Jugendarbeitslosigkeit und psychisches Wohlbefinden

IAB-FORSCHUNGSBERICHT Auszüge aus der Untersuchung: “ * 1 EINLEITUNG Erwerbsarbeit ist eine bedeutsame Ressource gesellschaftlicher Integration. Somit stellt der Übergang in das Berufsleben ein zentrales Element der Statuspassage in das Erwachsenenalter dar … . Der soziale und wirtschaftliche Wandel der vergangenen Jahre hat jedoch diesen Übergang erschwert: … Die Normvorstellung eines kontinuierlichen Weges in die Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit weicht immer mehr individualisierten und pluralisierten Übergangsmustern. Dieser Wandel eröffnet einerseits neue Chancen, da die Jugendlichen weniger an starre Strukturen gebunden sind. Andererseits schwindet damit die Möglichkeit, sich an einheitlichen Normen und Lebensverlaufsmustern zu orientieren. Ein weiterer Punkt ist, dass die Anforderungen an die Qualifikationen der Arbeitnehmer steigen, aber gleichzeitig verlieren Bildungszertifikate an Wert, da auch eine abgeschlossene Berufsausbildung und höhere Bildung nicht vollkommen vor Arbeitslosigkeit schützt … Seit den 1990er Jahren sind konstant rund eine halbe Million Jugendliche arbeitslos. Vor allem gering qualifizierte junge Menschen haben überdurchschnittlich häufig Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dabei sind Jüngere in Ostdeutschland mit einer angespannteren Lage konfrontiert als die Gleichaltrigen in Westdeutschland. Während in Westdeutschland im Jahr 2001 – dem Vergleichszeitraum der Studie – die Arbeitslosenquote der 15- bis 19-Jährigen bei 8 Prozent und der 20- bis 25-Jährigen bei 10 Prozent lag, erreichte sie im Osten 16 bzw. 23 Prozent. … Empirische Untersuchungen zeigen, dass die erste Platzierung am Arbeitsmarkt die weiteren individuellen Aufstiegs- und Einkommenschancen prägt. Jüngere, die bereits anfangs mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, erfahren mit höherem Risiko auch weiterhin eine geringere Beschäftigungsstabilität, da Eintrittsschwierigkeiten von potentiellen Arbeitgeber als negatives Signal für die Beschäftigungsfähigkeit bewertet werden können. Die gestiegenen Anforderungen am Arbeitsmarkt setzen für junge Menschen einen Standard, an denen sie ihre Ziele und Erwartungen messen müssen. So besteht die Gefahr, dass sie Arbeitslosigkeit als Misserfolg erleben und angesichts ihrer Situation resignieren. Mögliche Folgen sind Demotivation oder psychosoziale Probleme wie Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Beeinträchtigungen oder Leistungstiefs, die wiederum die weiteren Schritte in das Erwachsenenalter erschweren können. Trifft diese Befürchtung zu, wäre etwa eine psychosoziale Stabilisierung für die Integration junger Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt nötig. Diese Überlegung erscheint gerade für die aktive Arbeitsmarktpolitik von Bedeutung, die Jüngere möglichst schnell aktivieren will. … * 2 ARBEITSLOSIGKEIT UND PSYCHISCHES WOHLBEFINDEN … Junge Arbeitslose empfinden die finanziellen Restriktionen als stärkste Belastung, da diese zugleich ihre Konsummöglichkeiten, Freizeitaktivitäten und sozialen Beziehungen einschränken. Arbeitslosigkeit kann Jüngere härter treffen als ältere Personen, da sie bislang eher selten Reserven ansparen und nur geringe Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben konnten. Andererseits erhalten sie häufig noch Unterstützung von ihren Eltern, etwa wenn sie noch im elterlichen Haushalt leben und finanziell noch nicht auf eigenen Füßen stehen. … Die finanzielle Unterstützung von den Eltern kann jedoch das psychische Wohlbefinden der Jugendlichen nicht nur stabilisieren sondern auch Spannungen erzeugen, wenn die familiäre Beihilfe zu Streit in der Familie führt oder die Jugendlichen diese als Abhängigkeit empfinden. … Wie Jüngere Arbeitslosigkeit verarbeiten können, hängt zudem davon ab, wie sie selbst ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewerten. Sowohl individuelle Ressourcen, die Jugendliche zur Jobsuche einsetzten können, wie etwa ihre Qualifikationen, als auch die regionale Arbeitsmarktlage beeinflussen die subjektive Einschätzung. Gerade gut qualifizierte Jugendliche können Zeiten der Arbeitslosigkeit besser bewältigen, da sie im Vergleich zu gering qualifizierten Gleichaltrigen ihre Situation eher als vorübergehend ansehen. … 2.2 DIMENSIONEN DES PSYCHISCHEN WOHLBEFINDENS Das Verständnis von psychischem Wohlbefinden in diesem Beitrag