HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ZUR KOOPERATION VON JUGENDHILFE UND SCHULE Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ) als Zusammenschluss und Forum der Strukturen und Akteure der Kinder- und Jugendhilfe auf der Bundesebene hat zu einer Zusammenarbeit von Schule uund Jugendhilfe zwecks Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen aufgerufen. In einem Positionspapier hat die AGJ entsprechende Handlungsempfehlungen zusammenstellt. Auszüge aus dem Positionspapier: “ HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN EINLEITUNG Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule kommt voran. Was Fachkräfte schon seit längerem wissen, gewinnt in der Praxis Bedeutung: Bildung ist keine exklusive Angelegenheit der Schule. Bildung ist eine Lebensaufgabe, die nicht auf unmittelbar verwertbares Wissen oder berufsverwertbare Fertigkeiten zu reduzieren ist. Sie beinhaltet die Aneignung reflexiver und sozialer Kompetenzen, die es insbesondere ermöglichen, verantwortlich zu handeln und Gesellschaft mitzugestalten. Die Jugendhilfe muss ihren Bildungsauftrag offensiver umsetzen als bisher geschehen. Jugendhilfe und Schule, beide Professionen zusammen, sind aufgefordert, systematisch zu kooperieren. Nicht zuletzt hat diese Entwicklung durch das vom Bund initiierte Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ zur Schaffung von Ganztagsschulen einen enormen Schub erhalten. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ begrüßt, dass die neue Bundesregierung das in der letzten Legislaturperiode ins Leben gerufene Investitionsprogramm fortführt. Es geht jetzt darum, Ideen zu entwickeln, mit welchen pädagogischen Konzeptionen die Kooperation auf den Weg gebracht werden kann. Fortgeführt werden muss diese Entwicklung durch den Aufbau von Strukturen, die auf lange Sicht verlässlich sind. Die AGJ als Zusammenschluss und Forum der Strukturen und Akteure der Kinder- und Jugendhilfe auf der Bundesebene will ihren Beitrag dazu leisten. …. Als Grundlage dafür dienen die Ergebnisse der AGJ-Bundeskonferenz „Zukunftsprojekt: Gemeinsame Gestaltung von Lern- und Lebenswelten – Zusammenspiel von Kinder- und Jugendhilfe & Schule im Sozialraum“, die Analysen und Empfehlungen des 12. Kinder- und Jugendberichts „Bildung, Betreuung und Erziehung vor und neben der Schule“ sowie die Beschlüsse der Jugendminister- und Kultusministerkonferenz zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule. 1. KINDER UND JUGENDLICHE IM MITTELPUNKT … Deshalb stehen im Mittelpunkt der Diskussionen zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule die Rechte, Bedürfnisse und Förderbedarfe von Kindern und Jugendlichen. Sie stellen den Ausgangspunkt für die in der vorliegenden Broschüre formulierten Aufgaben und Handlungsempfehlungen der AGJ dar. … Es geht um eine umfassende und lebensweltorientierte Pädagogik und es geht darum, wie formelle, nonformelle und informelle Bildung miteinander verwoben werden können. Für die Entwicklung der Persönlichkeit, ihrer sozialen, emotionalen und kulturellen Fähigkeiten und ihrer Begabungen brauchen Kinder und Jugendliche förderliche Bedingungen. Sie benötigen beständige, verlässliche und akzeptierende Beziehungen und ein stabiles kulturelles Umfeld. … Ein an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien ausgerichtetes Gesamtsystem von Bildung, Betreuung und Erziehung erfordert eine systematische und rechtlich verbindliche partnerschaftliche Zusammenarbeit der unterschiedlichen Systeme Jugendhilfe und Schule. Sie brauchen eine entsprechende „Kooperationskultur“ mit fest vereinbarten Strukturen, um die Qualität einer pädagogischen Arbeit im Sinne der Trias Bildung, Betreuung und Erziehung sichern und entwickeln zu können. … Durch verbindliche und dauerhaft angelegte Formen der Kooperation können neue Strukturen geschaffen werden, … 2. GEMEINSAME AUFGABEN … * Gerechtigkeit … Haben sie gleiche Chancen auf Zugang zu Bildung und Erziehung? Werden Unterschiede gemacht aufgrund von Herkunft, von Begabungen oder