Erste umfassende Lebensweltanalyse der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland

SINUS-STUDIE ZU MIGRANTEN Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland „Zentrale Ergebnisse einer qualitativen sozialwissenschaftlichen Untersuchung im Auftrag von – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Abteilung Kultur – MW Malteser Werke gGmbH – Statistisches Amt / Schulreferat der Landeshauptstadt München – SWR Südwestrundfunk, Medienforschung / Programmstrategie – vhw Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung e.V. Das Projekt Getragen von einem Auftraggebergremium aus Politik, Medien und Verbänden hat Sinus Sociovision 2006/2007 eine qualitativ-psychologische Studie zu den Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland durchgeführt. Grundgesamtheit der Studie sind neben den in Deutschland lebenden Ausländern alle in Deutschland lebenden Zuwanderer (u.a. Spätaussiedler, Eingebürgerte) und ihre in Deutschland lebenden Nachkommen. Ergebnis ist die Identifikation und Beschreibung von acht unterschiedlichen Migranten-Milieus. Zum ersten Mal wurden die Lebenswelten und Lebensstile von Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, so wie sie sich durch das Leben in Deutschland entwickelt haben, mit dem gesellschaftswissenschaftlichen Ansatz der Sinus-Milieus untersucht. Ziel war ein unverfälschtes Kennenlernen und Verstehen der Alltagswelt von Migranten, ihrer Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftserwartungen. Dazu wurden zwischen Oktober 2006 und Mai 2007 von Sinus Sociovision über 100 mehrstündige Tiefeninterviews mit Migranten (Definition entsprechend Statistisches Bundesamt 2006) unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Alter, Geschlecht und Bildung durchgeführt und sozialwissenschaftlich ausgewertet. Den Ergebnissen dieser Untersuchung kommt inhaltliche Gültigkeit zu, d.h. alle relevanten Einstellungen und Motive der Zielgruppe sind repräsentiert. Sie sind aber nicht repräsentativ im statistischen Sinne. … Die wichtigsten Ergebnisse – Die vorliegende Studie zeigt ein facettenreiches Bild der Migranten-Population und widerlegt viele hierzulande verbreitete Negativ-Klischees über die Einwanderer. – Die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind keine soziokulturell homogene Gruppe. Vielmehr zeigt sich eine vielfältige und differenzierte Milieulandschaft. Insgesamt acht Migranten-Milieus mit jeweils ganz unterschiedlichen Lebensauffassungen und Lebensweisen konnten identifiziert werden. – Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach ihren Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben. Dabei finden sich gemeinsame lebensweltliche Muster bei Migranten aus unterschiedlichen Herkunftskulturen. Mit anderen Worten: Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichem Migrationshintergrund verbindet mehr miteinander als mit dem Rest ihrer Landsleute aus anderen Milieus. – Man kann also nicht von der Herkunftskultur auf das Milieu schließen. Und man kann auch nicht vom Milieu auf die Herkunftskultur schließen. Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und Zuwanderungsgeschichte beeinflussen die Alltagskultur, sind letzten Endes aber nicht milieuprägend und identitätsstiftend. Der Einfluss religiöser Traditionen wird oft überschätzt. – Die meisten Migranten-Milieus sind – jeweils auf ihre Weise – um Integration bemüht und verstehen sich als Angehörige der multikulturellen deutschen Gesellschaft. Bei drei der acht Milieus erkennen wir starke Assimilationstendenzen (Statusorientiertes Milieu, Adaptives Integrationsmilieu, Multikulturelles Performermilieu). Bei drei anderen Milieus finden sich zum Teil Haltungen einer – aktiven oder passiven – Integrationsverweigerung (Religiös-verwurzeltes Milieu, Entwurzeltes Milieu, Hedonistisch-subkulturelles Milieu). – Die große Mehrheit