BERUFLICHE BILDUNG IM UMBRUCH In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift BWP wird die Diskussion um die Weiterentwicklung der Berufsbildung fortgesetzt. Diese Meldung skizziert die Diskussionsbeiträge und gibt sie in Auszügen wieder. Diskutiert wird die Studie von Euler/Severing, die im Rahmen der Beratungen des Innovationskreises ‚Berufsbildung‘ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegt wurde. Dieses Papier spricht sich für eine Modularisierung der beruflichen Bildung aus. Ausbildungsbausteine als Grundlage der Weiterentwicklung der Berufsbildung sollen eingeführt werden. Die aktuelle Modularisierungsdebatte wird von Ehrke und Nehles kritisiert. In ihrem Beitrag führen Sie aus, dass die vorhandenen Berufe flexibler und innovativer seien als es die Befürworter der Modularisierung wahrhaben wollten. Der Diskussionsbeitrag wirft abschließend einen Blick in die Zukunft und bildet Handlungsansätze für eine mögliche zukunftsfähige Berufsbildung ab. Weiterentwicklung in der Berufsbildung ZUSAMMENDENKEN, WAS ZUSAMMENGEHÖRT – AUSBILDUNGSBAUSTEINE ALS GRUNDLAGE DER WEITERENTWICKLUNG DER BERUFSBILDUNG “ Ausgangsprobleme: Veränderte Strukturbedingungen für das duale System Dass Veränderungen im deutschen System der Berufsausbildung notwendig sind, ist angesichts der sichtbaren Probleme weithin akzeptiert. Einige ausgewählte Indikatoren mögen die Herausforderungen verdeutlichen: – Es gelingt nicht, die Nachfrage nach Ausbildungsstellen im dualen System durch eine hinreichende Aktivierung von betrieblichen Ausbildungsressourcen zu decken. Dies führte in den vergangenen Jahren zu einer schleichenden Erosion des dualen Systems, die unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass die Einmündungsquote der Schulabgänger in das System von etwa 77% Anfang der 90er-Jahre auf mittlerweile 58 % gesunken ist. – Zwischen den allgemeinbildenden Schulen und der Berufsausbildung hat sich ein „Übergangssystem‘ gebildet, in dem mehr als 500.000 Jugendliche mit einem milliardenschweren öffentlichen Finanzaufwand in einer Vielzahl von Maßnahmen der Berufsausbildungsvorbereitung (BAV) untergebracht sind, die zumeist keinen systematischen Anschluss an eine Berufsausbildung in berufen besitzen. Diese besorgniserregenden Entwicklungen werden als Symptome von grundlegenden strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft verstanden, die zu veränderten Rahmenbedingungen für das Ausbildungssystem führen. … Im Ergebnis begründen diese strukturellen Entwicklungen die Notwendigkeit, auch im System der Berufsausbildung Veränderungen einzuleiten, die strukturell ansetzen und die über die in den vergangenen Jahren vorgenommenen Maßnahmen zur Steigerung des Ausbildungsstellenangebots durch verstärkte Vermarktung und durch Akquisitions- und Unterstützungsprogramme hinausgehen. In den vergangenen Jahren wurde der Versuch unternommen, das Auseinanderfallen von betrieblichen Ausbildungsstellenangebot und der Ausbildungsnachfrage durch Maßnahmen der BAV und durch eine Förderung der vollzeitschulischen Berufsausbildung zu kompensieren. … Die Bildungsmaßnahmen, die der regulären Ausbildung vor- oder parallel zu ihr gelagert sind, sind weder untereinander noch mit den Inhalten der Ausbildung systematisch verzahnt. Dies führt bei den Jugendlichen zu schwierigen Übergängen im Ausbildungsverlauf, zu einer längeren Ausbildungsdauer und zu einem hohen Motivationsverlust. … Daher