Handicaps? Bildung war und ist immer auch eine „soziale Frage“. Wer jungen Menschen Teilhabe verwehrt, gefährdet den Zusammenhalt der Gesellschaft. * Kultur der Anerkennung … ist von besonderer Bedeutung, Kinder in ihrem Lernen und in ihrer persönlichen Entwicklung durch eine „Pädagogik der Anerkennung“ zu fördern… * Förderung Durch eine abgestimmte soziale, emotionale und kognitive Förderung muss es gelingen, dass kein Kind und kein Jugendlicher zurückbleibt. … * Zeit Jugendhilfe und Schule stehen vor der Aufgabe, für ihre Angebote einen neuen Umgang mit Zeit zu entwerfen. Durch ihre Kooperation sind Jugendhilfe und Schule in der Lage, das Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungswesen so umzugestalten, dass der Tagesablauf in flexible Rhythmen gegliedert werden kann, dass Bildungszeiten individueller und freier gestaltbar sind, dass versäumte (Bildungs-) Zeit nachgeholt werden kann. Dazu müssen Jugendhilfe und Schule für die einzelnen Entwicklungsphasen die verschiedensten Methoden und Modelle entwickeln… * Übergänge Besondere Bedeutung hat eine gute Kooperation von Jugendhilfe und Schule immer dann, wenn bei Kindern und Jugendlichen biografisch ein Übergang in eine neue Lebensphase ansteht. … Von großer Bedeutung ist auch der Übergang nach der Schule in die Berufsausbildung und die Arbeitswelt. * Qualifikation der Pädagoginnen und Pädagogen … Bislang sind die Fachkräfte der jeweiligen Systeme nur für das spezifische Aufgabenfeld ausgebildet. Es ist notwendig, dass allen Pädagoginnen und Pädagogen in Aus- und Fortbildung Kenntnisse der Strukturen und der Pädagogik beider Bereiche vermittelt werden… 3. KOOPERATION BRAUCHT FORMEN … * Regionale Bildungslandschaften auf kommunaler Ebene … Diese Kooperation kann in unterschiedlichen Formen erfolgen. Beispiele sind die Zusammenarbeit zwischen kommunalem Schulverwaltungsamt und Jugendamt, beispielsweise in Form gemeinsamer Sitzungen von Schul- und Jugendhilfeausschüssen, die Beratung von Bildungsthemen und Kooperationsformen im Jugendhilfeausschuss (in dem Schule in der Regel beratend vertreten ist) oder integrierte Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung … * Jugendhilfeangebote an der Schule (1) Dienstleistungen der Jugendhilfe … In der Regel sind diese Angebote in ihrer Reichweite eher begrenzt. Es handelt sich vorwiegend um Dienstleistungsangebote für einen bestimmten Aufgabenbereich. Beispiele für diese Form der Kooperation sind Kurse von Einrichtungen und Trägern der Jugendhilfe an einer Schule und regelmäßige Sprechstunden für Beratung oder Projekte in der Schule im Rahmen der Schulsozialarbeit. (2) Gemeinsame Projekte von Jugendhilfe und Schule … Jugendhilfe und Schule bringen in diese gemeinsamen Projekte ihre spezifischen fachlichen Zugänge und Methoden ein. Auf diese Weise kann das Bildungsangebot der Schule erweitert werden. Beispiele für diese Form der Kooperation können sein: gemeinsame stadtteilbezogene Aktionen im Jugendhaus mit Beteiligung der Schule oder gemeinsame Fortbildungen in Mediation für Lehrkräfte und Fachkräfte der Jugendhilfe. *Trägerschaft für die nichtschulischen Angebote an einer Ganztagsschule … Von besonderer Bedeutung für eine erfolgreiche Förderung und Betreuung der Schülerinnen und Schüler ist die Abstimmung der nicht-schulischen Angebote mit den unterrichtlichen Inhalten … 4. ERMÖGLICHUNGSSTRUKTUREN UND UMSETZUNGSSCHRITTE DER RAHMEN … Die Festschreibung einer Kooperation von Jugendhilfe und Schule in Landesgesetzen, Empfehlungen und Förderrichtlinien, Geschäftsverteilungsplänen und Stellenbeschreibungen, Konzepten und Schulprogrammen kann hier als wichtige Grundlage für die kreative standortspezifische Entwicklung dienen… Auf Landesebene sind verbindliche Rahmenvereinbarungen notwendig, beispielsweise in Form eines „Landesaktionsplan Jugendhilfe – Schule“, in dem Grundsätze der Zusammenarbeit sowie fachliche Standards zwischen relevanten Beteiligten definiert werden. Einige zentrale strukturierende Kriterien könnten dabei sein: – Fünfjahresvision: Welches Bild leitet