Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft – Memorandum der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft  – Memorandum der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Die Einwanderung der letzten fünfzig Jahre hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Gut 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben heute in Deutschland, sind also Einwanderer oder hier geborene Kinder von Einwanderern. Die Ausländerstatistik spiegelt diese veränderte gesellschaftliche Realität nur unzureichend wider. So verzeichnet das Ausländerzentralregister gegenwärtig 6,7 Millionen in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige. Doch sind in den vergangenen Jahren auch über 4 Millionen Aussiedler mit deutschem Pass eingewandert, wachsen etwa 1,5 Millionen Kinder aus binationalen Ehen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf und wurden allein seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes über eine Million Ausländer zu Deutschen. Mittlerweile dürften ebenso viele Deutsche mit Migrationshintergrund in Deutschland leben wie Ausländer. Ob Ausländer, Eingebürgerte, Aussiedler oder Kinder aus binationalen oder ausländischen Ehen – die Bevölkerung in Deutschland ist ethnisch, sprachlich, kulturell und religiös vielfältiger geworden. Jede fünfte Eheschließung ist heute binational, jedes vierte Neugeborene hat mindestens einen ausländischen Elternteil, jeder dritte Jugendliche in Westdeutschland hat einen Migrationshintergrund. In einigen Ballungsgebieten stammen schon heute 40% der Jugendlichen aus Migrantenfamilien – mit steigender Tendenz. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund wird in der Zukunft noch wachsen. Nicht nur die Gesellschaft insgesamt, auch die Migrantenbevölkerung selbst ist vielfältiger geworden und hat sich ausdifferenziert. … In Bildung investieren Ein erheblicher Teil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland wächst in Migrantenfamilien auf. Fast zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Legt man statt der Staatsangehörigkeit das Kriterium Migrationshintergrund zu Grunde, kommt fast ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Westdeutschland aus Migrantenfamilien. Die Ergebnisse der PISA- und IGLU-Studien belegen: In Integration als zivilgesellschaftliches Projekt keinem Industrieland ist der Bildungserfolg so stark vom sozialen Status der Eltern abhängig wie in Deutschland. Der enge Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg verfestigt die Ausgrenzung vor allem auch der Migrantenkinder und -jugendlichen, deren Eltern oder Großeltern für einfache Tätigkeiten angeworben wurden. Fast jeder fünfte ausländische Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss (gegenüber jedem zwölften deutschen Jugendlichen), fast jedes zweite ausländische Kind besucht die Hauptschule (gegenüber jedem fünften deutschen Kind) und nur jeder Zehnte schließt die Schullaufbahn mit dem Abitur ab (gegenüber jedem vierten deutschen Schüler). Die Chancen auf spätere Zugänge zu Ausbildung und Arbeit werden schon im Kindesalter ungleich verteilt. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund scheitern überdurchschnittlich häufig an den nach Leistung differenzierenden Auswahlmechanismen des deutschen Schulsystems. Bei der Einschulung werden sie häufiger zurückgestellt als andere Kinder. In der Folge steigt das Risiko der „Überalterung“ von Kindern in der Grundschule. Dies ist ein Grund für die Einleitung eines Sonderschulaufnahmeverfahrens, das bei Migrantenkindern überproportional häufig zur Anwendung kommt. Laut IGLU-Studie wurden 25 % der Grundschüler mit Migrationshintergrund in altersgemäßen Tests als schwache Leser eingestuft. Bei den 15-jährigen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund lag nach den PISAStudien dieser Anteil bei rund 50 %. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass unsere Bildungseinrichtungen, insbesondere nach der Grundschule, nicht in der Lage sind, durch individuelle Förderung die Lesekompetenz dieser Kinder zu steigern – im Gegenteil. Vergleichbare Länder verzeichnen zwischen diesen Altersgruppen eher Leistungsfortschritte. Die Ursachen für den mangelnden Schulerfolg sind weniger in der fehlenden Bildungsmotivation von Migrantenfamilien als vielmehr im unzureichenden Umgang der Bildungseinrichtungen mit sozialer und kultureller Vielfalt zu suchen. Ausländische Kinder besuchen Kindergärten fast ebenso häufig wie andere Kinder, in Vorschulen sind sie überproportional vertreten. Die Bildungsmotivation ist insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen oft hoch und auch ausländische Eltern sind überwiegend bereit, in die Bildung ihrer Kinder zu investieren. Offenbar sind unsere Bildungsinstitutionen nicht in der Lage, soziale Unterschiede und kulturelle Differenz auszugleichen. Wir können es uns aber nicht leisten, die Bildungspotenziale eines Teils der hier aufwachsenden Kinder und Jugendlichen zu ignorieren. Das Bildungssystem muss grundsätzlich lernen, mit sozialer und kultureller Heterogenität so umzugehen, dass Chancengleichheit gewährleistet wird. Förderangebote sollten möglichst frühzeitig, d. h. bei der frühkindlichen und vorschulischen Bildung ansetzen. Der Bildungsauftrag des Kindergartens muss grundsätzlich gestärkt werden. Vor allem hier sind die Grundlagen für Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit zu legen. Erforderlich ist zudem eine verstärkte und verbindliche Kooperation der Kindertageseinrichtungen mit den Grundschulen. Gemeinsame Bildungspläne für den Elementar- und Primarbereich gewährleisten einen flexiblen und nahtlosen Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Bildungsinstitutionen sind nicht in der Lage, soziale Unterschiede und kulturelle Differenz auszugleichen. Das Bildungssystem muss Verantwortung für den Bildungsprozess jedes einzelnen Kindes übernehmen. Unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und Bildungsniveaus, differenzierte Fähigkeiten und Fertigkeiten, soziale und kulturelle Heterogenität bedürfen einer motivierenden, individuellen Unterstützung und Begleitung. Statt früher leistungsmäßiger Differenzierung muss individuelle Förderung in den Mittelpunkt vorschulischen und schulischen Lernens rücken. Das Erkennen und Fördern von Begabungen muss ebenso zur Normalität des Bildungsalltags werden wie das Erkennen und der Abbau von Schwächen. Dazu gehört auch die Anerkennung und Förderung herkunftssprachlicher Kompetenzen. Mit Blick auf die notwendige altersgemäße Sprachentwicklung und den Erwerb schulischer Fachsprachen ist eine durchgehende, die gesamte Bildungslaufbahn begleitende Förderung „Deutsch als Zweitsprache“ unabdingbar. Die gegenwärtig zu beobachtende Verlagerung der Deutschförderung in den Elementarbereich greift zu kurz. Zudem fehlt in der Regel die Koordinierung mit dem Erstspracherwerb. Andere Herkunftssprachen als das Deutsche sind – auch unter ökonomischen Gesichtspunkten – ein Potenzial, das im Rahmen einer auf Mehrsprachigkeit ausgerichteten Bildungspolitik zu fördern ist. Der Respekt und Erhalt von mitgebrachten Sprachen und Kulturen in einem europäischen Sprachenraum ist im Übrigen ein Anliegen, das auch von der Europäischen Union verfolgt wird. Individuelle Förderung braucht Zeit. Optimal wäre ein flächendeckendes Ganztagsangebot von möglichst kostenfreien Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Vor allem der Ausbau vorschulischer Angebote und von Ganztagsschulen ist im Hinblick auf die Förderbedarfe von Kindern mit Migrationshintergrund geboten. Die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund muss in allen Bildungsbereichen zum Qualitätskriterium werden. Dem sollte auch die aktuelle Debatte um die Entwicklung von Bildungsstandards, Bildungsevaluation und -berichterstattung Rechnung tragen. Zu den Kernpunkten eines interkulturell offenen Bildungsangebots gehört auch die entsprechende Anpassung der Ausund Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrkräften, insbesondere in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache, Methoden frühkindlicher Sprachentwicklung und -förderung und Sprachstandsdiagnostik, sowie eine verstärkte Einbeziehung qualifizierten Fachpersonals mit Migrationshintergrund. Die Elternarbeit sollte verstärkt und die schulische und außerschulische Bildung und Sozialarbeit besser vernetzt werden. Arbeit schafft Integration Arbeit ist die Grundlage von Existenzsicherung sie verschafft nicht nur Einkommen, sondern auch soziale Beziehungen und gesellschaftliche Anerkennung. Gerade weil die bundesdeutsche Zuwanderungsgeschichte in starkem Maße eine Geschichte der Arbeitskräftezuwanderung war, steht die Herstellung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt ganz oben auf der integrationspolitischen Agenda. Im Zusammenhang der allgemeinen Krise am Arbeitsmarkt hat sich die Beschäftigungssituation der im Bundesgebiet lebenden Ausländerinnen und Ausländer in den letzten Jahren jedoch unverhältnismäßig verschlechtert. 