ist zu fragen, wie die Vorbereitungsmaßnahmen und schulischen Ausbildungen, sofern sie die Funktion eines Angebotspuffers für betriebliche Ausbildungen erfüllen, besser in eine nachfolgende Ausbildung integriert werden können und auch für sich auf dem Arbeitsmarkt besser verwertbar gemacht werden können. Es geht dabei nicht um Sonderlösungen für eine Branche, einen Beruf oder eine besondere Zielgruppe unter den Jugendlichen. … Lösungsvorschläge: Modelle einer Strukturierung der Berufsbildung mit Ausbildungsbausteinen Mit Blick auf die skizzierten Herausforderungen schlagen wir vor, durch die Einführung von Ausbildungsbausteinen in der dualen Ausbildung eine verbesserte horizontale und vertikale Integration der Ausbildung mit vor- und nachgelagerten sowie parallelen vollzeitschulischen Bildungsangeboten zu ermöglichen. Davon ausgehend haben wir zwei Modelle zur Umsetzung einer mit Ausbildungsbausteinen strukturierten Ausbildung vorgestellt, die sich in ihrer Ausgestaltung und in ihren ordnungspolitischen Konsequenzen unterscheiden. Beide Modelle gehen von einer übersichtlichen Zahl von fünf bis acht Ausbildungsbausteinen aus. Ausbildungsbausteine sind abgegrenzte und bundesweit standardisierte Einheiten innerhalb der curricularen Gesamtstruktur eines Ausbildungsberufsbilds. Die einzelnen Bausteine entstehen aus einem ganzheitlichen Ausbildungsberufsbild, umgekehrt repräsentieren sie in ihrer Gesamtheit die Einheit des Berufsbilds. Erst die Absolvierung aller Bausteine begründet eine ganzheitliche, qualifizierte Berufsausbildung. Daraus ergibt sich, dass das Berufsprinzip als konstitutive Grundlage der dualen Berufsausbildung erhalten bleibt. Damit korrespondiert die vertragsrechtliche Komponente, dass Ausbildungsverhältnisse innerhalb des dualen Systems unverändert über die Gesamtdauer der Ausbildung abzuschließen sind. Auch sieht keines der beiden Modelle vor, auf eine Abschlussprüfung zu verzichten. Es geht insofern auch nicht um Mikromodule, wie sie teilweise im englischen und schottischen NVQ-System zum Einsatz kommen. Eine solche Zersplitterung der Inhalte würde die Transparenz der Ausbildung verringern und nicht zu einer eigenständigen Handlungskompetenz in Ausbildungsbausteinen führen. Modell 1: Graduelle Optimierung des Status quo In dieser Variante werden aktuelle Entwicklungen aufgenommen und in einigen Punkten erweitert. Duale Ausbildungsgänge bleiben in diesem Modell 1 in ihrem praktischen Ausbildungsablauf prinzipiell unberührt, aber insbesondere die Ausbildungsvorbereitung wird näher an die duale Berufsausbildung herangeführt. Es werden die Inhalte der einzelnen Ausbildungsbausteine durchlaufen, die Prüfungen in der regulären dualen Ausbildung werden jedoch nicht Baustein für Baustein absolviert, sondern wie bisher zeitpunktbezogen als eine Einheit am Ende der Ausbildung. … Modell 2: Integration von bausteinbezogenen Prüfungen Auch bei MODELL 2 erfolgt eine Strukturierung des Ausbildungsberufsbilds über Ausbildungsbausteine, die jedoch einzeln geprüft und zertifiziert werden. Der Ausbildungserfolg wird über die Absolvierung der auf die Ausbildungsbausteine bezogenen Prüfungen und einer (veränderten und kürzeren) Abschlussprüfung dokumentiert. Bausteinbezogene Prüfungen können auch an den Lernorten erfolgen, in denen entsprechende Ausbildungsleistungen absolviert werden. Die integrierte Abschlussprüfung, in der zum Ende der Ausbildung nochmals der