Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland Auszüge aus dem im Juni veröffentlichten über 600 Seiten starken Bericht: … “ A) EINLEITUNG Die Beauftragte der Bundesregierung Migration, Flüchtlinge und Integration erstattet hiermit gemäß § 94 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz dem Deutschen Bundestag ihren 6. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Wie die vorangegangenen Berichte verfolgt auch dieser Bericht das Ziel, die Lage der Migrantinnen und Migranten in Deutschland differenziert, umfassend und kritisch darzustellen. Der Bericht benennt Erreichtes wie Schwierigkeiten, stellt Erfolge und Fehlentwicklungen dar und skizziert – in der Perspektive der integrationspolitischen Erfordernisse – Handlungsmöglichkeiten für Politik und gesellschaftliche Akteure. In Fortschreibung des 5. Berichts der Beauftragten, der im August 2002 vorgelegt wurde (Drs. 14/9883), umfasst der Berichtszeitraum die Zeit von September 2002 bis Ende 2004. In einigen Fällen wurde auf Rechtssetzung bzw. aktuelle Entwicklungen in der ersten Jahreshälfte 2005 Bezug genommen. … Wie schon in den früheren Berichten nimmt auch diesmal die Berichterstattung zu Themenfeldern der Integration von Migrantinnen und Migranten breiten Raum ein. Besonderen Stellenwert misst die Beauftragte der Integration in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt bei. Thematisiert werden zudem die Integration in den Sozialraum, die interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste und Regeleinrichtungen, die Integration zugewanderter Religionsgemeinschaften, das gesellschaftliche und politische Engagement von Migrantinnen und Migranten sowie auch Aspekte, die gesellschaftlicher Integration entgegenstehen, so Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Kriminalität und familiäre Gewalt. Darüber hinaus wird die Neugestaltung der Integrationsförderung von Bund und Ländern skizziert und ein detaillierter Überblick über die Angebote des Bundes zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration und des Deutschspracherwerbs gegeben. Die thematische Breite der Berichterstattung unterstreicht, dass Integrationspolitik in unserer Einwanderungsgesellschaft fester Bestandteil von Gesellschaftspolitik ist und sich auf sämtliche Lebensbereiche bezieht. Ein weiterer ausführlicher Teil des Berichtes beschäftigt sich mit der Rechtssetzung im Berichtszeitraum auf nationaler und europäischer Ebene. In den Kapiteln zum Antidiskriminierungsrecht, zum Staatsangehörigkeitsrecht, zur Rechtstellung von Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern, zu Flüchtlingen und zu den rechtlichen Aspekten der sozialen Sicherheit von Ausländern werden die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen nachgezeichnet und integrationspolitisch bewertet. Besonders gewürdigt werden die Regelungen des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes. …. …. B) INTEGRATION I. Bildung Die Bildungsdiskussion wurde im Berichtszeitraum vorrangig geprägt durch die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU. Der entscheidende Befund, dass in keinem anderen Vergleichsland die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen derart vom sozialen Status der Eltern abhängen wie in Deutschland, verweist darauf, dass die gesellschaftlichen und insbesondere die Bildungsinstitutionen offenbar nicht in der Lage sind, soziale Ungleichheit so zu kompensieren, dass von Chancengleichheit gesprochen werden kann. Obwohl überwiegend in Deutschland geboren und aufgewachsen, sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im Schnitt im Bildungssystem wesentlich weniger konkurrenzfähig als Kinder ohne Migrationshintergrund. Die starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft trifft diese Kinder in besonderem Maße. Obwohl die Beteiligungsquote von Migrantenkindern in den Kindergärten zunimmt und sie in Vorschulen überproportional vertreten sind, gelingt es weder den Kindertageseinrichtungen noch dem Schul- und Ausbildungssystem, diese Kinder und Jugendlichen – trotz nachgewiesener hoher Bildungsmotivation – adäquat zu fördern. Der konstruktive Umgang mit sozialer und kultureller Heterogenität und Vielfalt ist in deutschen Bildungseinrichtungen schwach ausgeprägt. Leistungsdifferenzierung bestimmt den Bildungsalltag. Hierzu stellte der Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration in seinem Bericht 2004 fest: „Für Schulen besteht die Möglichkeit, Schüler mit schlechteren Startchancen zurückzustellen bzw. an die �Sonderschule’ abzugeben. Diese Selektionsmöglichkeiten schränken die Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund ein.“ Konsequenz sind später schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Transferleistungen. Alle verfügbaren Daten belegen, dass Migrationshintergründe in vielfacher Weise mit sozialer Ausgrenzung verknüpft sind. Schon heute wächst ein erheblicher Teil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland in Migrantenfamilien auf. Fast jedes vierte in Deutschland Neugeborene hat mindestens ein ausländisches Elternteil. Legt man statt der Staatsangehörigkeit das Kriterium „Migrationshintergrund“ zu Grunde, so kommt inzwischen fast ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland aus Migrantenfamilien. In den Städten Westdeutschlands liegt der Anteil bei den 15jährigen Jugendlichen sogar bei bis zu 40 %. Grundsätzlich zu begrüßen sind die Entwicklung länderübergreifender Bildungsstandards und die Vereinbarungen der Kultusminister der Länder und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über eine gemeinsame Bildungsberichterstattung sowie den Ausbau von Ganztagsschulen. Der erste gemeinsame Bildungsbericht soll mit dem Schwerpunkt „Integration von Kindern, Jugendlichen und Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem“ im Jahr 2006 vorgelegt werden und alle bildungsbiografischen Etappen – vom Elementarbereich bis hin zur Erwachsenenbildung – erfassen. Entscheidend für die Aussagekraft des Berichts wird die Ausgestaltung des statistischen Kriteriums „Migrationshintergrund“ sein. In dieser Perspektive hatte die Beauftragte bereits bei der Reform des Berufsbildungsgesetzes angeregt, die Daten der Berufsbildungsstatistik um dieses Kriterium zu erweitern. …. 3.1 Beteiligung an der beruflichen Bildung 3.1.1 Beteiligungsquoten an beruflichen Bildungsgängen Die Beteiligung ausländischer Jugendlicher an der Berufsausbildung ist – nach einer positiven Entwicklung in den 1980er Jahren – seit Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich rückläufig …. Auch im Berichtszeitraum hielt dieser Negativtrend an. Während 1979/80 die Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher bei 14 % lag, stieg sie 1994 auf 44 % (Deutsche: 70 %) und erreichte damit ihren bisherigen Höchststand. Aufgrund eines neuen Berechnungsmodus bei der Ermittlung der Ausbildungsquote sind die Zahlen ab 2002 mit den Daten der 1990er Jahre nur noch bedingt vergleichbar. Nach der neuen Berechnungsmethode lag die Ausbildungsquote im Jahr 2002 bei nur noch 28 % und sank im Jahr 2003 auf 27,1 %. In Westdeutschland (einschließlich Berlin) lag damit – bei einem Bevölkerungsanteil von 12,4 % – der Anteil der ausländischen Auszubildenden (79 205) an allen Auszubildenden lediglich bei 6,1 %. In Ostdeutschland betrug die Ausbildungsquote ausländischer Jugendlicher 2003 sogar nur 3,1 %. Gründe hierfür sind die insgesamt ungünstigere Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt sowie die Struktur der ausländischen Wohnbevölkerung, die einen vergleichsweise hohen Flüchtlingsanteil aufweist. Denn insbesondere geduldete jugendliche Flüchtlinge haben nur einen nachrangigen Arbeits- und Ausbildungsmarktzugang und sind auch im Rahmen des Benachteiligtenprogramms nicht förderfähig. Die geringe Beteiligung ausländischer Jugendlicher an der beruflichen Bildung führt nicht dazu, dass sie sich verstärkt an die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit wenden. Im Beratungsjahr Oktober 2002 bis zum September 2003 ließen sich 198 577 ausländische Jugendliche von der