EQR: Chancen, Risiken und Nebenwirkungen für benachteiligte Jugendliche – Tagungsbeitrag des BMBF

EUROPÄISCHER QUALIFIZIERUNGSRAHMEN – INFORMELLES LERNEN – AUF DEM WEG ZU EINEM DEUTSCHEN QUALIFIKATIONSRAHMEN Auszüge aus dem Redebeitrag von Dr. Ulrich Jahnke (Strategie- und Grundsatzabteilung des BMBF, Referatsleiter Perspektiven der Wissengesellschaft): “ … Der Europäische Qualifikationsrahmen zielt in erster Linie darauf, nationale Qualifikationen europaweit transparent zu machen und damit die Mobilität in und zwischen den europäischen Bildungssystemen sowie auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Er soll dazu dienen, im Rahmen eines hierarchischen, von der Allgemeinbildung bis zum Hochschulbereich reichenden Systems, die erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen in der EU qualitativ vergleichbarer zu machen und entsprechend einstufen zu können. Kernstück des EQF ist ein „Referenzrahmen“ bestehend aus acht Niveaustufen, die auf Lernergebnissen bzw. Kompetenzen basieren. Der EQF hat dabei die Funktion eines übergeordneten „Metarahmens“, der eine Verbindung verschiedener Qualifikationsrahmen auf nationaler und sektoraler Ebene ermöglicht. Die im Rahmen eines Bildungsgangs erworbenen Kompetenzen sollen daher zuvor den Niveaustufen eines nationalen Bezugssystems, wie etwa eines Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR), zugeordnet werden. Das nationale Bezugssystem wiederum gibt dann die Zuordnung der Kompetenzen zu den Niveaustufen des EQF vor. Durch dieses zweistufige Verfahren können die Besonderheiten der nationalen Bildungssysteme entsprechend berücksichtigt werden, … Aus dem vorliegenden EQR-Entwurf lassen sich folgende Zeitliche und inhaltliche Vorgaben ableiten: * Zeitliche Vorgaben • Nov. 2007 Voraussichtliche Verabschiedung EQR • Ende 2010 Kopplung nationales Bildungssystem an EQR via Nationale Qualifikationsrahmen Kopplung der nationalen Qualifikationssysteme an den EQR insbesondere indem die nationalen Qualifikationsniveaus auf transparente Art und Weise mit den EQR- Niveaus verknüpft und in Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung und Praxis ein Nationaler Qualifikationsrahmen erstellt wird • 2012 Verweis aller neuen Abschlüsse auf den jeweiligen Nationalen Qualifikationsrahmen und den EQR d,h, alle neuen Qualifikationsnachweise, Diplome und Europass-Dokumente, die von den dafür zuständigen Stellen ausgestellt werden sollen einen klaren Verweis auf das zutreffende Niveau des Europäischen Qualifikationsrahmens enthalten * Inhaltliche Vorgaben: • Outcomeorientierter Ansatz zur Beschreibung und Definition von Qualifikationen, • Förderung der Validierung nicht formalen und informellen Lernens, • Förderung und Anwendung der Grundsätze für die Qualitätssicherung in der allgemeinen und beruflichen Bildung, • Benennung einer nationalen Koordinierungsstelle, die die Kopplung zwischen dem deutschen Qualifikationssystem und dem EQR, unterstützt und sie gemeinsam mit den zuständigen deutschen Behörden steuert … Die Darstellung von Lernergebnissen nach allgemein verständlichen gemeinsamen Kriterien – wie der EQF sie mit seinen Beschreibungen der Niveaustufen vorsieht – könnte gleichzeitig eine Basis für die Entwicklung von Anrechnungsmechanismen zur Förderung von Durchlässigkeit und Anerkennung innerhalb und zwischen den Bildungsbereichen sein. Derzeit vergleichen wir Leistungen noch überwiegend, indem wir formale Abschlusszertifikate vergleichen. Vergleiche sollten aber darauf zielen, Kompetenzen zu messen und zu bewerten. Es ist gut zu wissen, dass jemand ein Zertifikat vorlegen kann, das den Besuch eines bestimmten Englischkurses mit 40 Unterrichts¬stunden bescheinigt. Es ist wichtiger zu wissen, ob und wie fließend jemand Englisch spricht, schreibt und versteht. Bildungspolitisch kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich … EQR UND INFORMELLES LERNEN Der Bedeutungszuwachs des informellen Lernens, daraus resultierender Kompetenzen und deren Anerkennung ist auf zahlreiche Anstöße und Aktionslinien der Europäischen Union zurückzuführen. Die „Gemeinsamen Europäischen Grundsätze für die Validierung des nicht-formalen und des informellen Lernens“ (2004) geben allerdings keine methodischen oder institutionellen Lösungen für die Validierung vor, da solche Lösungen in ihrem Zuschnitt den lokalen, regionalen, sektoralen