der befragten Migranten will sich aber in die Aufnahmegesellschaft einfügen – ohne ihre kulturellen Wurzeln zu vergessen. Viele,vor allem jüngere Befragte der zweiten und dritten Generation, haben ein bi-kulturelles Selbstbewusstsein und sehen Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit als Bereicherung – für sich selbst und für die Gesellschaft. – Der Integrationsgrad ist wesentlich bildungs- und herkunftsabhängig: Je höher das Bildungsniveau und je urbaner die Herkunftsregion, desto leichter und besser gelingt eine Integration in die Aufnahmegesellschaft. – Häufig beklagt wird – quer durch die Migranten-Milieus – mangelnde Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft und geringes Interesse an den neuen Mitbürgern. Weitere Ergebnisse – Die sozialhierarchischen Unterschiede innerhalb der Migranten-Population sind geringer als innerhalb der autochthonen deutschen Bevölkerung. Der Schwerpunkt hinsichtlich der sozialen Lage der Migranten liegt im Bereich der unteren Mitte. – Dagegen ist das Spektrum der Grundorientierungen bei den Migranten breiter, d.h. heterogener als bei den Bürgern ohne Zuwanderungsgeschichte. Es reicht vom verhaftet sein in archaischen, bäuerlich geprägten Traditionen über das Streben nach materieller Sicherheit und Konsumteilhabe, über das Streben nach Erfolg und gesellschaftlichen Aufstieg, über das Streben nach individueller Selbstverwirklichung und Emanzipation bis hin zu Entwurzelung, Unangepasstheit und Perspektivlosigkeit. – Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung sind nur für wenige der im Rahmen dieser Studie befragten Migranten belastend. Eine Selbststilisierung als benachteiligt und chancenlos ist lediglich typisch für das Hedonistisch-subkulturelle Milieu. Sie unterscheidet sich strukturell aber nicht von analogen Sichtweisen in den Milieus der modernen deutschen Unterschicht. – Gerade im Hedonistisch-subkulturellen Milieu zeigt sich aber auch ein eigenständiger Selbstbehauptungswille, und es gibt Ansätze zur Herausbildung neuer multikultureller Lebensmuster. – Hinweise für das Entstehen einer neuen Elite finden wir im Intellektuellkosmopolitischen Milieu, das sich an Werten wie Aufklärung, Toleranz und Nachhaltigkeit orientiert. Teile dieses Milieus haben das Potential, zu Leitgruppen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu werden. – Der sich in der deutschen Gesellschaft ausbreitende Trend zur ’neuen Bürgerlichkeit‘ wird durch das Adaptive Integrationsmilieu, die konventionelle moderne Mitte der Migrantenpopulation, mit getragen und verstärkt. – Die Bereitschaft zu Leistung und Anpassung ist nicht nur in diesem Milieu und im Multikulturellen Performermilieu sehr ausgeprägt, sondern in der Migrantenpopulation insgesamt stärker als in der autochthonen deutschen Bevölkerung. Das Milieumodell Durchgeführt wurde eine qualitative Untersuchung mit dem Ansatz der Sinus-Milieus®. Ergebnis ist die Identifikation und Beschreibung von acht unterschiedlichen Migranten-Milieus, ihrer Lebensziele, Wertebilder, Lebensstile, Alltagsästhetiken und Integrationsniveaus. Der Sinus-Milieuansatz beruht auf drei Jahrzehnten sozialwissenschaftlicher Forschung und orientiert sich an der Lebensweltanalyse moderner Gesellschaften. Die Sinus-Milieus® gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Grundlegende Wertorientierungen gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen – zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Medien, zu Geld und Konsum. Die Sinus-Milieus® rücken den Menschen und seine Lebenswelt ganzheitlich ins Blickfeld. Und sie bieten deshalb den Anwendern in Politik und Marketing mehr strategische Informationen und bessere Entscheidungshilfen als herkömmliche Zielgruppenansätze. Die Grenzen zwischen den Milieus sind fließend Lebenswelten sind nicht so (scheinbar) exakt eingrenzbar wie soziale Schichten. … Ein grundlegender Bestandteil des Milieu-Konzepts ist, dass es zwischen den Milieus Berührungspunkte und Übergänge gibt. … Da die Studie qualitativ angelegt war, kann über die Größenordnung der einzelnen Milieus vorerst keine Aussage gemacht werden. Als nächster Forschungsschritt ist deshalb eine Quantifizierung des Modells geplant, um die Migranten-Milieus auf Basis repräsentativer Daten zu validieren und ihre Größe und Struktur zu bestimmen. Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland 2007: Sinus A3 – RELIGIÖS-VERWURZELTES MILIEU Kurzcharakteristik Archaisches, bäuerlich geprägtes Milieu, verhaftet in den sozialen und religiösen Traditionen der Herkunftsregion Werte: Bewahren der kulturellen Identität, Familienehre, religiöse Pflichten, strikte Moral und eiserne Selbstdisziplin Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Häufig Ältere (ab 45 Jahren), viele sind schon im Ruhestand 4- und mehr Personenhaushalte (Großfamilie), viele Kinder (die teilweise schon aus dem Haus sind) Bildung: – Niedriges Formalbildungsniveau, keine qualifizierten Schulabschlüsse, nicht selten (vor allem Frauen) nur Grundschulbesuch im Herkunftsland Weiterbildungsinteresse allenfalls auf religiösem Gebiet Beruf: – Wegen fehlender Berufsausbildung häufig körperlich anstrengende Tätigkeiten (Fabrikarbeit, Schichtarbeit) auf Hilfsarbeiterniveau strenges Arbeitsethos, Anpassungs- und Unterordnungsbereitschaft Einkommen: – Meist niedrige Sozialrenten, oft nur ein Verdiener im Haushalt dennoch haben es manche, aufgrund extrem sparsamer Lebensführung, zu Wohneigentum gebracht ‚unverdiente‘ Transferleistungen (z.B. Sozialhilfe) werden abgelehnt Migrationsbiografie Migration: – Geboren und aufgewachsen in armen ländlichen Regionen (Anatolien, vereinzelt auch Südeuropa) Migration aus wirtschaftlichen Gründen (bei Frauen: Familiennachzug) – Einwanderung in Deutschland meist im jungen Erwachsenenalter (mit 20 – 30 Jahren) – überwiegend mit der Vorstellung, nur eine relativ kurze Zeit zu bleiben und Geld zu verdienen Integration: – Niedriges Integrationsniveau geringe Sprachkenntnisse (auch nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland) Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes – Häufig Leben in der kulturellen Enklave, wenig Kontakte zu Deutschen und zu anderen ethnischen Gruppen feste Verwurzelung in der Heimatkultur (‚Die Türkei ist meine Heimat und das Land, das ich liebe. In Deutschland verdiene ich nur mein Brot.‘) – Weder Bereitschaft noch Bedürfnis, sich der Aufnahmegesellschaft anzupassen, Verweigerung kultureller Integration geduldiges Ertragen von Fremdheit und Ausgrenzung Sinus A23 – TRADITIONELLES GASTARBEITERMILIEU Kurzcharakteristik Traditionelles Blue Collar-Milieu der Arbeitsmigranten, das den Traum einer Rückkehr in die Heimat aufgegeben hat Werte: Befriedigender Lebensstandard, gesicherter Arbeitsplatz, Absicherung im Alter, traditionelle Familienwerte, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Häufig Ältere ab 50 Jahren (1. Generation), viele sind schon Ruheständler oder wegen Krankheit frühverrentet 2- bis 3- Personenhaushalte, auch Singles, selten Großfamilien Bildung: – Niedrige Bildung, oft nur Grundschule im Herkunftsland, meist keine (anerkannte) Berufsausbildung insbesondere Personen im Ruhestand nehmen Weiterbildungsangebote an ( Volkshochschule, Sprachkurse, Kulturangebote der Herkunftsethnie) Beruf: Einfache Berufe wie Bauarbeiter, Anstreicher, Putzfrau häufig Tätigkeiten in der Industrieproduktion, auch in der Gastronomie Frauen teilweise Nur-Hausfrau Einkommen: Meist kleine bis mittlere Einkommen, viele leben von Sozialrente trotz überwiegend bescheidener Lebensführung keine nennenswerten Ersparnisse Migrationsbiografie Migration: – Geboren und aufgewachsen vorwiegend in ländlichen Regionen: meist Südeuropa (auch Jugoslawien) und Türkei Migration aus wirtschaftlichen Gründen (Verbesserung des Lebensstandards für sich und seine Kinder), Frauen: meist Familiennachzug – Einwanderung meist als Jugendliche / junge Erwachsene (mit 18-25 Jahren) – oft mit dem Vorhaben, mit dem in Deutschland verdienten Geld in die Heimat zurück zu kehren, um dort eine neue Existenz aufzubauen Integration: – Defizitäre Integration – weniger im Arbeitsleben als im privaten Umfeld, oft keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse (‚Das hat man von unserer Generation nicht verlangt‘) überwiegend Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes, aber Deutschland ist ‚2. Heimat‘, in der man sich wohl fühlt – Soziales Leben meist im herkunftskulturellen Umfeld, aber kein generalisiertes Bewusstsein von Diskriminierung und Ausgrenzung Plädoyer für Anpassung an die Mehrheitskultur (sich arrangieren, nicht negativ auffallen), gleichzeitig Festhalten an heimatlichen kulturellen Wurzeln und Traditionen – Keine ausschließliche Fixierung auf die Herkunftskultur, Akzeptanz anderer Nationalitäten Respekt gegenüber der deutschen Kultur, Politik und Gesellschaft (Demokratie und sozialer Ausgleich), Anerkennung deutscher ‚Tugenden‘ (Disziplin, Ordnung, Sauberkeit, Rechtsstaatlichkeit) Sinus B2 – STATUSORIENTIERTES MILIEU Kurzcharakteristik Klassisch aufstiegsorientiertes Milieu, das – aus kleinen Verhältnissen kommend – für sich und seine Kinder etwas Besseres erreichen will Werte: Materieller Wohlstand, Geld, Statussymbole Ehrgeiz und Zielstrebigkeit soziale Anerkennung, Ansehen, Prestige Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Altersschwerpunkt zwischen 30 und 50 Jahren, erste und zweite Generation von Einwanderern meist 3- bis 5- Personenhaushalte mit Kindern (Kleinfamilie) Bildung: – Einfache bis mittlere Formalbildung, überwiegend mit qualifizierter Berufsausbildung oft Weiterbildung in Deutschland (auch nach abgeschlossener Ausbildung im Herkunftsland) Beruf: – Meist Facharbeiter- und andere Ausbildungsberufe: Metallfacharbeiter, Arzthelferin, Steuerfachangestellte, Mediengestalter, Maschinenbautechniker etc. viele haben zusätzliche Nebenjobs – auf Angestellten- oder selbständiger Basis Einkommen: – Mittlere Einkommensklassen (kontinuierliches Streben nach Verbesserung) häufig Wohneigentum Migrationsbiografie Migration: – Geboren und aufgewachsen entweder in Deutschland oder in ländlichen Regionen Südeuropas, der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion Einwanderung nach Deutschland oft schon im Teenager-Alter (mit den Eltern) – Migration nach Deutschland, um bessere (berufliche) Entwicklungschancen zu haben – mit der festen Absicht, in Deutschland zu bleiben und hier eine (neue) Existenz aufzubauen Integration: – Sich im Aufnahmeland zu integrieren (schon in der ersten Generation), einen Platz in der deutschen Gesellschaft zu finden ist ein wichtiges Lebensziel des Milieus überwiegend deutsche Staatsangehörigkeit – Bereitschaft zur aktiven Anpassung (‚man muss sich anstrengen, wenn man in Deutschland leben will‘), Stolz auf die eigene Integrationsleistung meist gute deutsche Sprachkenntnisse, Zweisprachigkeit als Ideal – Dennoch Wunsch, die eigenen kulturellen Wurzeln nicht zu verlieren grundsätzliche Offenheit für kulturellen Austausch, aber Ressentiments gegenüber weniger gut angepassten oder sozial randständigen Migrantengruppen Sinus B3 – ENTWURZELTES MILIEU Kurzcharakteristik Sozial und kulturell entwurzeltes (traumatisiertes) Flüchtlingsmilieu – stark materialistisch geprägt und ohne Integrationsperspektive Werte: Festes Einkommen, Unterkunft, Gesundheit, traditionelle Familienwerte Geld, Konsum, materielles Prestige Spaß, Geselligkeit und Unterhaltung Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Altersschwerpunkt zwischen 20 und 40 Jahren 3- bis 4-Personenhaushalte, meist mit Kindern, die in (zu) kleinen, zugewiesenen Sozialwohnungen leben Bildung: – Niedriges Bildungsniveau, häufig keine abgeschlossene Berufsausbildung wenig Bildungs- und Weiterbildungsinteressen Sprachprobleme Beruf: – Einfache Berufe, Hilfsarbeiten (oft im Dienstleistungsbereich): Pizzabäcker, Gebrauchtwagenhändler, Kellnerin, Putzhilfe, Bauhilfsarbeiter häufig prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Schwarzarbeit, Arbeitslosigkeit Einkommen: – Untere bis unterste Einkommensklassen viele sind angewiesen auf staatliche Transferleistungen – und träumen vom Lottogewinn Migrationsbiografie Migration: – Vorwiegend Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien und den Kurdengebieten der Türkei, die in den 90er Jahren nach Deutschland gekommen sind – Häufig von der Familie getrennt, bei den Großeltern / anderen Verwandten aufgewachsen Einwanderung (Flucht) nach Deutschland als Jugendliche / junge Erwachsene – teilweise auch im Rahmen eines Familiennachzugs Integration: – In der deutschen Gesellschaft kaum integriert, fehlender Integrationswille bis hin zu aggressiver Ablehnung, sich anzupassen und zu integrieren (‚Ich möchte niemals Deutscher werden, für mich ist es nicht notwendig, mich mehr zu integrieren.‘) – Fehlende Sprachkenntnisse, wenig Anstrengungen, richtig Deutsch (mehr als die Basics) zu lernen Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes wird nicht in Frage gestellt – Starke Heimatnostalgie, wenn möglich häufige Besuche im Herkunftsland soziales und kulturelles Leben fast ausschließlich innerhalb der eigenen Volksgruppe, wenig Interesse an deutschen Bekanntschaften, Nutzung von Medien des Herkunftslandes – Ablehnende Distanz / Abschottung bis Intoleranz gegenüber anderen Migrantengruppen (‚dreckige Türken‘, ‚Albaner sind unter jedem Niveau‘ etc.) Sinus B12 – INTELLEKTUELL-KOSMOPOLITISCHES MILIEU Kurzcharakteristik Aufgeklärtes, nach Selbstverwirklichung strebendes Bildungsmilieu mit einer weltoffen-toleranten Grundhaltung und vielfältigen intellektuellen Interessen Werte: Bildung, Kultur, Kreativität, Internationalität Entfaltung der Persönlichkeit, Kommunikation Toleranz, soziale Gerechtigkeit, Emanzipation und Verantwortungsbewusstsein Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Mittlere Altersgruppen, Altersschwerpunkt zwischen 30 und 50 Jahren 1- bis 3-Personenhaushalte, viele Geschiedene / getrennt Lebende und Alleinerziehende (meist 1-Kind-Familien) Bildung: – Hohes Bildungsniveau, überwiegend Universitätsabschlüsse (im Herkunftsland oder in Deutschland erworben) Beruf: – In der Regel akademische (künstlerische, soziale) Berufe: Psychologin, Museumskuratorin, Journalist, Arzt, Sozialarbeiter, Coach etc. häufig anspruchsvolle Tätigkeiten, die allerdings nicht immer gut bezahlt werden Einkommen: – Mittlere Einkommensklassen, selten ‚Besserverdiener‘ Migrationsbiografie Migration: – Erste Generation von Einwanderern, geboren und aufgewachsen meist in urbanen Zentren Süd- und Osteuropas Einwanderung nach Deutschland als junge Erwachsene (mit 20 – 25 Jahren) – Unterschiedlichste Migrationsgründe: Studium in Deutschland, Au-Pair-Aufenthalt, Stipendium, kulturelles Interesse, Berufschancen, Partner in Deutschland, Demokratie und Lebensstandard in Deutschland Integration: – Meist schnelle und konfliktfreie Integration in Deutschland – mit oder ohne Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit intensives Bemühen um gute Deutschkenntnisse, Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit hat große Bedeutung – Selbstbild als aktiver, integrativer Teil der Gesellschaft mit einer kulturell vermittelnden Funktion selbstbewusster Umgang mit seinem multikulturellen Hintergrund, der als Bereicherung empfunden wird wenig Diskriminierungserfahrungen – Bewusste Kombination kultureller Elemente des Herkunfts- und des Aufnahmelandes im Lebensstil, kritische Reflektion kultureller Unterschiede große Offenheit für kulturellen Austausch, bi- bzw. multikulturelle Orientierung (‚Es ist sehr positiv, dass ich beide Kulturen in mir trage. Es bereichert mich und diejenigen, die mit mir zu tun haben. Daher denke ich, es ist nicht verkehrt, dass Deutschland so viele Einwanderer hat.