Resultate und gesellschaftliche Auswirkungen der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz-Gesetze -, insbesondere von Hartz IV

RESULTATE UND AUSWIRKUNGEN DER HARTZ-GESETZE Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. “ Vorbemerkung der Fragesteller Die Gesetze über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zählen zu den tiefsten sozialen Einschnitten seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. … Sie verschärfen den durch die Armuts- und Reichtumsberichterstattung 2005 erneut aufgezeigten Widerspruch zwischen Arm und Reich weiter. Ihre eigentliche Zielstellung indes haben sie völlig verfehlt. Statt einer Halbierung der Arbeitslosigkeit – wie versprochen – haben wir es mit einem Ansteigen sowie einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit zu tun. Besonders hart und überproportional trifft Hartz IV die ostdeutsche Bevölkerung, die nach wie vor unter den Folgen eines ökonomisch fehlgeschlagenen Einigungsprozesses leidet. Die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Situation Ostdeutschlands wird weiter beeinträchtigt, der gegenwärtige Abwärtstrend verstärkt. Die im Grundgesetz verankerte Angleichung der Lebensverhältnisse rückt in immer weitere Ferne. Die Abwanderung, insbesondere jüngerer Menschen, in Regionen mit geringerer Arbeitslosigkeit, hat bereits heute eine dramatische Dimension angenommen und wird sich weiter fortsetzen. … entwickelt sich nach Ansicht der Verfasser ein gesellschaftliches Klima, in dem Existenzunsicherheit und Furcht vor Altersarmut bei einem wachsenden Kreis von Menschen zunehmen, in dem Repression und Zwang das Denken, Handeln und die gegenseitigen Beziehungen bestimmen. Langzeitarbeitslose werden durch Regierende und Medien unter Generalverdacht gestellt und stigmatisiert. Aus einem solchen Klima resultierten und resultieren erhebliche Gefahren für eine demokratische Entwicklung. Ursprünglich gesetzte Ziele der Arbeitsmarktreformen wie die Einführung einer einheitlichen Grundsicherung für Arbeitsuchende als zentraler Baustein einer „neuen‘ Arbeitsmarktpolitik sowie die schnelle und passgenaue Vermittlung in Arbeit nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern‘ konnten bis heute nicht einmal in Ansätzen die Erwartungen vieler Menschen erfüllen. … Vorbemerkung der Bundesregierung: Die Bundesregierung teilt die in der Vorbemerkung der Fragestellerinnen und Fragesteller zum Ausdruck kommende Auffassung nicht. Die Vorbemerkung und die Fragestellungen lassen den Eindruck einer systematischen Voreingenommenheit gegen die Grundsicherung für Arbeitsuchende entstehen … Weder die Dimension dieser grundlegenden Reform der Betreuung von Langzeitarbeitslosen, noch deren zentrale Zielstellungen wie die integrierte Betreuung und Aktivierung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zur (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie deren Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung werden von den Fragestellern gewürdigt. Auch die Weiterentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten, den Freibetragsregelungen und der Angleichung derRegelsätze findet bei den Fragestellern kaum Beachtung. Die in der Antwort der Bundesregierung enthaltenen Angaben beziehen sich auf die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die zugelassenen kommunalen Träger sind nur erfasst, wenn dies ausdrücklich erwähnt ist. Dies hat seine Ursache darin, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) jedenfalls bislang nicht über entsprechende Informationen hinsichtlich der zugelassenen kommunalen Träger verfügt. … Die in den Antworten enthaltenen Ausführungen zu den Ergebnissen der Evaluation der Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ basieren auf dem Bericht 2006 des BMAS „Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (BTDrs. 