ZUR DISKUSSION GESTELLT Eine kurze ernste Geschichte aus aktuellem Anlass zu einem aktuellen Thema: Stoiber, Müntefering und die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld Erinnern Sie sich noch an die Bundestagswahl am 22. September 2002? Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) war Kanzlerkandidat der Union. Und: Edmund Stoiber verlor an jenem Sonntag im September nur denkbar knapp. Gerhard Schröder (SPD) blieb Bundeskanzler. Am heutigen 9. Oktober 2007 endet Edmund Stoibers Amtszeit als Ministerpräsident. Das endgültige Ende seiner Regierungszeit wird begleitet von einer intensiven Diskussion um das Arbeitslosengeld („Arbeitslosengeld I“) – und um die politische Zukunft von Franz Müntefering (SPD). Dies könnte ein Zufall sein. Ein Zusammenhang zwischen Stoiber, Müntefering und die Dauer der Anspruchs auf Arbeitslosengeld scheint nicht zu bestehen. Dieser Schein trügt. 37 Tage vor Edmund Stoibers schwärzestem Tag in seiner politischen Karriere, am 16. August 2002, hatte Peter Hartz im Französischen Dom in Berlin seinem Freund Gerhard Schröder die „Bibel für den Arbeitsmarkt“, wie Peter Hartz den Abschlussbericht der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ganz unbescheiden nannte, feierlich übergeben. Gerhard Schröder ließ darin die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis Ende 2005 versprechen – als erfahrener Bundeskanzler versprach er nicht mehr selbst. Die „Hartz-Bibel“ enthielt auch einen in Vergessenheit geratenen Passus zu der jetzt diskutierten Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Auf Seite 129 heißt es dort: ‚Auf der Basis der Arbeitslosenzahlen vom 30.06.2005 ist eine Evaluation des gesamten Maßnahmepaketes durchzuführen. Ist das Ziel (die Halbierung der registrierten Arbeitslosigkeit d. Verfasser) trotz Umsetzung der Maßnahmen nicht erreichbar, ist kurzfristig über weitergehende Vorschläge, u.a. auch die Einführung der zeitlichen Begrenzung des Arbeitslosengeldes, zu entscheiden.‘ (S. 129) Man stelle sich vor, Franz Müntefering, damals SPD-Generalsekretär, hätte schon in den Tagen zwischen dem 16. August und 22. September 2002 von einem Abwarten und Evaluieren der Entwicklung bis zum 30. Juni 2005 abgeraten und jene Auffassung zur zeitlichen Begrenzung des Arbeitslosengeldes vertreten, die er heute so vehement und unnachgiebig vertritt: Vermutlich, nein sicher wäre der 22. September 2002 nicht zu Edmund Stoibers schwärzestem sondern zum glorreichsten Tag in seinem politischen Leben geworden. Edmund Stoibers politische Karriere und die politische Geschichte seit dem 22. September 2002 wären anders verlaufen – und das alles wegen der Haltung Franz Münteferings zur „Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld“. Fortsetzung nach dem 22. September 2002 Edmund Stoiber blieb nach diesem 22. September 2002 bayerischer Ministerpräsident, Gerhard Schröder blieb Bundeskanzler, Franz Müntefering wurde Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Am 14. März 2003 dann, lange vor dem in der „Bibel für den Arbeitsmarkt“ genannten Stichtag zur Überprüfung der Wirkung des Maßnahmepaketes, das Gerhard Schröder „eins zu eins“ umsetzen wollte, kündigte er unter der Überschrift „Agenda 2010“ in Abstimmung mit Franz Müntefering unter vielem anderen auch die Kürzung der Anspruchsdauer auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld an. Diese frühzeitige „Ergänzung des biblischen Maßnahmepaketes“, an der Franz Müntefering seitdem festhält, könnte man also durchaus auch als eine Art frühzeitiges Eingeständnis sehen: Die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen und, an diesem 14. März 2003 wichtiger noch, die Halbierung der Ausgaben für Lohnersatzleistungen ist mit dem Hartz-Maßnahmepaket nicht zu erreichen. Insbesondere die von Hartz versprochene Halbierung der Ausgaben für Lohnersatzleistungen (damals noch Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) ohne (.) Kürzung der Ausgaben pro Arbeitslosen (vgl. Hartz-Kommissionsbericht, S. 272), wurde offensichtlich als unerreichbar angesehen. Dies unter anderem sollte die „Agenda 2010“ („Zwanzig Zehn“) richten: Senkung der Kosten der Arbeitslosigkeit auch ohne (.) entsprechende Reduzierung der Arbeitslosigkeit. „Zwanzig Arbeitslose zum Preis von zehn“. Die Verkürzung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld sollte dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Die frühzeitige „Ergänzung des biblischen Maßnahmepaketes“ erfolgte dann, durchaus konsequent, nicht im Rahmen von „Hartz I, II, III oder IV“ (‚Erstes, Zweites, Drittes und Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‘) sondern in einem am 24. Juni 2003 als Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Sondergesetz, dem ‚Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt‘. (Bundestagsdrucksache 15/1204) Im diesem Gesetzentwurf wurden für 2007 Einsparungen beim Arbeitslosengeld in Höhe von 2,5 Milliarden Euro und ab 2008 in Höhe von jährlich 3,9 Milliarden Euro genannt. (Anmerkung: Wie die FAZ vom 2. Oktober 2007 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung auf eine „Entlastung der Arbeitslosenversicherung im Jahr 2006 um 130 Millionen Euro … und in den Folgejahren um jeweils 250 Millionen Euro“ kommt, bleibt rätselhaft FAZ Nr. 229, S. 15) Dem sollten Mehrausgaben bei der zum 1. Januar 2005 abgeschafften Arbeitslosenhilfe von 1,1 Milliarden Euro in 2007 und jährlich 1,7 Milliarden Euro ab 2008 gegenüber stehen. Als Nettoeinsparungen wurden in diesem Gesetzentwurf 1,4 Milliarden Euro in 2007 und jährlich 2,2 Milliarden Euro ab 2008 genannt – die durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe noch einmal deutlich vergrößert werden sollten. (Anmerkung: Eine nachvollziehbare Berechnung der Entlastung der Bundesagentur für Arbeit, der Belastung des Bundes – und der Kommunen – und der Nettoentlastung liegt uns nicht vor.) Franz Müntefering, inzwischen Bundesminister für Arbeit und Soziales in einer Großen Koalition mit der CDU und der CSU, will an dieser „Ergänzung des biblischen Maßnahmepaketes“ und an dem Geiz-ist-geil-und-erfolgreich-Grundsatz („Zwanzig Zehn“) in der Arbeitsförderung festhalten. Die „Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld“ könnte so gesehen nach Edmund Stoiber auch für Franz Müntefering eine entscheidende Wende in seiner politischen Laufbahn bringen. Die nächsten Wochen werden dies zeigen. “ Verfasser: Paul M. Schröder (BIAJ)
Quelle: Bermer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ)