EUROPAWEITE POLITIKDEBATTE ‚Europa ist eine Gesellschaft aus vielen Sprachen und Kulturen. Die Zugewanderten sind für die europäische Gesellschaft ein wichtiger und integraler Bestandteil. Zu Fragen der Migration und Integration wollen wir eine europaweite Debatte anstoßen, an der sich neben der Politik auch Vertreterinnen und Vertreter aus Gesellschaft, Industrie und Handel, akademischen Einrichtungen, religiösen Institutionen beteiligen‘, erklärte am 20. November 2007 der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet beim Europatag zu Fragen von Migration und Integration in Aachen. Im Rahmen der gemeinsamen Konferenz des Landes Nordrhein-Westfalen, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und der Stiftung Internationaler Karlspreis zu Aachen verabschiedeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die ‚Aachener Erklärung zu Migration und Integration‘. An der zweitägigen Konferenz, die am Montag begonnen hatte, nahmen rund 180 Besucher aus allen gesellschaftlichen Bereichen teil. Unter ihnen waren auch der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Rene van der Linden, und der Vorsitzende des Ausschusses für Migration, Flüchtlinge und Bevölkerung des Europarats, Mevlut Cavasoglu. Ziel der Konferenz war es, gemeinsam Wege zu finden, wie Zuwanderinnen, Zuwanderer und Gaststaaten ihren interkulturellen Dialog und das gegenseitige Verständnis verbessern können. Gerade vor dem Hintergrund, dass Zuwanderung manchmal auch zu Spannungen führe, sei es wichtig, dass sowohl das Aufnahmeland, als auch die Zuwanderinnen und Zuwanderer bereit seien, über das Stadium des bloßen Zusammenlebens hinaus zu gelangen. Dazu brauche es die Bereitschaft aller gesellschaftlichen Gruppen. Von der Politik über die Wirtschaft, die Wissenschaft, religiöse Einrichtungen bis hin zu Migrantenorganisationen. Laschet: ‚Integration ist kein einseitiger Prozess. Wir brauchen eine Kultur des gegenseitigen Respekts, dabei spielen die Familien und die Eltern von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte eine zentrale Rolle.‘ Aachener Erklärung zu Migration und Integration: “ 1. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Parlamentarische Versammlung des Europarates haben zu einem Europatag zu Fragen von Migration und Integration in die historische Stadt Aachen vom 19. bis zum 20. November 2007 eingeladen. 2. Über 4 Millionen der knapp 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Nordrhein-Westfalens haben eine Zuwanderungsgeschichte. Sie kommen aus insgesamt 186 Ländern. Nordrhein-Westfalen hat eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der deutschen Zuwanderungs- und Integrationspolitik inne. Seit 2005 verfügt es über ein eigenes Integrationsministerium. 3. An der Konferenz nahmen Vertreter von gesellschaftlichen, kirchlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen, Migrantenorganisationen, Abgeordnete kommunaler, regionaler und nationaler Parlamente sowie Mitglieder des Europäischen Parlaments und internationaler parlamentarischer Ausschüsse teil. 4. Eine Gruppe junger Zuwanderinnen und Zuwanderer war in die Gespräche eingebunden und trug dazu bei, die Rolle der Migranten als Akteure und Multiplikatoren des interkulturellen Dialogs besser zu verstehen. 5. Die Debatte hatte zwei Schwerpunkte: ‚Integrationsstrategien in multikulturellen Gesellschaften: Herausforderungen und Perspektiven‘ sowie ‚Migration, Vielfalt, interkultureller Dialog und interreligiöses Verständnis: Voraussetzungen und politische Rahmenbedingungen‘. 6. Die Konferenz wurde von René van der Linden, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) und Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen eröffnet. Peter Altmaier, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium (Deutschland), Dr. Jürgen Linden, Oberbürgermeister der Stadt Aachen, und Melvüt Çavusoglu, Vorsitzender des Ausschusses für Migration, Flüchtlinge und Bevölkerungsfragen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates hielten Eröffnungsreden. 7. Weitere Redner waren: Stavros Lambrinidis, Vize-Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments, Nebahat Albayrak, Staatssekretärin im niederländischen Justizministerium und Cem Özdemir, Mitglied des Europäischen Parlaments. Prof. Dr. Rita Süssmuth, ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestags und Mitglied der „Global Commission on International Migration‘ hielt die Abschlussrede. 8. Die Konferenzteilnehmer stimmten darin überein, dass Zuwanderinnen und Zuwanderer ein wichtiger und integraler Bestandteil der europäischen Gesellschaft sind. Auch wenn dies manchmal zu Spannungen geführt hat, setzt sich Europa heute aus einer Vielzahl von Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Europa als Ganzes ist eine wahrhaft multikulturelle und multiethnische Gesellschaft mit einem reichen und vielfältigen Kulturerbe. 9. Integration ist kein einseitiger Prozess. Sie erfordert die Bereitschaft zu einem offenen Dialog auf Seiten des Aufnahmelandes und der Zuwanderinnen und Zuwanderer. Integration ist viel mehr als ein bloßes „Zusammenleben‘. Integration benötigt eine Kultur des gegenseitigen Respekts. Eine zentrale Rolle kommt den Familien und Eltern von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte zu. 10. Integrationspolitik liegt nicht nur in der Verantwortung des Staates. Integration erfordert die aktive Zusammenarbeit aller Teile der Zivilgesellschaft und eine positive Einstellung der Zuwanderinnen und Zuwanderer. Die Herkunftsländer können in entscheidender Weise zur Integration ihrer Angehörigen in die europäischen Aufnahmeländer beitragen. 