Empirische Untersuchung zum starken Abbau der Jugendsozialarbeit in Sachsen-Anhalt.

EROSION EINES ARBEITSFELDES: Eine empirische Untersuchung zum starken Abbau der Jugendsozialarbeit in Sachsen-Anhalt. Eine Buchbeschreibung von Clemens Bech(Caritasverband Leipzig, Fachreferent in der BAG Katholische Jugendsozialarbeit). “ Erosion eines Arbeitsfeldes Nach einer im Jahr 2005 durchgeführten landesweiten Totalerhebung zum Stand der Jugendsozialarbeit, hat Professor Titus Simon, der mit Schwerpunkt „Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal arbeitet, nun deren Ergebnisse in dem Band „Jugendsozialarbeit in Sachsen-Anhalt – Empirische Befunde und weitergehende Expertisen“ vorgelegt. Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd. Die Ergebnisse der Untersuchung untermauern die These, dass die Jugendsozialarbeit in den letzten Jahren in starkem Maße abgebaut wurde, obwohl die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im selben Zeitraum deutlich mehr Problemstellungen aufwiesen. Simon benennt Sachlagen, die in ähnlichem Ausmaß auf alle östlichen Bundesländer zutreffen: Die Zunahme der Anzahl von Kindern, die von Sozialleistungen abhängig sind, mehr Schulabbrüche, die Abwanderung besonders junger, qualifizierter Frauen aus den kleinstädtisch-ländlichen Räumen, fehlende Ausbildungsplätze und den Wegfall von „Einfacharbeitsplätzen“ für ungelernte Arbeiter. Er konstatiert, dass die Wohlfahrtspflege Ostdeutschlands durch chronische Unterfinanzierung gekennzeichnet ist. Unterschreitung der Vergütungsregelungen und befristete Arbeitsverhältnisse sind zur Normalität geworden. Dabei gab es Mitte der 90er Jahre in Sachsen–Anhalt eine Reihe guter und interessanter Ansätze. Mit dem Landesmodellprojekt Schulsozialarbeit war man führend auf diesem Gebiet. Das Fachkräfteprogramm qualifizierte und professionalisierte die Jugendsozialarbeit. Doch heute sieht es anders aus. In 5 von 24 Gebietskörperschaften (20Prozent) existierten zum Zeitpunkt der Erhebung keine Projekte der Jugendsozialarbeit. In den vergangenen 5 Jahren hat die Zahl der Maßnahmen in einem Jugendamtsbezirk zu- und in dreiundzwanzig abgenommen. In neun Ämtern fand in diesem Zeitraum keine Jugendhilfeplanung zu §13 KJHG mehr statt. Als Gründe benennt Simon die Einsparung von Planerstellen und der zu Ausdruck kommende abnehmenden Stellenwert von Jugendsozialarbeit. Von 87,5 Prozent (21 von 24) aller Jugendämter in Sachsen-Anhalt wird davon ausgegangen, dass die in ihren Zuständigkeitsbereichen vorhandenen Angebote der Jugendsozialarbeit dem bestehenden und prognostizierten Bedarf nicht gerecht werden. Besonders fehlen Schulsozialarbeit und Schulverweigererprojekte. Die Einrichtungen sehen es ebenso. Hier meinen 75 Prozent, dass die Bedarfsdeckung nicht ausreichend ist. Vorhanden waren 2005 noch 78 Projekte, von denen sich 90 Prozent in freier Trägerschaft befanden. Die Mehrzahl war inhaltlich an den Feldern Jugendberufshilfe, Streetwork, Jugendmigrationsdienst und Schulsozialarbeit ausgerichtet. Die personellen Ressourcen in den Projekten bewegten sich zwischen einer 10 Stunden Honorarkraft und einer Anzahl von 55 Mitarbeitern, der überwiegende Teil arbeitete jedoch mit 3 oder weniger Fachkräften. Den drastische Einbruch der letzten Jahre bei verschiedenen Segmenten der Jugendsozialarbeit, führt Simon in seinem Umfang nicht auf die demographischen Veränderungen zurück, sondern sieht ihn als deutlichen Hinweis auf mangelnde Absicherung, geringe Chancen für kontinuierliche Begleitprozesse und sehr kurze Laufzeiten der verschiedenen Förderprogramme. Es bedarf nach seiner Meinung regionaler Konzept- und Maßnahmenentwicklungen und der Zusammenführung und Entbürokratisierung der zahlreichen Förderungen und Programme. Simon meint, dass „die Jugendhilfe in Ostdeutschland immer mehr in Gefahr gerät, der Verpflichtung zur Bedarfsgerechtigkeit selbst in einer konventionellen, verengten Weise, nicht mehr zu entsprechen.“ Simon benennt in seinem Resümee Indizien, die gegen eine Bedarfsreduzierung durch den demographischen Wandel sprechen, wie beispielsweise die steigende Anzahl von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf trotz sinkender Gesamtschülerzahl. Er gibt den Verantwortlichen auf, diese Frage zu klären. In der umfassenden und eindeutigen Darstellung der Situation der Jugendsozialarbeit liegt der Wert dieser Publikation. In ihr wird ein über Jahre verlaufender Prozess der Demontage von Leistungen für benachteiligte Jugendliche auf den Punkt gebracht. Sachsen–Anhalt kann hier exemplarisch für die östlichen Bundesländer gesehen werden. Simons Ruf nach „einer dringenden Neuordnung“ der Jugendsozialarbeit hin zu „bedarfsgerechten Angeboten für in erheblichem Maße sozial benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene“ ist das Gebot der Stunde. “ Clemens Bech Das Werk ist im Buchhandel erhältlich. Titus Simon (Hrsg.): Jugendsozialarbeit in Sachsen-Anhalt Empirische Befunde und weitergehende Expertisen (Band 20 der Magdeburger Reihe – Schriften der Hochschule Magdeburg-Stendal) Verlag der Erich-Weinert-Buchhandlung Magdeburg 2006 ISBN 3-933999-22-7

Quelle: Clemens Bech (Caritaverband Leipzig, Fachreferent in der BAG Katholische Jugendsozialarbeit)

Ähnliche Artikel

Skip to content