‘) Sinus B23 – ADAPTIVES INTEGRATIONSMILIEU Kurzcharakteristik Die pragmatische moderne Mitte der Migrantenpopulation, die nach sozialer Integration und einem harmonischen Leben in gesicherten Verhältnissen strebt Werte: Geordnete Verhältnisse, finanzielle Absicherung harmonische Familie, gemütliches Zuhause Optimismus und Zufriedenheit Freiheit und Selbstbestimmung Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Mittlere Altersgruppen, Altersschwerpunkt zwischen 35 und 50 Jahren meist 3- bis 5-Personenhaushalte mit Kindern (Kleinfamilie) Bildung: – Mittleres bis gehobenes Bildungsniveau (Realschule, Fachschule, Abitur), qualifizierte Berufsausbildung (oft im Dienstleistungsbereich) teilweise Studienabschlüsse im Herkunftsland Beruf: – Arbeitnehmer in Ausbildungsberufen: Laborantin, MTA, Busfahrer, Augenoptiker, Kindergärtnerin, Elektriker, Altenpflegerin etc. Berufswahl häufig von zufälligen Faktoren abhängig, Qualifizierungs- und Weiterbildungsträume, aber hohe Berufszufriedenheit Einkommen: – Mittlere Einkommensklassen Migrationsbiografie Migration: – Überwiegend erste Generation von Einwanderern, die im Teenager- oder Twen-Alter (mit 15 – 25 Jahren) nach Deutschland gekommen sind keine Schwerpunkte hinsichtlich der Herkunftsethnie erkennbar – Migrationsgründe waren in erster Linie bessere Lebensbedingungen und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sowie bessere Chancen für die Kinder in Deutschland im Vergleich mit der Herkunftsregion Integration: – Ziel: schnelle und unkomplizierte Eingliederung in die deutsche Gesellschaft hohe Anpassungsbereitschaft, Bemühen um gute deutsche Sprachkenntnisse (Kinder sprechen in der Familie von Anfang an deutsch) fast durchweg Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit – Rasche Kontaktaufnahme mit dem deutschen Umfeld, gemischtkultureller Freundeskreis, Bevorzugung von Wohnvierteln mit niedrigem Ausländeranteil Kritik von Migrantengruppen, die sich in Parallelgesellschaften abschotten – Kritische Auseinandersetzung mit (unzeitgemäßen) Normen und Lebensformen der Herkunftskultur, Entwicklung einer bi-kulturellen Identität mit selbstbewusster Akzeptanz seines kulturellen Erbes Selbstverständnis als Angehörige der multikulturellen deutschen Gesellschaft (‚Für mich ist meine Heimat da, wo ich mich wohlfühle, wo ich akzeptiert werde, wo ich Freunde habe. Das habe ich in Deutschland gefunden.‘) Sinus BC2 – MULTIKULTURELLES PERFORMERMILIEU Kurzcharakteristik Junges, flexibles und leistungsorientiertes Milieu mit bi- bzw. multikulturellem Selbstbewusstsein, das nach Autonomie, beruflichem Erfolg und intensivem Leben strebt Werte: Spitzenleistungen, Erfolg, Selbstverwirklichung Vielfalt, Abwechslung, Weiterentwicklung – versus (Basis-) Sicherheit, Status, Geld Offenheit,Freiheit, Internationalität Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Jüngere Altersgruppen bis 40 Jahre, Altersschwerpunkt zwischen 20 und 30 Jahren meist 2-Personenhaushalte ohne Kinder, feste Partnerbeziehungen (unverheiratet) Bildung: – Überwiegend (Fach-) Hochschulabschlüsse, erfolgreiche Bildungskarrieren (von der Haupt- / Realschule bis zum Erwerb der Hochschulreife) beliebte Studienfächer: Betriebswirtschaft, Informatik Beruf: – Qualifizierte / leitende Angestellte (Werbung, Medien, EDV), Feiberufler und Selbständige (Start-Ups) Schüler und Studenten – oft mit Nebenjobs Einkommen: – Mittlere bis gehobene Einkommen (viele sind noch am Anfang ihrer Karriere) Migrationsbiografie Migration: – Erste und zweite Generation: geboren und aufgewachsen entweder