2004 erreichte die Arbeitslosenquote der ausländischen Bevölkerung mit über 20% ihren historischen Höchststand und lag damit mehr als doppelt so hoch wie die der deutschen Bevölkerung. Rationalisierung und steigende Produktivität lassen die Nachfrage nach niedrig- oder unqualifi zierter Arbeit sinken. Verlierer dieses Prozesses sind vor allem Arbeitnehmer mit geringer Berufsqualifi kation, also auch die „Gastarbeiter“, die einst für einfache Tätigkeiten angeworben wurden, sowie oft auch deren Kinder und Enkel. Der Anteil der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist bei den Ausländern mit über 70% weit mehr als doppelt so hoch wie bei den Deutschen (28 %). Hinzu kommt die Konzentration von Ausländern in den Ballungsgebieten und in Wirtschaftszweigen, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind und entsprechend überproportional hohe Arbeitslosenquoten aufweisen. Noch immer sind Ausländer besonders stark im verarbeitenden Gewerbe und besonders wenig in den Dienstleistungsbranchen vertreten, die höhere Qualifikationen erfordern. Dies gilt auch für den öffentlichen Dienst, der im Vergleich der Wirtschaftszweige nach wie vor einen der geringsten Ausländeranteile aufweist. Ausländer sind zu über 50% als Arbeiter tätig (Deutsche knapp 30%). Dies gilt besonders für Erwerbstätige aus den ehemaligen Anwerbestaaten und insbesondere für türkische Staatsangehörige, deren Arbeiteranteil auch heute noch bei über 70% liegt. Junge Migrantinnen und Migranten sind von der zunehmend härteren Konkurrenz auf dem Ausbildungsstellenmarkt besonders betroffen. Seit Mitte der 1990er Jahre geht die Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher kontinuierlich zurück. Während bei den deutschen Jugendlichen nur ca. 12% ohne berufliche Ausbildung bleiben, liegt die Ungelerntenquote der jungen Ausländer bei rund 40%. Ursache sind zum einen fehlende schulische Qualifikationen, denn noch immer entlässt unser Bildungssystem fast jeden fünften ausländischen Jugendlichen ohne Schulabschluss ins Arbeitsleben. Zum anderen sehen sich Jugendliche aus Migrantenfamilien nach wie vor mit Vorbehalten und Vorurteilen seitens potenzieller Arbeitgeber konfrontiert. Auch bei guten Schulabschlüssen und hoher Bildungsmotivation sind ausländische Jugendliche beim Übergang in eine berufliche Ausbildung im Vergleich zu deutschen benachteiligt. Während fast die Hälfte (43%) der deutschen Haupt- und Sonderschulabsolventen einen Ausbildungsplatz findet, gelingt dies bei den ausländischen Jugendlichen nicht einmal jedem Vierten (23%). Und selbst ein Realschulabschluss erhöht die Chancen der ausländischen Jugendlichen auf dem Ausbildungsstellenmarkt um lediglich ein Prozent (24%), während der höhere Schulabschluss für deutsche Jugendliche die Chancen auf einen Ausbildungsplatz deutlich steigen lässt (61%). Ein Hemmnis für die Arbeitsmarktintegration von Ausländerinnen und Ausländern ist auch das deutsche Berufsrecht. Das System der streng formalisierten Berufsabschlüsse nach Berufsbildungsgesetz, Handwerksordnung und anderen Spezialregelungen für besondere Berufsgruppen, z. B. für die medizinischen Berufe, führt vielfach dazu, dass die von Migrantinnen und Migranten mitgebrachten Qualifi kationen entwertet werden. Selbst im Herkunftsland erworbene formale Qualifikationen werden in der Regel in Deutschland nur sehr eingeschränkt anerkannt. Hinzu kommt, dass das System der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen kompliziert und unübersichtlich ist. Soweit für die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen Nachqualifikationen erforderlich sind, fehlt es oft an entsprechenden Angeboten und Fördermöglichkeiten. In der Konsequenz sind betroffene Migrantinnen und Migranten häufig – wenn überhaupt – unter ihrem eigentlichen Qualifikationsniveau beschäftigt. Vor einem besonderen Problem stehen schließlich die in Deutschland lebenden Asylsuchenden und de-facto-Flüchtlinge. Besonders prekär ist hier die Situation junger Flüchtlinge, die lediglich über eine Duldung verfügen und deshalb – selbst bei erfolgreichem Schulabschluss – nur einen nachrangigen Zugang zum Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt haben. Diese Jugendlichen, deren Aufenthalt sich häufig über viele Jahre erstreckt und oftmals auch dauerhaft ist, sind auf Grund des Nachrangprinzips und des deutschen Sozialrechts in der Regel nach ihrem Schulabschluss zum Nichtstun verdammt und auf staatliche Sozialleistungen verwiesen. Sofern es ihnen doch gelingt, eine außerbetriebliche oder eine schulische Ausbildung oder gar ein Studium zu beginnen, erhalten sie weder Ausbildungsförderung noch Leistungen nach dem SGB II. Integrationspolitisch unabweisbar ist daher ein gleichrangiger Zugang für alle Jugendlichen zu