Gesamtzusammenhang gesichert werden soll, sollte weiterhin durch die zuständigen Stellen durchgeführt werden. Hinsichtlich der Prüfungsmodalitäten schlagen wir vor, dass für Ausbildungsbetriebe sowohl eine „traditionelle Prüfungsstruktur‘ (mit Zwischen- und Abschlussprüfung) als auch eine bausteinbezogene Prüfungsabfolge möglich sein soll. Dieser Ansatz würde es über das MODELL 1 hinaus erleichtern, gleichwertige Ausbildungsleistungen etwa beim Wechsel zwischen unterschiedlichen Ausbildungskonfigurationen bzw. Lernortkombinationen auf der Grundlage zertifizierter Prüfungsleistungen anzuerkennen. Auch würden die Auszubildenden durch die zeitlich nähere Prüfung zu einer kontinuierlichen Leistungsorientierung während der gesamten Dauer der Ausbildung motiviert. … Entwicklung und Transfer Wir sind der Auffassung, dass eine Weiterentwicklung der Berufsbildung sich nicht getrennt auf das Übergangssystem auf der einen Seite oder auf das duale System auf der anderen Seite beziehen darf: denn die Mehrzahl der Jugendlichen bewegt sich in beiden Bereichen und büßt für die Systembrüche, die wir nicht beseitigen. Es wird Zeit, zusammenzudenken, was zusammengehört – oder wie heißt es so treffend: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. “ Autoren: Prof. Dr. Eckart Severing, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg Prof. Dr. Dieter Euler, Professor für Wirtschaftspädagogik und Bildungsmanagement an der Universität St. Gallen „AUFGABENBEZOGENE ANLERNUNG“ ODER BERUFSBEZOGENE AUSBILDUNG? ZUR KRITIK DER AKTUELLEN MODULARISIERUNGSDEBATTE “ Das Thema Modularisierung ist nicht neu. Bereits vor zehn Jahren wurde … über Modularisierung diskutiert. Damals positionierte sich die Industrie eindeutig ablehnend – mit guten Argumenten, die noch heute ihre Gültigkeit haben. … Merkwürdig: Die, die von außen auf das duale System schauen, bezeichnen es gerne als starr und unflexibel, während die, die in diesem dualen System Ausbildung leben, allen voran die Auszubildenden, es oft als viel zu flexibel empfinden und gerne mehr Haltelinien hätten, damit Ausbildung nicht ins Leere geht oder gar in Ausbeutung abgleitet. Wen kümmert es eigentlich angesichts der fehlenden Ausbildungsstellen noch, ob die Ausbildungspraxis sich nach der ‚Ausbildungsordnung‘ vollzieht? … Inzwischen preist aber sogar Bundesbildungsministerin Schavan … die Modularisierung als Zukunft … Den Wahrern des Berufsprinzips wird als Kompromiss angeboten, dass die Jugendlichen, wenn sie denn alle Module (irgendwann) absolviert haben, noch eine klassische berufliche Abschlussprüfung ablegen können. Dies ist das Ergebnis eines Gutachtens von Dieter Euler und Eckert Severing. … Modularisierung steht für einen Systemwechsel, der letztlich arbeits- und lohnpolitisch begründet ist. Keine Frage, es gibt eine (zum Glück noch relativ kleine) Fraktion, die auf breiter Front zurück zu einem krassen Taylorismus will und auf diesem Wege das Berufsprinzip als hinderlich ansieht. Die Vorschläge der Erziehungswissenschaftler, die im BMBF derzeit für ein Modulsystem plädieren, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Position auch im Arbeitgeberlager umstritten ist. So distanziert sich das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft von Gesamtmetall eindeutig und vertritt die Meinung, dass die Befolgung solcher Ratschläge … die Lage noch verschlimmern würde. … Ist Modularisierung ein Allheilmittel für die Probleme des Ausbildungsmarkts? … von den Befürwortern … wird verwiesen auf strukturelle Veränderungen des Berufsbildungssystems. Dazu gehört der Hinweis, die Zahl der ausbildenden Betriebe ließe sich mit den vorhandenen Strukturen nicht steigern. Die Ausbildungsbereitschaft von kleineren Firmen könne durch ein Modulsystem erhöht werden. Beweise für diese These sind bisher …. nicht erbracht worden. Die Praxis zeigt eher, dass gerade kleinere Betriebe an Mini-Ausbildungen gar nicht interessiert sind. … Ohne Frage ist die Bedeutung individueller Lernkompetenz, das Lernen zu lernen, in der Wissensgesellschaft gestiegen. Doch kann daraus abgeleitet werden, das Lernen sei kleinteiliger zu organisieren, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Dieses Argument wird auch gerne in Anspruch genommen, wenn es darum geht, vollzeitschulische Bildungsgänge mit Berufsbildung im dualen System in Beziehung zu setzen. Die Vertreter der Modularisierung sehen außerdem Handlungsbedarf für benachteiligte Jugendliche, insbesondere für Berufsschüler in Warteschleifen, die möglicherweise keine Chance mehr zu einem Berufsabschluss erhalten. Diesen Handlungsbedarf wird auch niemand bestreiten. Im neuen BBiG sind deshalb neue Anrechnungsmöglichkeiten geschaffen worden vor allem im § 7 und im § 43(2), um den Jugendlichen in schulischen Warteschleifen einen erleichterten Durchstieg zum anerkannten Ausbildungsabschluss zu ermöglichen. Nun wird aber behauptet, dass erst mit dem Angebot einzelner Module, die aus Berufen herausgebrochen wurden, ein durchgreifender Fortschritt in der Anrechnungsfrage erzielt werden kann. Bisher verläuft diese Diskussion aber nicht wirklich trennscharf: Geht es um die Verbesserung von Bildungschancen für Jugendliche aus dem „Übergangssystem‘ oder um die Neuorganisation der gesamten Berufsausbildung in Deutschland im Sinne einer Neustrukturierung der Ausbildungsgänge in fragmentierte Teilqualifikationen? Alle Akteure der Berufsbildung sollten im Interesse der Jugendlichen ein Interesse daran haben, die Warteschleifen zu reduzieren. Doch brauchen wir dafür eine Debatte über Modularisierung? … Beruflichkeit ist mehr als die Summe von Ausbildungsbausteinen Allen aktuellen Modularisierungsvorschlägen liegt eine Vorstellung zugrunde, wonach es möglich sein soll, eine Berufsausbildung in Teilmodule zu segmentieren, am Ende jedoch die Beruflichkeit zu wahren. Beruflichkeit ist mehr als die Summe verschiedener Ausbildungsabschnitte. Berufliche Handlungsfähigkeit basiert auf im Arbeitsprozess integrierten Lernen. … Strukturwandel und Arbeitsmarktentwicklung sind mit bestehenden Berufsstrukturen, die durch das BBiG geregelt werden, durchaus vereinbar. So wurden in den letzten Jahren wegweisende Neuordnungsergebnisse erzielt. Dabei sind Strukturierungsprinzipien gefunden worden, die Mobilität und Flexibilität der Fachkräfte optimal unterstützen. … Risiken einer Modularisierung für den Bildungsstandort Deutschland Wer darauf verweist, dass mit einer Modularisierung unserer Ausbildungsberufe die Gefahr entsteht, Strukturen zu zerstören, ohne bessere aufzubauen, ist deswegen noch lange nicht reformfeindlich. Arbeitgeber und Gewerkschaften haben durch die Neuordnungen der letzten Jahre bewiesen, dass gerade unser System der Bottom-Up-Moder-nisierung von Berufsausbildung über Diskussions- und Abstimmungsprozesse in den Branchen, die von den tatsächlichen Trends und einem Branchenbedarf angestoßen werden und nicht auf abstrakte Theoriedebatten angewiesen sind, zu sehr guten Ergebnissen führen. Die neugeordneten Industrieberufe in den Bereichen Metall, Elektro und IT verkörpern zukunftsorientierte, dynamische und flexible Ausbildungskonzepte, mit denen wir auch im internationalen Vergleich ganz vorn sind. … Europa verlangt das nicht. Die Modultheoretiker benutzen in diesem Zusammenhang gerne auch das Argument, der Europäische Qualifikationsrahmen und ECVET verlangten zwingend eine Modularisierung der Berufe. Alles also ein unvermeidbarer Sachzwang? Mitnichten. EQF und ECVET sind nicht dasselbe. Zumindest derzeit haben sie nichts miteinander zu tun. Das wurde auf der ECVET-Konferenz im Herbst 2006 überdeutlich. Zweitens verlangt der EQF auch keine Aufteilung der Berufsausbildung in Module. Im Gegenteil: Er will (und kann) ausdrücklich nicht in nationale Bildungsstrukturen eingreifen. Eine direkte Zuordnung von nationalen Bildungsgängen zum EQF gibt es nicht. Sie erfolgt immer über einen Nationalen Qualifikationsrahmen, der auf nationaler Ebene entwickelt wird – falls das in unserem provinziellen Bildungsföderalismus überhaupt zu schaffen ist. “ Autoren: Dr. phil. Michael Ehrke, Bildungsexperte beim Vorstand IG Metall, Frankfurt/Main Hermann Nehls, Referatsleiter Bildung und Qualifizierung, DGB Bundesvorstand, Berlin AUSBILDUNG 2030 – Experten entwickeln Handlungsansätze für die Zukunft “ Fast alle Betriebe müssen sich in den nächsten Jahren mit einem steigenden Durchschnittsalter der Belegschaften und einem Mangel an Nachwuchskräften auseinandersetzen. Während sich die aktuelle Ausbildungsdiskussion insbesondere auf die fehlenden Ausbildungsplätze, die mangelhafte Ausbildungsreife von Jugendlichen und auf neue Berufsbilder konzentriert, wird sich der Fokus in den nächsten Jahren zu Themen verschieben, die derzeit eher selten im Blickfeld der Ausbildungsverantwortlichen sind. Bereits ab 2010 lassen die rückläufigen Kinderzahlen die Gruppe der Ausbildungsbewerber schrumpfen, gleichzeitig steigt der Bedarf an Nachwuchskräften, weil die aus dem Berufsleben ausscheidenden geburtenstarken Jahrgänge wachsende Lücken in den Unternehmen hinterlassen. … Die Auswirkungen der Internationalisierung der Arbeitswelt, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sowie die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sind weitere dynamische Entwicklungen, die die berufliche Ausbildung beeinflussen. Auf verschiedene Weise wird dem entgegengewirkt: Der zunehmenden Europäisierung der Arbeitsmärkte wird durch die Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens „EQF‘ und des Leistungspunktesystems „ECVET‘ begegnet. Modernisierte oder neu geschaffene Ausbildungsberufe sollen gewährleisten, dass die Berufsausbildung mit der zunehmenden Dienstleistungsorientierung und der technologischen Entwicklung Schritt hält. Die demographischen Herausforderungen angehen … Trotz eines hohen öffentlichen Problemdrucks durch fehlende Ausbildungsplätze und die vermeintlich mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Jugendlicher ist es wichtig, dass die Ausbildungsverantwortlichen bereits heute die künftigen Herausforderungen in Angriff nehmen und Handlungsstrategien zu deren Bewältigung entwickeln. … Im Rahmen eines „Foresight-Prozesses‘ hat die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Experten Szenarien für eine Personalpolitik im Jahre 2030 erarbeitet. … im Rahmen von Workshops mit Fachleuten aus Unternehmen, Kammern, Schulen und weiteren Institutionen diskutiert. … Strukturen der Ausbildung zukunftsfähig weiterentwickeln Maßgeblich für eine erfolgreiche Ausbildung sei die Konzentration auf Kernqualifikationen, so die übereinstimmende Einschätzung der Workshop-Teilnehmer. Zusatzqualifikationen und eine spätere Spezialisierung könnten im Laufe der Ausbildung auf diesen aufbauen. Die Einrichtung von „Berufsclustern‘, also Gruppen gemeinsam ausgebildeter Berufe mit zusätzlichen Ausbildungsbausteinen, sei vor dem Hintergrund der steigenden beruflichen Mobilität und angesichts der Entwicklungen innerhalb der EU notwendig. Ob die Clusterbildung eine völlige Modularisierung der Berufsausbildung zur Folge haben sollte, wurde von den Teilnehmern kontrovers diskutiert: … Das duale Ausbildungssystem sollte in seinen Strukturen systematisch zukunftstauglich weiterentwickelt werden. Zur Vermittlung künftiger Schlüsselqualifikationen sei eine stärker praxisbezogene und an aktuellen Problemstellungen orientierte Kompetenz der Berufsschullehrer erforderlich. Die Betriebe könnten die Vermittlung von neuen Ausbildungsinhalten nicht übernehmen. … In Anbetracht der zu erwartenden Knappheit an Ausbildungsbewerbern müsse man sich künftig auch den Bewerbern mit schlechteren Schulzeugnissen stärker widmen. Gezielte Maßnahmen für diese Gruppe führten jedoch nur dann zur Eingliederung in reguläre Ausbildungsverhältnisse, wenn solche Konzepte wie das EQJ nach konkreten Zielvorgaben weiterentwickelt würden und einen verbindlichen Charakter bekämen. Erwartungen der Unternehmen Der betrieblichen Personalpolitik kommt nach Ansicht der Experten die zentrale Aufgabe zu, … Die Unternehmen müssten die sich abzeichnenden Veränderungen frühzeitig in ihre Planungen einbeziehen eine langfristige „Unternehmensvision‘ sei dazu vonnöten. … Erfolg versprechend sei dabei eine „Kultur des lebenslangen Lernens‘ mit neuen Lernformen und -inhalten, die vor allem Jugendliche noch stärker zu eigenständigem Lernen auffordert. Die Erwartungen des Unternehmens an die Auszubildenden sollten deutlicher formuliert werden und deren Erfüllung regelmäßig abgeglichen und auch mit Eltern und Berufsschule diskutiert werden. Hierbei bieten anspruchsvolle Erwartungen, die gegenüber Bewerbern kommuniziert werden, höhere Chancen im Wettbewerb um leistungsorientierte Nachwuchskräfte. Eine stärkere Leistungsorientierung sollte jedoch nicht dazu führen, schwächere Bewerber abzuschrecken. Die Personalpolitik sollte mit angemessenen Erwartungen auf diese Gruppe zugehen. Dies gelte zum Beispiel für die wachsende Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Eine Transparenz der Erwartungen der Unternehmen sei auch wichtig, wenn künftig im demographischen Wandel verstärkt weibliche Bewerber für bisher klassische Männerberufe gewonnen werden sollen. … Schule neu ausrichten Die Schule sollte künftig stärker als bisher praxisorientiert fachliche und überfachliche Qualifikationen vermitteln. Dafür müssen Lehrer regelmäßig für die aktuellen Anforderungen der Wirtschaft sensibilisiert und Themen aus Beruf und Wirtschaft frühzeitig im Unterricht platziert werden. Ebenso sei es wichtig, dass die Lehrer noch mehr die Neugier zum Lernen wecken und erhalten sowie über Lernkrisen hinweghelfen. … Das Arbeiten in Projekten und altersgemischten Teams ist als Alternative zum herkömmlichen