FORSCHUNGSBERICHT DES IAB Aktive Arbeitsmarktpolitik zielt darauf ab, Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zumindest die Dauer solcher Zeiten zu verkürzen. Wie aber Umfang und Ausgestaltung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Deutschland aussehen sollten, darüber diskutieren Wissenschaft, Politik und Fachöffentlichkeit ausgesprochen kontrovers: Handelt es sich dabei – wie manchmal behauptet – um ein „Milliardengrab“? Oder doch um effektive Politikmaßnahmen zur Wiedereingliederung Arbeitsloser? Politik und Arbeitsverwaltung stehen dabei vor einem Balanceakt: Sie sollen einerseits Mittel wirksam und wirtschaftlich einsetzen, dürfen aber andererseits den sozialpolitischen Auftrag nicht vernachlässigen. Der Forschungsbericht gibt einen Überblick über den Einsatz und die Wirkungen von Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Auszüge ausdem Beitrag: AKTIVE ARBEITSMARKTPOLITIK IN DEUTSCHLAND UND IHRE INSTRUMENTE … Eine Kernaufgabe der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist die Beratung und Unterstützung der Vermittlung. Neben der BA und einigen Kommunen als öffentliche Träger für Vermittlungsdienstleistungen am Arbeitsmarkt gibt es private Vermittlungsdienstleister (so genannte Dritte), die einerseits unabhängig von öffentlichen Aufträgen tätig werden können, andererseits seit 1998 aber auch durch die öffentlichen Träger gefördert werden können. … Große Bedeutung wurde in Deutschland seit jeher der Förderung der beruflichen Erstausbildung und Qualifizierungsmaßnahmen zugesprochen: Damit möglichst alle Jugendlichen eine Berufsausbildung abschließen können, fördert die BA für diese unter anderem berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, unterstützt die Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen und gewährt ausbildungsbegegleitende Hilfen. Maßnahmen zur Förderung beruflicher Weiterbildung (FbW) helfen einerseits, die Qualifikation von Arbeitslosen an die geänderten Anforderungen des Arbeitmarktes anzupassen anderseits bieten sie Möglichkeiten zum Erwerb eines bislang fehlenden beruflichen Abschlusses. Zum Teil dienen auch Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen (TM) … der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Sie können aber auch zur Eignungsfeststellung genutzt werden, die Suche nach einem Arbeitsplatz durch Bewerbungstraining unterstützen oder zur Überprüfung der Verfügbarkeit des Arbeitslosen eingesetzt werden. Den Eintritt in eine reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt unterstützen die so genannten beschäftigungsbegleitenden Maßnahmen. Quantitativ bedeutsam sind hier Eingliederungszuschüsse und die Gründungsförderung. … Schwer vermittelbare Arbeitslose können im Rahmen Beschäftigung schaffender Maßnahmen befristet für eine Tätigkeit im zweiten Arbeitsmarkt eingesetzt werden. … Für Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden seit dem Jahr 2005 verstärkt die neu geschaffenen Arbeitsgelegenheiten (so genannte Ein-Euro-Jobs) eingesetzt. Weiterhin wurde im Oktober 2007 im SGB II als neue Arbeitgeberleistung der Beschäftigungszuschuss eingeführt, mit dem ansonsten nicht zu vermittelnde Langzeitarbeitslose eine dauerhaft geförderte Beschäftigung aufnehmen können. Schließlich fördert das „Bundesprogramm Kommunal-Kombi“ seit 2008 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im gemeinnützigen Bereich für seit mindestens zwei Jahren arbeitslose Personen in Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit. … WEITERBILDUNG … Der Schwerpunkt liegt auf der Förderung Arbeitsloser, obwohl auch Beschäftigte gefördert werden können. Maßnahmen zur Förderung beruflicher Weiterbildung lassen sich grob unterteilen in a) berufliche Weiterbildungen mit einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf und b) sonstige Maßnahmen zur Qualifikationserweiterung. Unter