Ausbildung, Arbeit und Ausbildungsförderung. Da die Vorgaben des Gesetzgebers zur Abschaffung der Kettenduldung in der Praxis bisher nicht greifen, ist eine kurzfristige Änderung der Verwaltungspraxis gerade für geduldete Jugendliche unabdingbar. Hier muss integrationspolitischen Erwägungen Priorität vor ordnungspolitischen eingeräumt werden. Problem Asylsuchende und de-facto-Flüchtlinge Eine Schlüsselfunktion für die Arbeitsmarktintegration kommt dem Bildungs- und Ausbildungssystem zu. Hier sind nicht zuletzt auch die Länder in starkem Maße gefordert. Bildungs- und Qualifizierungsangebote müssen zielgenauer auf die differenzierten Bedarfe der unterschiedlichen Migrantengruppen zugeschnitten werden. Zentral ist die bildungs- und ausbildungsbegleitende Förderung von Deutsch als Zweitsprache unter Einbeziehung der mehrsprachigen Kompetenzen der Migrantinnen und Migranten. Angesichts des drastischen Rückgangs der Ausbildungsquote in den letzten Jahren sind gemeinsame Anstrengungen von Politik und Sozialpartnern notwendig, um die Ausbildungsbeteiligung junger Migranten zu erhöhen. Dies bedeutet u. a. den Ausbau regionaler Netzwerke, die verstärkte Nutzung ausbildungsbegleitender Hilfen, die Qualifi zierung des innerbetrieblichen Ausbildungspersonals und eine engere Kooperation zwischen den Ausbildungsbetrieben und den Berufsschulen. Es wird auch darauf zu achten sein, dass die Vermittlung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II lediglich ultima ratio bleibt und auch Qualifizierungsbausteine beinhaltet. Vorrang hat die Vermittlung in eine Ausbildung. Zudem empfiehlt es sich – auch mit Blick auf den Bedarf an (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften – zu prüfen, ob das System der für Unionsbürger geltenden gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen auf bestimmte Drittstaaten – ggf. modifiziert – übertragen werden kann. Ergänzend bedarf es gezielter Programme zur Förderung von Anpassungsqualifikationen. Die „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“ der EU fordern die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeitslosenquote von im Land lebenden Drittstaatsangehörigen an die der hier lebenden Unionsbürger anzugleichen. Um diesem Ziel auch in Deutschland endlich näher zu kommen, sollte die Integration von Migrantinnen und Migranten in den ersten Arbeitsmarkt Gegenstand von Zielvereinbarungen zwischen dem zuständigen Bundesministerium und der Bundesagentur für Arbeit werden. In Anwendung der bisher nur auf europäischer Ebene verankerten „offenen Methode der Koordinierung“ sind auch auf nationaler Ebene Ziele für die Arbeitsmarktintegration zu defi nieren, konkrete Maßnahmen zu entwickeln und festzuschreiben. Best-practice-Vergleiche tragen dazu bei, erfolgreiche Förderansätze und -methoden zu verbreiten. Nach wie vor erreicht die Beteiligung von Ausländerinnen und Ausländern an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht annähernd ihren Anteil an den Arbeitslosen. Die bundesdeutschen Selbstverpflichtungen gegenüber den entsprechenden EU-Vorgaben (Beschäftigungspolitische Aktionspläne) waren in der Vergangenheit in dieser Hinsicht wenig konkret. Zu prüfen wäre deshalb, ob und in welchem Maße ggf. migrantenspezifische Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsförderung zu entwickeln und umzusetzen sind. Erfolgreiche Modellversuche, z. B. im Bereich der beruflichen Nachqualifi zierung und fachsprachlichen Förderung, sollten in die Regelförderung nach dem SGB III überführt werden. Vor allem die Sozialpartner sind gefordert, diskriminierende Einstellungspraktiken zu erkennen, zu benennen und abzubauen und die vielerorts bereits mit Schlüsselfunktion Bildungs- und Ausbildungssystem Erfolg praktizierten Modelle betrieblicher Diversity- Politik breiter zu verankern. Unterstützt werden sollten sie bei dieser Aufgabe durch die nach EU-Recht einzurichtende Anti-Diskrimierungsstelle des Bundes, so durch gezielte Information, Handlungsempfehlungen, Muster-Betriebsvereinbarungen und Diversity-Konzepte. Integration braucht Sprache Kenntnisse der deutschen Sprache erhöhen die Chancen im Bildungs- und Ausbildungssystem wie auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Einsicht, dass differenzierte und kontinuierliche Angebote zur Förderung dieser Schlüsselqualifikation unerlässlich sind, hat sich inzwischen sowohl in der Bildungs- und Ausbildungspolitik als auch in den Konzepten zur Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten durchgesetzt. Dies gilt auch für die Erkenntnis, dass Spracherwerb kein einmaliger Akt ist, sondern die gesamte Bildungs- und Arbeitsbiografie durchzieht und auch den Kompetenzzuwachs in schulischen und beruflichen Fachsprachen umfasst. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde der Aspekt der sprachlichen Erstqualifi zierung von Neuzuwandernden zentral auf die Agenda gesetzt. Das Aufenthaltsgesetz sieht erstmals eine staatliche Förderverpflichtung des Spracherwerbs auch für Ausländer vor, wie sie vorher nur im Zusammenhang der Spätaussiedlerförderung existierte. 50 Jahre nach der ersten Anwerbung besteht nun für einen großen Teil der Neuzuwandernden ein Rechtsanspruch auf einen Integrationskurs, der neben der Vermittlung von Grundkenntnissen der deutschen Sprache auch eine Lerneinheit über Rechtsordnung, Kultur und Sprachliche Erstqualifizierung zentral Geschichte Deutschlands umfasst („Orientierungskurs“). Ergänzend zum Rechtsanspruch sieht das Gesetz aber auch Verpfl ichtungstatbestände vor, die bei Nichtbefolgung Sanktionen nach sich ziehen. Schon vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes war die freiwillige Nachfrage nach Sprachkursen für Ausländerinnen und Ausländer regelmäßig deutlich höher als das vorhandene Angebot von Bund, Ländern und Kommunen. Insofern kann es nicht überraschen, dass die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, bei freien Kapazitäten auch bereits länger im Land lebende Ausländerinnen und Ausländern zu den Integrationskursen zuzulassen, in hohem Maße genutzt wird. Seit dem 1. Januar 2005 haben sich bis Mitte August bereits knapp 74.000 Ausländerinnen und Ausländer ohne Rechtsanspruch („Bestandsausländer“) freiwillig zu einem Kurs angemeldet, weitere knapp 10.000 wurden zur Kursteilnahme verpflichtet. Daneben wurden bislang knapp 34.000 neu zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer (davon 22.500 teilnahmeverpflichtet) und gut 26.000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler zu den Kursen zugelassen. Damit liegt die Teilnahmefrequenz bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit über 140.000 Teilnahmen deutlich höher als die Zahlen der alten Sprachfördersysteme des Bundes, in deren Rahmen jährlich rund 21.000 Ausländer und rund 75.000 Spätaussiedler gefördert wurden. Die rechtlichen Vorgaben stellen sowohl bei dem nach 600 Kursstunden zu erreichenden Sprachniveau als auch bei den im Orientierungskurs zu vermittelnden Lerninhalten sehr hohe Anforderungen, die absehbar von vielen Teilnehmenden nicht erfüllt werden dürften. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, Angebotsstrukturen zu etablieren, die den jeweiligen konkreten Lebensumständen und individuellen Bildungsvoraussetzungen der Teilnehmenden gerecht werden. Da die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist, ist der Gewährleistung entsprechender Angebotsstrukturen besonderes Augenmerk zu widmen – dies nicht zuletzt im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen unabhängigen Evaluation der Integrationskurse. Über die konkrete Ausgestaltung der Integrationskurse hinaus werden folgende Punkte zu beachten sein: Auch wenn die Teilnahmezahlen der so genannten „Bestandsausländer“ derzeit erfreulich hoch sind, privilegiert das Zuwanderungsgesetz letztlich die Erstförderung von Neuzuwandernden. Diese werden das vorhandene Fördervolumen künftig absehbar stärker auslasten als bisher. Deshalb wird sicherzustellen sein, dass die mit dem Zuwanderungsgesetz vollzogene Weichenstellung, die Integrationsmittel des Bundes stärker im Bereich der Erstförderung nach Einreise zu konzentrieren, nicht zu einer Vernachlässigung der Sprachförderung von bereits länger in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten führt. Angesichts der strikten Sparvorgaben für die öffentlichen Haushalte wird hier ggf. auch über eine grundsätzliche Anpassung des Modells nachgedacht werden müssen. Insbesondere mit Blick auf die Qualifikationsprobleme von Migranten im Arbeitsmarkt wird sicherzustellen sein, dass sich die staatliche Förderung von Sprachkompetenz nicht in einem einmaligen Sprachkurs erschöpft, sondern Angebote vorgehalten werden, die gezielt an der Vermittlungsfähigkeit in den Arbeitsmarkt ansetzen. Da sowohl der Bund als auch die Länder ihre für Integrationsförderung zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in den letzten Jahren in immer stärkerem Maße im Bereich der schulischen und außerschulischen Sprachförderung konzentrieren, muss zudem gewährleistet werden, dass bewährte Förderangebote in anderen Bereichen – von niedrigschwelligen Angeboten für Frauen über zielgruppenspezifische Beratungsangebote bis hin zu entsprechenden