Entwicklung von Integrationserwartungen

MACHT- UND CHANCENGEFÄLLE ZWISCHEN MIGRANTEN UND MEHRHEITSGESELLSCHAFT Auszüge aus einem Beitrag von Prof. Dr. Faruk Sen: “ Für die Integration gibt es keine allgemeingültigen Messlatten und Definitionen. Zweifellos wichtig sind aber Schulbildung, Berufsausbildung und die Arbeitsmarktintegration. Eine gelungene wirtschaftliche Integration ist die Basis, auf der eine erfolgreiche gesellschaftliche und politische Teilhabe aufgebaut werden kann. Die Gastarbeiter der ersten Stunde hatten keine wirtschaftlichen Integrationsschwierigkeiten. Sie wurden geholt, weil es Arbeitsplätze gab, die nicht mit einheimischen Arbeitskräften abgedeckt werden konnten. Sie haben … eine enorme Integrationsleistung vollbracht, in dem sie ohne Integrations- und Sprachkurse im betrieblichen Alltag ihre Arbeit geleistet und ihr Dasein in Deutschland organisiert haben. Damals gab es keine Integrationserwartungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Gastarbeitern. Die Integrationserwartung der Arbeitgeber, nämlich ordentlich und fleißig zu arbeiten, konnten sie erfüllen. Heute gibt es eine Fülle von Integrationserwartungen der Mehrheitsgesellschaft, die alle Lebensbereiche betreffen. Die Migranten selbst werden in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch als defizitäre und problembehaftete Gruppe angesehen, für die deutsche Stellen mit deutschem Personal Integrationskonzepte entwickeln und Integrationsanforderungen definieren. … Chancengleichheit in der Ausbildungs- und Arbeitswelt setzt voraus, dass es vorher auf dem Wege in den Beruf, also während der Schulzeit, gleiche Chancen für die Migranten gibt. Wir wissen aus der PISA-Studie, dass es gerade in Deutschland einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg gibt. Davon sind vor allem die Migranten betroffen. Eine Verbesserung der Schulerfolge der Migranten ist deshalb von grundlegender Bedeutung, wenn es um die Chancengleichheit im Arbeitsleben geht. Alle wissen, dass seit mehr als 40 Jahren Migranten in unseren Schulklassen sitzen. Aber immer noch ist ungeklärt, wie diese Kinder am schnellsten Deutsch lernen können, welche Rolle ihre Herkunftssprache dabei spielen kann und wie die interkulturellen Kompetenzen dieser Schülerinnen und Schüler genutzt werden können. Mehrsprachig aufwachsende Kinder und Jugendliche sind in unseren Schulen eigentlich gar nicht vorgesehen. … Anstelle dieses defizit-orientierten Blickes benötigen wir einen positiven Ansatz. Wir müssen begreifen, dass die Mehrsprachigkeit und die Fähigkeit, in unterschiedlichen Kulturen leben zu können, ein brachliegender Reichtum sind, sowohl für die Schülerinnen und Schüler selber als auch für die deutsche Wirtschaft in einer globalisierten Welt. Die jungen Migranten mit ihrer Kultur- und Sprachkompetenz können sowohl bei der gezielten Ansprache der hier lebenden Kunden mit Migrationshintergrund wie auch bei Geschäftsbeziehungen zu den Herkunftsländern als Brücke gesehen werden und den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. … Bei gleichem Wissensstand und Intelligenz hat ein 15 Jahre alter Schüler aus reichem Elternhaus vier bis sechs Mal so große Chancen, das Gymnasium zu besuchen wie Schüler aus einer ärmeren Familie. Für unser Land ist es wichtig, das Potenzial aller Kinder maximal auszuschöpfen. Ein Land, das keinen besseren Rohstoff als Bildung, Wissen und Wissenschaft hat, darf mit diesen geistigen Ressourcen nicht so umgehen. Dieser Zustand in unserem Bildungssystem führt zur Spaltung der Gesellschaft und gefährdet unsere Zukunft. Das gegliederte Schulsystem funktioniert bei sozial benachteiligten Kindern und Migrantenkindern nicht als ein System, das entsprechend den Fähigkeiten und Potenzialen dieser Gruppe ihnen Bildungsperspektiven bietet, sondern als ein System dass entsprechend der sozialen Unterschiede sie in die entsprechenden Schulformen weiterleitet. … Aber auch dann, wenn Kinder mit Migrationshintergrund es schaffen, einen gleich guten Schulabschluss zu erreichen wie deutsche Jugendliche, haben sie wesentlich schlechtere Chancen, eine Lehrstelle zu finden. Der Anteil der ausländischen Auszubildenden an allen Auszubildenden ist bundesweit zwischen 1994, dem Jahr mit dem höchsten Ausländeranteil, und 2005 von 8% auf nunmehr 4,4% gesunken. Im Zeitraum 1994-2004 sank der Anteil der Ausländer an allen Absolventen an allgemeinbildenden Schulen nach Angaben des statistischen Bundesamtes von 9,8% auf 8,6%. Dieser Rückgang fällt deutlich niedriger aus als der von ausländischen Auszubildenden. Offensichtlich haben sich die Chancen junger Ausländer auf einen Ausbildungsplatz in den letzten Jahren stetig verschlechtert. … Die Ausbildungsmisere der Migrantenjugendlichen entsteht obwohl sie zusätzlich natürliche Mehrsprachigkeit haben und interkulturelle Kompetenzen besitzen. Diesen Zustand kann man nur mit schlechten Bildungschancen, Vorurteilen und Diskriminierung erklären. … hier liegt enormer gesellschaftlicher Sprengstoff. Man sollte bei Erklärungsversuchen endlich von Schuldzuweisungen an die Jugendlichen und ihre Eltern wegkommen. … Wir müssen in die Qualifizierung der hier lebenden Jugendlichen, egal ob Einheimische oder Zugewanderte, mehr Ressourcen investieren. … Die fehlende Berufsausbildung ist die Hauptursache für die hohe Arbeitslosigkeit unter Ausländern, die zum August 2007 bei rund 20% lag. … Die Beratung bei der Berufsorientierung und dem Übergang von der Schule in die Berufswelt sollte ein zentrales Handlungsfeld der Integrationspolitik sein. Dies gilt nicht nur, wie man vermeintlich meint, für Mädchen und junge Frauen, sondern auch verstärkt für junge Männer mit Migrationshintegrund. Im selben Zusammenhang steht die Verbesserung des Zugangs zu Fort- und Weiterbildung. Hier müssen neue Angebote mit interkulturell kompetenten Lehrpersonal entwickelt werden, die den mangelnden Bildungs- und Ausbildungsvoraussetzungen Rechnung tragen. … Bildungs- und Qualifizierungsdefizite der Migranten werden beim Zugang zum Arbeitsmarkt durch Benachteiligung und Diskriminierung verstärkt. Wenn wir ihre Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen nicht erhöhen, so verschlechtern wir nicht nur ihre individuellen Zukunft, sondern die der Gesamtgesellschaft insgesamt. “ Den Beitrag im Volltext entnehmen Sie bitte über aufgeführtem Link.

http://www.denk-doch-mal.de/dynasite.cfm?dsmid=90346

Quelle: www.denk-doch-mal.de

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