16/3982). Das BMAS hat den Bericht 2006 zu den Wirkungen der Arbeitsmarktreformen im Dezember 2006 dem Deutschen Bundestag zugeleitet. … 4. Worin sieht die Bundesregierung die wichtigsten positiven Veränderungen infolge der Arbeitsmarktreformen, und welche Resultate charakterisiert sie als gesellschaftliche Fehlwirkungen, die auch zu einer Veränderung der gesetzlichen Grundlagen führen müssen? Worin sieht sie die Ursachen von Fehlentwicklungen, und auf welchen Wegen soll ihnen entgegengewirkt werden? Das zentrale Leitmotiv der Arbeitsmarktreformen ist das Konzept des aktivierenden Sozialstaats. Die Vermittlung in Arbeit wurde gestärkt. Die Reformen werden umfassend wissenschaftlich begleitet. Praxis und Rechtsetzung kommen auf den Prüfstand der Wirkungsforschung, bevor gesetzliche Veränderungen erfolgen. Alle wichtigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente bzw. Regelungen wurden in einem vergleichbaren Zeitraum im Hinblick auf ihre Effektivität und Effizienz untersucht (vgl. BT-Drs. 16/3982). Auch für die Grundsicherung für Arbeitsuchende gibt es gemäß § 55 SGB II eine umfassende allgemeine Wirkungsforschung, die zu großen Teilen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchgeführt wird. Eine weitere Untersuchung bezieht sich auf die Organisation der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Untersuchungsgegenstand ist gemäß § 6c SGB II die Aufgabenwahrnehmung durch die aus kommunalen Trägern und Agenturen für Arbeit gebildeten Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) im Wettbewerb zur Aufgabenwahrnehmung durch die zugelassenen kommunalen Träger. Die durch unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen durchgeführte Untersuchung soll feststellen, in welcher Organisationsform die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, insbesondere im Hinblick auf die Eingliederung in Erwerbstätigkeit und die Beendigung der Hilfebedürftigkeit erfolgreicher ist. Spätestens zum 31. Dezember 2008 wird das BMAS den gesetzgebenden Körperschaften über die Ergebnisse der Untersuchung berichten. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Ergebnissen der Wirkungsforschung vorzugreifen und zum jetzigen Zeitpunkt eine abschließende Bewertung der Arbeitsmarktreformen vorzunehmen. 5. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfolgsaussichten von Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik sowie von Elementen der Sozialgesetzgebung, die dazu dienen sollen, den Druck auf Arbeitslose und Langzeitarbeitslose zur Aufnahme einer Arbeit zu erhöhen, obwohl durch Wirtschaft und politische Weichenstellungen seit Jahren zu wenig neue Arbeitsplätze (vor allem in Ostdeutschland) entstehen, und mit welcher Begründung sieht die Bundesregierung in einer Senkung des allgemeinen Niveaus der Einkommen der abhängig Beschäftigten eine ernsthafte Lösungsrichtung für den Abbau der Arbeitslosigkeit? Geleitet von dem Konzept des aktivierenden Sozialstaats wird nach dem Grundsatz ‚Fördern und Fordern‘ im Bereich der Erwerbsarbeit eine neue Balance zwischen staatlicher Unterstützung einerseits und der Selbstverantwortung und Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger andererseits hergestellt. Zentrales Ziel der neu ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik ist es, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen und Menschen passgenauer und schneller in Beschäftigung zu bringen. Dazu zählt nicht nur eine zügigere Vermittlung in abhängige Beschäftigung, sondern auch die Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit. Allein durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ist der nachhaltige Abbau der Arbeitslosigkeit insbesondere in den neuen Bundesländern nicht zu bewerkstelligen. Verbesserte Rahmenbedingungen wie z.B. die Senkung der Lohnnebenkosten können die Schaffung neuer Arbeitsplätze in allen Regionen Deutschlands begünstigen. Dazu trägt die Reduzierung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 von 6,5 % auf 4,2 % bei. … 11. Wie hoch ist die Prozentzahl der Erwerbslosen, die über einen Ein-Euro-Job in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden? Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang durch Ein- Euro-Jobs reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt werden, und um welche Größenordnung handelt es sich dabei? Die Bundesregierung bezeichnet Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II als Zusatzjobs hiervon abweichend, aber inhaltlich irreführend, findet in der Öffentlichkeit häufig auch der Begriff ‚Ein-Euro-Job‘ Anwendung. Zusatzjobs dienen nicht in erster Linie der direkten Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, sondern der (Wieder-) Herstellung, dem Erhalt und der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Zusatzjobs bilden die erste Stufe einer Eingliederungsleiter, der weitere Schritte wie z. B. eine Berufsausbildung, eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme oder die Gewährung eines Eingliederungszuschusses, soweit notwendig, folgen sollen. Die