Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Wohnungslosigkeit im Juli 2025 belegen: Eine wachsende Zahl Menschen in Deutschland, darunter auch Jugendliche und junge Erwachsene, sind von Wohnungslosigkeit betroffen.
Insgesamt wurden 474.700 wegen Wohnungslosigkeit in Einrichtungen untergebrachte Personen gezählt – ein Anstieg von 8 % gegenüber dem Vorjahr (439.500). 41 % dieser Menschen waren jünger als 25 Jahre, das entspricht rund 194.600 jungen Menschen. Diese Zahlen geben dem, was Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit seit Jahren erleben, ein Gesicht: Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen ist kein Randphänomen. Sie ist Ausdruck wachsender struktureller Armut.
Zum Erhebungsstichtag am 31. Januar 2025 wurden bundesweit wohnungslose Personen erfasst, denen Räume oder Wohnungen überlassen oder Übernachtungsgelegenheiten (auch Not- und Gemeinschaftsunterkünfte) zur Verfügung gestellt worden sind, ohne dass dies durch einen eigenen Mietvertrag, einen Pachtvertrag oder durch ein dingliches Recht abgesichert war.
Anstieg mit Ansage: Strukturelle Armutsrisiken bleiben bestehen
Der Paritätische Gesamtverband spricht von einem „alarmierenden Anstieg“ und fordert einen konsequenten Ausbau des sozialen Wohnungsbaus sowie gezielte Unterstützungsangebote für junge Menschen. Besonders betroffen sind junge Menschen mit instabilen familiären Verhältnissen, die in Einrichtungen stationärer Jugendhilfe leben oder sich bereits im Übergang in eigenständiges Wohnen befinden. Sie verfügen oft nicht über das soziale Kapital, finanzielle Rücklagen oder den Zugang zum regulären Wohnungsmarkt.
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) hatte im Monitor Jugendarmut 2024/2025 auf die wachsende Bedrohung durch Wohnungslosigkeit in dieser Altersgruppe hingewiesen. Wohnraumknappheit, hohe Mieten, unzureichende Übergangsangebote und bürokratische Hürden verschärfen die Situation. Gerade für junge Erwachsene ohne familiäre Unterstützung fehlt es an passenden Wohnformen mit begleitender sozialpädagogischer Betreuung. Dabei ist Wohnsicherheit die Grundlage für alles Weitere: schulischen Erfolg, Ausbildung, gesellschaftliche Teilhabe, und psychische Stabilität.
Ein Blick in die Praxis: Notschlafstelle Raum 58 in Essen
Die Notschlafstelle Raum 58 in Essen bietet jungen wohnungslosen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren eine vorübergehende Unterkunft, Zugang zu sanitärer Infrastruktur und sozialpädagogische Unterstützung. Träger sind die Caritas und Diakonie Essen. Ein aktueller Besuch von Mitarbeitenden in der Notschlafstelle und Gespräche mit den pädagogischen Fachkräften zeigen: Viele der Nutzer*innen haben zuvor bereits verschiedenste Unterbringungsformen durchlaufen oder sind nach Beendigung der Jugendhilfe ohne gesicherte Perspektive geblieben. Die Mitarbeitenden berichten von zunehmender Komplexität der Problemlagen – häufig bestehen psychische Belastungen, ungeklärte Behördenkontakte oder Unsicherheiten im Leistungsbezug. Angebote wie Raum 58 übernehmen eine wichtige Brückenfunktion, können jedoch langfristige Lösungen wie dauerhaft bezahlbaren Wohnraum oder ein sozialpädagogisch begleitetes Jugendwohnen nicht ersetzen.
Wohnraum als Voraussetzung für Teilhabe
Die BAG KJS bezeichnet Wohnen im Monitor Jugendarmut als „zentrale soziale Frage der Transformation“. Ohne gesicherten Wohnraum ist weder schulischer noch beruflicher Erfolg realistisch zu erreichen. Für junge Menschen bedeutet Wohnungslosigkeit nicht nur den Verlust eines physischen Rückzugsorts, sondern auch einen erschwerten Zugang zu sozialen Rechten, Gesundheitsversorgung, Bildung und Beratung.
Besonders vulnerabel sind junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen, geflüchtete Jugendliche sowie queere junge Menschen, die in ihrem Herkunftsumfeld keine Unterstützung finden, sowie Careleaver. Letztere haben einen Teil ihres Lebens in stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder in Pflegefamilien verbracht und befinden sich in der Situation, diese auf dem Weg in ein eigenständiges Leben zu verlassen. Die verfügbaren Hilfen greifen in vielen Fällen zu spät oder sind regional stark eingeschränkt.
Empfehlungen und Handlungsbedarfe
Fachkräfte der Jugendsozialarbeit, wie aus den Notschlafstellen Raum 58 oder des Don Bosco Clubs in Köln, und die BAG KJS fordern, die strukturellen Ursachen von Wohnungslosigkeit stärker in den Blick zu nehmen. Notwendig ist eine langfristige sozialpolitische Strategie, die sowohl präventiv wirkt als auch schnelle Unterstützung im Bedarfsfall ermöglicht. Dazu zählen insbesondere:
- der Ausbau bezahlbarer Wohnangebote für junge Menschen unter 27 Jahren,
- spezifische Wohnformen für junge Menschen in besonderen Problemlagen,
- eine armutsfeste Kinder- und Jugendgrundsicherung,
- der Ausbau und die Absicherung niedrigschwelliger Beratungs- und Unterstützungsangebote,
- die bessere Verzahnung von Jugendhilfe, Wohnungslosenhilfe und Arbeitsförderung.
Die vorliegenden Daten belegen einen Handlungsdruck, der über akute Einzelfallhilfe hinausgeht. Wohnungslosigkeit junger Menschen ist Ausdruck von Jugendarmut – und muss als solche politisch, sozial und fachlich bearbeitet werden.
Das Problem der Wohnungslosigkeit ist tatsächlich noch größer, als der Blick in die Statistik glauben lässt. Die bundesweite Wohnungslosenstatistik erfasst wohnungslose Personen, die in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 2025 beispielsweise in überlassenem Wohnraum, Sammelunterkünften oder Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht waren. Obdachlose Personen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben sowie Formen von verdeckter Wohnungslosigkeit, zum Beispiel Übernachten bei Bekannten oder Angehörigen – gerne auch als „Sofa-Hopping“ bezeichnet – werden in der Statistik nicht berücksichtigt.
Autorin: Silke Starke-Uekermann