Maßnahmen der Arbeitsförderung – nicht zur Disposition gestellt werden. Da sich Integrationsförderung nicht in Sprachförderung erschöpfen kann, wäre dies integrationspolitisch kontraproduktiv. Integration findet vor Ort statt Die Zukunft unserer Städte ist multiethnisch und interkulturell. Dies gilt insbesondere für die großen Städte: fast 40% aller Ausländerinnen und Ausländer leben in Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern (gegenüber 22% der Deutschen). In den Ballungsgebieten und Großstädten hat vielerorts bereits ein Viertel der Bevölkerung einen nichtdeutschen Pass. Die gezielte Förderung von Integration ist somit eine zentrale Herausforderung für Städte und Gemeinden – dies nicht zuletzt auch unter Gesichtspunkten der Standortkonkurrenz. Internationalität und Umgang mit Vielfalt in einer integrierten Stadtgesellschaft, interkulturelle Offenheit und Kompetenz sind nicht nur für international agierende Unternehmen entscheidende Standortfaktoren. Flair und Offenheit gegenüber der Vielfalt moderner Lebensweisen machen auch für Bürger und mögliche Neubürger die Attraktivität von Städten aus. Internationalität und interkulturelle Offenheit sind Standortfaktoren. Aufgabe der Kommunen ist es, entsprechende Leitbilder zu entwickeln und zu implementieren. Auch problematische Stadtquartiere sind gezielt zu Orten sozialer Integration zu machen. Vor allem in (west)deutschen Großstädten nimmt die Disparität zwischen „reichen“ Stadtteilen und Stadteilen mit hoher Konzentration von Risiko- und Problemlagen zu. Das Leben in diesen Quartieren, in denen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, mangelnde Infrastruktur, soziale Segregation und Stigmatisierung zum Alltag gehören, vermindert die Zukunftschancen der dort lebenden Menschen und insbesondere der dort aufwachsenden Kinder und Jugendlichen. Der Migrantenanteil ist gerade in diesen Stadtteilen häufig hoch. Doch vielerorts sind es gerade die zugewanderten Bewohner, die das wirtschaftliche und soziale Leben im Stadtteil überhaupt gewährleisten. Oftmals leben Migranten nicht freiwillig in diesen Quartieren. Ihre Konzentration in von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Stadtteilen ist vor allem eine Folge von Segregation nach sozialer Lage und oft auch von Diskriminierung auf den Wohnungsmärkten. „Ausländerviertel“ und Armutsgebiete sind daher meist identisch. … Ferner müssen bestehende Diskriminierungen – z. B. auf dem Wohnungsmarkt – abgebaut werden. Die sozialen Institutionen in den Kommunen müssen den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft angepasst werden. Kommunen wie Freien Trägern der Wohlfahrtspfl ege kommt hier eine wichtige Rolle zu. Die Regeldienste – von den Bildungseinrichtungen über die Gesundheitsversorgung bis zur Altenpfl ege – müssen sich interkulturell öffnen, um eine adäquate Versorgung von Migrantinnen und Migranten zu gewährleisten, aber auch im eigenen Interesse mit Blick auf diesen wachsenden Kundenkreis. Vorhandene Zugangsbarrieren für Migrantinnen und Migranten zu den Regeldiensten sind abzubauen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen ihre interkulturelle Kompetenz in Aus- und Weiterbildung schulen können. Die Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten und die Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen bzw. Experten mit Migrationshintergrund gehören ebenfalls zum Profil interkulturell offener Angebote. Integrationsförderung ist Querschnittsaufgabe und muss in den kommunalen Verwaltungen in allen Ressorts und Fachbereichen, bei allen Planungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Mit der Erarbeitung von Integrationskonzepten und -programmen wurden hierfür in vielen Kommunen bereits konzeptionelle Grundlagen geschaffen. Um Integration als Querschnittsthema innerhalb der Kommunalverwaltung auch institutionell zu verankern, empfi ehlt sich die Einrichtung von möglichst hoch in der Verwaltungshierarchie angesiedelten Integrationsleitstellen, die für die Koordiation und Steuerung aller kommunalen Integrationsmaßnahmen verantwortlich sind und fachliche Zuständigkeiten bündeln. Darüber hinaus sollten diese Stellen auch die Vernetzung der kommunalen mit sonstigen Akteuren – mit freien Trägern, Beratungsdiensten, Sozialpartnern, Verbänden, Migrantenorganisationen sowie auch den Angeboten von Bund und Ländern – gewährleisten. Da Integrationsbedarfe in erster Linie in den Kommunen entstehen, wird es künftig in hohem Maße erforderlich sein, die in stärkerem Maße als in der Vergangenheit zentral konzipierten Integrationsangebote des Bundes mit den