die letzte Kategorie fallen beispielsweise das Nachholen einer Abschlussprüfung, berufsbezogene übergreifende Weiterbildungen, berufliche Aufstiegsweiterbildungen und Qualifizierungen in Übungsfirmen oder Übungswerkstätten. … Nicht berücksichtigt werden … Sonderprogramme für Jugendliche, Ältere oder Geringqualifizierte, soweit sie nicht nur mit zusätzlichen Haushaltsmitteln im Rahmen der Regelförderung durchgeführt werden. … Zugänge und Teilnehmerstrukturen Die Teilnahme an allen geförderten beruflichen Weiterbildungen ging von 523.000 Eintritten im Jahr 2000 auf 135.000 Eintritte in 2005 stark zurück. Erst 2006 erhöhte sich die Zahl wieder auf 247.000 Zugänge. Berufliche Weiterbildungen mit Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf wurden im Jahr 2000 noch von 96.000 Personen begonnen. Im Jahr 2006 waren es nur noch 17.000, nachdem zuvor im Jahr 2005 ein Tiefststand mit 16.000 Eintritten erreicht wurde. Wesentlich höher – jedoch mit ähnlicher Entwicklung – war die Zahl der Zugänge bei sonstigen Maßnahmen zur Qualifikationserweiterung. Diese gingen von 427.000 im Jahr 2000 auf 115.000 in 2005 zurück, bevor sie im Jahr 2006 wieder auf 229.000 Eintritte stiegen. Im Vergleich zur Zusammensetzung im Arbeitslosenbestand traten bis 2003 – bei Weiterbildungen mit Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf bis 2004 – höhere Anteile an Frauen in Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung ein 2006 waren Frauen jedoch unterrepräsentiert. Für den gesamten Zeitraum deutlich unterrepräsentiert waren sowohl Langzeitarbeitslose als auch über 50-Jährige. Dagegen lag der Anteil von unter 25-Jährigen seit 2002 mit steigender Tendenz über ihrem Anteil am Arbeitslosenbestand. Ergebnisse von Wirkungsanalysen … Analysen im Rahmen der Hartz-Evaluation … legen … nahe, dass sich FbW tendenziell positiv auf die Integration in ungeförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auswirken. … Trotz der … eher positiven Einschätzungen der Förderwirkung auf den Eintritt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermitteln zum Teil … Studien, dass Weiterbildungsmaßnahmen nicht zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass Erwerbspersonen sich nicht nur in Arbeitslosigkeit oder in Maßnahmen (einschließlich geförderter Beschäftigung) oder in ungeförderter Beschäftigung, sondern auch in einem in den Prozessdaten nicht erfassten Status befinden können. … Implementationsaspekte Mit den Hartz-Reformen wurde … die Zuweisungspraxis in FbW erheblich verändert. Zum einen wurde der Wettbewerb zwischen den Bildungsträgern gestärkt, mit dem Ziel, die Maßnahmequalität zu verbessern. Zum anderen orientiert sich die Vergabe des Bildungsgutscheins an individuellen Eingliederungsprognosen, was die Teilnehmerauswahl verbessern sollte. … Gleichwohl gibt es auch Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen der Reform: So geben Arbeitsvermittler in den Agenturen an, dass der Bildungsgutschein zwar die Motivation der Teilnehmer in den Maßnahmen stärkt und die Abbruchquote senkt. Aber gerade arbeitsmarktfernere Arbeitslose seien häufig mit der Auswahl einer Maßnahme überfordert. Damit verstärke der Bildungsgutschein tendenziell die Selektion wettbewerbsstärkerer Arbeitsloser in Bildungsmaßnahmen. Von Seiten der Maßnahmeträger wird kritisiert, dass bestehende Netzwerke und Kooperationsbeziehungen durch die Reform zerstört worden seien. … EIGNUNGSFESTSTELLUNGS- UND TRAININGSMAßNAHMEN Ziel von Trainingsmaßnahmen ist es vor allem, den Teilnehmern durch Bewerbungstraining und Qualifizierung die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Es handelt sich dabei um kurze Qualifizierungsmaßnahmen mit einer maximalen Dauer von zwölf Wochen. … Zum einen gibt es Bewerbungstraining-Kurse, bei denen die Teilnehmer Informationen rund um den Bewerbungsprozess erhalten, Bewerbungen schreiben