„Warum dürfen Männer keinen Nagellack tragen?“ – „Warum müssen Frauen zuhause kochen und Männer nicht?“ In der Lebensphase Jugend beschäftigen sich junge Menschen auch mit Geschlechterbildern und der eigenen sexuellen Identität. Durch Medien wie Instagram und Tiktok, aber auch in der eigenen Familie werden ihnen Rollenbilder von Männern* und Frauen* aufgezeigt und vorgelebt, die sie in ihrer Entwicklung prägen und folglich auch ihren Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse der Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Julia Jenkner und Nicola Bischof aus Nürnberg schaffen im Rahmen des Programms Respekt Coaches Räume für Schüler*innen, in denen sie ihre eigenen Erfahrungen in Familie, Schule und Gesellschaft kreativ reflektieren können und sich als politisch handelnde Subjekte erleben können.
Fanzines, also mit Schere und Klebstoff zusammengestellte Sammlungen aus Texten, Zeichnungen, Comics, Fotos und Gedichten, die dann zu einer kleinen Zeitschrift zusammengestellt werden, gibt es zu vielen Themen der Jugendkultur: zu Punk-Musik, zu Horrorfilmen, zu politischen Themen wie Umweltschutz oder Rechtsextremismus. Im Anfang 2021 auf der Video-on-Demand-Plattform erschienenen Film „Moxie“ nimmt sich die 16-jährige Schülerin Vivian das Thema Alltagssexismus vor und verteilt – zunächst anonym – auf den Toiletten ihrer Highschool selbstgebastelte Fanzines, um ihre Mitschüler*innen darauf aufmerksam zu machen, dass es Zeit wird, antiquierte und auf Ungleichheit basierende Geschlechterverhältnisse infrage zu stellen und Übergriffen gegenüber Mädchen* und Frauen* den Kampf anzusagen.
Themen junger Menschen: Sexuelle Identität, mental load und LGBTQI+
„Moxie“ und Vivians couragiertes und kreatives Handeln hat auch die Schüler*innen einer Mittelschule in Nürnberg dazu inspiriert, selbst ein Fanzine zum Thema Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit zu erarbeiten. Sie fragen sich in kleinen Texten und Bildern, warum Männer keinen Nagellack tragen dürfen, legen dar, dass queere Identität keine „Phase“ darstellt, die wieder vorübergeht, und sie thematisieren anti-asiatischen Rassismus im Zuge der Corona-Pandemie. Die Schüler*innen aus zwei 7. Klassen haben diesen Zugang selbst gewählt und damit ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet: die geschlechtsabhängig ungleiche Behandlung unter Geschwistern innerhalb der Familie, die Bedeutung von Mental Load und psychischer Belastung, das Verhältnis von Mädchen* und Jungen* im schulischen Kontext, aber auch die Erfahrung mit LGBTQIA+-Themen (LGBTQIA+ =engl. Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen) im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis usw.. Der Transfer des eigenen Erlebens in einen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang und seine Verarbeitung im kreativen Prozess ermöglichten den Schüler*innen so zum einen eine lebensweltorientierte Selbstwirksamkeitserfahrung und zum anderen eine Aufwertung ihrer eigenen Perspektive auf Geschlecht, Macht und (Un-)Gerechtigkeit. Julia Jenkner (projektverantwortliche Mitarbeiterin im Projekt Respekt Coaches im Caritasverband Nürnberg e.V.) und ihre Kollegin Nicola Bischof (Leiterin des AKSB-Projekts „Religionssensible politische Bildung“ an der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus) treffen sich seit Oktober 2018 regelmäßig mit Mädchen* zur freiwilligen Arbeitsgruppe Rebel Sisters; am Fanzine-Projekt haben jedoch nicht nur Mädchen* der AG, sondern auch andere Schüler*innen teilgenommen und mit den beiden engagierten und fachlich versierten politischen Bildnerinnen über einen längeren Zeitraum dazu gearbeitet. Und dies auch mit einem großen Erfolg für die Schüler*innen: Noch im Sommer erscheint ihr (bislang noch namenloses) Fanzine in gedruckter Form.
Respekt Coaches fördern Mitgestaltung der Demokratie
Mit dem Projekt der Respekt Coaches sind seit seiner Einführung 2018 an zahlreichen Orten in ganz Deutschland an der Schnittstelle zwischen Jugendsozialarbeit sowie nonformaler außerschulischer und formaler schulischer Bildung neue Erfahrungs- und Reflexionsräume für junge Menschen entstanden. Im Rahmen von Gruppenangeboten wie jenen der Respekt Coaches in Nürnberg wird ihnen der Austausch zu gesellschaftlichen Grundwerten ermöglicht und somit auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, Haltung und Lebensperspektive. Dies – und hier entsteht die notwendige Verbindung zur politischen Bildung – ist eine der Grundvoraussetzungen für die Mitgestaltung unserer Demokratie. Wenn Mädchen* und Frauen*, Jungen* und Männer* dazu in die Lage versetzt werden, sich mit der eigenen Geschlechterrolle in der Gesellschaft zu beschäftigen und dadurch ihr Wissen über Feminismus, Intersektionalität und Diskriminierung anhand der eigenen Erfahrung erweitern, so werden sie dadurch als politische Subjekte gestärkt.
Empowerment in geschützten Räumen
Insbesondere die religionssensible Annäherung an Themen wie Sexualität und/oder Gewalt in geschützten Räumen und mithilfe erprobter Methoden politischer Bildung helfen den Jugendlichen dabei, einen differenzierten Blick auf Geschlechter- und Machtverhältnisse zu entwickeln. Gleichsam werden junge Menschen so empowert, den oftmals einfachen Antworten extremistischer und menschenfeindlicher Ideologen auf komplexe Fragen zu begegnen. Respekt Coaches schaffen so niedrigschwellige und positive Angebote für junge Menschen, deren soziale Benachteiligung häufig auch mit einem defizitorientierten Selbstbild einhergeht. Nicht nur deshalb, aber auch besonders deswegen ist das Ziel der Jugendsozialarbeit, Jugendlichen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, nicht ohne Empowerment für die Selbstverortung in der demokratischen Gesellschaft denkbar. Julia Jenkner jedenfalls ist sich sicher: „Wenn wir jungen Menschen früh zeigen, dass das, was sie täglich bewegt, seien es Fragen um Identität, Rassismus, Sexualität oder auch Körperbilder, auch politische Relevanz hat – dann können wir sie dabei unterstützen, sich selbst als aktive Mitglieder innerhalb unserer Gesellschaft zu sehen und diese mitzugestalten.“
Weiterführender Link: https://www.caritas-nuernberg.de/ich-suche-hilfe/hilfe-fuer-menschen-aus-dem-ausland/jugendmigrationsdienst.html
Quelle: Autorin: Anna Grebe (BAG KJS)