Eine Geschlechterbezogener Blick auf die Situation von Jungen im Übergang Schule – Beruf

EXPERTISE DES PILOTPROJEKTS „NEUE WEGE FÜR JUNGS“ Das Pilotprojekt „Neue Wege für Jungs“ (Start 2005) versteht sich als Service-Stelle für MulitplikatorInnen. In der Praxis und vor Ort entstandene Ansätze einer jungengerechten Begleitung im Übergang Schule – Beruf werden gebündelt, begleitet und weiter ausgebaut. Das Projekt ist in Trägerschaft des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. in Bielefeld. Als Teil der wissenschaftlichen Begleitung des Pilotprojektes ist eine Expertise entstanden, die aufzeigt, dass die geschlechtersegregierte Berufswahl nicht nur duch Selektionsmechanismen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes, sondern auch durch kulturell verankerte Geschlechterstereotype hervorgerufen und kontinuierlich reproduziert wird. Auszüge aus der Expertise: “ … Die wissenschaftlichen Ausführungen dienen folgenden Zielen: Zum einen sollen Akteure und Akteurinnen, die mit Jungen an der Schnittstelle Schule – Beruf arbeiten, in die Lage versetzt werden, angemessene Strategien zu entwickeln, die die Partizipation von Jungen in Berufen fördern, in denen quantitativ betrachtet Frauen dominieren. Zum anderen soll der Blick auf gesellschaftlich anerkannte Konzepte von Männlichkeiten gelenkt werden, um diese mit den Jungen gemeinsam in einer angemessenen Weise zu reflektieren. Ziel hierbei sollte es auch sein, mit den Jungen die Gewinn- und Verlustseiten männlicher Konstruktionen zu thematisieren und sie dabei zu unterstützen, Konstruktionsfelder für sich zu entdecken, die aufgrund von historisch-kulturellen Prozessen weiblich konnotiert sind. … 2. Jungen und Mädchen im Übergang Schule-Beruf … 2.1 Schule Jungen haben größere Schwierigkeiten in der Schule als Mädchen: Sie werden später eingeschult, bleiben häufiger sitzen, bekommen weniger außerschulische Nachhilfe und sind mit einem höheren Anteil in Sonder- bzw. Förderschulen für lernbehinderte und erziehungsschwierige Schüler und Schülerinnen zu finden. Im Schuljahr 2003/04 stellten Jungen bundesweit 56 % der Hauptschülerinnen/- schüler und waren an Gymnasien nur noch mit 46 % vertreten. Lediglich an Realschulen findet sich ein quantitativ ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen. Die Ursachen für diese Differenz sind in der Fachdiskussion umstritten und empirisch kaum erforscht. … Ein erster Hinweis auf die Gründe für die schlechteren Schulabschlüsse der Jungen findet sich in der Tatsache, dass Mädchen insgesamt bessere Schulleistungen als Jungen erbringen, … Die Schulnotenunterschiede zwischen Jungen und Mädchen variieren zwar nach Fächern, Schulform und Alter, generell kommen Leistungsstudien jedoch zu dem Schluss, „dass Mädchen heute – wenn man den ganzen Jahrgang und nicht Schüler und Schülerinnen einzelner Schulformen miteinander vergleicht – im Durchschnitt bessere Leistungen als Jungen erbringen.“ … Für das schlechtere Abschneiden der Jungen sind weitere geschlechtstypische Sozialisationsprozesse verantwortlich, auch wenn für diese Erklärung bisher nur wenige empirische Daten vorliegen. … Viele Jungen stehen unter einem großen Coolnessdruck (Männlichkeitsdruck), … Ebenfalls werden sie häufiger als Mädchen wegen Disziplinlosigkeiten und Unterrichtsstörungen zurechtgewiesen und müssen öfter mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen – ein Umstand, der ihre Benotung beeinflusst. … Jungen werden aber nicht nur in der Schule, sondern grundsätzlich als Sorgenkinder im Erziehungsbereich wahrgenommen. Jungen fallen schon im Kindergarten öfter wegen Störungen der Impulskontrolle und des Sozialverhaltens (Gewalttätigkeit) auf und sind doppelt so häufig wie Mädchen in Erziehungsberatungsstellen vertreten. Gabriele Strobel-Eisele und Marleen Noack weisen darauf hin, dass Jungen nicht primär zu