Frontalunterricht besser geeignet, um Zusammenarbeit, Flexibilität und Kommunikation zu trainieren. Dabei sollten auch gezielt neue Informations- und Kommunikationsmedien aus der Arbeitswelt im Schulalltag eingesetzt werden. … Angebote Dritter für Kinder und Jugendliche, … , sollten gefördert werden. Dies auch deshalb, weil alternative Lerninhalte und Lernsituationen das Schulangebot bereichern und ergänzen. Unternehmen seien künftig gefordert, ihre Unterstützung für Schulen auszubauen. Familie als Zukunftsschlüssel Die Ausbildungsanstrengungen von Schule und Betrieb können nur dann erfolgreich sein, wenn das Elternhaus, das eine Schlüsselrolle einnimmt, Grundregeln und Tugenden vermittelt, die im Berufsleben wichtig sind. Die Familie sollte als Berater und Unterstützer die Schulzeit, die Berufswahl und die Ausbildung begleiten und den Jugendlichen Orientierung und Entscheidungshilfe bieten. … Künftige Ausbildungsziele und -inhalte … Vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Verflechtung der Arbeitswelt sei es wichtig, dass jeder Einzelne offen für andere Kulturen, Mentalitäten und Arbeitsweisen ist. … Kurse zur Vermittlung der notwendigen Kompetenzen sollten das Angebot von Ausbildungsberufen ergänzen. Hierfür sind besonders interkulturelle Trainings geeignet, … Das vorhandene Angebot zum internationalen Austausch von Jugendlichen müsse stärker genutzt und gegebenenfalls ausgebaut werden. Ausbildern kommt bei der Förderung der Aufgeschlossenheit und beim Wecken des Interesses für andere Arbeitskulturen eine Schlüsselrolle zu … Konsequenzen verdeutlichen … Die erfolgreiche Bewältigung einer Berufsausbildung sei heute und in Zukunft eine gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten. Beginnend beim Kindergarten, über die Schule, die Berufsschule, den Ausbildungsbetrieb und nicht zuletzt das Elternhaus, sind alle gefordert, den Ausbildungserfolg mitzugestalten. Eine bessere Abstimmung zwischen den Akteuren, insbesondere im Übergang zwischen unterschiedlichen Schul- und Ausbildungsphasen, ist Voraussetzung für einen gemeinsamen Erfolg. … Fazit und Ausblick Die beteiligten Experten haben ein reformbedürftiges, aber dennoch optimistisches Bild der beruflichen Ausbildung gezeichnet. Die dynamischen Veränderungen der Arbeitswelt, insbesondere die des demographischen Wandels, erfordern eine kontinuierliche Weiterentwicklung des beruflichen Bildungssystems. Maßnahmen wie der „EQF‘ und „ECVET‘ wurden von den Beteiligten als zukunftsorientierte Schritte gewertet. … Den Familien kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Ob diese Forderung nach eher traditionellen Werten angesichts der Orientierungen der Jugendlichen erfolgreich sein kann, wäre über sozialwissenschaftliche Studien zu untersuchen. Vielleicht ist eine neue Wertorientierung, die traditionelle Tugenden neu interpretiert, das Ergebnis. Nach Einschätzung von Experten bedarf es eines Zukunftsdialogs und einer gemeinsamen und vernetzten Strategie aller Beteiligten, um die duale Ausbildung zukunftstauglich weiterzuentwickeln. “ Autoren: Heinz Kolz, Geschäftsführer der Zukunftinitiative Rheinland-Pfalz, Mainz Gereon Stock, Projektmitarbeiter „Zukunftsradar 2030“ der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz, Mainz
http://www.bibb.de
http://www.bmbf.de/pub/Studie_Flexible_Ausbildungswege_in_der_Berufs
Quelle: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Nr. 1 / 2007, BiBB