Beschäftigungsfähigkeit und berufliche Orientierung Jugendlicher

Beschäftigungsfähigkeit und berufliche Orientierung Jugendlicher Auszüge aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung von Dr. Jens U. Prager und Clemens Wieland „Kaum ein Thema treibt Deutschland derzeit mehr um als die kritische Lage auf dem Arbeitsmarkt. … Mehr und mehr zeichnet sich eine Entwicklung ab, die ein Konfliktpotenzial in sich birgt, das in den nächsten Jahren zu dramatischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und damit auch – und dort besonders – bei der jungen Generation führen wird. Die Diskussionen darüber, mit welchen Maßnahmen, Strategien oder Initiativen hier wirksam Abhilfe geschaffen werden kann, werden primär aus bildungspolitischer Perspektive oder aus Unternehmenssicht geführt. Bislang kaum beleuchtet wird in diesem Zusammenhang die Sicht der Jugendlichen selbst, die ja für eine differenzierte Einschätzung der Problemlage und möglicher Lösungsstrategien von maßgeblicher Bedeutung sein sollte. … Schlaglichter zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt Viele Unternehmen scheuen sich mehr und mehr, Schulabgänger auszubilden, da diesen elementare Kenntnisse, besonders im Bereich der Allgemeinbildung fehlen. Fast 85 Prozent der Betriebe beklagen schlechte Rechtschreib- und Grammatikkenntnisse und mehr als zwei Drittel sind mit den mathematischen Fähigkeiten der Jugendlichen unzufrieden ähnliches gilt für  Ausdrucks-fähigkeit, Texterstellung und Texterfassung. Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter 7.000 Unternehmen ist die mangelnde Aus- bildungsreife der Schulabgänger Haupthindernis für den Abschluss von Ausbildungsverträgen. Mehr als 73 Prozent der Unternehmen haben Probleme, für ihre Ausbildungsstellen qualifizierte Bewerber zu finden. Für die Unternehmen wird die Suche nach geeigneten Bewerbern zunehmend aufwändiger und kostenintensiver. Die Folge: Mangels geeigneter Bewerber werden viele Lehrstellen gar nicht besetzt. Im Jahr 2002 konnte ein Fünftel der Betriebe einen Aus-bildungsplatz nicht besetzen, weil es an den dazu geeigneten Bewerbern mangelte. Bereits mehr als die Hälfte der Betriebe führen Maßnahmen zur Kompensation schulischer Bildungsmängel durch. Darüber hinaus haben die Brüche in der Ausbildungsbiographie junger Menschen im Zeitablauf deutlich zugenommen. Galt bislang eine Quote von rund zehn Prozent der Jugendlichen als „Risikogruppe“, die ihre Ausbildung entweder nicht antritt oder zu keinem erfolgreichen Abschluss bringt, schätzen die Unternehmen diese Zahl inzwischen auf 25 Prozent. … Bei der Einschätzung der nach Schulformen differenzierten Ausbildungschancen zeigt sich nach Auffassung der Jugendlichen eine deutliche Stigmatisierung der Hauptschüler: Mehr als vier Fünftel der Jugendlichen selbst (82 Prozent) sind der Meinung, dass Schüler mit Hauptschulabschluss speziell bei der Lehrstellensuche, aber auch bei der anschließenden Arbeitsplatzsuche, benachteiligt werden. Im Kampf um Ausbildungs- und Arbeitsplätze ist der Schulabschluss aber das erste, entscheidende Wettbewerbskriterium. Dies reißt schon früh Gräben zwischen den Jugendlichen auf, da sie faktisch zu etwa je einem Drittel auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium verteilt sind. Es ist zu befürchten, dass mit der „gefühlten“ und auch tatsächlichen Benachteiligung von Hauptschülern ein beachtliches Potenzial an „Aussteigern“ und resignativen „Leistungsverweigerern“ geschaffen wird, weil diese nicht an sich glauben und sie auch nicht dazu ermuntert werden, dieses zu tun. Gerade diese jungen Menschen benötigen eine massive Unterstützung von außen, um Selbstvertrauen und Vertrauen in die Zukunft zu entwickeln. Gerade vor dem Hintergrund der Debatte um „Fördern und Fordern“ in der Arbeitsmarktpolitik ist die Arbeitsmotivation der Jugendlichen von besonderer Relevanz und Brisanz. Untersucht wurde daher auch, ob den Jugendlichen das berufliche Fortkommen so wichtig ist, dass sie dafür andere Lebensbereiche – wie die eigene Freizeit bzw. das Privatleben – zurückzu-stellen bereit wären. Insgesamt sind immerhin knapp zwei Drittel (63 Prozent) der Jugendlichen dazu bereit, Einschränkungen im Bereich ihrer privaten Interessen zugunsten eines beruflichen Vorankommens hinzunehmen. Sehr eindrucksvoll zeigt die Untersuchung aber auch, dass die Jugendlichen in erster Linie sich selbst in der Verantwortung sehen, wenn es um einen guten Start in den Beruf geht. Dies meinen immerhin 59 Prozent der jungen Menschen. Mit großem Abstand folgen dann erst die Eltern, bei denen 15 Prozent der Jugendlichen die Verantwortung für ihre berufliche Integration sehen. Interessanterweise werden weder der Staat (7 Prozent), noch die Schule (9 Prozent) oder die Betriebe (10 Prozent) von den Jugendlichen in nennenswertem Maße als verantwortlich gesehen. … Den Hauptschülern die Chance zu einer besseren Integration in die Berufswelt zu geben, heißt, einem Drittel der nach-wachsenden jungen Generation wieder Zukunftsmut zu machen. Wie kann nun diese Hilfestellung aussehen? Allgemein gilt: Insbesondere Jugendliche, die Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt haben, müssen deutlich stärker und deutlich individueller unterstützt werden – und zwar von allen gesellschaftlichen Gruppen. Dies gilt zunächst für die Eltern, die sich sowohl ihrer beratenden und unterstützenden Rolle bei der Berufswahl ihrer Kinder als auch ihrer wichtigen Funktion bei der Vermittlung sozialer und persönlicher Kompetenzen wieder stärker bewusst werden müssen. Für die Schule gilt, dass die traditionelle Abschlussorientierung vermehrt durch eine Anschlussorientierung im Hinblick auf das spätere Berufsleben ersetzt werden muss, wenn dem viel beklagten Mangel an Beschäftigungsfähigkeit eines größeren Teils der Schüler wirkungsvoll begegnet werden soll. Auf Ebene der Unternehmen wäre zu wünschen, dass die Betriebe mehr Ver-antwortung übernehmen für die eigene Nachwuchssicherung und sich damit die Anzahl der ausbildenden Betriebe und – daraus resultierend – auch die Zahl der Ausbildungsstellen erhöht. Insgesamt gilt für erfolgreiche Übergangsstrategien auch, dass ein hoher Grad an Vernetzung zwischen den betroffenen Akteuren vor Ort (Schulen, Unternehmen, Arbeitsagentur, Politik, Verwaltung, Kammern etc.) bestehen sollte, um weichere Übergänge zu ermöglichen. Nur dann, wenn alle Akteure vor Ort an einem Strang ziehen, kann Jugendlichen mit Startschwierigkeiten eine echte Zukunftsperspektive geboten werden.“

Quelle: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-A3FDE199/stiftung/CBP_2005_Beschaeftigungsfaehigkeit_auf_dem_Pruefstand.pdf

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