Bundesregierung sieht daher den Erfolg eines Zusatzjobs nicht nur in einer sich an den Zusatzjob unmittelbar anschließenden Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt, sondern auch bereits in der Erzielung von Integrationsfortschritten, z.B. in der (Wieder-) Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit. Nach ersten statistischen Angaben der BA im Dezember 2006 waren 15 % der Teilnehmer/innen an Zusatzjobs sechs Monate nach Austritt sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Der Bundesregierung liegen zur Frage der Verdrängung von regulären Beschäftigungsverhältnissen durch Zusatzjobs keine statistischen Daten vor. Die Bundesregierung geht davon aus, dass bei einem verantwortungsbewussten Einsatz von Zusatzjobs die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze weitgehend vermieden und die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht verhindert wird. Diesem Ziel dient auch, dass gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II Zusatzjobs nur für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten geschaffen werden dürfen. 12. Wie wird das in § 1 Satz 3 SGB II postulierte Ziel, bei der Arbeitsförderung „die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Prinzip zu verfolgen‘ (Gender Mainstreaming) in der konkreten Rechtsanwendung von Hartz I bis IV umgesetzt? Plant die Bundesregierung, dieses Ziel in die Zielvereinbarungen zwischen Arbeitsagenturen, Regionaldirektionen und ARGEN aufzunehmen? Wenn ja, wann? Wenn nicht, mit Hilfe welcher Steuerungsinstrumente soll die Verbindlichkeit des Gleichstellungsziels in der konkreten Rechtsanwendung sichergestellt werden? Wird das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitsförderung im Rahmen eines Monitorings überprüft? Wenn ja, anhand welcher Indikatoren wird die Gleichstellungswirkung gemessen? Wenn nein, warum nicht? Sowohl das Recht der Arbeitsförderung (SGB III) als auch das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zeichnen sich durch eine starke gleichstellungspolitische Ausrichtung aus. Gemäß den Beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union ist in beiden Gesetzen die Doppelstrategie der Förderung der Geschlechtergleichstellung und der spezifischen Frauenförderung zur Beseitigung der bestehenden Nachteile und zur Überwindung des geschlechtsspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes verankert (im SGB III siehe § 1 Abs. 1 Satz 3 und § 8 im SGB II siehe § 1 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 Nr. 3 sowie § 16 Abs. 1 Satz 3). Flankiert werden diese gleichstellungspolitischen Zielsetzungen von der gesetzlichen Verpflichtung, bei der Ausgestaltung der Leistungen der aktiven Arbeitsförderung bzw. der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Belange von Frauen und Männern, die Kinder erziehen oder pflegebedürftige Angehörige betreuen, zu berücksichtigen (siehe § 8a SGB III und § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II). So sind z. B. Maßnahmen auch in Teilzeitform anzubieten. Die Umsetzung des arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumentariums des SGB III obliegt der BA. Für die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Sinne einer Führungsunterstützung sorgen die Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt in der Zentrale der BA, in den Regionaldirektionen und in jeder Agentur für Arbeit (vgl. § 385 SGB III). Sie wirken bei der Entwicklung von geschäftspolitischen Konzepten der Agenturen für Arbeit zur Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt mit und regen Initiativen zu Gleichstellungsfragen an. Die Agenturen für Arbeit und die zugelassenen kommunalen Träger, soweit sie Aufgaben anstelle der Agenturen wahrnehmen, müssen über ihre gleichstellungs- und frauenfördernden Aktivitäten in der Eingliederungsbilanz berichten. Sowohl die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen als auch die Integrationen in den Arbeitsmarkt (Eingliederungsbilanz) werden von der BA differenziert nach Geschlecht und Regeschlechtsspezifischer Nachteile von Frauen am Arbeitsmarkt ist beispielsweise, ob die Mindestförderquote von Frauen gemäß § 8 Abs. 2 SGB III, der im SGB II entsprechend anzuwenden ist, erreicht wird. Die Steuerung der Zielerreichung erfolgt im Rahmen des BA-internen Controllings. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist in beiden Gesetzbüchern (SGB II und SGB III) als Ziel vorgegeben. Eine weitere Nennung der Gleichstellung im Rahmen einer Zielvereinbarung bringt nach Auffassung der Bundesregierung keinen zusätzlichen Effekt. Ungeachtet dessen ist für die zukünftige Gestaltung einer auf Chancengleichheit von Frauen und Männern ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik die derzeit erfolgende wissenschafltiche Evaluation der Wirkungen der Arbeitsmarktreformen von besonderer Bedeutung. Das BMAS hat deshalb dafür Sorge getragen, dass sämtliche im Rahmen des SGB II und SGB III durchgeführte Wirkungsforschung dem Prinzip des Gender Mainstreaming folgt. Die beauftragten Forschungsinstitute sind verpflichtet, alle verwendeten Daten geschlechterdifferenziert auszuwerten und bei der Hypothesenbildung auf etwaige Wirkungsunterschiede auf Männer und Frauen zu achten. Darüber hinaus werden alle gleichstellungspolitisch relevanten Ergebnisse der SGB II-Wirkungsforschung in einem eigenen Forschungsprojekt des BMAS zusammengeführt und etwaige Daten- und Auswertungslücken im Rahmen dieses Projekts nach Möglichkeit geschlossen. … 28. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Umfang der „missbräuchlichen‘ Inanspruchnahme von Leistungen (bitte nach Arten der unrechtmäßigen Inanspruchnahme, z. B. Verschweigen des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft, Nichtangabe von Vermögen, Einkommen etc. differenzieren)? Auf welcher empirischen Basis und Datengrundlage beruhen diese Erkenntnisse jeweils? Erkenntnisse zum Leistungsmissbrauch sind u. a. aus den Ergebnissen des automatisierten Datenabgleichs nach § 52 SGB II zu gewinnen, den die BA quartalsweise durchführt. Die sich im Rahmen des Datenabgleichs ergebenden Überschneidungsmitteilungen werden hinsichtlich eines möglichen Leistungsmissbrauchs untersucht. Im Jahr 2005 sind aus den rd. 3,2 Mio. Überschneidungsmitteilungen rd. 190.000 Überzahlungen mit einem Volumen von rd. 72,3 Mio. € berichtet worden. Davon entfielen rd. 19,1 Mio. € auf kommunale Leistungen. In mehr als 44.000 Fällen wird geprüft, ob eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat vorliegt. Bei der Bewertung dieser Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass beim ersten Datenabgleich, der einen Zeitraum von 9 Monaten abdeckte, keine Filterfunktionen eingesetzt werden konnten, die bereits zuvor identifizierte Überschneidungsmitteilungen herausgefiltert hätte. Dadurch betrug die Anzahl der Überschneidungsmitteilungen etwa das Dreifache gegenüber nachfolgenden Abgleichen. Im Rahmen des zweiten und dritten Datenabgleichs lag die Anzahl der Überschneidungsmitteilungen je Abgleich zwischen 800.000 und 900.000. Aus den bisherigen Ergebnissen hinsichtlich der Überschneidungsquoten kann jedoch nicht auf eine entsprechende Missbrauchsquote geschlossen werden, da die Prüfung von Überschneidungsmitteilungen einen längeren Zeitraum erfordert und die Validität der Ergebnisse zunächst geprüft werden muss. … 47. In welchem Ausmaß haben Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 SGB II bundesweit dazu geführt, dass Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII nicht mehr durch Freiwillige, Ehrenamtliche oder Fachkräfte erbracht wurden? Wie bewertet die Bundesregierung die Qualität der im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung erbrachten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten: a) Inwiefern verfügen die zu den Arbeitsgelegenheiten verpflichteten Erwerbslosen über die nötigen Qualifikationen und formalen Voraussetzungen? b) Ist die Qualität der geleisteten Arbeit vergleichbar mit der Erbringung entsprechender Leistungen durch regulär angestellte Fachkräfte? c) Wie wird den Belangen des Kindesschutzes entsprechend § 8a SGB VIII Rechnung getragen? Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfestatistik werden Daten über in der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigte Personen nur alle vier Jahre erhoben. Derzeit sind keine entsprechenden Daten für die Jahre 2005 und 2006 verfügbar, so dass die Entwicklung seit dem In-Kraft-Treten des SGB II nicht anhand statistischer Daten verfolgt und bewertet werden kann. Davon unabhängig ist jedoch festzustellen, dass sich die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe wie sie in § 2 Abs. 2 SGB VIII abschließend aufgezählt sind, an den weiteren Bestimmungen des SGB VIII messen lassen müssen. Wird vor diesem Hintergrund die Frage nach der Qualifizierung von Personen gestellt, die in der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt werden, so muss insbesondere auf die Bestimmungen zur Betriebs- und Pflegeerlaubnis verwiesen werden. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe hängt davon ab, ob die Betreuung der Kinder und Jugendlichen durch geeignete Kräfte gesichert ist (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Ebenso ist im Rahmen der Pflegeerlaubnis geregelt, dass nur Personen mit einer besonderen Eignung die regelmäßige Betreuung von Kindern übernehmen dürfen (§ 43 SGB VIII). Von diesen Bedingungen darf auch im Rahmen der Einrichtung und Förderung von Zusatzjobs nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht abgewichen werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Zusatzjobs nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II um zusätzliche, im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten handeln muss. Die gesetzliche Voraussetzung der Zusätzlichkeit der Arbeiten – es darf sich grundsätzlich nicht um Pflichtaufgaben handeln – schließt aus, dass Zusatzjobs für die Erledigung von Aufgaben eingerichtet und gefördert werden, für die nach dem SGB VIII eine reguläre Fachkraft erforderlich ist. Aus dem gleichen Grund kann sich die Frage nach den Belangen des Kinderschutzes nach § 8a SGB VIII im Zusammenhang mit den Zusatzjobs nicht stellen, da das Merkmal der Zusätzlichkeit nicht vorliegt, wenn Aufgaben des inderschutzes erledigt werden. 48. Welche Kriterien kennzeichnen nach Auffassung der Bundesregierung Eingliederungsleistungen für junge Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II als vorrangig im Sinne von § 10 Abs. 3 SGB VIII gegenüber sozialpädagogischen Leistungen der Jugendhilfe, wenn sich beide Leistungen teilweise oder ganz an dieselbe Zielgruppe richten? Lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung mit den Regelungen von § 10 Abs. 3 SGB VIII ein umfassender Vorrang von Eingliederungsleistungen des SGB II für junge Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II vor sozialpädagogischen Leistungen der Jugendhilfe für diese Zielgruppe begründen? Nur wenn Leistungen auf unterschiedlicher Gesetzesgrundlage kongruent oder einander überschneidend sind, ist die Frage nach dem Vorrang zu stellen. Im Verhältnis der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) stellt sich das Abgrenzungsproblem bei den Leistungen der Eingliederung in Arbeit. Das SGB VIII bietet mit § 13 SGB VIII eine Rechtsgrundlage, die auch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu Leistungen verpflichtet, die die Eingliederung junger Menschen in die Arbeitswelt zum Ziel haben. Während sich die allgemeine Aufforderung des § 3 Abs. 2 SGB II, junge Menschen unverzüglich in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln, an alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren richtet, werden Leistungen nach § 13 SGB VIII zwar jungen Volljährigen bis zum 27. Lebensjahr gewährt, ohne dass diese auch finanziell hilfebedürftig sind, jedoch nur, wenn sie einen besonders intensiven Förderbedarf aufgrund besonderer sozialer Benachteiligungen oder individueller Beeinträchtigungen haben. Soweit auch diese besonders belasteten unter 25-Jährigen durch die Angebote des SGB II ausreichend gefördert werden können, um ihre Eingliederung in Arbeit zu erreichen, sind diese Instrumente des SGB II gegenüber denen des § 13 SGB VIII grundsätzlich vorrangig. Kann eine entsprechende Unterstützung dieses Ziels jedoch gerade nicht oder nicht dauerhaft erreicht werden, da ein intensiverer Unterstützungsbedarf besteht, so sind Leistungen nach § 13 SGB VIII zu erbringen. … 89. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen erwerbsfähige hilfebedürftige Jugendliche unter 25 Jahren bei den Trägern der Leistungen nach SGB II (aufgegliedert nach ARGEN und Optionskommunen) Anträge auf Eingliederungsleistungen gestellt haben, in welche der in § 3 Abs. 2 SGB II genannten Alternativen bzw. Berufswege – Arbeit – Ausbildung – Arbeitsgelegenheit wurden diese vermittelt, und wie begründet die Bundesregierung diese Vermittlungspraxis? Eine Statistik zu Anträgen auf Eingliederungsleistungen liegt nicht vor. Angaben können darüber gemacht werden, wie viele arbeitslose erwerbsfähige Hilfebedürftige unter 25 Jahren ihre Arbeitslosigkeit beendet haben. Danach beendeten 2005 237.400 jugendliche erwerbsfähige Hilfebedürftige ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und 85.500 durch Aufnahme einer betrieblichen oder schulischen Ausbildung. In eine Arbeitsgelegenheit mündeten im Jahr 2005 157.500 Jüngere unter 25 Jahren. 