lokalen Bedarfen vor Ort zur Deckung zu bringen. Während die Verteilung der Bundesförderung in die Fläche in der Vergangenheit in hohem Maße über die dezentrale Struktur der Bundesagentur Integrationsförderung ist Querschnittsaufgabe für Arbeit und die Regionalgliederungen der Wohlfahrtsverbände gewährleistet wurde, ist dieses Problem im Zuge der Neuorganisation der Bundesförderung zum Teil neu zu lösen. Sowohl das Integrationskursmodell nach dem Zuwanderungsgesetz als auch die neu organisierte Migrationsberatung des Bundes erfordern in hohem Maße Koordinationsleistungen auf kommunaler Ebene. In der Organisation der Schnittstellen der unterschiedlichen Integrationsangebote vor Ort liegt eine der zentralen Aufgaben, die im Rahmen des im Zuwanderungsgesetz vorgesehenen „bundesweiten Integrationsprogramms“ zu lösen sein werden. Hier sind insbesondere auch die Länder und Kommunen in hohem Maße gefordert. Diskriminierung erschwert Integration Diskriminierungen auf Grund der Herkunft sind auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und im Alltag verbreitet. Formulierungen wie „Vermietung nur an Deutsche“, „k.A.“ (keine Ausländer), „Einstellungsvoraussetzung: Muttersprache deutsch“ finden sich nicht selten in Inseraten und Stellenanzeigen. Oft wird allein auf Grund der Herkunft bzw. eines ausländisch klingenden Namens eine Wohnung – trotz vorhandener Bonität – nicht vermietet, wird ein Arbeitsplatz – trotz gleicher Qualifikation – einem anderen Bewerber zugesprochen. … Und auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und das SGB III verwehren etlichen ausländischen Jugendlichen den Zugang zu einer Förderung ihres Studiums bzw. ihrer Ausbildung, nur weil sie bzw. ihre Eltern die hierfür notwendigen Beschäftigungszeiten nicht erfüllen. Die oftmals auf Grund der schwierigen Arbeitsmarktsituation lückenhaften Erwerbsbiografien von Eltern führen im Ergebnis dazu, dass die Ausbildungsförderung oftmals ihren Adressatenkreis verfehlen muss – die Kinder aus einkommensschwachen Familien. Eine wirksame Antidiskriminierungspolitik ist daher nicht nur menschenrechtlich geboten, sondern dient auch der Integration von Migrantinnen und Migranten. Integration setzt die Herstellung von Chancengleichheit und damit weitgehende Rechtsgleichheit voraus. Ein tatsächlich gleichberechtigter Zugang zu allen Lebensbereichen – zu Arbeit, Bildung und Ausbildung, Wohnen und Dienstleistungen – wird durch diskriminierende Praxis oft verhindert. Mit der Verabschiedung mehrerer EU-Richtlinien haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein effektives gesetzliches Instrumentarium gegen Diskriminierungen zu schaffen. In Deutschland steht die Umsetzung dieser Richtlinien in nationales Recht allerdings immer noch aus. Ein Gesetz gegen Diskriminierungen wird ein unerlässlicher Baustein auf dem Weg zur Integration und zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe Ein Gesetz gegen Diskriminierungen unerlässlicher Baustein auf dem Weg zur Integration von Migrantinnen und Migranten sein. Tatsächlich wird es von Diskriminierungen Betroffene aus der „Opferrolle“ herausführen, weil sie ihre Rechte durchsetzen können. Es wird einen Bewusstseinswandel hin zu einem umfassenden Verständnis von Chancengleichheit unterstützen. Obwohl der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz fester Bestandteil unserer Rechtskultur ist, erscheint Vielen die in den EU-Richtlinien vorgeschriebene Möglichkeit, rechtlich gegen Diskriminierungen im Arbeitsleben, im Geschäftsverkehr und auch im alltäglichen Umgang vorzugehen, jedoch immer noch als rechtspolitisches Neuland. • Ein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz muss mit höchster Priorität beraten und verabschiedet werden. Auch überkommene gesetzlich normierte Ungleichbehandlungen wie z. B. die Deutschenvorbehalte in den Heilberufen oder der Ausschluss bestimmter Gruppen von Ausländern von der Ausbildungsförderung sind im Zuge einer „Normbereinigung“ zu beseitigen. • Bei der Einrichtung der von den Richtlinien geforderten unabhängigen Stelle bzw. Stellen sollte an die Erfahrung vorhandener Institutionen angeknüpft werden. Gleichstellungs-, Behinderten- und Integrationsbeauftragte verfügen bereits über Erfahrungen in der Bekämpfung von Diskriminierungen sowie über bundesweit funktionierende Netzwerke. Die europäische Öffentlichkeit wird sehr genau beobachten, ob sich die deutschen Anstrengungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen in einer mit anderen Mitgliedstaaten vergleichbaren Stärkung des institutionellen Gefüges widerspiegeln. Islam einbürgern Mit