Berufsberatung der Agenturen für Arbeit beraten. Damit nahmen etwa 2 % weniger junge Ausländer diese Leistung in Anspruch als im Vorjahr“. Der Anteil junger Ausländer an allen Ratsuchenden betrug in Westdeutschland 11,7 %, während ihr Anteil an den noch nicht vermittelten Bewerbern bei 15,1 % lag. Trotz dieser hohen Unversorgtenquote sind ausländische Jugendliche an den beruflichen Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit nur unterproportional beteiligt (2002/2003: 9,1 %). Auch im Benachteiligtenprogramm sind sie unterrepräsentiert mit rückläufiger Tendenz. So waren im Juni 2004 nur 6,6 % aller Teilnehmer an der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) ausländische Jugendliche 1997 waren es 12 % und 2000 noch 9 %. Bei den ausbildungsbegleitenden Hilfen (AbH), die einen betrieblichen Ausbildungsplatz voraussetzen, stellten sie 2004 11,8 % der Teilnehmer, während ihr Anteil 1997 noch bei 17 % lag. Und auch am Ende 2004 aufgelegten Sonderprogramm des Bundes zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ-Programm) sind ausländische Jugendliche nur zu 9 % beteiligt. Ursache für den Rückgang der Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher ist die insgesamt verschlechterte Ausbildungsplatzsituation in Deutschland. Sie führt zu steigenden Anforderungen der Betriebe, schärferen Auswahlkriterien und somit insgesamt zu einer härteren Konkurrenz auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Insbesondere ausländische Jugendliche beginnen in der Regel nicht unmittelbar nach der allgemeinbildenden Schule mit einer Berufsausbildung. Ihre Qualifizierungswege sind durch Umwege und Mehrfachdurchläufe geprägt, die sich oft zu „Maßnahme-Karrieren“ addieren und dazu führen, dass jährlich mittlerweile rund 45 % der Lehrstellensuchenden so genannte Altbewerber sind. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung hat die Anzahl der Jugendlichen in schulischen und außerschulischen Maßnahmen der Berufsvorbereitung und -grundbildung von 1992 bis 2003 um 92 % zugenommen. In absoluten Zahlen bedeutet dies eine Zunahme um knapp 250 Tsd. auf über 500 Tsd. Jugendliche ausländischer Herkunft nutzen besonders häufig vollzeitschulische Bildungsgänge als ‘Ausweichmöglichkeit’. Dabei sind sie überproportional in den schulischen Bildungsgängen vertreten, die nicht zu einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf führen und auch nicht zu den weiterführenden Bildungsgängen des beruflichen Schulwesens gehören. Im Schuljahr 2002 waren sie – bei einem Gesamtanteil von rund 7 % an allen Schülern der beruflichen Schulen – mit ca. 16 % überproportional im Berufsgrundbildungs- und Berufsvorbereitungsjahr vertreten …und unterproportional in Fachoberschulen (5,6 %) und Fachschulen (4,4 %). Immerhin eröffnet die Nutzung berufsbildender Angebote ausländischen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen und damit ihre individuellen Voraussetzungen bei der Suche nach Ausbildungsplätzen zu verbessern. 2002 verließen rund 1 Mio. Schüler die beruflichen Schulen, davon waren 89 754 (8,4 %) ausländische Jugendliche. 21 % der jungen Ausländerinnen und Ausländer und 24 % der Deutschen nutzten die Chance einen Schulabschluss nachzuholen. Wie bei der allgemeinbildenden Schule überwiegt bei den jungen Migrantinnen und Migranten auch hier mit 35 % der Hauptschulabschluss bei den Deutschen sind es 19 %. … Ein Großteil der Jugendlichen, denen der Übergang in die Ausbildung nicht gelingt, bleibt auch als junge Erwachsene ohne berufliche Qualifikation. Zählt man zu den ausländischen Auszubildenden die Schülerinnen und Schüler an den beruflichen Vollzeitschulen (ohne die Teilnehmer am Berufsvorbereitungsjahr oder ähnlichen Maßnahmen) und die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe hinzu, so übersteigt die Quote derer, die einen Ausbildungsvertrag haben oder die in Vollzeitschulen lernen, nicht 60 %. Dies aber bedeutet, dass 40 % aller Jugendlichen mit ausländischem Pass ohne jede Ausbildung im Anschluss an die Schulpflichtzeit bleiben. Bei deutschen Jugendlichen beträgt dieses Verhältnis ca. 85 % zu 15 %. Dies bestätigt auch eine repräsentative Befragung von jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung des Bundesinstituts für Berufsbildung im alten Bundesgebiet. Während unter deutschen jungen Erwachsenen im Alter zwischen 24 und 29 Jahren zum Zeitpunkt der Befragung (2000) 10,4 % ohne Ausbildungsabschluss waren und sich nicht in einer Ausbildung befanden, betrug der Anteil bei den ausländischen jungen Erwachsenen 39,7 % …. Auch hinsichtlich der Ungelerntenquoten junger Frauen und Männer ergab die Befragung erhebliche Unterschiede. Obwohl besser schulisch qualifiziert, verblieben rund 10 % mehr junge ausländische Frauen als Männer ohne berufliche Qualifikation bei Deutschen betrug diese Differenz lediglich knapp 3 %. Auch Berechnungen des statistischen Bundesamtes weisen nach, dass 40 % der 20- bis unter 30jährigen jungen Erwachsenen ausländischer Herkunft keinen Berufsabschluss haben (m: 37 % w: 43 %), aber nur 12 % der deutschen Vergleichsgruppe (m: 10 % w: 13 %). Hier wird aus Sicht der Beauftragten deutlich, dass Angebote zur beruflichen Nachqualifizierung65 unabdingbar notwendig sind, will man nicht knapp die Hälfte eines Jahrgangs beruflich ins Abseits stellen. Auch die Tatsache, dass 70 % der ausländischen Arbeitslosen Ungelernte sind, verdeutlicht die Notwendigkeit der nachträglichen beruflichen Qualifizierung Erwachsener. 3.1.2 Geschlechtsspezifische Ausbildungsbeteiligung Der Anteil der jungen Frauen unter den ausländischen Auszubildenden im Dualen System betrug 2003 44,5 % und ist damit größer als bei deutschen Frauen, deren Anteil bei 40,4 % lag. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass deutsche junge Frauen häufiger schulische Berufsausbildungsgänge wählen (insbesondere Berufe des Gesundheits- und Sozialwesens). Ausländische junge Frauen sind dort nur mit 5 % vertreten. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Berufswahl, die sich im Wesentlichen nicht von der der Deutschen unterscheidet, konkurrieren junge Ausländerinnen auf dem Ausbildungsstellenmarkt nicht in erster Linie mit ausländischen jungen Männern, sondern mit den schulisch besser ausgebildeten jungen deutschen Frauen. Untersuchungen belegen immer wieder das hohe Interesse der jungen Frauen ausländischer Herkunft an beruflicher Qualifizierung auch der Unterstützung der Eltern können sie sich überwiegend gewiss sein. Dennoch und trotz – im Vergleich zu den männlichen ausländischen Schulabgängern – besserer Schulabschlüsse und ihres größeren Engagements bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz bleibt ein großer Teil der jungen Frauen (44 % …) ohne anerkannten Berufsabschluss und damit ohne reelle Chance auf eine nachhaltige berufliche Integration. 3.1.3 Ausbildungsbereiche, Branchen und Berufe In nahezu allen Ausbildungsbereichen wurden im Jahr 2003 gegenüber dem Vorjahr weniger Jugendliche ausländischer Herkunft ausgebildet. In Industrie und Handel waren es 36 715 ausländische Jugendliche und damit gegenüber dem Vorjahr 2 949 weniger hier sank der Ausländeranteil von 5,8 % auf 5,4 %. Im Handwerk verringerte sich die Anzahl um 2 916 damit sank ihr Anteil auf 6,9 % (Vorjahr 7,4 %). Lediglich im Bereich der Freien Berufe ist nur ein leichter Rückgang um 134 Auszubildende festzustellen. Hier beträgt der Ausländeranteil gleich bleibend 9,1 %. Der relativ hohe Ausländeranteil bei den Freien Berufen ist ein Indiz dafür, dass hier das zweisprachige Potenzial, das diese jungen Menschen häufig in die Ausbildung mitbringen, besonders hoch geschätzt wird. In nahezu allen anderen Berufen ist der Anteil ausländischer Jugendlicher an der Gesamtzahl der Auszubildenden deutlich geringer. Nach wie vor ist es der öffentliche Dienst, dessen Ausbildungsleistung am geringsten ist: gerade 2,6 % der Auszubildenden haben hier eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit. Die im Vergleich zu deutschen Jugendlichen problematischere Ausbildungssituation verschärft sich noch durch das enge Berufsspektrum der Jugendlichen ausländischer Herkunft. Die Auszubildenden mit ausländischem Pass sind auf wenige Berufe konzentriert. Sie haben am ehesten in den Berufen eine Ausbildungschance, die für Deutsche weniger attraktiv sind, da sie gekennzeichnet sind durch vergleichsweise ungünstige Arbeitszeiten bzw. Arbeitsbedingungen, geringere Verdienstmöglichkeiten, geringere Aufstiegschancen sowie geringere Übernahmechancen und letztlich auch durch ein höheres Arbeitsplatzrisiko. 