90. Welche besonderen Gründe sind nach Kenntnis der Bundesregierung dafür maßgebend, dass die zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende davon abgewichen sind, dem in § 3 Abs. 2 SGB II verankerten Willen des Gesetzgebers (vgl. undestagsdrucksache15/1516) folgend, der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung den Vorrang zu geben? Qualifizierung schützt nachhaltig vor Arbeitslosigkeit. Je besser qualifiziert eine/ein erwerbsfähige/r Hilfebedürftige/r dem Arbeitsmarkt gegenüber steht, desto besser sind unter gleichen Umständen ihre/seine Integrationschancen. Dass die Integration junger Menschen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oberste Priorität hat, kommt insbesondere in § 3 Abs. 2 SGB II zum Ausdruck. Grundsätzlich ist einer Vermittlung in Ausbildung Vorrang zu geben, soweit das Profiling in der Integrationsarbeit ergeben hat, dass die/der betroffene Jugendliche ausbildungsreif ist und eine Ausbildung aufnehmen möchte. Wenn keine Vermittlung in Ausbildung möglich ist, soll darauf hingewirkt werden, dass die Arbeit oder Arbeitsgelegenheit zur Qualifizierung beiträgt. Damit sich junge Menschen möglichst gar nicht erst an den Bezug passiver Leistungen gewöhnen und um sicherzustellen, dass sie ihren Lebensunterhalt möglichst schnell aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können, ist eine unverzügliche Vermittlung erforderlich. Um den Begriff der Unverzüglichkeit im § 3 Abs. 2 SGB II zu konkretisieren, wurden zwischen der BA, dem damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden Mindeststandards abgestimmt, die für die Integrationsarbeit mit Jugendlichen festlegen, dass innerhalb von einer Woche nach Antragstellung Erstberatung und Profiling stattfinden sowie innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen wird. Bezüglich eines konkreten Angebotes wurde der Mindeststandard formuliert, dass Jugendlichen im Regelfall innerhalb von vier Wochen nach Abschluss der Eingliederungsvereinbarung eine Ausbildung, Arbeit, Ausbildungsvorbereitung, Weiterbildung oder Arbeitsgelegenheit angeboten werden soll. Die Entscheidung, welche konkreten Vereinbarungen mit dem Jugendlichen getroffen werden können, hängt von den individuellen Voraussetzungen, den Interessen und den tatsächlichen Möglichkeiten ab. Fehlt es an den Fähigkeiten bzw. der Motivation einer/eines Jugendlichen aus dem Rechtskreis des SGB II, kann der zuständige Träger der Grundsicherung zu der Überzeugung gelangen, dass eine Vermittlung in Ausbildung nicht vorrangig ist. … 92. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren von den Bestimmungen des § 31 SGB II (Wegfall und Absenkung des ALG II) Gebrauch gemacht worden ist (bitte nach Wegfall und Absenkungsbeträgen aufschlüsseln)? Im Verfahren A2LL konnten erst seit November 2005 die Informationen zu verhängten Sanktionen in einer für die Statistik auswertbaren Form erfasst, und der Aufbau einer entsprechenden Datenbasis begonnen werden. Deshalb liegen auch noch keine Erfahrungen mit saisonalen Schwankungen vor, die eine Einschätzung des Sanktionsvolumens erlauben würden. Der Umfang der Kürzungen hängt vom Sanktionsgrund ab. Der Bundesregierung liegen bisher noch keine verwertbaren Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren die Leistungen nach dem SGB II gekürzt wurden. 93. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen die Geldleistungen nach SGB II für unter 25-Jährige komplett entzogen worden sind? Statistische Daten liegen der Bundesregierung hierzu nicht vor. 94. Wie viele Eingliederungsvereinbarungen mit Jugendlichen unter 25 Jahren sind nach welchen Kriterien und nach welcher Dauer von Arbeitslosigkeit mit welchen Erfolgen abgeschlossen worden? Valide Daten zu Eingliederungsvereinbarungen liegen nach Auskunft der BA voraussichtlich erst im Laufe des Jahres 2007 vor. Die statistischen Ergebnisse zu Arbeitslosen des Rechtskreises SGB II mit abgeschlossener Eingliederungsvereinbarung sind derzeit nur stark eingeschränkt aussagefähig. Quantitative und qualitative Auswertungen zeigen, dass der Abschluss und die Erfassung von Eingliederungsvereinbarungen von den Grundsicherungsträgern SGB II bisher regional stark unterschiedlich gehandhabt wurden. 