Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen auf dem Lande – Fachkräfte suchten Austausch und Vernetzung auf einer Tagung in Berlin

Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen auf dem Lande Fachkräfte suchten Austausch und Vernetzung auf einer Tagung in Berlin Artikel von Beate Selders, Freie Journalistin  ‚Allein auf weiter Flur‘, so der Titel der Tagung, zu der die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit und das Informations- und Dokumentationszentrum Antirassismusarbeit am 19. September bundesweit nach Berlin geladen hatten. Der Titel sprach den Teilnehmern aus dem Herzen. Alleine zuständig für große Einzugsgebiete mit weiten Wegen, ohne kollegialen Austausch und Fortbildungsmöglichkeiten und oft allein gelassen mit dem Problem Rechtsextremismus. ‚Wenn ich öffentlich sage, dass es in meinem Zuständigkeitsbereich rechtsextreme Jugendliche gibt, bekomme ich sehr viel Ärger‘, erzählt ein junger Sozialarbeiter aus Ostbrandenburg, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. ‚Es gibt teure Radwege, die auf Touristen warten, und da will man das Problem nicht in der Öffentlichkeit haben.‘ Solche Reaktionsweisen kennen viele. Was geschehen kann, wenn zu lange weggeschaut wird,  beschrieb Günther Hoffmann vom Verein Bunt statt Braun in Mecklenburg-Vorpommern. In der Region um Anklam wurde das Entstehen einer rechtsextremen Jugendkultur sehr lange nicht wahrgenommen. So konnten sich unbehelligt rechtsextreme Organisationsstrukturen entwickeln, die als Heimatbund und Dorftanzgruppe inzwischen in Vereine und Verbände und in die ehrenamtliche Jugendkulturarbeit eingedrungen sind. ‚Wenn ich heute Fachkräften in der Region auseinandersetze, wer sich dahinter verbirgt und wie verankert diese Leute inzwischen zum Beispiel in den Schulen sind, dann können sie es selbst nicht fassen, dass das vor ihren Augen entstehen konnte‘ berichtete Hoffmann. Nach den Forschungsergebnissen des Wissenschaftlers Benno Hafeneger von der Universität Marburg sind gerade in den schrumpfenden ländlichen Regionen rechtsextreme Einstellungen normal und mancherorts alternativlos geworden. ‚Abwanderung, Verfall der Infrastruktur und Ausdünnung der kulturellen Landschaft heißt auch, dass die Vielfalt in der Jugendkultur abnimmt. Der verfestigte Rechtsextremismus ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Landplage. Das ist kein Ostproblem sondern ein ländliches und existiert in Bayern wie in Rheinland-Pfalz oder in Brandenburg. Die Anforderungen an Jugendarbeit sind in diesen Regionen enorm hoch.‘ Aber genau hier liegt das Problem. Je größer die Abwanderung, desto schwieriger und  wichtiger wird die Arbeit mit den verbleibenden Jugendlichen, aber gleichzeitig werden immer weniger Mittel bereit gestellt. Zum Beispiel Wittstock im Landkreis Ostprignitz-Ruppin hat 18 Ortsteile und gehört flächenmäßig zu den größten Städten der Bundesrepublik. Für die Ortsteile gibt es nur eine sozialpädagogische Fachkraft, die für alle Aktivitäten in der Jugendarbeit zuständig ist. Die Jugendräume vor Ort werden im Ehrenamt oder von MAE-Kräften betreut. Sie haben die Schlüsselgewalt und setzen die Hausordnung durch. ‚Es gibt Ortsteile mit rechtsextreme Jugendlichen. Die Hinweise bekommen wir von der Polizei. Dann gibt es Hausverbote. Aber inhaltliche Jugendarbeit können wir mit der Personalausstattung nicht leisten,‘ berichtet Kerstin Jahn, Sachbearbeiterin für Jugendfragen. ‚Im Januar wird es wieder Kürzungen geben. An eine kontinuierliche Jugendarbeit mit fundierten Konzepten ist unter solchen Bedingungen gar nicht zu denken.‘ Andrea Erdmann-Wesel vom Landesjugendamt in Brandenburg, die ebenfalls an der Tagung teilnahm, betonte, dass die Pädagogik das Problem alleine nicht lösen kann. ‚Das geht nur mit allen gesellschaftlichen Gruppen zusammen.‘  Die entscheidende Frage aber sei, ob die kommunale Ebene mitzieht. ‚Wenn man die politischen Entscheidungsträger nicht mit ins Boot bekommt, dann hat man keine Chance.‘

Quelle: Beate Selders, Freie Journalistin

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