43 % aller ausländischen Auszubildenden münden in nur zehn Berufe. Die Mädchen finden am häufigsten als Friseurin (14 %) und Arzt- bzw. Zahnarzthelferin (jeweils ca. 11 %) einen Ausbildungsplatz (vgl. Tabelle 20 im Anhang). Bei den Jungen sind es die Berufe des Kraftfahrzeugmechanikers (7,6 %), Malers und Lackierers (10 %) und des Gas- und Wasserinstallateurs (10 %). Demgegenüber sind Migranten und Migrantinnen in den neuen Service-Berufen (6 %), den Büroberufen (5 %), den neuen Medienberufen (3 %) und in den neuen IT-Berufen (3 %) kaum vertreten. 3.2 Disparitäten auf dem Ausbildungsstellenmarkt Die Gründe für das Scheitern ausländischer Jugendlicher auf dem Ausbildungsstellenmarkt werden meist in der Person selbst gesucht und auf unzureichende Sprachkenntnisse, falsche Berufswahl, mangelndes Interesse etc. zurückgeführt. Für einen Teil der Jugendlichen mag dies auch zutreffen. Ein erheblicher Teil verfügt jedoch über gute Schulabschlüsse, ist zweisprachig und bikulturell aufgewachsen, hat eine hohe Bildungsmotivation und ist dennoch beim Übergang in eine berufliche Ausbildung im Vergleich zu Deutschen benachteiligt. Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung belegen die besonderen Schwierigkeiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Ausbildungsplatzsuche. Selbst bei gleichen Schulabschlüssen sind sie gegenüber deutschen Bewerbern benachteiligt. Deutsche Hauptschul- oder Sonderschulabsolventen finden mit 43 % wesentlich häufiger einen Ausbildungsplatz als ausländische Jugendliche mit gleichen Abschlüssen, denen dies nur zu 23 % gelingt. Noch deutlicher ist diese Diskrepanz bei Realschulabsolventen und – absolventinnen mit 61 % zu 24 %. Zudem erhöhen sich bei ausländischen Jugendlichen die Chancen auf einen Ausbildungsplatz – anders als bei deutschen Bewerbern – mit steigender schulischer Vorbildung offenbar nicht. Die Chance eines ausländischen Realschulabsolventen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, ist nicht höher als die eines ausländischen Hauptschulabsolventen (Differenz 1 %). Bei deutschen Jugendlichen liegt diese Differenz bei 18 %. Abgesehen von den Bildungsvoraussetzungen der Jugendlichen und ihrem Nachfrageverhalten sind die Zugangschancen zur Berufsausbildung in hohem Maße auch vom Angebots- und Auswahlverfahren der Betriebe und nicht zuletzt auch von den Vorurteilsstrukturen der Personalverantwortlichen abhängig. Die betrieblichen Entscheidungskriterien, die junge Menschen ausländischer Herkunft beim Zugang zu Ausbildung und Beruf diskriminieren, lassen sich durchaus benennen. Betriebe sind daran interessiert, homogene Arbeitsgruppen zu bilden, um Reibungsverluste und Konflikte zu reduzieren. Ausländischen und insbesondere türkischen Jugendlichen werden oft störende Verhaltensweisen, unzureichende Kenntnis der Sprache sowie der deutschen (Betriebs-) Kultur unterstellt. Spezifische kulturelle Praktiken werden als störend für den Betriebsablauf empfunden. Hinzu kommt – insbesondere bei Klein- und Mittelbetrieben – die vermutete mangelnde Kundenakzeptanz. Bei Großbetrieben ist es in erster Linie die fehlende Einbindung von Jugendlichen ausländischer Herkunft in die betrieblichen sozialen Netzwerke, die für die Nachwuchsrekrutierung oftmals entscheidend sind. Gesellschaftliche bzw. institutionelle Diskriminierung beim Zugang zu beruflicher Qualifizierung hat viele Facetten. Besonders prekär ist in dieser Hinsicht die Situation junger Flüchtlinge, die lediglich über eine Duldung verfügen und deshalb nur einen nachrangigen Zugang zum Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt haben. Dieser Gruppe, deren vorübergehender Aufenthalt sich häufig über viele Jahre erstreckt und oftmals auch dauerhaft ist, die häufig hier zur Schule gegangen sind und erfolgreich Schulabschlüsse erreicht haben, ist aus Sicht der Beauftragten zügig der gleichrangige Zugang zu Ausbildungsgängen zu ermöglichen. Es wird abzuwarten sein, ob und wie die neue Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) in dieser Hinsicht greift. Entbrannt ist im Berichtszeitraum eine Debatte um „Ausbildungsfähigkeit“ bzw. „Ausbildungsreife“, die sich nicht zuletzt auch auf Jugendliche ausländischer Herkunft bezieht. In Zeiten fehlender Ausbildungsplätze stehen diese Begriffe immer auf der Tagesordnung. Mit diesem Konzept wird die tatsächliche oder vermeintliche mangelnde Eignung Ausbildungsplatz suchender Jugendlicher zur Ursache für die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt gemacht. Erfahrungen aus der Praxis belegen dagegen, dass auch Jugendliche ohne Schulabschluss mit großem Erfolg im dualen System ausgebildet werden können, da für diesen Bildungsbereich keine schulischen Eingangsvoraussetzungen und kein einheitliches Anforderungsprofil formuliert sind. Gerade ausländische Jugendliche, die nicht über deutschen Schulabschlüsse verfügen, wurden in der Vergangenheit mit Erfolg ausgebildet. In diesem Zusammenhang kann u. a. auf die Ergebnisse der insgesamt 25 Modellversuche im Rahmen des Modellprogramms zur „Förderung der Ausbildung von ausländischen Jugendlichen in anerkannten Ausbildungsberufen“ verwiesen werden. Gerade das duale System bietet die Chance, offen zu sein für alle Jugendlichen, die eine Berufsausbildung anstreben. Eventuelle Lücken im schulischen Basiswissen und Probleme mit der Fachtheorie insbesondere in der Berufsschule können und sollten aus Sicht der Beauftragten durch ausbildungsbegleitende Hilfen abgebaut werden. 3.3 Reformansätze in der beruflichen Bildung Im Berichtszeitraum wurde das Berufsbildungsgesetz reformiert. Mit dem Berufsbildungsreformgesetz (BerBiRefG) wurde u. a. die Möglichkeit geschaffen, vollzeitschulische und andere nicht betriebliche Ausbildungsgänge durch die Zulassung zur Kammerprüfung mit betrieblichen Ausbildungen gleichzusetzen. Die GEW sieht darin die Chance einer zunehmenden Akzeptanz nichtbetrieblicher Ausbildungsgänge durch die Betriebe, „weil die BBiG-Abschlüsse bekannter und eher einschätzbar sind als z.B. die von Assistentenausbildungen. Jugendliche werden sie nicht mehr nur als Überbrückung, sondern als echte Alternative betrachten. Die Fehlentwicklungen der Mehrfachdurchläufe und Umwege kann verhindert oder wenigsten reduziert werden.“ Zu begrüßen ist, dass hier die Möglichkeit geschaffen wurde, durch Ausbildungsverbünde, z.B. zwischen Schulen als Ausbildungsträgern und Praktikumsbetrieben, die Ausbildungsplatzsituation insgesamt zu verbessern, wovon nicht zuletzt auch Jugendliche mit Migrationshintergrund profitieren werden. Es liegt jetzt an den Ländern, diese Möglichkeit aufzugreifen, entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen und sich untereinander so abzustimmen, dass keine länderspezifischen Disparitäten entstehen. Eine stärkere Verknüpfung berufsvorbereitender Angebote mit der nachfolgenden Berufsausbildung ist das Ziel des neuen Fachkonzepts zur Berufsausbildungsvorbereitung der Bundesagentur für Arbeit. Zentrales Instrument dieses 2004 vorgelegten Konzepts sind flexible Qualifizierungsbausteine, die u .a. auch (fach-)sprachliche Förderung umfassen und mit den Ausbildungsordnungen so abgestimmt sind, dass Anrechnungsmöglichkeiten auf die spätere Ausbildung eröffnet werden. Auf die Unterstützung junger Migrantinnen und Migranten beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung sind die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Beruflichen Qualifizierungsnetzwerke (BQN) gerichtet. Diese lokalen und regionalen Netzwerke verstehen sich als lokale „Lobby“ für Jugendliche mit Migrationshintergrund und beraten Ausbildungsbetriebe, Ausbilder und insbesondere auch ausländische Betriebsinhaber. Sie wurden im Berichtszeitraum an zehn Standorten aufgebaut und koordinieren gemeinsam mit Kammern, Betrieben, (Berufs-)Schulen, Arbeitsagenturen, Verbänden und Migrantenorganisationen die verschiedenen regionalen Berufsbildungs- und Beratungsangebote, um insgesamt die Vermittlung von Migrantinnen und Migranten in eine Berufsausbildung effektiver zu gestalten. Aus Sicht der Beauftragten sollte die dreijährige Laufzeit der Förderung für den flächendeckenden und dauerhaften Aufbau und die Absicherung dieser Netzwerke genutzt werden. Das Job-AQTIV-Gesetz bietet hierfür insofern eine Grundlage als der Deutsche Bundestag in seiner Beschlussempfehlung zu diesem Gesetz ausdrücklich den Aufbau von BQN erwähnte. Für die soziale und berufliche Integration besonders benachteiligter Jugendlicher, davon viele Migrantinnen und Migranten, wurde seit 1999 das „Freiwillige Soziale Trainingsjahr“ vom BMFSFJ und von der Bundesagentur für Arbeit erprobt und 2004 in die Regelförderung des SGB III überführt. Unterstützt wird dies durch die derzeitige modellhafte Erprobung von „Kompetenzagenturen“ an 15 Standorten. Diese verfolgen einen präventiven Netzwerkansatz, indem sie für Jugendliche mit Problemen von Schulmüdigkeit, Schulverdrossenheit oder Schulverweigerung auf mehrere Jahre angelegte individuelle Hilfeplanung entwickeln, um „Maßnahmekarrieren“ schon im Ansatz zu vermeiden. Zu prüfen sein wird, inwieweit diese Angebote – aber auch das Sonderprogramm des Bundes zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ-Programm) und der dreijährige „Nationale Pakt Grundlage für die Aquise von Ausbildungsplätzen in ausländischen Betrieben können die Erfahrungen des Projekts KAUSA – Koordinierungsstelle Ausbildung in ausländischen Unternehmen sein. Dieses bundesweite Projekt wird seit 1999 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. „Mit der Vermittlung der … arbeitlosen ausländischen Jugendlichen können auch Beratungsstellen zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte (BQN) bzw., wenn diese keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, deren Träger beauftragt werden…, für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ – auch Migrantinnen und Migranten den Einstieg in eine betriebliche Berufsausbildung erleichtern. Im Rahmen dieses im Dezember 2004 angelaufenen Programms will die Bundesregierung sechs- bis zwölfmonatige betriebliche Einstiegsqualifizierungen, die auf eine spätere Berufsausbildung anerkannt werden können, für insgesamt 25 000 Jugendliche pro Ausbildungsjahr fördern. Die Beauftragte regt an, dieses Programm in seiner Wirksamkeit als Brückenfunktion zwischen Schule und Berufsausbildung insbesondere für Migrantinnen und Migranten, die seit Jahren einen hohen Anteil an den unversorgten Jugendlichen stellen, zu evaluieren. Die Reform des Berufsbildungsgesetzes, das neue Fachkonzept für die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit und auch die betrieblichen Einstiegqualifizierungen (EQJ) erweitern die Möglichkeiten für eine stärkere Modularisierung der beruflichen Bildung. Modulare Qualifizierungsgänge sind eine Voraussetzung für die Umsetzung der EU-Vorhaben im Bereich der beruflichen Bildung (Kopenhagen-Prozess), die zur Verbesserung der wechselseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen innerhalb der Europäischen Union führen sollen. In dieser Perspektive wurden mit der Reform des Berufsbildungsgesetzes auch Verbesserungen bei der Anerkennung ausländischer beruflicher Bildungsabschlüsse vorgenommen und die Möglichkeiten, die Ausbildung ganz oder teilweise im Ausland zu absolvieren, erweitert. Dies bietet aus Sicht der Beauftragten insbesondere Migrantinnen und Migranten die Chance, ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen zumindest teilweise anerkennen und dokumentieren zu lassen. … “
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Berichtes:
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Quelle: www.integrationsbeauftragte.de