in Deutschland, oder in größeren Städten des Herkunftslandes alle ethnischen Gruppen sind vertreten – Migranten der ersten Generation kamen meist schon im Kindesalter nach Deutschland unterschiedlichste Migrationsgründe der Eltern Integration: – Meist schneller und unkomplizierter Integrationsprozess rasche Entfremdung von der Herkunftskultur (Distanzierung vom autoritären Familismus), Identifikation mit deutschen Tugenden und Errungenschaften (Leistungsbereitschaft, Ordnungssinn, Rechtssicherheit, freiheitliche Verfassung, Weltoffenheit) – aber Kritik der deutschen Integrationspolitik (Assimilationsdruck statt Integrationshilfen) – Deutschland als Heimat, aber bewusste bi-kulturelle Identität (‚Türk- deutsch‘) Migrationshintergrund wird als Bereicherung gesehen, Zwei bzw. Mehrsprachigkeit wird gepflegt kaum Erfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung – Selbstverständnis als Weltbürger, Kosmopolit und voll integrierter Teil der multikulturellen deutschen Gesellschaft Staatsangehörigkeit hat keine identitätsstiftende Bedeutung Sinus BC3 – HEDONISTISCHSUBKULTURELLES MILIEU Kurzcharakteristik Die unangepasste zweite Generation mit defizitärer Identität und Perspektive, die Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft verweigert Werte: Teilhabe, Anerkennung, Geld, Erfolg, Konsumwerte Fun & Action, Freizeit, ‚Feiern‘ Gemeinschaft / Zugehörigkeit zu Peer groups, Szenen Erkennbares soziodemografisches Profil Lebenssituation: – Altersschwerpunkt unter 30 Jahren viele leben noch im elterlichen Haushalt – sonst häufig Singles (mit oder ohne feste Beziehung), selten Kinder Bildung: – Mittleres bis gehobenes Bildungsniveau Schüler und Auszubildende, keine bzw. noch keine Berufsausbildung Beruf: – Viele sind noch in Ausbildung sonst Gelegenheitsjobs im Dienstleistungssektor (Verkäuferin, Call Center Agent, Aushilfe in der Gastronomie), freischaffend‘ oder arbeitslos Einkommen: – Häufig (noch) kein eigenes Einkommen, Unterstützung durch die Eltern oder staatliche Transferleistungen – bei Berufstätigen untere Einkommensklassen Migrationsbiografie Migration: – Zweite Generation: in Deutschland geboren und aufgewachsen, Einwanderung der Eltern nach Deutschland meist aus wirtschaftlichen Gründen (Arbeitsmigranten aus Südeuropa und der Türkei) Integration: – Trotz guter Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit der deutschen Kultur (und ganz überwiegend auch deutscher Staatsangehörigkeit) fühlen sich viele als ‚Ausländer‘ und Bürger zweiter Klasse (‚Ich habe das Gefühl, ich müsste mich ständig rechtfertigen, dass ich hier bin.‘) – Zwar ist Deutschland die Heimat – Leben im Herkunftsland ist keine realistische Alternative (Fremdheitserfahrungen hier wie dort) – aber Identifikation erfolgt nicht mit der Mehrheitskultur, sondern mit den jeweiligen Jugend- / Subkulturen, denen man sich anschließt – Außenseiter- / Ausgrenzungserfahrungen und Konfrontation mit Vorurteilen führen häufig zu einer narzisstischen Selbstinszenierung als ‚Fremder‘ mit eigenen kulturellen Regeln und einer eigenen Sprach- und Wertewelt – Starke Ambivalenzen in der kulturellen Identität (aufgezwungener Kulturkonflikt), Leben in zwei Kulturen und zwei (unvermittelten) Identitäten häufig Rückgriff auf herkunftskulturelle Muster, Regeln und Rituale (‚Gott, Familie, Ehre‘) als Identitätskrücken – ohne diese konsequent zu leben (und leben zu können) – Aber auch Entwicklung eines subkulturellen Selbstbewusstseins, Ansätze zur Herausbildung einer neuen Mischkultur, in der ethnische Zugehörigkeit an Bedeutung verliert häufig Faible für multikulturelle Umfelder – prototypisch: Berlin-Kreuzberg “

http://www.sinus-sociovision.de
http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Kategorien/Presse/pressemitteilungen,did=101644.html

Quelle: Sinus Sociovision

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