Anomiehandlungen neigen, „weil sie Mädchen oder anderen Personen imponieren, sie dominieren oder mit ihnen konkurrieren wollen“, … sondern weil Jungen unerlaubtes Verhalten in erster Linie mit Lust und Spaß verbinden. … Eine in letzter Zeit häufig angeführte Begründung für das schlechtere Abschneiden der Jungen ist die „Feminisierung von Schule“. Insbesondere im Kontext der Diskussion um die PISA-Ergebnisse wird verstärkt auf diese These zurückgegriffen. Gründe hierfür werden vor allem im quantitativen Überhang weiblicher Lehrkräfte und dem daraus folgenden Mangel an männlichen Lehrkräften, die den Jungen als Vorbilder zur geschlechtlichen Identifikation dienen könnten, gesucht. … Die Forderung nach mehr Männern beinhaltet aber auch das Risiko, dass unhinterfragte Männlichkeitspraxen in der schulischen Ausbildung zunehmen. … Auffällig in Bezug auf die Schulabschlüsse von Mädchen und Jungen sind des Weiteren regionale Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. … Dass junge Frauen aus Ostdeutschland die Gruppe mit den durchschnittlich höchsten Schulqualifikationen bilden, was sowohl für Realschulabschlüsse als auch für die Hochschulreife gilt, wird als Nachwirkung der gezielten Mädchen- und Frauenförderung im Bildungssystem der DDR interpretiert, die den Gleichstellungsbemühungen der Bundesrepublik Deutschland etwa um anderthalb bis zwei Jahrzehnte voraus war. … Während sich hinsichtlich der unterschiedlichen Bildungsverläufe von Mädchen und Jungen ein Wandel vollzogen hat, sind schichttypische Ungleichheiten weiterhin konstant. … Im deutschen Schulsystem lassen sich nicht nur schichttypische Chancenungleichheiten feststellen, sondern auch eine deutliche Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. … Bei einer genauen Betrachtung der Datenlage, vor allem der Ergebnisse der PISA-Studien, wenn diese nicht nur nach Geschlecht, sondern hinsichtlich der Schicht- und ethnischen Zugehörigkeit ausgewertet werden, zeigt sich, dass das deutsche Schulsystem hauptsächlich nach ökonomischen und ethnischen Kriterien und weniger nach Geschlecht aussortiert. … 2.2 Ausbildung … In den letzten zwölf Jahren hat sich die duale Berufsausbildung … grundlegend verändert. … „Die Zahl der Jugendlichen, die 2005 eine duale Berufsausbildung aufnahmen, sank im Vergleich zu 1992 um 45.000 oder 8 %. Demgegenüber stand eine stetig wachsende Zahl von Absolventen aus den allgemein bildenden Schulen. … Diese gegenläufigen Bewegungen führten dazu, dass der rechnerische Anteil der Anfänger einer dualen Berufsausbildung gemessen an der Zahl der Schulabgänger stark gesunken ist und mit einem Wert von 58 % erstmals unter die Sechzig-Prozent-Marke rutschte.“ … Der Rückgang der dualen Ausbildung betrifft in erster Linie männliche Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund. … Bereits in der Kindheit entwickeln Mädchen und Jungen Vorstellungen von ihrem späteren Beruf. Je früher Kinder befragt werden, desto geschlechtstypischer sind die Antworten. Mädchen präferieren im Alter von zehn bis 14 Jahren erzieherische, „helfende“ Berufe oder wollen Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin werden. Jungen träumen von einem Leben als Fußballprofi, Rennfahrer, Polizist, Soldat oder von technischen Berufen. … Aus der Datenlage beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung lässt sich keine generelle Bevorzugung oder Benachteiligung eines Geschlechts ableiten. Männliche Jugendliche sind stärker in der betrieblichen Ausbildung vertreten, … Zudem ist das Berufswahlspektrum junger Männer weniger begrenzt als das der jungen Frauen: ca. 70 % der jungen Frauen und 50 % der jungen Männer konzentrieren sich auf jeweils 20 Berufe … Im direkten Übergang von der Schule in die Berufsausbildung sind junge Männer mittlerweile häufiger von Jugendarbeitslosigkeit betroffen als junge Frauen, da durch die