orientiert sich an dem Konzept des „affektiven Wohlbefindens“ nach Warr (1987). Das psychische Wohlbefinden ist demnach eine der insgesamt fünf Komponenten von psychischer Gesundheit. Hierzu zählen auch Kompetenz, Autonomie, Zielstrebigkeit und funktionierende soziale Netzwerke. Dieses Konzept beschreibt die kulturspezifischen europäischen Elemente einer stabilen Persönlichkeit. Das psychische Wohlbefinden hat zwei Dimensionen: erstens, die Zufriedenheit einer Person und zweitens, wie viel Energie sie hat. … Beide Dimensionen spielen zusammen: Im Positiven können sich die Individuen behaglich oder lebhaft fühlen. Auf der negativen Seite zeigt sich ein beeinträchtigtes Wohlbefinden anhand von Symptomen für Ängstlichkeit oder Depressionen bezeichnen. … 2.4 ZUSAMMENFASSUNG UND HYPOTHESEN Erwerbstätigkeit aber auch andere Tätigkeiten wie Bildungsaktivitäten erfüllen soziale und psychische Bedürfnisse. Im Falle von Arbeitslosigkeit können diese nicht unbedingt erfüllt werden. Deswegen ist anzunehmen, dass arbeitslose Jugendliche ein schlechteres psychisches Wohlbefinden wahrnehmen als Gleichaltrige in anderen Aktivitäten. … Junge Männer und Frauen können Arbeitslosigkeit in verschiedener Weise erleben. Da sie unterschiedliche Verarbeitungsmuster erlernt haben, ist anzunehmen, dass junge Frauen ein geringeres psychisches Wohlbefinden angeben als Männer. Erwerbstätigkeit ist bei einer zunehmenden Bedeutung als Alternativrolle auch für sie ein zentrales Element ihrer Lebensplanung. Deswegen ist anzunehmen, dass Arbeitslosigkeit das psychische Wohlbefinden von jungen Leuten beiderlei Geschlechts belastet. … * 4 ERGEBNISSE … 4.1 DESKREPTIVE ERGEBNISSE – Die Lebenslage der befragten jungen Frauen und Männer … Etwa ein Jahr nach der registrierten Arbeitslosigkeit zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung ist annähernd die Hälfte der Befragten noch bzw. wieder arbeitslos oder nimmt an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teil. Etwa ein Drittel ist erwerbstätig und 15 Prozent in Ausbildung. Relative Einkommensarmut betrifft knapp ein Drittel der Jugendlichen. Sie verfügen nur über ein äußerst geringes persönliches Nettoeinkommen. Doch viele Jugendlichen berichten, dass sie nicht oder nur kaum aufgrund ihrer finanziellen Situation auf soziale Aktivitäten oder auf wesentliche materielle Grundgüter verzichten müssen. … Ein großer Anteil der Jugendlichen lebt noch bei den Eltern, etwa 30 Prozent wohnen mit einem Partner bzw. einer Partnerin zusammen. Weitere 16 Prozent haben einen eigenständigen Haushalt gegründet. Kaum einer der befragten Jugendlichen ist ohne Schulabschluss, andererseits haben 41 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Lebenslage der jungen Männer und Frauen unterscheidet sich zum ersten Befragungszeitpunkt. Es zeigt sich, dass junge Frauen ihr Wohlbefinden tendenziell schlechter einstufen als junge Männer. Dies bestätigt zunächst das geschlechtsspezifische Antwortverhalten bei Gesundheitsskalen. Darüber hinaus sind mehr junge Frauen als Männer einkommensarm. Trotzdem schätzen junge Männer und Frauen ihre finanziellen Restriktionen im materiellen und sozialen Bereich nahezu gleich ein. Junge Frauen haben eher einen eigenständigen oder partnerschaftlichen Haushalt gegründet, während deutlich mehr junge Männer noch bei den Eltern leben. Die befragten Frauen haben ein höheres Bildungsniveau als ihre männlichen Altersgenossen erreicht. … Nach einem weiteren Jahr, so zeigt der Vergleich von ersten und zweiten Befragungszeitpunkt, ist die Lebenslage der Jüngeren überwiegend stabil geblieben: Zumeist berichten die Befragten weder über ein besseres noch ein schlechteres psychisches Wohlbefinden. Nur bei einer Minderheit hat sich das Wohlbefinden verändert, hierbei überwiegend verbessert. Etwa die Hälfte der Jüngeren geht der gleichen Aktivität nach wie im Vorjahr. Dies gilt in erster Linie für Auszubildende und junge Erwerbstätige. Rund ein Drittel der zum ersten Befragungszeitpunkt arbeitslosen Jugendlichen waren noch oder wieder erwerbslos. Die Einkommenssituation ist für deutlich mehr als zwei Drittel der Jugendlichen stabil geblieben, etwa ebenso viele Jüngere schätzen ihre finanzielle Lage und die damit verbundenen materiellen Restriktionen als unverändert ein. … Im Vergleich dazu zeigen sich starke Schwankungen bei den Möglichkeiten, Geld für soziale und kulturelle Aktivitäten auszugeben. Knapp ein Viertel der