und auf Vorstellungsgespräche vorbereitet werden. Diese meist recht kurzen Kurse … werden jedoch teilweise auch dazu genutzt, die Verfügbarkeit von Arbeitslosen zu überprüfen. Bei Verweigerung der Teilnahme können dann Kürzungen im Hilfebezug verhängt werden. Darüber hinaus wird mit Trainingsmaßnahmen zum einen das Ziel der Eignungsfeststellung sowie zum anderen der Kenntnisvermittlung verfolgt. … Zugänge und Teilnehmerstrukturen … die Zugangszahlen sind in den Jahren 2000 bis 2004 deutlich ansteigen und dann 2005 und 2006 wieder leicht zurückgegangen. … Seit 2001 verzeichnen sie insgesamt die meisten Zugänge an Maßnahmen aktiver Arbeitmarktpolitik. Der Anteil an betrieblichen Trainingsmaßnahmen steigt stetig an. So finden im Jahr 2000 noch 21 Prozent der Trainingsmaßnahmen in Betrieben statt 2006 sind dies schon fast 43 Prozent. Insbesondere junge Erwachsene unter 25 Jahren werden in betrieblichen und nicht-betrieblichen Trainingsmaßnahmen gefördert. Ältere Arbeitslose ab dem Alter von 50 Jahren sind hingegen in beiden Maßnahmevarianten deutlich unterrepräsentiert. Während der Frauenanteil bei nicht-betrieblichen Trainingsmaßnahmen dem im Arbeitslosenbestand entspricht, sind Frauen bei betrieblichen Trainingsmaßnahmen unterrepräsentiert. Ergebnisse von Wirkungsanalysen Verglichen mit anderen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es wenig Evidenz über die individuellen Wirkungen von Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen. Allerdings sind die Ergebnisse, die es bisher gibt, beinahe durchweg positiv. … BESCHÄFTIGUNG SCHAFFENDE MAßNAHMEN Öffentlich geförderte Beschäftigung ist nachrangig zu Beschäftigung, Ausbildung und anderen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie wird zeitlich befristet für besondere Problemgruppen des Arbeitsmarkts eingesetzt. Derzeit existieren drei sehr ähnliche Beschäftigung schaffende Maßnahmen im Instrumentarium der BA. Hierzu gehören zum einen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), … . Darüber hinaus gibt es seit 2005 nur für Arbeitslosengeld-II-Empfänger Arbeitsgelegenheiten in zwei Varianten: 1) in der Mehraufwandsvariante und 2) in der Entgeltvariante. Alle drei Maßnahmen verfolgen das Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit von Teilnehmern zu erhöhen und auf diese Weise ihre Aussichten auf Beschäftigung zu verbessern. … Arbeitsgelegenheiten … Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante (auch Zusatzjobs und Ein-Euro-Jobs genannt) müssen zusätzlich und gemeinnützig sein. … Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante hingegen müssen nicht unbedingt zusätzlich sein und/oder im öffentlichen Interesse liegen. Teilnehmer erhalten einen üblichen Lohn, der von der BA subventioniert wird. … Zugänge und Teilnehmerstrukturen Während bis zum Jahr 2004 ABM die meistgenutzten Beschäftigung schaffenden Maßnahmen waren, sind es heute Arbeitsgelegenheiten, wobei es sich bei einem Großteil (ca. 95 Prozent) um Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante – also um die sogenannten Ein-Euro-Jobs – handelt. Bei den Arbeitsgelegenheiten lässt sich in beiden Teilen Deutschlands eine Fokussierung auf Jugendliche und junge Erwachsene beobachten, die eine Hauptzielgruppe des SGB II sind. Sie sind mit einem Anteil von über 20 Prozent an den Zugängen in Arbeitsgelegenheiten gegenüber ihrem Anteil von knapp elf Prozent am Arbeitslosenbestand im SGB II deutlich überrepräsentiert. … Ergebnisse von Wirkungsanalysen Bisher liegen Wirkungsanalysen zu Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante vor, jedoch … nicht zu Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante. … Kurzfristig treten … geringe Einsperreffekte … für Frauen in Westdeutschland auf, die aber für Gruppen mit besseren Beschäftigungschancen stärker sind. Mittelfristig, nach etwa 1,5 bis zwei Jahren, profitieren