zunehmende Globalisierung traditionell männlich dominierte Sektoren wie Bergbau und Industrie vermehrt aus Deutschland ausgelagert werden. Im Gegensatz dazu steigt die Zahl der Arbeitsplätze im weiblich konnotierten Dienstleistungssektor kontinuierlich an. … Die Geschlechtersegregation wird aber nicht nur durch Selektionsmechanismen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes erzeugt und gefestigt, also dadurch, dass junge Männer auf eine größere Auswahl männlich konnotierter Berufe im dualen System zurückgreifen können oder Betriebe häufiger Bewerber und Bewerberinnen annehmen, die zum jeweils dominierenden Geschlecht einer Berufsgruppe gehören, sondern auch durch kulturelle Geschlechterstereotype, die die jungen Männer und Frauen verinnerlicht haben. … Auch die Berufsbezeichnung trägt zu einer geschlechterstereotypen Auswahl des Ausbildungsberufs bei, … Berufsbezeichnungen bei der Berufswahl von Jugendlichen drei wichtige Funktionen erfüllen: a) Signalfunktion: Berufsbezeichnungen lösen bei den Jugendlichen Vorstellungen zu den Tätigkeiten, Inhalten und Anforderungen der jeweiligen Berufe aus. b) Selektionsfunktion: Da eine umfassende Kenntnis aller Ausbildungsberufe nahezu unmöglich ist, fungieren Berufsbezeichnungen als Filter. c) Selbstdarstellungsfunktion: Jugendliche achten bei der Auswahl ihres Berufes nicht nur darauf, welche Tätigkeiten und Inhalte mit dem ausgewählten Beruf verbunden sind, sondern auch darauf, wie das soziale Nahumfeld – vor allem die Peergroup – auf die jeweiligen Berufsbezeichnungen reagiert. Entscheidend ist für die Jugendlichen, ob der gewählte Beruf einen Gewinn bringenden Beitrag zur eigenen Außendarstellung zu leisten vermag. … Lebensplanung … Die geschlechterstereotype Einstellung der Gruppe der 12- bis 15-jährigen Mädchen und Jungen zeigt sich darin, dass mehr Mädchen als Jungen sich in der Zukunft hauptsächlich um Kinder kümmern wollen und für wesentlich mehr Jungen als Mädchen der Beruf das Wichtigste im Leben ist. Positiv überrascht, dass ein Großteil der Mädchen und fast ebenso viele Jungen sich die Hausarbeit mit der Partnerin/dem Partner teilen möchten und dass der Beruf für immerhin 43 % der Jungen nicht das Wichtigste im Leben ist. Bei den älteren Jugendlichen sind die Antworten ebenso geschlechtstypisch wie bei den 12- bis 15-Jährigen. Je älter die Jugendlichen sind, desto wichtiger wird der Beruf, während die Zahl derjenigen, die sich hauptsächlich um Kinder und Haushalt kümmern wollen, insgesamt abnimmt, wobei der Rückgang bei den jungen Männern stärker ist als bei den jungen Frauen. Der Wunsch nach einer egalitären Aufteilung der Hausarbeit nimmt in dieser Altersklasse im Vergleich zu den Jüngeren sogar noch leicht zu. In den ostdeutschen Bundesländern ist dieses Lebensziel verbreiteter als in den westdeutschen Bundesländern. Befragt nach der Wichtigkeit von Lebensbereichen, geben 16- bis 23-jährige Frauen und Männer an, dass Freunde und Familie die höchste Priorität genießen. Gemeinsamkeiten bestehen vor allem in Bezug auf Freizeit und Erholung, Schule, Ausbildung und Beruf. Dieser Bereich ist für alle Jugendlichen von großer Bedeutung, wobei er denjenigen aus den neuen Bundesländern etwas wichtiger als denjenigen im Westen ist. … Deutliche Unterschiede zwischen den jungen Frauen und Männern finden sich in der Beurteilung von Partnerschaft, Familie und Kindern. … „Die familiale Betreuung kleiner Kinder, aber auch die Pflege alter Menschen wird heute noch ganz überwiegend von Frauen geleistet. Unter den gegebenen Bedingungen sind diese Aufgaben mit einer vollen Erwerbsarbeit oft schwer vereinbar. … Um Veränderungen auf diesem Gebiet herbeizuführen, ist aber nicht nur ein Wandel der traditionellen Frauen- und Mütterbilder notwendig, sondern auch ein steigender Väteranteil in der Kinderbetreuung. … 4. Neue Wege für Jungen und Männer Der Name und die inhaltliche Ausrichtung des Pilotprojekts Neue Wege für Jungs verweisen implizit auf alte, traditionelle Wege von Junge-Sein und Mann-Werden in unserer Gesellschaft. Diese Wege orientieren sich häufig an einzelnen Aspekten hegemonialer Männlichkeit und geraten zunehmend in die Kritik, werden aber unter anderem durch Medien, die öffentliche und private Arbeitsteilung und die Peergroups weiterhin an Jungen herangetragen und von ihnen in täglichen Doing-Gender-Prozessen reproduziert. Diese Situation überfordert viele Jungen, vor allem weil neue, alternative Männlichkeitsentwürfe oftmals abgewertet werden. Männliche Jugendliche, die sexuelle Anzüglichkeiten von Klassenkameraden gegenüber Mädchen tadeln, Jungen, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, und Jungen, die lieber Bücher lesen als Fußball zu spielen, werden für den Verstoß gegen die Geschlechternormen mit Verachtung gestraft. …. 4.2 Transformationen In der Diskussion um Männer und der Erforschung von Männern ist seit einigen Jahren immer wieder von „neuen Männern“ zu hören, die nicht mehr nur Familienernährer sein wollen, sondern die ihre femininen Seiten pflegen und die Frauenemanzipation als eine notwendige und gute Entwicklung ansehen. Ob die empirischen Befunde ein Hinweis darauf sind, dass sich patriarchale Strukturen in Richtung mehr Geschlechterdemokratie verändern, bleibt dabei offen. Sie sind allerdings ein Beweis dafür, dass ein großer Teil der Männer in ihrer Entwicklung unsicher und zu Veränderungen bereit ist. … 4.3 Metrosexualität Nicht nur die empirische Männlichkeitsforschung zeichnet das Bild vom neuen Mann. Auch in der Werbung, vor allem in der Werbung für Körperpflegeprodukte, finden sich neue Inszenierungen von Männlichkeiten. Der Begriff Metrosexualität bezeichnet ein mode- und körperorientiertes Männerbild, das gängige heterosexuelle mit homosexuell bzw. weiblich konnotierten Körperpraxen kombiniert. Metrosexualität beschreibt eine „neue“ Männlichkeitskultur, die traditionelle heterosexuelle Männlichkeiten um gemeinhin schwulen Männern zugeschriebene Aspekte wie Einfühlsamkeit, Kommunikationsfähigkeit und Sorge für sich selbst erweitert. Auffallend ist die deutliche Abgrenzung der handelnden Akteure vom tatsächlichen Schwul-Sein. „Gepflegt, aber nicht schwul“, könnte die Marketingstrategie überschrieben werden,… Männliche „Durchschnittsjugendliche“ übernehmen und variieren den metrosexuellen Stil, indem sie den Körperpraxen ihrer Idole aus Popkultur und Sport nacheifern. Allerdings liegen metrosexuelle Praktiken quer zu anderen klassischen jugendkulturellen Stilen wie denen der Skater, der Metalls, der Gothics oder der Punks. Hier gilt weiterhin eine raue, „ungepflegte“ und „unzivilisierte“ Männlichkeit. 5. Angemessene Förderung von Jungen … 5.1 Gender-Mainstreaming Gender Mainstreaming … ist eine Strategie zur Förderung von Gleichstellung, die ausdrücklich Frauen und Männer in den Focus nimmt. Diese Strategie unterstützt z.B. durch Wirkungsanalysen und andere Instrumente der Folgenabschätzung die ziel- und passgenaue Ausrichtung von politischen Planungen und Maßnahmen der Verwaltung auf die unterschiedlichen Bedarfe von Frauen und Männern. So sollen den vielfältigen Lebensentwürfen innerhalb der beiden Geschlechtergruppen Rechnung getragen und stereotype Geschlechterbilder hinterfragt werden. …. Bisher hat die Umsetzung von Gender-Mainstreaming noch nicht in allen Bereichen zu einer Erweiterung der geschlechterpolitischen Maßnahmen geführt. Teilweise herrscht immer noch die Auffassung vor, Geschlechterpolitik sei Frauenpolitik, weshalb eine umfassende Anerkennung der Implikationen von Männern und Jungen in die Geschlechterverhältnisse noch aussteht. Aus diesem Grund müssten Förderrichtlinien derart verändert werden, dass eindeutig auch Mittel für die geschlechtsbezogene Pädagogik mit Jungen sowie für Jungen- und Männerforschung ausgewiesen werden. Zudem sollten bereits verfügbares Gender-Wissen über Lebenslagen von Jungen durch Studien zu jungenrelevanten Themen sowie die wissenschaftliche Evaluierung geschlechtsbezogener Angebote ergänzt und diverse Forschungslücken geschlossen werden. … 5.2 Geschlechtsbezogene Pädagogik … 5.2.1 Jungenarbeit als ein Baustein geschlechtsbezogener Pädagogik … Trotz einer fehlenden fundierten empirischen Basis, auf die sich Jungenarbeitskonzepte stützen könnten, gibt es mittlerweile eine Reihe von Ansätzen zur Durchführung von Jungenarbeit, die gemeinhin als geschlechtsbezogene pädagogische und/oder soziale Arbeit von Männern mit Jungen und jungen Männern verstanden wird. … Jungenarbeit versteht sich demnach nicht als Gegenentwurf zur reflexiven Koedukation, sondern als deren Ergänzung. „Jungen brauchen sowohl gleich- als auch gegengeschlechtliche Resonanz, Identifikation und Auseinandersetzung. Jungenarbeit ist also �nur‘ der Teil jungenpädagogischer Arbeit, der sich auf die spezifischen Möglichkeiten eines gleichgeschlechtlichen Settings bezieht. … 5.2.2 Vor- und Nachteile der Jungenarbeit in geschlechtshomogenen Gruppen Der Vorteil von geschlechtsbezogener Pädagogik mit Jungen in geschlechtshomogenen Gruppen wird … dass es den meisten Jungen in einem solchen Kontext leichter fällt, über Themen wie Sexualität, Ängste oder Unsicherheiten zu sprechen. Vielen Jungen bereitet es Schwierigkeiten, Ängste zuzugeben, da sie befürchten, nicht dem hegemonialen Bild von Männlichkeit zu entsprechen. … In Anwesenheit von Mädchen sind viele Jungen einem höheren Selbstdarstellungsdruck und zusätzlichen Bewertungen ausgesetzt. … Die pädagogische Arbeit in geschlechtshomogenen Gruppen ermöglicht es den Jungen zudem, weiblich konnotierte Aufgaben (zum Beispiel Kochen, Aufräumen, die Gestaltung des Raums) zu übernehmen und Fürsorglichkeit und soziales Miteinander zu erproben, ohne einer Bewertung durch Mädchen oder Frauen ausgesetzt zu sein. … Andererseits ist es in vielen Bereichen der Sozialarbeit sinnvoll, in einem ersten Schritt mit Jungen in einer subjektorientierten Einzelbetreuung zu arbeiten, um sie zum Beispiel darin zu stärken, dem Männlichkeitsdruck in geschlechtsheterogenen und geschlechtshomogenen Gruppen standzuhalten, ohne auf traditionelle und hegemoniale Aspekte von Männlichkeit zurückzugreifen. … in der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung wird geschlechtshomogene Jungenarbeit zunehmend kritisiert. …. Die Nachteile der Aufteilung in geschlechtshomogene Mädchen- und Jungengruppen bestehen zudem in dem Risiko, die „Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ durch die implizite Betonung der Geschlechterdifferenz zu „dramatisieren“ und damit festzuschreiben. … 5.2.3 Inhalte geschlechtsbezogener Pädagogik mit Jungen … Folgende Inhalte und Themen, die sich an der Interessenlage der Jungen und am Ziel der Sensibilisierung für Männlichkeitskonstruktionen orientieren, stehen im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit mit Jungen: • Schule, Schulversagen, Ausbildung, Arbeit und Beruf, Arbeitslosigkeit • Vaterschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf • Liebe und Partnerschaft (Unsicherheiten, Flirten, „Das erste Mal“, Liebeskummer, Trennung) • Freundschaft, Probleme in der Peergroup • Soziale Kompetenzen, Verantwortung für sich selbst und andere, Kooperation • Sorgeselbstständigkeit, Fürsorglichkeit • Konflikte, Angst, Aggression, Gewalt • Auseinandersetzung mit gesellschaftlich vorgegebenen und eigenen Männer- und Frauenbildern • Sexualität, sexuelle Orientierung, Coming-out, Sexualpraktiken, Verhältnis zum eigenen Körper, Selbstbefriedigung, sexualisierte körperliche und verbale Gewalt, Umgang mit Pornographie • Körperspaß jenseits von Fitness und Leistungssport, Massagen, Entspannungsübungen, faires Kämpfen • Rausch, Musik, Alkohol, Drogen … 6. Fazit und Empfehlungen Hegemoniale Männlichkeitsbilder (und Weiblichkeitsbilder) sind für einen grundlegenden Wandel der Geschlechterverhältnisse dysfunktional. Die gleichberechtigte Verteilung von notwendiger gesellschaftlicher Arbeit (Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit) scheitert zurzeit in erster Linie an der geschlechterstereotypen Aufteilung von unentlohnter und entlohnter Arbeit und an den weiterhin vorhandenen traditionellen Erziehungspraxen (in gesellschaftlichen Institutionen und Familien), die zu einer Reproduktion geschlechtstypischer Alltagsmuster und Strukturen führen. Aus diesem Grund ist eine Strategie zur Neugestaltung der vorherrschenden Geschlechterordnung nötig, bei der die beiden Ziele des Gender-Mainstreamings, Gleichstellung und Gleichwertigkeit, im Zentrum stehen sollten. Demnach ist das Ziel von Geschlechterpolitik nicht nur die Verringerung der quantitativen Dominanz von Männern in den verschiedenen gesellschaftlichen Führungsstrukturen sowie die Veränderung der individuellen Einstellungen und Handlungsweisen von Männern/Jungen (und Frauen/Mädchen), sondern vor allem auch ein Abbau der gesellschaftlichen Orientierung an männlich konnotierten Werten, Normen und Praxen. … Die traditionelle Berufsorientierung, die als begleitende, präventive und integrative Hilfe die Sicherung sozialer und beruflicher Teilhabe junger Menschen gewährleistet, sollte durch eine Lebensplanung ergänzt werden, die Impulse zur Reflexion über Geschlechterverhältnisse gibt, um die Lebensplanung der Jungen bewusster zu gestalten, der einseitigen Fixierung auf Erwerbstätigkeit entgegenzuwirken, Lebensalternativen zu eröffnen und auch Vaterschaft und Verantwortung für Kinder zu einem Thema für Jungen und junge Männer zu machen. … Unabhängig von der Berufsorientierung ist es zudem sinnvoll, im Rahmen von schulischen und außerschulischen Seminarangeboten die Selbstsorge-, Haushalts und Sozialkompetenzen der Jungen zu fördern und sie an eine Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern heranzuführen, um gesellschaftliche Konstruktionen von Männlichkeit zu hinterfragen und den vielfältigen Externalisierungsprozessen entgegenzuwirken. Damit geschlechtsbezogene Pädagogik mit Jungen zu einer positiven Veränderung der Geschlechterordnung beitragen kann, ist ein kontinuierliches Engagement gemeinsam mit Frauen (Fachkräften der Mädchenarbeit, Gleichstellungsbeauftragten) und feministischer Politik notwendig, um Männer-Separatismus und eine damit verbundene explizite Männerrechtspolitik auszuschließen. …. Die öffentliche Wahrnehmung von Jungen als laut, aggressiv, störend und gewalttätig verdeckt den Blick auf Transformationen und diejenigen Jungen, die zurückhaltend, umsichtig oder fürsorglich sind. Innerhalb der Peergroups müssen diese Jungen damit rechnen, für den Verstoß gegen die Geschlechternormen von anderen Jungen und Mädchen mit Verachtung, Beleidigungen und körperlichen Aggressionen bestraft zu werden, auch wenn diese Gefahr milieuspezifisch unterschiedlich stark ausgeprägt ist. … diese Jungen benötigen Schutzräume, Unterstützung und Stärkung, um den Einflussbereich hegemonialer und komplizenhafter Jungen zu minimieren und so Strukturen, die ein hierarchisches Gefälle etablieren, den Boden zu entziehen. Denn auch von Pädagogen und Pädagoginnen werden Jungen, die nach einem Weg jenseits traditioneller und hegemonialer Männlichkeitskonstruktionen suchen, häufig nicht wahrgenommen, obwohl gerade sie weiblich konnotierten Berufen und Tätigkeitsfeldern aufgeschlossener gegenüberstehen. “ Die Expertise steht Ihnen im Volltext als Download im Anhang zur Verfügung.

Quelle: www.neue-wege-fuer-jungs.de

Dokumente: Expertise_Neue_Wege_fuer_Jungs.pdf

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