uns? – Richtungs- und Wirkungsziele: Wo wollen wir hin? Wer ist beteiligt? Was soll konkret erreicht werden? – Maßnahmeplanung: Wer soll mit wem bis wann, was und wie bewirken? – Steuerungsverantwortung: Wer verantwortet wem gegenüber welche Schritte? – Ressourcenzuweisung: Welche politischen, administrativen, finanziellen und personellen Voraussetzungen sind unabdingbar und wie werden diese geschaffen? – Auswertungsprozedere: Was sind die Indikatoren und Foren der Ergebniskontrolle? … Die Kommune sollte eine Koordinierungsfunktion bei der Planung und Steuerung der Kooperation zwischen Jugendämtern, Trägern der freien Jugendhilfe, kommunalen Schulämtern … und Schulträgern sowie zwischen Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung einnehmen… * KOMMUNALE STEUERUNG … – Orte der Kommunikation schaffen … – Ausgangssituation analysieren … – Sparten- und ressortübergreifendes Leitbild entwickeln … – Sich über prioritäre Vernetzungsbereiche und -ziele verständigen … – Personalplanung … – Finanzierungsinstrumente … – Beteiligung … * JUGENDHILFE UND SCHULE VOR ORT … Alle Kinder und Jugendlichen könnten profitieren, wenn Jugendhilfe und Schule sich für Beteiligungsprojekte an kommunalen Themen stark machen: Raumplanung, Kinder- und Jugendparlament, die Übernahme von Mitverantwortung für Grünflächen, eine „Eventkultur“, einen Shuttleservice oder ein Stromsparprogramm – hier können Verbindungen zwischen Curriculum und Unterricht, Prinzipien wie Aktivierung und Initiative von Mädchen und Jungen und realer Bedürfnisbefriedigung junger Menschen entstehen. Jugendhilfe und Schule könnten sich gemeinsam darauf verständigen, dass jeder junge Mensch im schulischen Rahmen eine geschlechtsdifferenziert durchgeführte Woche zur Lebensplanung und vor dem Übergang in die Ausbildung eine Potenzialanalyse am Ort Jugendberufshilfe, Fachhochschule, Unternehmen durchläuft. Besondere Zielgruppen wie etwa Schülerinnen und Schüler oder junge Menschen mit Migrationshintergrund könnten besondere Übergangshilfen erhalten, die aufsuchend, verlässlich und institutionsübergreifend angelegt sind. Schuldistanz und Schulabbrüche zu vermindern könnte ebenfalls ein Thema sein, an dem Schule und Jugendhilfe sich zu einem abgestimmten präventiven und interventiven Leistungsangebot verständigen… Folgende Schritte könnten für die Vor-Ort-Kooperation zielführend sein: 1. In einem ersten Schritt sollten außerschulische Partnerinnen bzw. Partner und Schule je für sich Klärungen herbeiführen: Was wollen Jugendhilfe und Schule? … Welche Werte, Motive und Interessen verbinden die Partnerinnen und Partner mit dem Vorhaben? … Welche Ergebnisse streben sie an? … 2. In einem zweiten Schritt sollte ein Verständigungsprozess über die Motivationen der Partnerinnen und Partner … beginnen. … aushandeln, ob ihre Erwartungen und Zugänge miteinander vereinbar sind… Wenn Möglichkeiten und Grenzen, Ziele und Arbeitsweisen hinreichend geklärt sind, kann das zu entwickelnde Kooperationsvorhaben Gestalt annehmen… 3. In einem dritten Schritt kann das Vorhaben geplant bzw. hinsichtlich der Umsetzung konkretisiert werden… Neben inhaltlichen Abstimmungen sind Regelungen zu treffen zu Versicherung und Haftung, Fach- und Dienstaufsicht, An- und Abmeldeverfahren, Erhebung, Buchung und Verwendung von Elternbeiträgen, Hausmeistereinsatz, Telefonnutzung, Heizung, Schließbefugnis etc.. 4. In einem vierten Schritt werden in einer Vereinbarung die Ziele so konkret wie möglich festgelegt, Aufgaben beschrieben, Zuständigkeiten verabredet und Erfolgskriterien bestimmt. 5. Der fünfte Schritt beinhaltet dann die Festlegung einer gemeinsame Reflexion und Auswertung der Kooperation. Insgesamt wird die Jugendhilfe diese Angebote nur zum Teil aus ihren derzeit verfügbaren Ressourcen bestreiten können. Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule braucht auch eine ausgebaute Budgetverantwortung an der Einzelschule, die damit Gestaltungsmittel gewinnt. “
http://www.agj.de
Quelle: http://www.agj.de/pdf/5/2006/Handlungsempfehlungen%20AGJ.pdf?id1=6&id2=1