oder einzelstaatlichen Besonderheiten Rechnung tragen sollen. Sie umreißen jedoch eine Reihe grundlegender Anforderungen als Voraussetzungen dafür, dass sich ein nachhaltiges Klima von Vertrauen, Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit entfalten kann. Bedeutsame Entwicklungen in Europa im Zusammenhang mit der Anerkennung informellen Lernens sind die Entwicklung und Umsetzung des European Credit Transfer Systems (ECTS), die Entstehung des European Qualification Framework (EQF) und die Entwicklung eines European Credit Transfer System for Vocational Education and Training (ECVET). Entsprechend der Zielsetzungen der Erklärungen von Bologna, Lissabon und Kopenhagen in den Jahren 1999 bis 2002 zielen diese Instrumente auf eine verstärkte Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen und Mobilität in Europa. … Mit dem Ziel einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit auch in den anderen Feldern der beruflichen Bildung wurde analog zur Hochschulbildung die Entwicklung eines einheitlichen Transparenzrahmens und Credit Transfer Systems in der beruflichen Bildung vereinbart. Dem System der Leistungspunkte liegt der Gedanke zugrunde, dass jede Qualifikation, jeder Lernabschnitt, jeder Berufsabschluss, aber auch Erfahrungen ein Lernergebnis oder „learning outcome“ darstellen, für das eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten vergeben werden kann. Dieser Ansatz bietet eine veränderte Sicht auf Lernen: Der Fokus auf die Lernergebnisse – unabhängig davon, ob sie in einem formalen, non-formalen oder informellen Lernprozess erreicht wurden – erleichtert Vergleich und Ermittlung von Gleichwertigkeit und fordert die Anerkennung unabhängig von Lernort und Lerndauer. AUF DEM WEG ZU EINEM DEUTSCHEN QUALIFIKATIONSRAHMEN Deutschland – d.h. Bund und Länder – hat sich immer zugunsten des EQR positioniert und legen Wert auf eine solide Implementierung. Bund und Länder – vertreten durch das BMBF und die Kultusministerkonferenz (KMK) – habe für die die Entwicklung eines bildungsbereichsübergreifenden deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) eine Koordinierungsgruppe gebildet, die den DQR gemeinsam mit allen relevanten Akteuren erarbeiten soll. Der DQR kann und wird mit Sicherheit nicht alle bildungspolitischen Reformfragen beantworten. Aber er kann einen wichtigen Beitrag auch dazu leisten, die Chancen des Einzelnen durch Bildung zu erhöhen und dem Leitbild einer Bildung im Lebensverlauf deutlichere Konturen zu geben. Ein Blick in andere europäische Länder, die bereits über einen nationalen Qualifikationsrahmen verfügen zeigt, dass deren Entwicklung ein ehrgeiziges Vorhaben ist und mehrere Jahre in Anspruch genommen hat. Zu Beginn dieser Entwicklungen steht nicht mehr das Ob, sondern das Wie eines DQR. Sie werden fragen: „Wozu, zu welchem Zweck wird ein nationaler Qualifikationsrahmen benötigt und was soll seine Funktion sein?“ Diese Frage wird in der Umsetzung des EQR – auch vor dem Hintergrund des bereits existierenden nationalen Qualifikationsrahmens für Hochschulabschlüsse, der Vielfalt formaler und nicht formaler beruflicher Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und des Kompetenzerwerbs im Beschäftigungsprozess selbst eine zentrale Stellung einnehmen. Bund und Länder werden dies breit diskutieren. Dem bisherigen Diskussionsstand liegen folgende Überlegungen zugrunde: Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) schafft die innerstaatlichen Voraussetzungen zur Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR). DQR und EQR sollen Instrumente sein, die das europaweite Lernen und Arbeiten erleichtern und fördern. Ziel ist, für den Einzelnen ein Optimum an Mobilität im Sinne bestmöglicher Bildungs- und Arbeitsmarktchancen zu ermöglichen. Bildungseinrichtungen und Unternehmen sollen eine „Übersetzungshilfe“ an die Hand bekommen, um Qualifikationen besser beurteilen und einordnen zu können. Um die Kompatibilität von EQR und DQR sicherzustellen, orientiert sich der DQR sicherlich an den Strukturvorgaben und Spielregeln des EQR. Für den DQR bedeutet dies: * der DQR ist Bildungsbereich übergreifend angelegt, * der DQR ist bildungs- und beschäftigungsorientiert, * der DQR ist Lernergebnis orientiert er ist nicht auf die Abbildung von Wissen und Bildungsabschlüssen beschränkt, sondern richtet sich an Kompetenzen und beruflichen Handlungsfähigkeiten aus. Qualifikationen werden mit Hilfe von Deskriptoren aufeinander bezogen und als Lernergebnisse klassifiziert, die sich Niveaus von Kompetenzprofilen unabhängig von formalen Bildungsabschlüssen zuordnen lassen, * Es wird zu diskutieren sein, ob dem DQR die acht Stufen des Europäischen Qualifikationsrahmens und die Deskriptoren zugrunde gelegt werden. Vieles spricht dafür. * Wenn das geklärt ist wird es um die Zuordnung der vorhandenen Qualifikationen des deutschen Bildungswesens in die Niveaustufen des DQR gehen, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass mit einer Zuordnung innerstaatlich und rein formal keine Berechtigungen entstehen. Aufgrund dieser Architektur wird der DQR als ein Übersetzungsinstrument im europäischen Kontext dienen. Er ist der deutsche Beitrag zum EQR, der wie in einem „System fester Wechselkurse“ erworbene Qualifikationen und Kompetenzen korreliert. In Deutschland erworbene Qualifikationen und Kompetenzen werden damit transnational anschlussfähiger. … Durch die Zuordnung und Validierung von Qualifikationen auf Niveaustufen anhand von messbaren Deskriptoren kann der DQR die horizontale und die vertikale Mobilität im Bildungs- und Beschäftigungssystem unterstützen. Der DQR soll Kompetenzen und Qualifikationen beschreiben und klassifizieren damit wird jedoch kein Anerkennungs- und Zulassungsautomatismus verbunden sein. Die in Deutschland bestehenden Regelungen und Verantwortlichkeiten gelten fort (Es gilt der Grundsatz: die aufnehmende Einrichtung entscheidet.). Allerdings ergibt die bloße Addition bestehender Regelungen in der Summe noch keinen DQR. Die Akteure im deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystem verbin¬den mit dem DQR zum Teil gegenwärtig noch sehr heterogene Interessen und Vorstellungen. Die Erarbeitung des DQR wird daher schrittweise erfolgen und zunächst dort anknüpfen, wo Konsens besteht. … Für den DQR soll und muss es eine mehrjährige Entwicklungs- und Erprobungsphase geben. Ich sehe hinsichtlich der angestrebten Ziele im EQR und DQR vor allem Chancen. Die Schaffung von gemeinsamen europäischen Transparenz- und Anerkennungsmechanismen können nicht nur transnational sondern vor allem auch national zur Verbesserung von Mobilität und Durchlässigkeit innerhalb und zwischen den Bildungssystemen beitragen. Die Entwicklung von praxisrelevanten und breit akzeptierten Anrechnungsmodellen von Lernleistungen an den Schnittstellen zwischen Berufsvorbereitung und Berufsausbildung, zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung sowie zwischen beruflicher Weiterbildung und Hochschule erhält damit deutliche Impulse. Insbesondere der Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung wird ein Mehr an Transparenz, Anerkennung und Durchlässigkeit aus meiner Sicht erleichtern und forcieren. Unter Beachtung der Prinzipien der Freiwilligkeit und der nationalen Verantwortung für die Gestaltung der jeweiligen Bildungssysteme sind auch die möglichen Risiken kalkulierbar. Das Risiko sehe ich daher weniger in der Entwicklung und Erprobung von europäischen und nationalen „Werkzeugen und Instrumenten“, sondern eher im „falschen Gebrauch“ dieser Werkzeuge. Wir sollten uns bei der Entwicklung immer wieder kritisch fragen, was Ordnungssysteme und entsprechende Instrumente leisten können und was nicht, und von einer veränderten Zuordnungssystematik und Validierung nicht die „Lösung aller Probleme“ des deutschen Bildungssystem erwarten – wohl aber Fortschritte. … “ Den Redebeitrag des Herrn Dr. Jahnke (BMBF) im Volltext sowie die verschriftlichte Podiumsdiskussion wird Ihnen in der nächsten Ausgabe der Jugendsozialarbeit News als Download zur Verfügung gestellt.

Quelle: Straegie- und Grundsatzabteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Ähnliche Artikel

Verfassungsgericht sieht kein Grundrecht auf BAföG

Studierende haben keinen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Anspruch auf staatliche Leistung zur Aufnahme eines Studiums. Weder ein menschenwürdigens Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip könnten als Begründung für Unterstützung

Ohne sie ist alles nichts

Unter dem Motto „Ohne sie ist alles nichts“ fand der 14. Dialogtag der Katholischen Jugendsozialarbeit (KJS) Bayern Mitte Oktober in Regensburg statt. Im Mittelpunkt der

Skip to content