95. Wie sieht die Praxis der Berufsberatung für unter 25-jährige Jugendliche derzeit aus, und aus welchen Gründen gedenkt die Bundesregierung – entgegen dem fachlichen Votum der Bundesagentur für Arbeit (BA) – von dem Grundsatz einer einheitlichen Berufsberatung für alle einen Ausbildungsplatzsuchenden auf der Grundlage von § 30 ff. SGB III abzugehen? Alle Jugendlichen unter 25 Jahren haben – entsprechend dem gesetzlichen Auftrag des § 29 SGB III – weiterhin flächendeckend Zugang zur Dienstleistung Berufsberatung, die von der BA erbracht wird. Dies schließt auch den Informationsauftrag nach § 33 SGB III im Rahmen der beruflichen Orientierung und der Nutzung von Selbstinformationseinrichtungen (§ 41 SGB III) ein. Damit bleibt – im Unterschied zum fachlichen Votum der BA – der Grundsatz einer einheitlichen Berufsberatung gewahrt. 96. Welche Erfahrungen sind mit der Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation, generell und speziell für unter 25-Jährige gemacht worden? Hat der Runderlass der BA vom 27. Juni 2005 hinsichtlich der einheitlichen Leistungsgewährung für alle Rehabilitanden (unabhängig von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sozialleistungssystemen) nach Auffassung der Bundesregierung zu ausreichender Klarheit geführt oder sind die von den Trägern der Behindertenhilfe benannten Probleme in der Leistungsgewährung damit eher verstärkt worden? Ein Runderlass vom 27. Juni 2005 zum Themenfeld berufliche Rehabilitation ist der BA nicht bekannt. Soweit mit der Frage die Handlungsempfehlung und Geschäftsanweisung der BA (HEGA) – Aktuelles – vom 28. Juni 2005 in Bezug genommen ist, hat dort die BA der Bitte des ehemaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit Rechnung getragen, gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung die Aufgaben eines Reha-Trägers umfassend für alle bei den zugelassenen kommunalen Trägern gemeldeten behinderten Hilfebedürftigen wahr zu nehmen, soweit nicht ein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurde auch gesetzlich klargestellt, dass die BA auch für behinderte, erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II Rehabilitationsträger ist, soweit kein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist (§ 6a SGB IX). Die neue Regelung soll durch Verfahrens- und Fristenregelungen dazu beitragen, das Rehabilitationsverfahren zu beschleunigen und das notwendige Zusammenwirken der BA mit den ARGEn und den zugelassenen kommunalen Trägern im Interesse hilfebedürftiger, behinderter Menschen zu verbessern. Zu den generellen Erfahrungen mit der Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation an junge und erwachsene behinderte Menschen wird auf den vorliegenden Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe vom 16. Dezember 2004 (BT-Drs. 15/4575) verwiesen. 97. In wie vielen Fällen sind bei den Trägern der Leistungen nach SGB II Antragstellende nach § 7 Abs. 5 SGB II (Auszubildende) vorstellig geworden in wie vielen Fällen sind dabei „besondere Härtefälle‘ (§ 7 Abs. 5 Satz 2) anerkannt worden, und welchen Veränderungsbedarf sieht die Bundesregierung hier? Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden Angaben vor. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II dient der Abgrenzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Ausbildungsförderung. Damit wird eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene vermieden. Eine darlehensweise Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt soll daher nur dann möglich sein, wenn außergewöhnliche, schwerwiegende oder atypische Umstände vorliegen. Solche Umstände können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn die/der Auszubildende ohne die Leistungsgewährung in eine Existenz bedrohende Notlage geriete, die auch nicht bei Unterbrechung der Ausbildung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beseitigt werden könnte. Für Auszubildende mit Anspruch auf Leistungen der Ausbildungsförderung, die ihre Unterkunftskosten nicht aus eigenen Mitteln decken können, wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum 1. Januar 2007 ein Zuschuss zu ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 SGB II eingeführt. “ Den Volltext der Antwort der Bundesregierung entnehmen Sie bitte dem Anhang oder dem aufgeführten Link.

http://dip.bundestag.de/btd/16/022/1602211.pdf
http://dip.bundestag.de/btd/16/039/1603982.pdf

Quelle: Pressedienst des Deutschen Bundestages

Dokumente: 1603982.pdf

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