den Menschen sind auch ihre Religionen gewandert. Die religiöse Landschaft der Bundesrepublik hat sich dadurch verändert und ist vielfältiger geworden. Heute leben fast drei Millionen Muslime, etwa 900.000 Angehörige von orthodoxen und orientalischen christlichen Kirchen, über 160.000 Buddhisten und etwa 100.000 Hindus in Deutschland. Allein in Berlin finden sich über 250 unterschiedliche religiöse Gemeinden. Lange Zeit haben die religiösen Belange von Migrantinnen und Migranten in der Integrationspolitik keine nennenswerte Rolle gespielt. Während die katholischen, orthodoxen und protestantischen sowie jüdischen Zuwanderer auf die integrierenden Strukturen der vorhandenen Kirchen und Gemeinden in Deutschland trafen, mussten Muslime, Hindus oder Buddhisten sich eigene religiöse Strukturen in Deutschland erst aufbauen. Das führte in vielen Bereichen zu Schwierigkeiten bei der Verknüpfung der neuen, zugewanderten Religionen mit den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft. Oft tut sich die aufnehmende Gesellschaft schwer, diese Religionen als Teil der religiösen Landschaft anzunehmen. In der Debatte um religiöse Minderheiten werden Extreme oft zum Normalfall erklärt. Zu Konfl ikten führt der durch die Zuwanderung ausgelöste religiöse Wandel häufig dort, wo dieser Wandel sichtbar wird und Angehörige zugewanderter Religionsgemeinschaften selbstbewusst einen Teil des öffentlichen Raums für sich reklamieren. Das gilt etwa für den islamischen Religionsunterricht, den Ruf des Muezzins oder repräsentative Moscheebauten. Das Bundesverfassungsgericht hat daher zu Recht betont, dass der mit zunehmender religiöser Vielfalt verbundene gesellschaftliche Wandel der aktiven politischen Gestaltung und Entscheidung bedarf. Für die Integration von Muslimen – der größten zugewanderten Religionsgemeinschaft in Deutschland – bedarf es einer Politik der Anerkennung, die den Islam als gleichberechtigte Religion akzeptiert und Muslime rechtlich und politisch integriert. Das Motto lautet: Den Islam einbürgern. Denn ähnlich wie bei der Frage des Staatsangehörigkeitsrechts geht es auch hier um die Frage einer dauerhaften Integration mit dem Ziel eines gleichberechtigten Miteinanders. Eine solche „Einbürgerung“ des Islam im Rahmen gesellschaftlicher Aushandlung beinhaltet Zumutungen für alle Beteiligten, denn sie stellt das eigene Selbstverständnis in Frage. Konkret bedarf es u. a. folgender Maßnahmen: Die Ausbildung von Imamen und muslimischen Religionslehrern an deutschen Universitäten ist auf- und auszubauen. Der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache muss von Modellversuchen zu einem Regel-Angebot auf freiwilliger Basis für alle muslimischen Schülerinnen und Schüler ausgebaut werden. Die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse von muslimischen Glaubensangehörigen muss sich in allen Lebensbereichen ebenso widerspiegeln wie dies für christliche Glaubensangehörige üblich ist. Dies gilt für die seelsorgerische Betreuung und den kultur- und religionssensiblen Umgang im Krankenhaus, in den Gesundheitsdiensten, in Gefängnissen und Seniorenheimen ebenso wie bei der Bundeswehr. Mittelfristig braucht die Politik legitimierte Ansprechpartner und Vertretungen, die die Muslime in unserer Gesellschaft repräsentieren und die Aufgabe eines verlässlichen Kooperationspartners des Staates erfüllen. Deshalb ist zu prüfen, wie die bestehenden Rahmenbedingungen im Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt werden können. Die bestehenden straf- und vereinsrechtlichen Sanktionen sind bei der Bekämpfung des militanten Islamismus auszuschöpfen. Bei Verfassungsschutz und Polizei muss ausreichend Personal mit den nötigen sprachlichen und kulturellen Kompetenzen zur Verfügung stehen. Die gesellschaftlichen und insbesondere die innerislamischen Diskurse müssen Ungleichheitsideologien und fundamentalistischen Verzerrungen entgegentreten. Angebote an Migranten zur konstruktiven und aufgeklärten Auseinandersetzung mit ihrer Religion sind zu unterstützen (Lehrstühle, Muslimische Akademie). Integration braucht politische Teilhabe und Partizipation … Die gezielte Ansprache und Motivation von Neu wählern, nicht nur von ihrem aktiven, sondern auch von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch zu machen, ist eine zentrale Aufgabe der Parteien, die sie schon im eigenen Interesse verstärkt wahrnehmen sollten. …“

http://www.integrationsbeauftragte.de

Quelle: Herausgeberin: Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Alexanderplatz 6 10178 Berlin

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