Jugendlichen kann sich nun mehr leisten. Auch die Haushaltskonstellation ist weitestgehend stabil geblieben. Nur rund 10 Prozent der Jüngeren, die noch im Vorjahr bei ihren Eltern gelebt haben, führen nun einen eigenen Haushalt. Zudem haben nur wenige Jugendliche eine schulische oder berufliche Qualifikation nachgeholt. … Im Übergang in einen anderen Arbeitsmarktstatus nach einem Jahr zeigen sich keine oder nur minimale geschlechtspezifische Unterschiede. Ein etwa gleich großer Anteil der befragten Männer und Frauen hat eine Erwerbstätigkeit aufgenommen oder ist arbeitslos geworden. … Ein geringfügig größerer Anteil der befragten Männer nimmt an einer Maßnahme teil oder hat eine Ausbildung begonnen. … 4.2 DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN ARBEITSLOSIGKEIT, FINANZIELLER LAGE UND PSYCHISCHEM WOHLBEFINDEN… Es bestätigt sich zunächst für alle jungen Befragten die Annahme, dass finanzielle Einschränkungen das psychische Wohlbefinden belasten. Dies zeigen die Indikatoren zu den subjektiv wahrgenommenen materiellen und sozialen Einschränkungen, nicht jedoch der Indikator zur Einkommensarmut. Die subjektiven Armutsindikatoren sind die stärksten Korrelate mit dem psychischen Wohlbefinden. … Der Zusammenhang zwischen der individuellen Arbeitsmarktsituation der jungen Männer und Frauen und ihrem psychischen Wohlbefinden muss getrennt beurteilt werden, da die Analyse zu unterschiedliche Ergebnissen führt: Für die jungen Männer bestätigt sich die Annahme, dass Arbeitslose über ein geringeres psychisches Wohlbefinden berichten als die Erwerbstätigen. … In der Gruppe der Frauen zeigt sich im Gegensatz dazu kein durchgängiger Zusammenhang zwischen einem geringen Wohlbefinden und Arbeitslosigkeit. … In der Teilgruppe der jungen Frauen haben zudem Auszubildende ein signifikant besseres Wohlbefinden als erwerbstätige junge Frauen. Dieses Ergebnis hat sich für die jungen Männer nicht gezeigt. Möglicherweise sehen junge Frauen in einer Berufsausbildung die Chance auf eine langfristige und gesicherte Zukunft auf dem Arbeitsmarkt, was sich in ihrem psychischen Wohlbefinden widerspiegelt. Insgesamt stehen Arbeitslosigkeit und ein beeinträchtigtes psychisches Wohlbefinden bei den jungen Frauen in einem geringeren Zusammenhang als bei den Männern. Eine deutlich stärkere und belastende Rolle spielt dagegen eine prekäre finanzielle Situation. Während bei den befragten Frauen insbesondere grundlegende materielle Einschränkungen bedeutsam sind, fallen bei den jungen Männern eingeschränkte soziale Aktivitäten aufgrund finanzieller Probleme stärker ins Gewicht. Diese Ergebnisse widerlegen die Annahme, dass das psychische Wohlbefinden der jungen Männer und Frauen mit den gleichen Faktoren zusammenhängt. … * 5 ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION … Die Haupthypothese ist, dass Erwerbstätigkeit sowohl eine Einkommensquelle als auch eine zentrale Ressource für soziale und psychische Bedürfnisse ist. Im Falle von Arbeitslosigkeit können diese Bedürfnisse nicht bzw. nicht ausreichend erfüllt werden, was sich in einem beeinträchtigen psychischen Wohlbefinden zeigt. Die finanzielle Lage von Jugendlichen hängt jedoch nicht nur an ihrem Erwerbsstatus sondern oftmals auch an den finanziellen Ressourcen der Eltern und ob diese ihre Kinder unterstützen können. Es ist anzunehmen, dass eine prekäre finanzielle Situation die psychische Belastung durch Arbeitslosigkeit zusätzlich erhöht. Im Gegensatz dazu stärken ausreichende finanzielle Mittel das psychische Wohlbefinden. … Entgegen der Annahmen deuten die Befunde darauf hin, dass Arbeitslosigkeit das psychische Wohlbefinden eher in einem geringen Ausmaß beeinträchtigt. Dagegen stellt Erwerbstätigkeit eine zentrale Ressource dar. Während junge arbeitslose Männer zum ersten Befragungszeitpunkt über ein geringeres psychisches Wohlbefinden berichten als erwerbstätige Altersgenossen, zeigt sich dieser Unterschied bei den jungen Frauen nicht. … Die finanzielle Lage ist nach den Befunden der Studie der bedeutsamste Einflussfaktor für das psychische Wohlbefinden der befragten Jugendlichen. Tendenziell bestätigt sich die Annahme, dass finanzielle Restriktionen das psychische Wohlbefinden mindern. …“ Die Untersuchung im Volltext entnehmen Sie bitte über aufgeführten Link.

http://www.iab.de/de/185/section.aspx/Publikation/k071105n20

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Ähnliche Artikel

Skip to content