einzelne Gruppen von der Teilnahme: Sie haben um bis zu sieben Prozentpunkte höhere Chancen, eine reguläre ungeförderte Beschäftigung zu finden als Nicht-Teilnehmer. Zu diesen Gruppen gehören insbesondere westdeutsche Teilnehmerinnen, Teilnehmer im Alter von über 24 Jahren und Personen, die lange keine reguläre Beschäftigung ausgeübt haben. … Für eine der Hauptzielgruppen, die unter 25-Jährigen, ist die Teilnahme hingegen ineffektiv. Innerhalb des beobachteten Zeitraums von zwei Jahren nach Maßnahmebeginn können Arbeitsgelegenheiten auch nicht dazu beitragen, dass Teilnehmer ihre Hilfebedürftigkeit beenden. Implementationsaspekte Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante müssen dem Kriterium der Zusätzlichkeit genügen, d.h., es dürfen nur solche Tätigkeiten Gegenstand der Maßnahmen sein, die sonst nicht oder erst viel später durchgeführt würden. Dies soll die Gefahr der Verdrängung regulärer Beschäftigung eindämmen. Erste Studien zur betrieblichen Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, zeigen allerdings, dass dies (noch) nicht vollständig gelingt: Insbesondere für Ostdeutschland gibt es Indizien dafür, dass in den Einsatzbetrieben reguläre Beschäftigung durch Beschäftigte in Arbeitsgelegenheiten substituiert wurde. Auf der anderen Seite kann Beschäftigung in Arbeitsgelegenheiten aber in begrenztem Umfang als Sprungbrett in reguläre Beschäftigung im gleichen Betrieb dienen: Unveröffentlichte Berechnungen des IAB zeigen: bei AGH’s liegt die Übernahme auch bei ca. 4% und höher, wenn Betriebe eine Maßnahmepauschale entricht, die eventuell zur Schaffung weiterer Arbeitsplältze beigetragen hat. … FAZIT … Es kann als gesichert gelten, dass solche Maßnahmen, die direkt auf eine Beschäftigungsaufnahme am regulären Arbeitsmarkt zielen, die Beschäftigungschancen der geförderten Personen tatsächlich erhöhen. Dies gilt für Lohnkostenzuschüsse ebenso wie für die Gründungsförderung oder die betrieblichen Trainingsmaßnahmen, die häufig auch eine Art Einstiegsfinanzierung in ein Beschäftigungsverhältnis bedeuten. Auch für die tendenziell arbeitsmarktfernere Klientel des SGB II können beschäftigungsbegleitende Maßnahmen erfolgreich eingesetzt werden, … Ebenfalls … bestätigt werden die zumindest leicht positiven Effekte der Förderung beruflicher Weiterbildung für die Wiederbeschäftigungschancen. Hier zeigt sich aber auch, dass – gerade bei den längeren Maßnahmen – häufig ein längerer Atem nötig ist, bis sich die positiven Wirkungen auch beobachten lassen. Keine oder nur sehr punktuell positive Wiedereingliederungswirkungen lassen sich für die verschiedenen Formen öffentlich geförderter Beschäftigung nachweisen. Dies gilt für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ebenso wie für die neuen Arbeitsgelegenheiten im SGB II. Berücksichtigt man die Zielsetzung dieser Instrumente, so müssen zwar positive Effekte auf die direkte Arbeitsmarktintegration nicht unbedingt erwartet werden. … Uneindeutig sind die Ergebnisse schließlich für die verschiedenen Instrumente im Bereich der Vermittlungsdienstleistungen: Während der Vermittlungsgutschein … in vielen Fällen den gewünschten Erfolg zeigt, sind Beauftragung Dritter und Personal-Service-Agenturen nur wenig erfolgreich, was die Übergänge in reguläre Beschäftigung angeht. Hier stellt sich die Frage, ob die Ausgestaltung der Instrumente geeignete Anreize für die Dienstleister setzt. … Die Herausforderungen für die Evaluationsforschung werden … in den nächsten Jahren nicht kleiner. Hierzu trägt auch bei, dass sich die Rahmenbedingungen für die Forschung durch die ständige Weiterentwicklung der Instrumente laufend ändern. “ Den Volltext der Untersuchung entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.
http://www.iab.de
http://www.iab.de/de/185/section.aspx/Publikation/k080319n01
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung