, H. (2005): Leitgedanken zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe. Hrsg. GEW, Frankfurt am Main, Februar 2005 Bujard, O./Baros, W./Niehues, C./Pötter, N. (2003): Jugendwerkstätten. Eine Längsschnit-tuntersuchung. Hilfe bei der Passage in die Normalbiografie, Teil eines zirkulären „Aufbe-wahrungssystems“ für jugendliche Problemgruppen des Bildungs- und Beschäftigungssy-stems oder Beitrag zur Vermeidung von „Desozialisierungs-“ und Exklusionsprozessen? Hrsg. vom Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 2003 Christe, G. (2003): AUSZEIT. Ein Modellprojekt für hartnäckige Schulverweigerer im Land-kreis Osnabrück. Erster Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Hrsg. IAJ Ol-denburg, September 2003 Christe, G. (2004a): AUSZEIT. Ein Modellprojekt für hartnäckige Schulverweigerer im Land-kreis Osnabrück. Zweiter Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Hrsg. IAJ Ol-denburg, November 2004 Christe, G. (2004b): Überlegungen zur Weiterentwicklung der Jugendwerkstätten. Diskussi-onspapier im Auftrag des sci:moers, unter Beteiligung des Paritätischen, LV NRW, Fachbe-ratung Jugendsozialarbeit. Oldenburg, November 2004 Christe, G./Hüsken, T. (2001): Kommunales Kooperationsprojekt für schulmüde Jugendliche. Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Hrsg. IAJ, Oldenburg, Juni 2001 Verfasser: Dr. Gerhard Christe, Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (IAJ), Tel. 0441 / 9 73 88 37, Email: gerhard.christe@iaj-oldenburg.de – Zwischenevaluation AUSZEIT.pdf

www.iaj-oldenburg.de
http://www.sci-moers.de/

Quelle: 

Dokumente: Zwischenevaluation_AUSZEIT.pdf

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