11. Die politische Zielsetzung des Europatags zu Migration und Integration in Aachen ist darauf ausgerichtet, Maßnahmen zu entwickeln, die die Integration aller Bürger in ihren jeweiligen Ländern und in Europa als Ganzem unterstützen und erleichtern. Ein Schwerpunkt dieser Anstrengungen liegt darin, kulturelle Vielfalt, Dialog, interkulturelle Zusammenarbeit sowie Verständnis und Respekt füreinander zu schützen und zu bewahren. 12. Zentraler Bestandteil einer solchen Politik ist die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Förderung der Demokratie. Besondere Bedeutung kommt dabei den Rechten von Frauen und Kindern zu. Traditionen oder Handlungen, die diesen Prinzipien entgegenstehen, dürfen nicht geduldet werden. In Europa gibt es keinen Platz für Diskriminierung, Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie. 13. Für Zuwanderinnen und Zuwanderer müssen gleiche Teilhaberechte am gesellschaftlichen Leben gewährleistet sein. Sie müssen die Möglichkeit haben, Verantwortung, auch politische, auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene zu übernehmen. Integrationspolitik ist eine gemeinsame Aufgabe von Zuwanderern und Gesellschaft, mit dem Ziel gleicher Bildung wie die einheimische Bevölkerung und eines gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. 14. Der interreligiöse Dialog ist Teil des interkulturellen Dialogs. Oft behindern extremistische Haltungen einen konstruktiven Gedankenaustausch sowie gegenseitiges Verständnis und die Achtung füreinander. Der interreligiöse Dialog muss allen offen stehen. Zwar kommt den religiösen Verantwortungsträgern dabei eine zentrale Rolle zu. Der interreligiöse Dialog darf aber nicht auf sie beschränkt bleiben. Er sollte in stärkerem Maße auch gewählte Vertreter der Religionsgemeinschaften einbinden. 15. Die Beherrschung der Sprache des Aufnahmelandes ist von entscheidender Bedeutung. Erfolgreiche Integration wird durch frühzeitigen Spracherwerb erleichtert. Das Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes durch die Kinder der Zuwanderer sollte gefördert und gleichzeitig das Recht der Kinder, ihre Muttersprache zu erlernen, respektiert werden. Hierbei ist nicht nur das Bildungssystem gefordert. Auch andere Einrichtungen und Organisationen (Sport, Diaspora, Medien, Nicht-Regierungsorganisationen etc.) können zum Integrationsprozess beitragen. 16. Das Arbeitsleben spielt eine maßgebliche Rolle für die Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern. Arbeitslosigkeit ist ein entscheidendes Hindernis für eine erfolgreiche Integration, insbesondere dann, wenn junge Menschen betroffen sind. Wirtschaft, Handel und öffentliche Einrichtungen haben oft eine Pionierrolle im Integrationsprozess gespielt und den interkulturellen Dialog, gegenseitiges Verständnis sowie Achtung und wechselseitige Toleranz gefördert. Diese Arbeit muss öffentlich noch bekannter gemacht und gewürdigt werden. 17. Die Diaspora in Europa sollte noch stärker in die Entwicklungszusammenarbeit und die Förderung des interkulturellen Dialogs und der Integration einbezogen werden. Mobilität und zirkuläre Migration können eine positive Rolle für die Herkunftsländer, die Aufnahmeländer und die Zuwanderer und ihre Familien selbst übernehmen. Eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern kann die positiven Wirkungen von Zuwanderung und Integration verstärken. Die Herkunftsländer können durch die Pflege der Beziehungen zur Diaspora dazu beitragen, dass alle Seiten kurz- und langfristig vom Zuwanderungsprozess profitieren. 18. Ein multikulturelles Europa muss die Beherrschung von Sprachen und das Verständnis für verschiedene Kulturen anregen und anerkennen. Dafür ist die Zusammenarbeit der europäischen Staaten und Institutionen unerlässlich. Im Rahmen des Europatags für Migration und Integration wurde vorgeschlagen, den Europarat, die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten zu bitten, jedes Jahr einen Europäischen Tag für Integration und interkulturelle Toleranz durchzuführen. Aachen und die Karls-Preis-Stiftung sollten in die Schaffung eines Europäischen Tags eng eingebunden werden. 19. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass junge Menschen und Schulen ebenso wie die Zivilgesellschaft in die Förderung eines toleranten und multikulturellen Europas als Heimat für alle Menschen unabhängig von Hintergrund und Herkunft einbezogen werden. Frieden und Zusammenarbeit in Europa auf der Grundlage gemeinsamer Werte von Gleichheit, Menschenrechten und Demokratie müssen umfassend gefördert werden. Der vorgeschlagene Europäische Tag leistet dafür einen wichtigen Beitrag. 20. Der Europäische Tag sollte einen lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Charakter haben. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas und die Parlamentarische Versammlung sowie das Europäische Parlament und andere EU-Institutionen sind voll einzubeziehen. Handel und Wirtschaft kommt dabei die Rolle von privilegierten Partnern zu. 21. Die Aachener Erklärung zu Migration und Integration sollte der Europäischen Union mitgeteilt werden, damit sie beim Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008 berücksichtigt werden kann. Sie sollte zudem bei der 8. Gesamt-Europäischen Konferenz der für Einwanderung zuständigen Minister des Europarates vorgelegt werden, die vom 4.-5. September 2008 auf Einladung der ukrainischen Regierung in Kiew stattfinden wird.“
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Quelle: KNA Aktueller Dienst Inland Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration Nordrhein-Westfalen